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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 18.07.2000
Aktenzeichen: 1 Ws (OWi) 380/00
Rechtsgebiete: StVO, BKatV


Vorschriften:

StVO § 37
BKatV Nr. 34.2
Zur Höhe des Toleranzabzuges der von einem Polizeibeamten mit einer Stoppuhr gemessenen Ampelrotphase zur Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes eines Kraftfahrzeugführers.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 Ws (OWi) 380/00 916 Js 1977/98 StA Düsseldorf

In der Bußgeldsache

gegen

pp.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schröter und die Richter am Oberlandesgericht Heidemann und Kosche am

18. Juli 2000

auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2000 und auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen dar Urteil des Amtsgeriches Düsseldorf vom 28. Oktober 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2000 wird aufgehoben.

2. Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, § 24 StVG eine Geldbuße von 100,-- DM festgesetzt.

Das durch das Amtsgericht angeordnete Fahrverbot entfällt.

3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

4. Der Betroffene trägt die Kosten der Rechtsbeschwerde, jedoch werden die Gebühr auf die Hälfte ermäßigt und die Hälfte seiner notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

1.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen Zuwiderhandlung gegen §§ 24 StVG, 37 Abs. 2, 49 StVO, § 2 Abs. 1 BKatV" zu einer Geldbuße von 250,-- DM verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

2.

Durch Beschluß vom 16. Februar 2000 hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil die Rechtsbeschwerdeanträge und ihre Begründung verspätet eingegangen seien.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

II.

Der Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 346 Abs. 2 StPO ist begründet, denn die Rechtsbebeschwerdeanträge und ihre Begründung sind rechtzeitig bei dem Amtsgericht angebracht worden.

Das Urteil vom 28. Oktober 1999 ist dem Verteidiger des Betroffenen am 15. Dezember 1999 zugestellt worden, so daß die Monatsfrist gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 StPO an sich am 15. Januar 2000 ablief (§ 43 Abs. 1 StPO). Da der 15. Januar 2000 ein Samstag war, endete die Frist jedoch erst am 17. Januar 2000, an dem die Rechtsmittelbegründung per Fax eingegangen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist demnach zulässig.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist auch teilweise begründet und führt zur Verhängung einer Geldbuße von 100,-- DM gemäß lfd. Nr. 34 BKat und zum Wegfall des Fahrverbotes.

1.

Soweit der Betroffene sich gegen den Schuldspruch wegen eines Verstoßes gegen §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG wendet, ist das Rechtsmittel unbegründet. Insoweit hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsmittelrechtferigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils sind nicht unzureichend. Zwar enthalten sie nicht die für eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes grundsätzlich notwendigen Angaben zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und der vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie zum Abstand des Fahrzeuges des Betroffenen von der Haltelinie beim Umschalten der Ampel von Gelb- auf Rotlicht. Diese Angaben sind jedoch entbehrlich, wenn der Verstoß - wie hier - im innerörtlichen Bereich erfolgt. Für diesen Bereich kann grundsätzlich von einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelblichtphase von 3 Sekunden (vgl. WvV zu § 37 StVO zu Abs. 2 Nr. 1 und 2 Abschnitt IX) ausgegangen werden. Daraus läßt sich die für einen Rotlichtverstoß notwendige Feststellung ableiten, daß der Betroffene dem Haltegebot des § 37 Abs. 2 StVO gefahrlos hätte Folge leisten können (vgl. Senat VRS 89, 468; OLG Hamm VRS 85, 464; OLG Köln VM 1984, 83; OLG Bremen VRS 79, 38).

Auch die Beweiswürdigung des Amtsgerichts zu der von ihm getroffenen Feststellung, daß der Betroffene die Haltelinie der Ampelanlage bei Rotlicht überfahren hat, ist ohne Lücken, Widersprüche und Denkfehler und entfernt sich nicht so weit von einer tatsächlichen Grundlage, daß sie sich als bloße Vermutung erweist.

Zwar beschränkt sich die Beweiswürdigung im wesentlichen auf die Wiedergabe der sich widersprechenden Aussagen des Zeugen Dr. G einerseits und der Polizeibeamten W und W andererseits, jedoch lassen die Ausführungen erkennen, daß das Amtsgericht den Polizeibeamten gefolgt ist, weil sie eine gezielte Rotlichtüberwachung durchführten und sich deshalb - anders als der Zeuge Dr. G - auf das Verkehrsgeschehen konzentrierten.

2.

Das angefochtene Urteil enthält jedoch insoweit einen Rechtsfehler, als das Amtsgericht festgestellt hat, daß die Rotlichtphase, als der Betroffene die Haltelinie überfuhr, bereits länger als eine Sekunde andauerte.

In der Beweiswürdigung ist hierzu ausgeführt, der als Zeuge vernommene Polizeibeamte W habe eine Stoppuhr betätigt, als die Ampel auf Rotlicht gewechselt habe, und dann wieder, als der Betroffene die Haltelinie passiert habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Rotphase bereits 1,3 Sekunden angedauert.

Wie sich aus den Ausführungen des Amtsgerichts entnehmen läßt, hat es von der mit 1,3 Sekunden gemessenen Zeit keinen Toleranzabzug vorgenommen. Darüber hinaus fehlen Feststellungen darüber, ob die zu der Messung benutzte Stoppuhr geeicht war.

Wie bei jeder Strecken-, Zeit- und Geschwindigkeitsmessung im Rahmen der Verkehrsüberwachung ist auch bei der Messung der Zeit, um die ein Kraftfahrer den Beginn der Rotlichtphase überschreitet, ein Toleranzausgleich vorzunehmen, soweit nicht im Bereich über zwei Sekunden die Messung durch Zählen erfolgt.

Bei der Messung mit einer automatischen Rotlichtkamera wird, soweit die mit der Kamera gekoppelte Uhr nicht geeicht ist, von der Rechtsprechung z.T. ein Abzug von 0,2 Sekunde angenommen (KG NZV 92, 251), z.T. wird eine sachverständige Beratung für erforderlich gehalten (OLG Hamm VRS 85, 464).

Ein Abzug von 0,2 Sekunde reicht bei einer Messung mit einer Stoppuhr nicht aus, denn anders als bei einer automatischen Messung ergeben sich aus Reaktionsverzögerungen und Konzentrationsfehlern des messenden Polizeibeamten bei der Beobachtung des Beginns der Rotlichtphase, der ersten Bedienung der Stoppuhr, der Beobachtung des Überfahrens der Haltelinie und der zweiten Bedienung der Stoppuhr mögliche Meßfehler. Für die Bestimmung des hierfür vorzunehmenden Toleranzausgleichs können die für Geschwindigkeitsmessungen mit dem Funkstopp- bzw. Spiegelmeßverfahren entwickelten Grundsätze angewandt werden (vgl. OLG Hamburg VRS 74, 62 (Funkstoppverfahren); OLG Celle VM 1986, 74 (Spiegelmeßverfahren); BayObLG DAR 1995, 299; Löhle DAR 1984, 394, 400). Denn bei beiden Verfahren erfolgt die Messung ebenfalls unter Verwendung einer Stoppuhr, so daß sich die gleichen Fehlerquellen ergeben. Löhle (aaO) hat für beide Verfahren einen Meßfehler von 0,1 bis 0,3 Sekunde ermittelt und die Rechtsprechung geht deshalb von einem Toleranzabzug von 0,3 Sekunde aus (vgl. OLG Hamburg aaO; OlG Celle aaO).

Schon der Abzug dieser 0,3 Sekunde führt hier zu einer Zeitüberschreitung von nur einer Sekunde und damit zu dem Ergebnis, daß ein qualifizierter Rotlichtverstoß des Betroffenen nicht anzunehmen.

Über diesen Toleranzausgleich hinaus ist ein weiterer Abzug aufgrund der sog. Verkehrsfehlergrenze der verwendeten Stoppuhr (vgl. Löhle aaO) vorzunehmen, die bei geeichten Uhren das Doppelte der Eichfehlergrenze beträgt, die ihrerseits der Summe der kleinsten Skaleneinheit (§ 33 Abs. 3 und 4 Eichordnung) und 0,5 %o der gemessenen Zeit (Nr. 3.1 der Anlage 19 zur Eichordnung) entspricht (vgl. BayObLG aaO: OLG Celle aaO).

Ob die hier von dem Polizeibeamten für die Messung benutzte Stoppuhr geeicht war und welche Verkehrsfehlergrenze bei Benutzung einer nicht geeichten Uhr anzunehmen ist, ist ohne Bedeutung, da einerseits eine Zeitüberschreitung von mehr als einer Sekunde nicht vorliegt, andererseits nach dem Beweisergebnis der Betroffene jedenfalls aber die Haltelinie bei Rotlicht überfahren hat.

IV.

Weil von einer neuen Hauptverhandlung keine Feststellung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen zu erwarten ist, macht der Senat von der ihm nach § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit, in der Sache selbst zu entscheiden, Gebrauch. Da nach den getroffenen Feststellungen keine Umstände vorliegen, aus denen sich eine Abweichung vom Regelfall eines (einfachen) Rotlichtverstoßes ergibt, verhängt der Senat die in Nr. 34 BKat vorgesehene Regelgeldbuße von 100,-- DM. Zugleich entfällt das vom Amtsgericht angeordnete Fahrverbot.

Das Amtsgericht hat es verabsäumt, festzustellen und in den Urteilsausspruch aufzunehmen, ob der Betroffene fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Da sich aus den Urteilsgründen keine auf Vorsatz hinweisenden Feststellungen ergeben, ergänzt der Senat den Schuldspruch dahin, daß ein fahrlässiger Verstoß vorliegt.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 und 4 StPO und entspricht dem Teilerfolg des Rechtsmittels.

Ende der Entscheidung

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