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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 09.11.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 568/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 143
StPO § 304
1. Zur Anfechtbarkeit der Bestellung eines - weiteren - Verteidigers.

2. Zu den Voraussetzungen für die Beiordnung eines weiteren Verteidigers bzw. der Rücknahme einer solchen Verteidigerbestellung.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 Ws 568/00 611 Js 1283/94 StA Düsseldorf

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Tötung u. a.

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S und die Richter am Oberlandesgericht H und S am

9. November 2000

auf die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der I. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 20. September 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Bestellung der Rechtsanwältin in Düsseldorf zur Verteidigerin der Angeklagten wird zurückgenommen.

Gründe:

I.

Gegen die Angeklagte ist vor dem Landgericht Düsseldorf ein Strafverfahren anhängig, in dem der Angeklagten durch den Vorsitzenden der IV. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf Rechtsanwältin und Rechtsanwalt Dr. K in Düsseldorf als Verteidiger beigeordnet worden sind. Rechtsanwältin T und Rechtsanwalt Dr. K haben die Angeklagte auch in der vom 13. Januar 1998 bis zum 18. Dezember 1998 dauernden Hauptverhandlung verteidigt.

Durch Urteil vom 18. Dezember 1998 hat die Strafkammer die Angeklagte und den Mitangeklagten Prof. Dr. B wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte durch Rechtsanwältin T Revision eingelegt.

Aufgrund einer Vollmacht der Angeklagten vom 6. März 1999 hat sich Rechtsanwalt S in Wiesbaden am 9. März 2000 zu deren Wahlverteidiger bestellt. Er hat die Revisionsbegründungsschrift gefertigt und die Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof vertreten.

Durch Urteil vom 19. April 2000 hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch sind die Feststellungen zur Kontaminierung der Blutkonserven mit dem Bakterium Rahnella aquatis und zur Ursächlichkeit dieser Verseuchung für den Tod bzw. die Körperverletzung der betroffenen Patienten aufrechterhalten worden. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen worden.

Die neue Hauptverhandlung vor der nunmehr zuständigen I. Strafkammer hat noch nicht stattgefunden.

II.

Rechtsanwalt S und die Angeklagte selbst haben beantragt, die Bestellungen der Rechtsanwältin T und des Rechtsanwalts Dr. K zu Pflichtverteidigern zurückzunehmen. Rechtsanwalt S hat erklärt, er sei bereit und in der Lage, auch in einer länger dauernden Hauptverhandlung die Verteidigung allein zu führen. Im übrigen haben die Angeklagte und Rechtsanwalt S geltend gemacht, das Vertrauensverhältnis der Angeklagten zu den beiden Pflichtverteidigern sei vollends zerstört, nachdem diese in der Hauptverhandlung nahezu keine Beweisanträge gestellt hätten, so daß die Angeklagte selbst schriftliche Erklärungen habe verlesen und einreichen müssen. Zudem habe Rechtsanwältin T überhöhte Honorarforderungen gestellt und sie - die Angeklagte - wegen angeblicher Honorarforderungen unberechtigt mit einem Zivilverfahren überzogen, in dem sie sich durch Rechtsanwalt Dr. K habe vertreten lassen. Schließlich habe Rechtsanwältin T ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung aus dem Verfahren und zu ihrer Person Informationen an die Presse und Medien und ein Fernsehinterview gegeben.

Rechtsanwältin T ist den Ausführungen der Angeklagten zur Zerstörung des Vertrauensverhältnisses entgegengetreten und hält die Aufrechterhaltung der Pflichtverteidigerbestellung zur Verfahrenssicherung für geboten.

Der Strafkammervorsitzende hat durch Beschluss vom 20. September 2000 die Bestellung von Rechtsanwältin T zur Verteidigerin aufrechterhalten und zur Begründung ausgeführt, es sei angebracht, die Verteidigung der Angeklagten und die Durchführung des Verfahrens durch die fortbestehende Beiordnung von Rechtsanwältin T neben dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt S zu sichern. Zur Zeit müsse noch von einer langen Verfahrensdauer ausgegangen werden. Es sei im übrigen angezeigt, sich der besonderen Sachkunde von Rechtsanwältin T zu versichern. Die Störungen im Verhältnis der Angeklagten zu Rechtsanwältin T seien nicht geeignet, Rechtsanwältin T aus ihrem Verteidigeramt zu entlassen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Angeklagten, der der Strafkammervorsitzende nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für unzulässig, weil die Angeklagte durch die Aufrechterhaltung der Bestellung von Rechtsanwältin T zur Pflichtverteidigerin nicht beschwert sei.

Über den Antrag der Angeklagten auf Zurücknahme der Bestellung des Rechtsanwalts Dr. K hat der Strafkammervorsitzende noch nicht entschieden.

III.

Das Rechtsmittel ist gemäß § 304 StPO zulässig und auch begründet.

1.

Die vom Senat (MDR 1986, 604; Beschluss vom 5. April 1989 - 1 Ws 302/89) und auch sonst in der Rechtsprechung (OLG Celle NStZ 1988, 39; OLG Koblenz OLGSt Nr. 1 zu § 142 StPO; OLG Frankfurt NJW 1972, 2055) vertretene Ansicht, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers und auch die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers neben einem Wahlverteidiger oder Pflichtverteidiger sei mangels Beschwer in der Regel einer Anfechtung entzogen, gilt insbesondere für Fälle, in denen die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers im Interesse und mit Zustimmung des Angeklagten erfolgt und der weitere Verteidiger das Vertrauen des Angeklagten genießt. Das ist z. B. der Fall, wenn der Prozeßstoff aufgrund seines Umfanges und seiner Schwierigkeit von einem Verteidiger nicht bewältigt werden kann, wenn bei einer voraussichtlich länger dauernden Hauptverhandlung und ernstlicher Erkrankung des Wahl- oder Pflichtverteidigers zur Sicherung des Verfahrens und zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Verteidigung die Bestellung eines weiteren Verteidigers geboten ist oder wenn der weitere Pflichtverteidiger über spezielle, für eine sachgerechte Verteidigung erforderliche Rechtskenntnisse verfügt.

In Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, daß der Angeklagte durch die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers beschwert ist und sie anfechten kann, wenn er - wie hier - geltend macht, die Pflichtverteidigerbestellung sei unzulässig oder sachlich nicht gerechtfertigt (Senat, Beschlüsse vom 23. März 1999 - 1 Ws 246 - 247/99 - und 6. September 1999 - 1 Ws 708/99 -; OLG Frankfurt StV 1989, 384; StV 1994, 288; OLG Celle StV 1988, 100; OLG Köln StV 1989, 242; KK-Laufhütte, StPO, 4. Aufl., § 141 Rn. 12 m. w. N.). Insbesondere kann eine Beschwer darin liegen, daß ein nicht (mehr) das Vertrauen des Angeklagten genießender oder nicht in dessen mit dem Wahlverteidiger oder ersten Pflichtverteidiger abgesprochenes Verteidigungskonzepts eingeweihter weiterer Pflichtverteidiger durch nicht mit dem Angeklagten und dem Verteidiger seines Vertrauens abgestimmte Sach- oder Prozeßanträge deren Verteidigungsstrategie stören (Senatsbeschluss vom 6. September 1999 - 1 Ws 708/99 -).

2.

Die Beschwerde der Angeklagten ist auch begründet.

Die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben einem Wahl- oder Pflichtverteidiger ist nur dann sachlich gerechtfertigt und zulässig, wenn sie aus den bereits genannten oder sonstigen Gründen geboten erscheint, um dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zu sichern (Senat a. a. O.; OLG Celle a. a. O.; OLG Frankfurt StV 1944, 288).

Solche Gründe liegen hier nicht vor.

Der Verfahrensstoff ist, nachdem ein wesentlicher Teil der vom Landgericht getroffenen Feststellungen vom Bundesgerichtshof aufrechterhalten worden ist, nicht so umfangreich und so schwierig, daß er auch bei einer länger dauernden Hauptverhandlung nicht von einem Verteidiger bewältigt werden könnte. Nachdem Rechtsanwalt S erklärt hat, daß er in der Lage und bereit sei, die Verteidigung auch während einer länger dauernden Hauptverhandlung allein zu führen, sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß er an der Teilnahme an einer längeren Hauptverhandlung durch eine ernsthafte Erkrankung gehindert sein könnte. Schließlich ist nicht ersichtlich, daß Rechtsanwältin T über spezielle, für eine sachgerechte Verteidigung erforderliche Rechtskenntnisse verfügt, die Rechtsanwalt S nicht hat. Allein die Vertrautheit der Rechtsanwältin T mit dem Verfahrensstoff aufgrund der Einarbeitung und der Teilnahme an der früheren Hauptverhandlung reicht hierfür nicht aus.

Allein zur Sicherung des Verfahrens und ohne Berücksichtigung der Belange des Angeklagten ist die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers ausnahmsweise nur dann gerechtfertigt, wenn die begründete Besorgnis besteht, der Wahlverteidiger oder zunächst beigeordnete Pflichtverteidiger werde seine Verteidigeraufgabe nicht ordnungsgemäß wahrnehmen oder seine Stellung als Organ der Rechtspflege mißbrauchen, um die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens zu erschweren oder zu verhindern. Solche Gründe sind in dem angefochtenen und dem Nichtabhilfebeschluss nicht ausgeführt und liegen in der Person des Verteidigers der Angeklagten ersichtlich nicht vor.

Da schon danach die Bestellung der Rechtsanwältin T als Pflichtverteidigerin aufzuheben war, bedarf es keiner Erörterung, ob das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und der Rechtsanwältin zerstört und auch deshalb ihre Entpflichtung geboten ist.

Ende der Entscheidung

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