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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 24.10.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 372-373/00
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, RPflG


Vorschriften:

StPO § 464 b
StPO § 464 d
StPO § 311 Abs. 2
ZPO § 104 Abs. 3
ZPO § 577 Abs. 2
RPflG § 11 Abs. 1
1. Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß des Rechtspflegers beträgt auch in Strafsachen zwei Wochen. Die einwöchige Frist des § 311 Abs. 2 StPO gilt hier nicht.

2. Zur Anwendbarkeit der sog. Differenztheorie bei Kostenentscheidung bzw. Kostenfestsetzung im Falle des Teilfreispruchs nach Inkrafttreten des § 464d StPO (Auslagenverteilung nach Bruchteilen).


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 Ws 372-373/00 810 Js 902/88 StA Düsseldorf

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Tötung u.a.

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S und die Richter am Oberlandesgericht und S am

24. Oktober 2000

auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß der Rechtspflegerin des Landgerichts Düsseldorf vom 18. April 2000 - I 104/92 - nach Anhörung des Bezirksrevisors beim Landgericht Düsseldorf

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Verurteilten verworfen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 6.164,-- DM.

Gründe:

I.

Die I. große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf hat gegen den Verurteilten durch rechtskräftiges Urteil vom 5. Juli 1996 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten erkannt, deren Vollstreckung sie zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung wurde der Verurteilte freigesprochen.

Soweit der Antragsteller verurteilt worden ist, wurden ihm die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin B auferlegt. Soweit er freigesprochen worden ist, wurden die Auslagen der Staatskasse und die dem Verurteilten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.

Der Verurteilte hat beantragt, ihm aufgrund seines Teilfreispruchs in den Fällen B und B anteilige Verteidigergebühren für vier Verhandlungstage in Höhe von insgesamt 5.290,-- DM und aufgrund des Freispruchs vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in den Fällen B, S und anteilige Verteidigergebühren für einen weiteren Verhandlungstag in Höhe von 874,-- DM aus der Staatskasse zu erstatten.

Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat den Antrag durch Beschluß vom 18. April 2000 mit der Begründung zurückgewiesen, nach der anzuwendenden sog. Differenztheorie seien ausscheidbare, allein durch die vom Teilfreispruch erfaßten Taten verursachte notwendige Auslagen des Verurteilten nicht entstanden.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner als "Erinnerung" bezeichneten sofortigen Beschwerde.

II.

1.

Das Rechtsmittel ist zulässig.

Der angefochtene Beschluß ist dem Verteidiger des Verurteilten ausweislich der Akten am 28. April 2000 ohne Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden. Nachdem die sofortige Beschwerde des Verurteilten am 8. Mai 2000 bei dem Landgericht eingegangen ist, bedarf es einer Entscheidung gemäß § 44 Satz 2 StPO über den von dem Verurteilten gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht. Dieser ist gegenstandslos, denn die sofortige Beschwerde ist nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 464 b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 3 ZPO rechtzeitig eingelegt und damit zulässig.

Für die Einlegung des Rechtsmittels gilt gemäß §§ 104 Abs. 3, 577, Abs. 2 ZPO eine Frist von zwei Wochen und nicht die einwöchige Frist nach § 311 Abs. 2 StPO. Dies folgt aus der Verweisung in § 464 b Satz 3 StPO. Wenn dort für die "Kostenfestsetzung" - so die amtliche Überschrift - eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der ZPO auf das Verfahren und auf die Vollstreckung der Entscheidung angeordnet wird, so hat das für das gesamte Verfahren einschließlich des Beschwerdeverfahrens zu gelten. Es ist kein Grund ersichtlich, die Kostenfestsetzung und deren Vollstreckung zwar nach den zivilprozessualen Bestimmungen der ZPO durchzuführen, auf das Beschwerdeverfahren jedoch die Regeln der StPO anzuwenden (vgl. OLG Düsseldorf - 3. Strafsenat -, Beschl. v. 16. September 1999 - 3 Ws 408/99 -: LR-Hilger, StPO, 24. Aufl., § 464b Rn. 9; KK-Franke, StPO, 4. Aufl., § 464 b Rn. 4; a.M. OLG Düsseldorf - 4. Strafsenat -, Beschl. v. 7. Februar 2000 - 4 Ws 400/99 -; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 464 b Rn. 7). Die kurzen strafprozessualen Anfechtungsfristen dienen der Beschleunigung des Strafverfahrens und damit sowohl dem Interesse des Beschuldigten als auch dem öffentlichen Interesse (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., Einl. Rn. 160). Auf das der Regelung vermögensrechtlicher Ansprüche dienende und deshalb anders als das Strafverfahren keine besondere Beschleunigung erfordernde Kostenfestsetzungsverfahren sind sie deshalb auch nicht entsprechend anwendbar.

2.

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

a)

Die Kostenentscheidung des Urteils ist auf der Grundlage der sog. "Differenttheorie" ergangen. Danach hat der Angeklagte bei einem Teilfreispruch seine Auslagen grundsätzlich selbst zu tragen. Nur die auscheidbaren Auslagen, die ausschließlich auf den freisprechenden Teil des Urteils entfallen, sind ihm aus der Staatskasse zu erstatten. Bei den Verteidigergebühren geschieht diese Ausscheidung in der Weise, daß von dem Gesamthonorar des Verteidigers das fiktive Honorar abgezogen wird, das diesem entstanden wäre, wenn nur die abgeurteilten Taten Gegenstand der Verteidigung gewesen wären. Der verbleibende Differenzbetrag ist dem Verurteilten zu erstatten (OLG Karlsruhe NStZ 1998, 317; OLG München JurBüro 1985, 151).

An dieser Rechtslage hat sich durch die Einführung des § 464 d StPO durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994(BGBl I, 1325) nichts geändert. Danach wird lediglich die Möglichkeit eröffnet, bei einem Teilfreispruch die notwendigen Auslagen der Staatskasse und der Beteiligten nach Quoten zu verteilen. Ob diese Wahlmöglichkeit nur dem Gericht in der Kostenentscheidung des Urteils zusteht, ob das Gericht die Berechnung nach den im Urteil vorgegebenen Kriterien dem Kostenfestsetzungsverfahren überlassen kann oder ob § 464 d StPO auch für das Kostenfestsetzungsverfahren gilt, so daß in diesem, auch wenn das Gericht im Urteil keine entsprechende Entscheidung getroffen hat, eine Verteilung der Auslagen nach Bruchteilen durch den Rechtspfleger erfolgen kann -(so Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 464 b Rn. 1), bedarf hier keiner Entscheidung. Da weder die Strafkammer in ihrem Urteil noch die Rechtspflegerin in ihrem Kostenfestsetzungsbeschluß eine Auslagenverteilung nach Bruchteilen angeordnet bzw. vorgenommen hat und die Auslagenverteilung entsprechend der Differenzmethode weiterhin zulässig ist (vgl. BT-Dr 12/6962 S. 111/112: OLG Düsseldorf - 3. Strafsenat - aaO; OLG Koblenz StV 1998, 610), hat die Rechtspflegerin diese der Kostenfestsetzung rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt.

b)

Unter Anwendung der Differenzmethode ergeben sich keine ausscheidbaren notwendigen Auslagen, die dem Verurteilten ausschließlich durch die Verteidigung gegen die Vorwürfe entstanden sind, von denen er freigesprochen worden ist.

Nach der Anklage in Verbindung mit dem Eröffnungsbeschluß vom 27. September 1995 wurde dem Verurteilten zur Last gelegt, durch zwei selbständige Handlungen

1) durch dieselbe Handlung

a) den Tod von fünf Menschen

(Fälle B. V. Nr. 1 (W); Nr. 4 (H); Nr. 5 (K); Nr. 14 (B); Nr. 15 (B))

und tateinheitlich

b) die Körperverletzung von 18 Menschen

(Fälle B. V. Nr. 2 (B); Nr. 3 (S); Nr. 6 (G;) Nr. 7 (S); Nr. 8 (B); Nr. 9 (L); Nr. 10 (H); Nr. 11 (M); Nr. 12 (I); Nr. 13 (S); Nr. 16 (S), Nr. 17 (N); Nr. 18 (H); Nr. 19 (W); Nr. 20 (E); Nr. 21 (B); Nr. 22 (W); Nr. 23 (C))

fahrlässig verursacht zu haben

sowie

2) durch eine weitere selbständige Handlung (Unterlassung)

in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen einen anderen vorsätzlich an der Gesundheit beschädigt zu haben

(FÄlle B. V. Nr. 2 (B), Nr. 7 (S), Nr. 13 (S)).

Die Verurteilung des Verurteilten K umfaßte die Fälle fahrlässiger Tötung B. V. Nr. 1 (W), Nr. 4 (H) und Nr. 14 (B)) sowie die Fälle fahrlässiger Körperverletzung B. V. Nr. 3 (S); Nr. 5 (K); Nr. 6 (G); Nr. 7 (S); Nr. 10 (H); Nr. 11 (M); Nr. 12 (I); Nr. 13 (S), Nr. 15 (B); Nr. 16 (S); Nr. 17 (N); Nr. 18 (H); Nr. 19 (W); Nr. 20 (E); Nr. 21 (B); Nr. 22 (W); Nr. 23 (C); Nr. 29 (L).

In den Fällen B. V. Nr. 2 (B) und Nr. 8 (B) erfolgte keine Verurteilung, da die Bestrahlungszeiten nicht nach den von dem Verurteilten gefertigten fehlerhaften Tabellen berechnet wurden.

Freigesprochen vom Vorwurf der tateinheitlichen vorsätzlichen Körperverletzung wurde der Verurteilte K in den Fällen B. V. Nr. 2 (R), Nr. 7 (S) und Nr. 13 (S).

Soweit die Verurteilung des Antragstellers wegen fahrlässiger Körperverletzung in den Fällen B. V. Nr. 2 (B) und Nr. 8 (B) nicht erfolgt ist, hat die Strafkammer ihn, da tateinheitliche Begehung in 18 Fällen angeklagt war, in diesen Fällen - zutreffend - nicht freigesprochen. Eine Erstattung notwendiger Auslagen scheidet deshalb, da der die Auslagenerstattung auslösende Teilfreispruch sich nicht auf diese Fälle erstreckt, insoweit aus.

Auch soweit der Verurteilte vom Vorwurf der tateinheitlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzung in den Fällen B. V. Nr. 2 (B), Nr. 7 (S) und Nr. 13 (S) freigesprochen worden ist, sind dem Verurteilten ausscheidbare Auslagen nicht entstanden, da insoweit ein zusätzlicher Verteidigungsaufwand nicht erfolgt ist.

Zum Fall Nr. 2 (B) hat die Strafkammer - wie zu allen übrigen Fällen - den Sachverständigen Prof. Dr. W gehört, die Zeugenaussage der Geschädigten im Ermittlungsverfahren verlesen und Lichtbilder in Augenschein genommen. Diese Beweiserhebungen waren auch zur Aufklärung des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung geboten. Der zusätzliche Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten B beruhte auf rechtlichen Erwägungen zur Frage der Rechtspflicht zum Handeln aufgrund vorangegangenen Tuns. Auch der Freispruch erfolgte aus Rechtsgründen und nicht aufgrund zusätzlicher Beweiserhebungen. Ein messbarer zusätzlicher Zeit- und Verteidigungsaufwand war dadurch nicht begründet.

In den Fällen Nr. 7 (S) und Nr. 13 (S) ist der Antragsteller wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. Hierzu wurden im Fall S die Zeugen Dr. K und Dr. B als Zeugen sowie der Sachverständige Prof. Dr. W und im Fall S die Zeugen Dr. H und Prof. Dr. H sowie ebenfalls der Sachverständige Prof. Dr. W gehört.

Zusätzliche Beweiserhebungen zum weiteren Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten S und S sind nicht erfolgt, sondern dieser beruhte auf der ihm zur Last gelegten Verletzung der Offenbarungspflicht nach der Erstellung fehlerhafter Berechnungstabellen. Der Freispruch erfolgte ebenfalls aus Rechtsgründen. Auch insoweit ist ein messbarer zusätzlicher Zeit- und Verteidigungsaufwand nicht erkennbar.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464b Satz 3 StPO, 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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