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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 21.08.2002
Aktenzeichen: 1 Ws (OWi) 296/02
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 72
OWiG § 72 Abs. 1
OWiG § 72 Abs. 6
OWiG § 72 Abs. 6 Satz 1
OWiG § 72 Abs. 6 Satz 2
OWiG § 77b Abs. 2
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 2
OWiG § 79 Abs. 3
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 79 Abs. 4
OWiG § 80
StPO § 267 Abs. 1
StPO § 267 Abs. 4 S. 3
StPO § 275 Abs. 1
StPO § 275 Abs. 1 Satz 3
StPO § 345 Abs. 1
StPO § 345 Abs. 1 Satz 1
StPO § 345 Abs. 1 Satz 2
StPO § 346 Abs. 2
1. Gemäß § 79 Abs. 4 OWiG wird durch die Zustellung des Beschlusses nach § 72 OWiG nur die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde in Gang gesetzt. Für die Frist zu deren Begründung ist gemäß § 79 Abs. 3 OWiG § 345 Abs. 1 StPO maßgebend.

2. Haben die Beteiligten im Beschlussverfahren gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG auch auf eine Begründung des Beschlusses verzichtet, so wird die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde erst durch die Zustellung des gemäß § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG ergänzten Beschlusses in Gang gesetzt.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 Ws (OWi) 296/02

In der Bußgeldsache

pp.

wegen Zuwiderhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen durch den Richter Dr. S... auf die als Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 346 Abs. 2 StPO zu wertende sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 23. Mai 2002 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 1. Februar 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

am 21. August 2002

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 22. Februar 2001 wegen Verstoßes gegen das Personenbeförderungsgesetz eine Geldbuße von 250,00 DM verhängt, weil der Betroffene sich ohne hinreichenden Grund geweigert habe, am 5. Januar 2001 in Düsseldorf das Ehepaar H. mit seinem Taxi zu befördern. Auf den Einspruch des Betroffenen hin hat das Amtsgericht ergänzende Ermittlungen angestellt und das Ehepaar H. von dem ersuchten Richter in Stollberg vernehmen lassen. Mit Verfügung vom 19. September 2001 hat es die Vernehmungsprotokolle dem Verteidiger abschriftlich zuleiten und ihm Folgendes mitteilen lassen:

"Das Gericht erwägt, gem. § 72 Abs. 1 OWiG durch Beschluss zu entscheiden, da es nach dem Aktenstand eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprochen hat. Sie erhalten Gelegenheit, einen etwaigen Widerspruch binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens telefonisch, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftstelle zu erklären. Ein nach Ablauf dieser Frist eingegangener Wiederspruch wäre unwirksam.

Wird auf eine Begründung verzichtet (§ 72 Abs. 6 OWiG)?"

Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2001 hat der Verteidiger das Einverständnis, die Angelegenheit gemäß § 72 Abs. 1 OWiG durch Beschluss zu entscheiden, und den Verzicht auf eine Begründung des Beschlusses erklärt und im Übrigen Ausführungen zur Sache gemacht. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2001 hat darauf das Amtsgericht gegen den Betroffenen "wegen vorsätzlicher Beförderungsverweigerung" eine Geldbuße in Höhe von 250,00 DM festgesetzt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. In den Gründen dieses Beschlusses heißt es:

"Im Gegensatz zur Verteidigung sieht das Gericht in der von den Eheleuten H. geschilderten Verhaltensweise des Betroffenen eine schlüssig erklärte Beförderungsverweigerung. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen."

Der Beschluss wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 11. Dezember 2001 zugestellt. Am 5. November 2001 ging bei dem Amtsgericht ein weiteres Schreiben des Verteidigers vom 2. November 2001 ein, in dem dieser den Schriftsatz vom 22. Oktober wie folgt ergänzt:

"Namens unseres Mandanten erklären wir das Einverständnis, die Angelegenheit gemäß § 72 Abs. 1 OWiG durch Beschluss zu entscheiden, sofern unser Mandant vom Vorwurf freigesprochen wird. Nur in diesem Falle wird auf eine Begründung des Beschlusses verzichtet...".

Mit Schriftsatz vom 18. Dezember, Eingang bei Gericht am selben Tage, legte der Betroffene gegen den Beschluss vom 30. Oktober 2001 Rechtsbeschwerde ein und bat um Übersendung "des Urteils nebst Entscheidungsgründen." Mit Beschluss vom 1. Februar 2002 verwarf das Amtsgericht den "als Rechtsbeschwerde bezeichneten Antrag des Betroffenen vom 18. Dezember 2001 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss vom 30. Oktober 2001" als unzulässig, da der Betroffene es unterlassen habe, sein Rechtsmittel zu begründen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die "sofortige Beschwerde" des Betroffenen vom 23. Mai 2002.

II.

Die als Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 346 Abs. 2 StPO zu wertende sofortige Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet.

1. Das Amtsgericht hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zu Unrecht als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde behandelt. Ein solcher Antrag war nicht gestellt. Der anwaltlich vertretene Betroffene hat sein Rechtsmittel gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 30. Oktober 2001, durch den gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Personenbeförderungsgesetz eine Geldbuße von 250,00 DM festgesetzt worden ist, eindeutig als Rechtsbeschwerde bezeichnet. Sein wirklicher Wille war auch nicht auf die Anbringung eines Zulassungsantrages gerichtet. Dies kann hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil eine derartige Umdeutung nur in Betracht käme, wenn die Rechtsbeschwerde unzulässig und als zulässiges Rechtsmittel allein der Zulassungsantrag zur Verfügung gestanden hätte. Tatsächlich ist vorliegend genau das Umgekehrte der Fall. Gegen eine Entscheidung nach § 72 OWiG kommt nämlich allein die Rechtsbeschwerde in Betracht. Dagegen ist einen Zulassungsrechtsbeschwerde nicht gegeben. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG, der das Verfahren nach § 80 OWiG nur zulässt, wo das Amtsgericht durch Urteil entschieden hat (vgl. auch BayObLG DAR 1991, 388; Göhler OWi, 12. Aufl. 1999, § 72 Rdn. 69 m.zahlr. w.N.).

2. Soweit durch den angefochtenen Beschluss auch die rechtzeitig eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen worden ist, ist auch dies zu Unrecht erfolgt.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat der Beschwerdeführer die Frist zur Begründung seines Rechtsmittels nicht versäumt. Gemäß § 79 Abs. 4 OWiG wird durch die Zustellung des Beschlusses nach § 72 OWiG nur die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde in Gang gesetzt. Für die Frist zu deren Begründung ist gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG § 345 Abs. 1 StPO maßgebend. Danach muss die Rechtsbeschwerde spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung dieses Rechtsmittels begründet werden, § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO. War die Entscheidung zu dieser Zeit noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO erst mit der Zustellung.

Die Frist des § 345 Abs. 1 StPO wird nur durch die Zustellung eines vollständigen, mit Gründen versehenen Urteils in Gang gesetzt (OLG Koblenz VRS 64, 213; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. München 2001, § 345 Rdn. 5 m.w.N.). An der notwendigen Vollständigkeit mangelt es, wenn das Urteil abgekürzt ist und entgegen § 267 Abs. 1 StPO weder die festgestellten Tatsachen noch die tragenden Gründe der Überzeugungsbildung enthält. In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass im Falle einer notwendigen Urteilsergänzung nach § 267 Abs. 4 S. 3 StPO (Düsseldorf JMBlNW 1982, 139 ff.) oder nach § 77b Abs. 2 OWiG (BayObLG NStZ RR 1997, 247) erst die Zustellung des ergänzten Urteils die Begründungsfrist in Lauf setzt.

Für den Beschluss nach § 72 OWiG, der aufgrund eines entsprechenden Einverständnisses der Beteiligten zunächst ohne nähere Begründung geblieben ist, kann nichts anderes gelten. Da auch hier das Gesetz dem Gericht nach Einlegung der Rechtsbeschwerde zunächst auferlegt, die Entscheidungsgründe zu vervollständigen, § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG, wird die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde erst mit Zustellung des entsprechend ergänzten Beschlusses in Gang gesetzt. Das Amtsgericht aber hat den Beschluss vom 30. Oktober 2001 nicht ergänzt und auch nach Einlegung der Rechtsbeschwerde nichts Weiteres veranlasst. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels ist daher noch nicht in Lauf gesetzt worden.

3. Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG legt dem Amtsgericht die Pflicht auf, die vollständigen Gründe innerhalb von fünf Wochen zu den Akten zu bringen. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Beschlusses (Göhler, OWiG, 12. Aufl. München 1998, § 72 Rdn. 63a). Nach deren Ablauf ist - wie im Falle der Überschreitung der Frist nach § 275 Abs. 1 StPO - eine Ergänzung der Gründe grundsätzlich unzulässig. Das Amtsgericht muss also, da im vorliegenden Falle die gesetzliche Frist abgelaufen und ein Ausnahmetatbestand entspr. § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht ersichtlich ist, den Beschluss dem Betroffenen in der Ursprungsfassung nochmals zustellen, um die Begründungsfrist in Lauf zu setzen.

Ende der Entscheidung

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