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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 05.03.2001
Aktenzeichen: 1 U 112/00
Rechtsgebiete: ZPO, StVO


Vorschriften:

ZPO § 593 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
StVO § 25 Abs. 3
StVO § 3 Abs. 2 a
StVO § 3 Abs. 3 Nr. 1
StVO § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 112/00 10 O 35/98 LG Mönchengladbach

Verkündet am 05.03.2001

O.G., Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 05.02.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E den Richter am Oberlandesgericht P und den Richter am Amtsgericht W

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 20.09.2000 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 593 Abs. 1 ZPO verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, Berufung hat keinen Erfolg.

Der Kläger kann aus dem Unfallereignis vom 07.09.1996 auf der B Straße in M gegen die Beklagten keinerlei Schadensersatzansprüche herleiten. Deshalb ist auch dem Feststellungsbegehren der Erfolg versagt. Mit Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil der Kläger den Unfall alleine verschuldet hat.

Zu dieser Haftungsverteilung zu Lasten des Klägers gelangt der Senat bei der gebotenen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge beider Unfallbeteiligter unter Berücksichtigung der von dem Pkw des Beklagten zu 1. ausgehenden Betriebsgefahr (§§ 7 Abs. 1 StVG, 254 BGB), wobei zu Lasten einer Partei nur solche unfallursächliche Tatsachen berücksichtigt werden dürfen, auf welche die Partei sich entweder berufen hat oder die unstreitig oder bewiesen sind.

Dem Kläger ist falsches Verhalten als Fußgänger im Straßenverkehr vorzuwerfen, § 25 Abs. 3 StVO. Er hat entgegen dieser Vorschrift die B D nicht nur ohne gebotene Beobachtung des fließenden Verkehrs zu überqueren versucht, sondern dies im Wissen um das Herannahen des Opel Vectra und "mit Absicht" aus Sorge um seinen auf der gegenüber liegenden Straßenseite befindlichen Sohn getan, wie er dem unfallaufnehmenden Polizeibeamten H am Unfallort gesagt hat.

Demgegenüber ist ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1. nicht erwiesen. Bestehende Zweifel gehen zu Lasten des beweispflichtigen Klägers.

Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 a StVO kann dem Erstbeklagten nicht zur Last gelegt werden, da der Kläger nicht zu dem von dieser Norm besonders geschützten Personenkreis zählt. Aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Vorschrift ist es unzulässig, diese auf Betreuungspersonen der originär geschützten Personen auszudehnen.

Zu Lasten des Erstbeklagten lässt sich auch ein Geschwindigkeitsverstoß, § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO, nicht feststellen. Der vom Landgericht mit der Unfallanalyse betraute Sachverständige Dipl.-Ing. N hat ausgeführt, dass eine Geschwindigkeit des Beklagten zu 1. vor der Kollision von mehr als 50 km/h ausgeschlossen werden könne. Vielmehr sei eine ungebremste Anstoßgeschwindigkeit von unter 40 km/h wahrscheinlich, möglicherweise habe die Annäherungsgeschwindigkeit bei 30 bis 33 km/h gelegen. Eine genauere Geschwindigkeitsbestimmung sei infolge des vorhandenen dürftigen Spurenmaterials nicht möglich. Aufgrund der vom Kläger erlittenen Verletzungen sowie der Beschädigungen am Pkw könne er lediglich die Kollisionsposition präziser einschätzen. Danach habe der Pkw den Kläger mit der vorderen Stoßstange erfaßt; durch den Aufprall sei der Kläger auf die Motorhaube und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geschleudert worden, wodurch die Platzwunde am Kopf entstanden habe. Da die Windschutzscheibe aber nicht zersprungen sei, was erfahrungsgemäß bei höheren Kollisionsgeschwindigkeiten als 40 km/h geschehe, müsse die Annäherungsgeschwindigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit darunter gelegen haben. Bei Betrachtung der Weg-Zeit-Zusammenhänge könne die Geschwindigkeit des Pkw mit 30 bis 33 km/h eingeschätzt werden; dabei unterstelle er das Durchschnittstempo eines rennenden Mannes im Alter des Klägers von etwa 5 m/s. Wenn der Kläger an einer Gehbehinderung gelitten habe, könne dies zu einem geringeren Durchschnittstempo und damit zu einer höheren Annäherungsgeschwindigkeit des Pkw führen. Eindeutige Angaben dazu seien aber letztlich nicht möglich.

Schließlich ist ein unfallursächliches Reaktionsverschulden des Beklagten zu 1., § 1 Abs. 2 StVO, nicht erwiesen. Der gegenteiligen Ansicht der Berufung kann der Senat sich nicht anschließen.

Der Sachverständige hat gut nachvollziehbar begründet, dass der Erstbeklagte eine Reaktionsaufforderung zum Bremsen erst erhalten haben könne, als der Kläger begonnen habe, loszulaufen. Für den Vorgang des Loslaufens und der damit verbundenen Erkennbarkeit für den Beklagten zu 1. hat der Sachverständige einen Zeitraum von mindestens 0,5 s. veranschlagt. Unter Berücksichtigung der nur ungefähr bekannten Aufschlagposition der Klägers nach dem Unfall und der eingemessenen Endstellung des Pkw des Erstbeklagten müsse es etwa 1 s. nach der Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 1. zu der Kollision gekommen sein. Während dieser Zeit sei eine Reaktion nicht zu erwarten gewesen, da einem Kraftfahrer eine Reaktionszeit von 1 s. zuzubilligen sei. Diese Berechnungen basierten auf dem Durchschnittstempo eines rennenden Mannes im Alter zwischen 20 und 30 Jahre von 5 m/s. Wäre infolge einer Gehbehinderung des Klägers dagegen nur ein schnelles Gehtempo anzunehmen, dann verlängere sich die Gesamtbewegungszeit auf etwa 2 s, was auf eine geringfügig verzögerte Reaktion des Erstbeklagten schließen ließe.

Mit welchem Tempo der Kläger aber tatsächlich die Straße überqueren wollte, insbesondere vor dem Hintergrund, dass er seinen Sohn vor dem herannahenden Pkw in Sicherheit bringen wollte und dementsprechend eher schnell als langsam gewesen sein dürfte, kann letztlich offenbleiben. Jedenfalls kann zu Lasten des Beklagten zu 1. ein unfallursächliches Reaktionsverschulden nicht festgestellt werden. Es mag zwar sein, dass der Kläger generell nicht mehr in der Lage ist, schnell zu rennen. Im Hinblick auf die konkrete Situation kann aber eine außergewöhnliche Geschwindigkeit nicht ausgeschlossen werden, so dass dem Beweisantrag auf Ermittlung des ihm möglichen Tempos nicht nachgegangen werden muß.

Ohne Erfolg versucht die Berufung, die Reaktionsaufforderung zeitlich vorzuverlagern.

Dem Beklagten zu 1. Kann nicht deshalb der Vorwurf eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO gemacht werden, weil er bei Erkennen des auf dem Bürgersteig befindlichen und gestikulierenden Klägers nicht seinen Pkw sofort bis zum Stillstand abgebremst hat. Zum einen ist nicht ermittelbar, wann erstmals der Beklagte zu 1. den Kläger dem auf der anderen Straßenseite befindlichen Kind hat zuordnen können. Zu berücksichtigen ist einmal, dass der Unfallort im Bereich einer leichten Kurve gelegen ist; der Kläger befand sich im kurveninneren Bereich, sein Sohn im kurvenäusseren, den auch der Beklagte zu 1. befuhr. Es ist lebensnah, dass der Blick des Erstbeklagten sich zunächst auf das "einsame" Kleinkind gerichtet haben dürfte und der Kläger erst später erkannt worden ist. Dass dessen Gestikulieren ein eindeutiges Warnsignal war, ist nicht sicher. Das Rufen kann der Beklagte zu 1) möglicherweise überhört haben. Damit, dass der Kläger, bewusst "in das Auto laufen" werde, musste der Beklagte zu 1. nicht rechnen.

Zu Gunsten des Beklagten zu 1. ist anzunehmen, dass er erst ab dem Zeitpunkt, als der Kläger sich in Gang gesetzt hat, diesen als Beziehungsperson für das Kind erkennen konnte. Dass das Unfallgeschehen für den Erstbeklagten zu diesem Zeitpunkt der Reaktionsaufforderung noch vermeidbar gewesen ist, ist - wie gezeigt - nicht erwiesen.

Damit belastet die Beklagten lediglich die Betriebsgefahr eines mit einer Geschwindigkeit von höchstens 90 km/h auf einer innerörtlichen Straße gesteuerten Pkw. Zu Lasten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass er den Pkw des Beklagten zu 1. hat herannahen sehen und absichtlich in dessen Fahrlinie hineingelaufen ist. Damit hat er sich - wenn auch aus verständlichen Gründen - einer erheblichen Gefahr ausgesetzt. Das Ausmaß dieser Eigengefährdung ist so groß, daß er für den Unfall und seine Folgen allein verantwortlich ist.

Die Kostenregelung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 546 ZPO) liegen nicht vor.

Streitwert der Berufung und Beschwer des Klägers: 32.000 DM (28.000,- DM + 9.000,- DM <=50 % von 8.000,-DM>).

Ende der Entscheidung

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