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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 12.02.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 33/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 230 Abs. 2
StPO § 310 Abs. 1
1. Gegen einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO bleibt die weitere Beschwerde zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit zulässig, auch wenn sich die Haftanordnung nach Einlegung des Rechtsmittels durch Freilassung des Angeklagten erledigt hat.

2. Der Erlaß eines Haftbefehls ist unverhältnismäßig, wenn eine Vorführungsanordnung ausreicht.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 Ws 33/01 311 Js 93/00 StA Düsseldorf

In der Strafsache

wegen Raubes

hat der 1. Strafsenat durch die Richter am Oberlandesgericht H, S und Dr. S auf die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß der III. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 1. Dezember 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

am 12. Februar 2001

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Haftbefehl des Amtsgerichts Neuss vom 19. September 2000 - 2b Ls 311 Js 93/0057/00 - sind rechtswidrig.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Angeklagten am 28. November 2000 gemäß § 112 StPO Untersuchungshaft angeordnet, nachdem dieser zu der auf diesen Tag anberaumten Hauptverhandlung alkoholisiert erschienen war. Die gegen diesen Haftbefehl eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2000 als unbegründet verworfen. Anders als das Amtsgericht sah die Kammer den Rechtsgrund für den Haftbefehl allerdings in der Vorschrift des § 230 Abs. 2 StPO. Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte am 6. Dezember 2000 weitere Beschwerde eingelegt. Nachdem er am 15. Dezember 2000 aus der Haft entlassen worden ist, begehrt er nunmehr die Feststellung, dass seine Inhaftierung rechtswidrig gewesen ist.

II.

1) Die zulässig erhobene weitere Beschwerde ist durch die Entlassung des Angeklagten aus der Haft am 15. Dezember 2001 nicht gegegenstandslos geworden.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt das Erfordernis eines effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dem Betroffenen das Recht, die Berechtigung eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs auch dann noch gerichtlich klären zu lassen, wenn dieser tatsächlich nicht mehr fortwirkt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (BVerfGE 96, 27, 39 f.). In diesen Fällen darf das Rechtsmittel nicht als unzulässig bzw. gegenstandslos verworfen werden; vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu überprüfen und gegebenenfalls deren Rechtswidrigkeit festzustellen (BVerfGE a.a.O.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 99. Aufl. [1999], Vor § 296 Rdn. 18a).

b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Verhaftung eines nicht erschienen oder nicht verhandlungsfähigen Angeklagten zur Sicherstellung der Hauptverhandlung stellt einen schwer wiegenden Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierte Grundrecht dar. Die Berechtigung dieses Eingriffs könnte nach dem typischen Verfahrensablauf im Rahmen der weiteren Beschwerde nicht überprüft werden, weil der Betroffene bis zur Entscheidung in dieser Instanz häufig aus der Haft entlassen sein wird. Unter Berücksichtigung der Bedeutung des betroffenen Grundrechts erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes in diesen Fällen daher, daß auch in dieser Instanz noch eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Grundrechtseingriffs erfolgen kann (a.A. OLG Hamm NJW 1999, 229).

2) Die weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Denn sowohl der Haftbefehl des Amtsgerichts als auch der Beschluß des Landgerichts vom 1. Dezember 2000 halten einer Rechtskontrolle nicht stand. Dabei kann dahin stehen, ob der auf § 112 StPO gestützte Haftbefehl vom 28. November 2000 schon deshalb nicht ergehen durfte, weil das Amtsgericht zum Haftgrund der Fluchtgefahr keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat. Jedenfalls ist der Haftbefehl ebenso wie die auf § 230 Abs. 2 StPO gestützte Haftentscheidung des Landgerichts deshalb rechtswidrig, weil beide Beschlüsse gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

a) Der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist verletzt, wenn der mit der Zwangsmaßnahme verfolgte Zweck mit einfacheren, weniger einschneidenden Mitteln erreichbar ist. Ein solches weniger einschneidendes Mittel zur Sicherung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung st:el1t= der Vorführungsbefehl dar, der daher Vorrang vor dem Haftbefehl nach g 230 Abs. 2 StPO hat, wenn er ausreicht (BVerfGE 32, 87, 93; Düsseldorf NStZ 1990, 295; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 44. Aufl. 2000, § 230 Rdn. 19 m.w.Nw.).

b) Im vorliegenden Falle wäre der Erlaß einer Vorführungsanodnung ausreichend gewesen. Denn Zweck der Verhaftung war es, die Anwesenheit des Angeklagten in einem verhandlungsfähigen Zustand sicher zu stellen, um die Hauptverhandlung gegen ihn durchführen zu können. Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte sich körperlich dem Strafverfahren entziehen wollte, bestanden nicht. Daher genügte es, ihn so rechtzeitig vor dem folgenden Hauptverhandlungstermin festnehmen und sistieren zu lassen, daß er zu Beginn der Hauptverhandlung nüchtern war. Dies konnte auf der Grundlage eines Vorführungsbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO geschehen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.

Ende der Entscheidung

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