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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 27.12.2001
Aktenzeichen: 1 U 25/01
Rechtsgebiete: StVO, PflVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVO § 3
PflVG § 3 Abs. 3
PflVG § 3 Nr. 3 S. 3
PflVG § 3 Nr. 3
BGB § 208
BGB § 217
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 S. 1
ZPO § 108 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 25/01

Verkündet am 27. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

wegen Anwaltsregresses

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E. und die Richter am Oberlandesgericht P und K

für Recht erkannt:

Tenor:

I.

Die Berufung des Beklagten gegen das am 8. Januar 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufunsverfahrens.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistungen in Höhe von 7.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheiten können auch durch die unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Großbank oder öffentlichen Sparkasse oder einer der Sicherungseinrichtungen des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken angeschlossenen Genossenschaftsbank erbracht werden.

Tatbestand:

Der am 29. Mai 1973 geborene Kläger wurde am 25. September 1975 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Der Fahrer Dr. G. befuhr mit seinem Pkw Opel, in Dorsten den Bweg in östlicher Richtung. Er bemerkte dort in einer Entfernung von 200 m drei auf der Fahrbahn spielende Kinder, darunter den Kläger. Als die Kinder das Fahrzeug sahen, verließen sie die Fahrbahn und stellten sich an den rechten Fahrbahnrand. Dr. G. will daraufhin seine Geschwindigkeit vermindert, abgebremst und den Pkw nach links gelenkt haben. Bevor er die Kinder erreicht hatte, lief der Kläger auf die Straße und wurde von dem Opel erfaßt.

Das Strafverfahren gegen Dr. G. wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde eingestellt. Die Strafakten sind nicht mehr vorhanden. Dr. G. ist inzwischen verstorben.

Der Kläger erlitt durch den Unfall eine Fraktur des linken Waden- und Schienbeins, eine schwere Gehirnerschütterung sowie eine schwere Gesichtsprellung mit Hämatom links. Nach der Einlieferung in das St.-Elisabeth-Hospital in D. wurde er bewußtlos und erwachte erst nach etwa 60 Stunden. Er war bis zum 21. Oktober 1975 in stationärer und bis zum 12. Dezember 1975 in ambulanter Behandlung. Am 12. Juli 1976 und am 28. Februar 1977 wurden im St.-Josef-Hospital in O. zwei weitere ärztliche Untersuchungen durch Dr. K. durchgeführt. Dieser stellte eine substantielle Hirnschädigung fest.

Der Kläger fiel während seiner Schulzeit durch starke Konzentrationsschwierigkeiten, Vergeßlichkeit und rasche Ermüdbarkeit auf. Im Umgang mit anderen Kindern wurden Störungen festgestellt. Der Kläger besuchte zunächst bis zur 6. Klasse die Städtische Gesamtschule in O., nachdem seine Aufnahme in das Antoniuskolleg-Gymnasium in N. und in die Waldorfschule in M. abgelehnt worden war. 1986 wurde er durch das Schulamt für den Kreis E. an die Sonderschule im Hermann-Josef-Haus in U. verwiesen. 1987 verließ er die Sonderschule und besuchte bis zur 9. Klasse die Hauptschule in O.. Die Versetzung in die 10. Klasse erreichte er trotz Wiederholung der 9. Klasse nicht, so daß er einen Hauptschulabschluß nicht erwerben konnte. Vom 1. August 1989 bis zum 17. Juli 1991 besuchte er die kaufmännische Berufs- und Berufsfachschule. Nach Wiederholung der Unterstufe verließ er die Schule, ohne das Klassenziel erreicht zu haben.

1991 bewarb der Kläger sich um Einstellung in den Polizeidienst. Er wurde wegen Zweifeln an seiner Eignung abgelehnt. Auch das Ergebnis der Aufnahmeprüfung für den freiwilligen Dienst in der Marine reichte nicht für eine Einstellung aus. Vom Wehrdienst wurde der Kläger wegen Untauglichkeit zurückgestellt.

Am 1. August 1991 begann der Kläger eine Ausbildung zum Karosseriebauer bei der Firma Z. Das Ausbildungsverhältnis wurde nach wenigen Monaten gekündigt. In einem Schreiben vom 7. Juli 1992 teilte das ausbildende Unternehmen dem Beklagten mit, die Aufnahmefähigkeit des Klägers sei erheblich eingeschränkt, ihm habe alles mehrfach erklärt werden müssen, er habe sich nichts merken können.

Vom 8. Dezember 1992 bis zum 30. Juni 1995 arbeitete der Kläger als Hilfskraft für M.. Ab dem 1. Juli 1995 war er als Aushilfe bei einem Schmuck-Propagandisten tätig. Ab dem 1. Juni 1997 war er bei dem Unternehmen L., dessen Inhaberin seine Mutter ist, als Aushilfspropagandist beschäftigt. Vorm ersten Februar 1998 bis zum 31. März 1998 war er erwerbslos. Ab 1. August 1998 war er bei M. in O. als Aushilfsarbeiter beschäftigt. Inzwischen ist er für die Schnellrestaurant-Kette B. tätig.

Der Kläger hatte in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Januar 1998 ein monatliches Einkommen von 1.200,00 DM brutto. Im Februar und März 1998 hatte er keine Einkünfte. Von April 1998 bis August 2000 verdiente er insgesamt 55.810,54 DM brutto.

Die Mutter des Klägers, beauftragte den beklagten Rechtsanwalt, die zivilrechtlichen Interessen des Klägers wahrzunehmen. Der Beklagte bereitete im Juli 1977 eine Klage gegen Dr. G. und dessen Haftpflichtversicherer, die Öffentliche V., vor, mit welcher er in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 12.000,00 DM, geltend machen und die Feststellung beantragen wollte, daß die Beklagten als Gesamtschuldner für künftig eintretende Gesundheitsschäden des Klägers Schadensersatz zu leisten hätten. Die Klage wurde auf Wunsch der Mutter des Klägers nicht anhängig gemacht.

Im Oktober 1977 unterzeichnete die Mutter des Klägers nach längerer Vorkorrespondenz ein als "Teil-Abfindungs-Erklärung" überschriebenes Schriftstück, welches der Versicherer vorformuliert hatte. Auf dieser Grundlage zahlte der Versicherer 5.000,00 DM als Schadensersatz an den Kläger, zu Händen seiner Mutter. In der Abfindungserklärung heißt es:

"Durch diese Regelung sind alle Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 25.09.1975 bis zum Abschluß dieses Vergleiches abgegolten. Ein nach diesem Zeitpunkt eventuell eintretender nachweisbar in Unfallzusammenhang stehender Schaden, soweit kein Forderungsübergang erfolgt, bleibt von diesem Vergleich ausgenommen. Der Versicherer verzichtet insoweit zunächst bis zum 31.12.1980 auf die Einrede der Verjährung."

Mit Schreiben vom 20. Oktober 1980 wandte der Beklagte sich erneut an den Versicherer unter Hinweis auf die dauerhaften Unfallfolgen, vor allem im intellektuellen Bereich. Er regte eine weitere Begutachtung des Klägers an. Daraufhin erstatte der Kinderarzt und Kinder- und Jugendpsychiater Dr. O. unter dem 29. April 1982 ein kinder- und jugendpsychiatrisches Fachgutachten. Er stellte eine Substanzschädigung des Gehirns aufgrund des Verkehrsunfalls fest, ferner gravierende Verhaltensstörungen mit lang dauernden erheblichen Einordnungsschwierigkeiten, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von jedenfalls 30 - 40 % führten. Dabei schloß er nicht aus, daß diese auf einer Hirnschädigung beruhten, sah aber auch eine neurotische Genese als möglich an. Er empfahl eine Nachprüfung in Abständen von wenigen Jahren. In einem zuvor erstatteten Gutachten vom 10. Juni 1981 war der Kinderarzt Dr. W. zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erwerbsfähigkeit im Umfang von 70 % gemindert sei.

In der Zwischenzeit ging die Handakte des Beklagten durch einen Wasserschaden verloren.

1986 reichte die Mutter des Klägers in Abwesenheit des Beklagten einen Zettel mit der Aufschrift "Schadens-Nr. K. gegen G. Wiederaufnahme" in dessen Büro ein. Da der Beklagte keine Unterlagen mehr besaß, legte er auf der Grundlage der ihm von der Mutter des Klägers zur Verfügung gestellten Unterlagen eine neue Handakte an.

Unter dem 24. September 1986 wandte der Beklagte sich erneut an den Versicherer. Dieser erklärte mit Schreiben vom 4. November 1986, er werde sich vor dem 1. Januar 1992 nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Daraufhin legte der Beklagte erneut die Akte als erledigt ab.

Vor dem 1. Januar 1992 veranlaßte der Beklagte nichts, um den Versicherer zu einer Verlängerung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung zu bewegen.

Im Juni 1992 suchte der inzwischen volljährig gewordene Kläger den Beklagten in dessen Büro auf. Über den Inhalt dieses Gesprächs streiten die Parteien.

Mit Schreiben vom 27. April 1995 teilte der Beklagte der Mutter des Klägers mit, daß er die Sache "aus mehreren Gründen" nicht weiter bearbeiten wolle, und übersandte ihr die "Handakte".

Der Kläger wandte sich daraufhin an die Streitverkündeten, die Rechtsanwälte E. und Partner in E.. Diese setzten sich mit dem Versicherer in Verbindung, um Schadensersatzansprüche des Klägers anzumelden. Der Versicherer erklärte mit Schreiben vom 6. Juni 1995, daß die Angelegenheit sich für ihn aufgrund der inzwischen eingetretenen Verjährung erledigt habe.

Der Kläger strengte daraufhin ein Verfahren auf Schadensersatz gegen den Versicherer vor dem Landgericht Essen (12 O 241/98) an. Das Landgericht lehnte Prozeßkostenhilfe mit der Begründung ab, daß die Ansprüche gegen den Versicherer am 1. September 1980 verjährt seien und daß der Versicherer sich zu Recht mit Ablauf des 1. Januar 1992 auf die Verjährung berufen habe.

Mit Schreiben vom 17. August 1995 forderten die Streitverkündeten den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 7. September 1995 auf, an den Kläger 1,5 Mio. DM Schadensersatz zu leisten. Sie begründeten dies damit, daß der Beklagte dem Kläger gegenüber im Juni 1992 erklärt habe, eine monatliche Rente in Höhe von 2.500,00 DM oder eine einmalige Abfindung von 1,5 Mio. gegenüber dem Versicherer durchsetzen zu können.

Der Beklagte reagierte auf die Zahlungsanforderung nicht.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger den Beklagten - nach vorausgegangenem längeren Verfahren auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe - auf Zahlung von 125.000,00 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch genommen. Er hat vorgetragen:

Der Beklagte habe der Mutter des Klägers gegenüber erklärt, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers sollten im Hinblick auf den Verzicht auf die Verjährungseinrede keine weiteren Ansprüche gestellt werden. Seine Mutter habe 1990 mit dem Beklagten Kontakt aufgenommen und mit ihm die weitere Verfolgung der Schadensersatzansprüche nach dem 29. Mai 1991 besprochen. Der Beklagte habe zugesichert, die Verfolgung der Schadensersatzansprüche vor dem 1. Januar 1992 wieder aufzunehmen. Als der Kläger im Juni mit seiner Freundin die Kanzleiräume des Beklagten aufgesucht habe, habe der Beklagte ihm mitgeteilt, aufgrund der im Jahre 1975 erlittenen Verletzungen eine monatliche Rente in Höhe von 2.500,00 DM oder eine einmalige Abfindung in Höhe von 1,5 Mio. DM durchsetzen zu können.

Dr. G. habe den Unfall schuldhaft verursacht. Aus der Verfahrenseinstellung sei ersichtlich, daß ein Fehlverhalten von Dr. G. vorgelegen habe. Er habe die Geschwindigkeit nicht angemessen vermindert.

Der Kläger sei auch heute nahezu täglich mit den damaligen unfallbedingten Beeinträchtigungen konfrontiert. Die damaligen und heutigen Koordinationsschwächen resultierten aus dem Unfall. Er leide noch immer an Vergeßlichkeit, Konzentrationsschwäche und motorischen Schwächen. Er sei überaus vergeßlich, und es bereite ihm große Mühe, sich über einen längeren Zeitraum mit einer Sache auseinanderzusetzen. Er zeige keine normalen Reflexe. So reagiere er verzögert wenn ein Gegenstand auf den Boden falle. Seine Hand fange hin und wieder an zu zittern. Seine Erwerbsfähigkeit sei aufgrund des Unfalls um 70 bzw. 50 - 80 % vermindert. Die Prognosen der Gutachter Dr. W. und Dr. O. hätten sich als zutreffend erwiesen.

Er sei in Therapie gewesen. So sei er in dem Institut für Jugendhilfe in D. durch einen Psychotherapeuten betreut worden. Eine Zeitlang sei er in dem Wuppertaler Klinikum für Psychiatrie gewesen.

Die Unfallverletzungen, die ein hyperkinetisches Syndrom ausgelöst hätten, hätten zu den Beeinträchtigungen des schulischen und beruflichen Werdegangs geführt. Die Ausbildung zum Karosseriebauer sei aufgrund seiner beschränkten Aufnahmefähigkeit nicht möglich gewesen.

Ihm sei ein Erwerbsschaden von 50.000,00 DM entstanden. Ferner habe er Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld von 75.000,00 DM.

Hierfür müsse der Beklagte einstehen. Der Beklagte habe es durch sein anwaltliches Fehlverhalten versäumt, die Ansprüche des Klägers vor dem Eintritt der Verjährung zu bewahren. Die von dem Beklagten behauptete Aufforderung an die Mutter des Klägers, diese solle selbst die von dem Versicherer gesetzten Fristen einhalten, sei nicht erfolgt und hätte ohnehin nicht der anwaltlichen Fürsorgepflicht genügt.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 125.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 8. September 1995 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen:

Er habe seine anwaltlichen Pflichten nicht verletzt.

Die Mutter des Klägers sei zuletzt im Jahre 1982 bei ihm zu einer Besprechung erschienen. Danach habe es keine Besprechung mehr gegeben, so daß er auch nichts habe zusichern können. Wäre die Mutter des Klägers noch bei ihm erschienen, hätte er ihr von einer Verfolgung der Ansprüche im Hinblick auf das Gutachten des Dr. O. abgeraten. In diesem Sinne habe er der Mutter des Klägers damals die Bedeutung des Gutachtens erläutert.

Wenn Ansprüche gegen den Versicherer bestanden hätten, dann seien sie bis zur Beendigung des Mandats nicht verjährt gewesen und hätten folglich von den Streitverkündeten noch geltend gemacht werden können. Falls Ansprüche des Klägers verjährt seien, habe die Mutter des Klägers dies zu vertreten. Sie habe in der Verjährungsfrage ohnehin nicht aufgeklärt werden müssen, da eine Klage aufgrund des Gutachtens des Dr. O. aussichtslos gewesen wäre. Im übrigen hätte sie selbst den Versicherer um eine Verlängerung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung bitten können.

Im übrigen sei das Verhalten des Dr. G. nicht schuldhaft gewesen, insbesondere nicht, wenn man den zum Unfallzeitpunkt noch anderen Wortlaut des § 3 StVO beachte.

Die Verhaltensauffälligkeit des Klägers als neurotisches Leistungsversagen und soziale Anpassungsstörung anzusehen. Der Kläger habe zudem keine geeigneten Therapiemaßnahmen durchgeführt.

Schließlich seien auch Ansprüche gegen den Beklagten verjährt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen (ehemaliger Lehrherr des Klägers; Mutter des Klägers) sowie durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Kinder- und Jugendpsychiaters Prof. Dr. L. vom 20.7.2000.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Der Beklagte habe die ihm aus dem Anwaltsvertrag gegenüber dem Kläger obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt. Er habe pflichtwidrig nichts unternommen, um zu verhindern, dass die Ansprüche des Klägers gegen den Haftpflichtversicherer am 1. Januar 1992 verjährt seien. Das Mandatsverhältnis habe über Jahre fortbestanden. Der Beklagte sei jeweils vor Ablauf der Verjährungsfrist tätig geworden. Der Kläger und seine Mutter hätten darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagte die Frist überwachen werde. Das Versäumnis des Beklagten habe zur Verjährung am 1. Januar. 1992 geführt. Verjährung wäre ohne die Verzichtserklärung von 1977 bereits im Jahre 1980 eingetreten. Die Teil-Abfindungs-Erklärung von 1977 habe eine schriftliche Entscheidung des Haftpflichtversicherers im Sinne von § 3 Abs. 3 PflVG dargestellt. Dem Kläger sei durch die Pflichtverletzung ein Schaden entstanden. Er hätte erfolgreich einen Schadensersatzanspruch wegen eines Erwerbsschadens und einen Schmerzensgeldanspruch geltend machen können. Solche Ansprüche seien durch die Teil-Abfindungs-Erklärung nicht ausgeschlossen gewesen, die auch nicht zwischen materiellen und immateriellen Schäden unterschieden habe. Bereits jetzt stehe fest, dass der Kläger einen Erwerbsschaden erlitten habe. Der Unfall sei für die Schulschwierigkeiten zumindest mitursächlich gewesen. Ohne die unfallbedingte Hirnschädigung hätte der Kläger voraussichtlich den Beruf eines Karosseriebauers oder Kfz-Mechanikers erlernt und würde diesen heute ausüben. Sein Einkommen hätte schon bisher höher gelegen als mit den tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten. Schmerzensgeld stehe dem Kläger zu aufgrund des nach den Unfall vorhandenen Restzustands.

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Er trägt vor:

Eine Verjährung sei bis zur Übernahme des Mandats durch die nachfolgenden Rechtsanwälte nicht eingetreten.

Die Vereinbarung zwischen dem Haftpflichtversicherer des Schädigers und der Mutter des Klägers sei ein Teilvergleich gewesen. Ein solcher stelle eine Abschlußerklärung im Sinne von § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG nicht dar. Die Verjährungsfrist sei mithin weiterhin gehemmt gewesen, bis die Sachbearbeiter des Versicherers sich auf Verjährung berufen hätten. Frühestens dies habe die Abschlußerklärung dargestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beklagte schon nicht mehr mandatiert gewesen.

Vorher habe er nicht tätig werden müssen, weil für ihn keine Erkenntnisse vorgelegen hätten, welche einen Erfolg einer Klage hätten versprechen können. Auf das Gutachten von Dr. W hätte eine Klage nicht seriös gestützt werden können. Dem hätten die Ausführungen in dem Gutachten von Dr. O. entgegengestanden.

Das Landgericht habe auch keine Abwägung vorgenommen zwischen Ansprüchen, die durch die Teil-Abfindungs-Erklärung aus August 1997 erloschen seien, und solchen, welche der Kläger unter Umständen als Zukunftsschaden noch habe geltend machen können. Die von dem Kläger geltend gemachte Beeinträchtigung seiner Merk- und Konzentrationsfähigkeit sei keine unvorhersehbare Spätfolge gewesen, sondern müsse als durch die Teil-Abfindungs-Erklärung abgegolten angesehen werden. Sie habe sämtliche Ansprüche bis hin zu einem möglichen Anfallsleiden erfaßt. Neue unerwartete und bis dahin nicht vorhersehbare Beschwerden aufgrund des Unfalls habe der Kläger nicht gehabt und auch nicht vortragen können.

Schadensersatzansprüche hätten auch nicht durchgesetzt werden können. Anhand der Gutachten sei insgesamt festzustellen, daß der Kläger ohne jede Therapie und ärztliche Betreuung die Unfallfolgen sehr gut überwunden habe, so daß in dem Gutachten von Prof. L. insgesamt nur noch von einer leichten Beeinträchtigung die Rede sei. Wäre die Mutter des Klägers dem Therapievorschlag des Gutachters Dr. O. gefolgt, hätte der Kläger die Unfallfolgen noch viel schneller und nachhaltiger überwunden. Aufgrund dieses Versäumnisses der Mutter, welches der Kläger sich entgegenhalten lassen müsse, entfalle eine Haftung des Beklagten.

Eine Klage hätte nur unter der Bedingung erhoben werden können, daß der Kläger ein überzeugendes Arztgutachten beigebracht hätte, mit welchem die Ausführungen von Dr. O., welche der Beklagte der Mutter des Klägers eingehend erläutert habe, sich hätten widerlegen lassen.

Den Beruf eines Karosseriebauers oder Kraftfahrzeugmechanikers hätte der Kläger bei seiner hohen Intelligenz und der leichten Beeinträchtigung auch mit den Unfallfolgen erlernen können. Er hätte sich nur in der notwendigen Weise bemühen müssen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 8. Januar 2001 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor:

Der Versicherer habe sich infolge seines Verjährungsverzichts bis zum 1. Januar 1992 nicht auf die schon lange zuvor eingetretene Verjährung berufen können.

Die Abfindungsvereinbarung von Oktober 1977 sei eine abschließende Erklärung des Versicherers gewesen. Die Beteiligten hätten eine abschließende Regelung gewollt. Die vorangegangenen Schreiben des Versicherers ergäben, daß mit der Abfindungsvereinbarung die Sache bis auf weiteres habe erledigt sein sollen mit Ausnahme der vorbehaltenen eventuellen Zukunftsschäden. Nicht anders habe der Beklagte die Vereinbarung verstanden und nichts anderes lasse sich deren Inhalt entnehmen. Nur bei diesem Verständnis habe der zunächst bis Ende 1980 erklärte Verjährungsverzicht Sinn ergeben. Letztlich könne sogar offenbleiben, wann Verjährung eingetreten sei. Jedenfalls sei sie eingetreten, und der Beklagte hätte sie durch geeignete Maßnahmen verhindern können.

Auch nach der Gutachtenlage habe Veranlassung bestanden, auf Verjährungsunterbrechnung hinzuwirken. Immerhin habe auch Dr. O eine Substanzschädigung des Gehirns zugrundegelegt. Dem Gutachten von Dr. W werde zu Unrecht die Bedeutung abgesprochen. Selbst Zweifel an seiner Richtigkeit hätten nicht gerechtfertigt, Schadensersatzansprüche von vornherein als aussichtslos anzusehen.

Die jetzt geltend gemachten Schäden seien auch keineswegs durch die seinerzeit gezahlten 5.000,-- DM mit abgefunden. Schon der Wortlaut und jedenfalls die Auslegung der Vereinbarung von Oktober 1977 ergäben zweifelsfrei, daß sämtliche nach Abschluß dieser Vereinbarung auftretenden Schäden - ob vorhersehbar oder unvorhersehbar - nicht hätten mitabgefunden sein sollen. Das zeige sich auch an dem niedrigen Vergleichsbetrag.

Bei dem Kläger beständen trotz Rückbildung der Symptome als Dauerschäden feinmotorische und koordinative Schwächen rechtsbetont sowie vor allem auch eine Aufmerksamkeitsstörung mit Verständnisproblemen und Schwierigkeiten, Gedankengänge vollständig geordnet zu halten. Diese Probleme hätten sich auf die schulische und berufliche Laufbahn des Klägers nachhaltig ausgewirkt und beeinträchtigten auch sein Fortkommen in der derzeit ausgeübten Tätigkeit als Angestellter in einem Schnellrestaurant.

Ohne den Unfall hätte der Kläger nicht nur den Beruf eines Karrosseriebauers ausüben können. Er hätte Polizeibeamter werden oder, wie sein Bruder, ein Studium absolvieren können.

Versäumnisse der Mutter seien nicht dargelegt. Diese habe sich nach Kräften um die Beseitigung der Unfallfolgen bemüht, insbesondere die Empfehlungen von Dr. O. befolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze, auf die zu den Gerichtsakten überreichten Unterlagen, auf die Sitzungsniederschriften und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

I.

Auch nach Auffassung des Senats ist der Beklagte dem Kläger wegen positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrags dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet, und zwar in dem Umfang, in welchem der Kläger ohne die Pflichtverletzung des Beklagten Ansprüche wegen weiterer materieller und immaterieller Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 25. September 1975 gegen den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten Opel-Fahrers Dr. G., die Öffentliche Versicherung Braunschweig, hätte.

1.

Der Beklagte war nach dem Unfall vom 25. September 1975, den der Kläger im Alter von zwei Jahren und vier Monaten erlitten hatte, für den Kläger, vertreten durch dessen Mutter, anwaltlich tätig geworden. Er hatte die Schadensersatzansprüche des Klägers bei dem Haftpflichtversicherer des Opel-Fahrers Dr. G. angemeldet, mit diesem bis zu der Teil-Abfindungs-Erklärung von Oktober 1977 verhandelt und hatte in der Folgezeit, zuletzt 1986, wiederholt dafür gesorgt, dass der Haftpflichtversicherer den bei der Teil-Abfindungs-Erklärung erstmals erklärten zeitweiligen Verzicht auf die Einrede der Verjährung verlängert hatte, zuletzt bis zum Ende des Jahres 1991, in welchem der Kläger volljährig wurde.

2.

Es stellte eine vorwerfbare Verletzung der Pflichten aus dem Anwaltsvertrag dar, dass der Beklagte im Hinblick auf die zum Jahresende 1991 auslaufende Verzichtserklärung nichts unternahm, um dem Kläger mögliche Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer weiterhin zu erhalten, sofern der Kläger dies wünschte.

a)

Ansprüche des Klägers waren zwar Ende 1991/ Anfang 1992 bereits verjährt (§ 852 Abs. 1 BGB, § 14 StVG).

Die Verjährung war drei Jahre nach der Unterzeichnung der Teil-Abfindungs-Erklärung von Oktober 1977 durch die Mutter des Klägers und deren Annahme durch den Versicherer eingetreten. Die Verhandlungen mit dem Versicherer, welche der Beklagte durch die Anmeldung der Ansprüche nach dem Unfall eingeleitet hatte, waren durch die von der Mutter des Klägers unterzeichnete Teil-Abfindungs-Erklärung und deren Annahme beendet worden. Der Abschluß dieser Vereinbarung nach entsprechender Vorkorrespondenz ist der schriftlichen Entscheidung des Versicherers im Sinne des § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG gleichzustellen bzw. sie machte einen gesonderten schriftlichen Bescheid des Versicherers entbehrlich. Bereits am 24. Februar 1977 hatte der Versicherer ein schriftliches Angebot zu einer abschließenden Regelung unterbreitet. Mit Schreiben vom 9. März 1977 hatte er dieses Angebot dahin modifiziert, daß zur Abgeltung aller Ansprüche bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt 5.000,-- DM gezahlt würden, wobei der Zukunftsschaden offen bleibe und zu gegebener Zeit von dem Kläger nachgewiesen werden müsse. Mit weiterem Schreiben vom 9. August 1977 hatte der Versicherer erklärt, er sei nicht bereit, über sein Angebot vom 9. März 1977 - Zahlung von 5.000,-- DM und befristete Anerkennung des Zukunftsschadens - hinauszugehen. Bei Nichtannahme des Vorschlags gebe er einer gerichtlichen Entscheidung den Vorzug. Da er zu einer Erhöhung des Angebots nicht bereit sei, halte er eine nochmalige Besprechung mit dem Beklagten nicht für sinnvoll. Es folgte die Übersendung der Teil-Abfindungs-Erklärung, derzufolge mit Zahlung von 5.000,-- DM alle Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 25. September 1975 bis zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vergleichs abgegolten waren und ein nach diesem Zeitpunkt eventuell eintretender nachweisbar in Unfallzusammenhang stehender Schaden von diesem Vergleich ausgenommen sein sollte. Diese von dem Versicherer vorformulierte und der vorangegangenen Korrespondenz entsprechende Erklärung wurde von der Mutter des Klägers unterzeichnet. Mit der Annahme dieser Erklärung durch den Versicherer kam ein entsprechender Vergleich zustande.

Zwar fehlt es in diesem Zusammenhang an einer Entscheidung des Versicherers in der in § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG vorgeschriebenen Form. Ein gesonderter schriftlicher Bescheid, unterzeichnet von dem Versicherer, war aber entbehrlich geworden. In ihm hätte der Versicherer ohnehin nur all das wiederholen können, was in der Abfindungserklärung und in den mehreren sie vorbereitenden Schreiben bereits gestanden hatte. Das wäre auf eine bloße Förmelei hinausgelaufen (vgl. bereits BGH in VersR 1977, S. 335, 336; OLG Karlsruhe in VersR 1998, S. 632, 633), auf welche es auch unter Verjährungsgesichtspunkten nicht ankommen kann.

In der Vorkorrespondenz und in der von ihm vorformulierten Erklärung hatte der Versicherer deutlich gemacht, daß mit der Zahlung von 5.000,-- DM alle Ansprüche des Klägers bis zum Zeitpunkt der Erklärung abgegolten seien und dass er nach damaligem Stand zu weitergehenden Zahlungen nicht bereit war. Mit der daraufhin zustandegekommenen Abfindungsvereinbarung wurde mithin die damals mögliche Schadensregulierung endgültig zum Abschluß gebracht. Mit dem Vorbehalt, daß ein nach diesem Zeitpunkt eventuell eintretender nachweisbar in Unfallzusammenhang stehender Schaden von dem Vergleich ausgenommen bleibe, wurde dem Kläger lediglich die Berechtigung eingeräumt, in der Zukunft einen weiteren Schaden mit der erneut verjährungshemmenden Wirkung des § 3 Nr. 3 PflVG anzumelden, ohne daß die Regulierungsverhandlungen diesbezüglich auf unabsehbare Zeit in der Schwebe gehalten werden sollten (vgl. z. B. OLG Hamm, Urteil vom 6. September 2000, 13 U 175/99).

Indem der Versicherer sich auf den Vorbehalt hinsichtlich eines künftig eintretenden unfallbedingten Schadens einließ, erteilte er insoweit dem Kläger ein deklaratorisches Anerkenntnis. Es verlängerte, soweit es inhaltlich reichte, nicht die Verjährungsfrist von drei Jahren, sondern führte gemäß § 208 BGB nur zu einer Unterbrechung der Verjährung mit der Folge ihres Neubeginns nach § 217 BGB (vgl. hierzu BGH in VersR 1992, S. 1091).

Aus dem (nicht veröffentlichten) Nichtannahmebeschluß des BGH vom 11. Juli 1995 (vgl. Anmerkung zu OLG Hamm in DAR 1995, S. 445, a.a.O., S. 446) kann eine andere rechtliche Wertung nicht hergeleitet werden. Der BGH hat zwar dort angesichts einer Regelung "Teil-Vergleich und Abfindungserklärung", bei welcher ein eventuell unfallbedingter materieller Schaden ausgenommen wurde, bemerkt, daß die Verjährung gehemmt gewesen sei. Darin sieht auch der Senat einen Widerspruch zu der davor zitierten und hier zugrundegelegten Entscheidung. Daß künftig eintretende unfallbedingte Schäden ausgeklammert wurden, kann für sich genommen noch nicht dazu führen, eine bloße Teilregelung mit der Folge einer dauerhaften Hemmung der Verjährung hinsichtlich des weiteren Teils der Ansprüche anzunehmen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der BGH bei der zuvor erwähnten Entscheidung die Möglichkeit einer Hemmung übersehen hat. Genausowenig kann davon ausgegangen werden, daß der BGH seine Rechtsprechung durch einen (nicht veröffentlichten) Nichtannahmebeschluß hat ändern wollen (so mit Recht OLG Karlsruhe, a.a.O.) Von einer bloßen Teilregelung auszugehen, würde auch gerade im vorliegenden Fall dem erkennbaren Willen der Vergleichsparteien nicht gerecht. Das hätte nur der Fall sein können, wenn die Parteien der Teil-Abfindungs-Erklärung die Verhandlungen über künftig eintretende Schäden offengehalten hätten. Das war aber nicht der Fall. Der Versicherer war zum Zeitpunkt der Erklärung und des Vergleichs im Hinblick auf möglicherweise eintretende künftige Schäden lediglich nicht zu einer Zahlung, sondern nur zu einem deklaratorischen Anerkenntnis bereit, so dass die Verhandlungen auch insoweit beendet waren. Darüber hinaus verstand er sich nur dazu, sich hinsichtlich möglicher künftiger Schäden auf einen zeitlich begrenzten Verzicht auf die Verjährungseinrede - zunächst bis zum 31. Dezember 1980 - einzulassen. Deutlicher konnte für einen Rechtsanwalt wie den Beklagten kaum zum Ausdruck kommen, dass der Versicherer von einer eigenen endgültigen Entscheidung auch insoweit ausging. Nur unter dieser Voraussetzung ergab eine Verzichtserklärung Sinn. Bei aus der Sicht des Versicherers noch andauernden Verhandlungen hätte ohnehin noch nichts verjähren können.

Hinsichtlich von der Teil-Abfindungs-Erklärung ausdrücklich nicht erfasster eventuell eintretender künftiger Schäden begann mithin eine neue Verjährungsfrist von 3 Jahren. Mangels weiterer verjährungsunterbrechender oder verjährungshemmender Maßnahmen trat nach alledem Verjährung spätestens im Oktober 1980 ein.

b)

Die im Oktober 1977 erstmals abgegebene Verzichtserklärung und deren mehrmalige, von dem Beklagten jeweils rechtzeitig erwirkte Verlängerung hatten nur die Bedeutung, dass der Haftpflichtversicherer sich auf eine nach dem Zeitpunkt der Teil-Abfindungs-Erklärung und ihrer Annahme eingetretene Verjährung bis zu dem zuletzt vereinbarten Zeitpunkt und auch noch für eine kurze angemessene Überlegungs- und Klagefrist darüber hinaus nicht sollte berufen können, weil er sich damit treuwidrig zu seiner früheren Verzichtserklärung in Widerspruch gesetzt hätte (§ 242 BGB).

c)

In der zuletzt skizzierten Situation befand man sich aufgrund der letzten Verlängerung der Verzichtserklärung zum Jahresende 1991. Der Beklagte musste - ob im Rahmen eines noch bestehenden Anwaltsvertrags oder in Nachwirkung eines jedenfalls bei der letzten Verlängerung der Verzichtserklärung noch bestanden habenden Anwaltsvertrags - sicherstellen, dass der Haftpflichtversicherer sich auch weiterhin nicht mit Erfolg auf Verjährung berufen konnte, sofern dem 1991 volljährig gewordenen Kläger daran gelegen war, weitergehende Ansprüche nunmehr zu verfolgen oder sich weiterhin wenigstens die Möglichkeit zur Verfolgung derartiger Ansprüche zu erhalten.

Für den Beklagten ergaben sich mehrere Möglichkeiten pflichtgemäßen Verhaltens: Er konnte vorsorglich von sich aus - ohne Rücksprache mit dem Kläger und/oder seiner Mutter - eine erneute Verlängerung der Verzichtserklärung erwirken.

Er konnte sich auch - unmittelbar oder über die Mutter - mit dem Kläger in Verbindung setzen und Weisung einholen, ob er nochmals Verlängerung der Verzichtserklärung erbitten solle, wobei er auf die Folgen einer unterbleibenden Verlängerung hinzuweisen hatte.

Wollte er für den Kläger nicht mehr tätig werden, dann konnte er dem Kläger anheim stellen, unmittelbar oder durch einen anderen Rechtsanwalt für Verlängerung zu sorgen, wobei er auch dann den Kläger darüber aufklären musste, welche Konsequenzen es haben konnte, wenn der Kläger nicht rechtzeitig Verlängerung erwirkte oder nicht alsbald nach Ablauf der zuletzt gewährten Verlängerung Klage erhob.

Nichts von alledem tat der Beklagte.

3.

Dem Kläger ist durch dieses pflichtwidrige und schuldhafte Verhalten des Beklagten ein Schaden entstanden.

a)

Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Haftpflichtversicherer sich einer an ihn herangetragenen Bitte um Verlängerung der Verzichtserklärung erneut nicht verschlossen hätte.

Der Versicherer hätte danach einem außergerichtlichen Zahlungsverlangen des Klägers oder einer erforderlichenfalls vor oder noch kurz nach Ablauf der verlängerten Frist erhobenen Klage nicht mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegensetzen können.

b)

Der Kläger hätte gegen den Haftpflicchtversicherer Ansprüche wegen weiterer materieller und immaterieller Schäden durchsetzen können.

Der Inhalt der Teil-Abfindungs-Erklärung stand dem nicht entgegen. Die Geltendmachung künftiger Schäden sollte danach gerade nicht ausgeschlossen sein, wobei weder zwischen materiellen und immateriellen Schäden noch zwischen bekannten/vorhersehbaren und nicht bekannten/nicht vorhersehbaren Schäden unterschieden worden war.

Der Haftpflichtversicherer hätte materielle Schäden, insbesondere einen künftigen Erwerbsschaden des zum Unfallzeitpunkt erst zweijährigen und zum Zeitpunkt der Teil-Abfindungs-Erklärung erst vierjährigen Klägers zu ersetzen gehabt, wenn er sich nicht mit Erfolg auf Verjährung hätte berufen können. So viel kann gesagt werden, auch wenn der Unfallhergang im einzelnen mangels noch vorhandener Ermittlungsakten und nach dem Tod des beteiligten Opel-Fahrers in den Einzelheiten nicht mehr aufklärbar ist.

Der Haftpflichtversicherer hätte sich nicht mit Erfolg darauf berufen können, der Unfall sei für seinen Versicherungsnehmer ein unabwendbares Ereignis gewesen. Er hatte dies auch bis zu der Teil-Abfindungs-Erklärung nicht getan. Entsprechende Feststellungen, dass der Opel-Fahrer sich angesichts der wahrgenommenen Gruppe spielender Kinder in jeder Hinsicht äußerst sorgfältig verhalten haben sollte, insbesondere seine Geschwindigkeit um das hierzu notwendige Maß herabgesetzt haben sollte, lassen sich nicht mehr treffen. Ein eigenes Mitverschulden des zum Unfallzeitpunkt zweijährigen Klägers oder die Zurechnung eines Fremdverschuldens (aufsichtpflichtige Mutter) kommen nicht in Betracht.

Unter diesen Umständen ist von voller Haftung des Versicherungsnehmers bereits unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr des Opel auszugehen, so dass auch der Haftpflichtversicherer in vollem Umfang für den materiellen Schaden des Klägers hätte einstehen müssen.

Aber auch für immaterielle Schäden hätte er haften müssen. Das gilt schon deshalb, weil der Haftpflichtversicherer, nachdem er für die bis zum Zeitpunkt der Teil-Abfindungs-Erklärung entstandenen Unfallschäden einen bestimmten Betrag gezahlt hatte, ohne dabei zwischen materiellen und immateriellen Schäden zu unterscheiden, sich treuwidrig verhalten hätte, wenn er hinsichtlich nach dem Zeitpunkt dieser Erklärung entstandener Schäden plötzlich ein Verschulden des Versicherungsnehmers - das angesichts der hohen Sorgfaltsanforderungen, die auch schon zum Unfallzeitpunkt hinsichtlich des Verhaltens eines Fahrzeugführers beim Ansichtigwerden spielender Kinder galten, sehr nahe liegt - in Abrede gestellt hätte.

c)

Dem Kläger ist weiterer materieller Schaden entstanden.

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. L. ist es als sicher zu betrachten, dass der Kläger als Kind posttraumatisch bedingt an einem Frontalhirnschaden litt mit Verhaltenssymptomen einer hyperkinetischen Störung zuzüglich neurologischer Defizite. Was die hyperkinetische Störung für die Persönlichkeitsentwicklung, den schulischen Werdegang und das Sozialverhalten eines Kindes allgemein bedeutet, hat der gerichtliche Sachverständige im einzelnen dargelegt. Nach dem Gutachten steht außer Zweifel, dass die auch bei dem Kläger aufgetretenen entsprechenden Schwierigkeiten zu einem Teil dem erlittenen Schädel-Hirn-Trauma zuzuschreiben sind.

Zwar hat der Gutachter auch festgestellt, dass es sich inzwischen bei dem Kläger um einen gut bis sehr gut kompensierten Restzustand einer durch den Unfall erlittenen substantiellen Hirnschädigung handelt. Das ändert aber nichts daran, dass der Kläger während seiner frühen Kindheit und Jugend, also gerade in der Zeit, in der Schul- und Berufsausbildung stattfinden, (auch), unfallbedingt beeinträchtigt war und folglich auch infolge des Unfalls nicht den Schul- und Ausbildungserfolg und hieraus resultierend auch nicht die berufliche Stellung und das Einkommen aufzuweisen hat, wie sie bei seiner Intelligenz und seinen sonstigen Anlagen andernfalls zu erwarten wären. Es ist mangels besserer Erkenntnismöglichkeiten davon auszugehen, dass der Kläger ohne die unfallbedingte Beeinträchtigung - nach besserem Schulerfolg - die begonnene Ausbildung zum Karosseriebauer erfolgreich beendet oder einen vergleichbaren Beruf erlernt hätte und seither in einem solchen Beruf tätig wäre. Dann hätte er seit Jahren deutlich mehr verdient als mit den zeitweilig ausgeübten Aushilfsjobs und der nun seit längerem ausgeübten Tätigkeit bei einer Schnellrestaurant-Kette.

Dem Grunde nach gerechtfertigt ist auch die Zuerkennung weiteren immateriellen Schadens. Das infolge der Hirnschädigung ausgebildete, den Kläger in seiner Kindheit und Jugend - mit Auswirkungen auch auf sein heutiges Leben - beeinträchtigende hyperkinetische Syndrom, das im Restzustand noch vorhanden ist und zu einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit von bis zu 30 % geführt hat, wobei insgesamt eine wesentliche Änderung des jetzigen Zustands nicht mehr zu erwarten ist, rechtfertigt ein deutlich höheres Schmerzensgeld, als es im Oktober 1977 in den vereinbarten Abfindungsbetrag eingeflossen war.

4.

Ohne Erfolg beruft der Beklagte sich auf die Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs auf Schadensersatz. In zweiter Instanz ist der Beklagte auf die im ersten Rechtszug erhobene Einrede der Verjährung nicht mehr ausdrücklich zurückgekommen. Soweit sie den Zahlungsanspruch betrifft, der Gegenstand des angefochtenen Urteils ist, wäre sie auch nicht gerechtfertigt. Denn dem Kläger kommen die Grundsätze zur Sekundärverjährung zugute (siehe auch den Beschluss des LG vom 15.07.1999, Bl. 585 ff.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 108 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 125.000,-- DM festgesetzt.

Die Beschwer des Beklagten beträgt 125.000,-- DM.

Ende der Entscheidung

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