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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.02.2000
Aktenzeichen: 10 U 100/98
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB § 535 ff
BGB § 315 Abs. 3
AGBG § 3
AGBG § 10 Nr. 4
BGB §§ 535 ff, 315 Abs. 3; AGBG §§ 3, 10 Nr. 4

Zur Frage der Wirksamkeit von Klauseln in einem vorformulierten Mietvertrag über individuelle Arztpraxisräumlichkeiten 'mit einer Nutzfläche von ca. 550 qm' in einem noch zu errichtenden Ärztehaus, wonach, 'bei der Berechnung die Gesamtfläche der Individualräume innerhalb der äußeren Begrenzungen, und zwar von der Mitte der Außenwände an, jedoch ohne die Flächen tragender Wände oder Pfeiler zugrunde gelegt wird', wenn die Festlegung der Größe der Individualräume 'der Vermieter nach billigem Ermessen trifft'.

OLG Düsseldorf Urteil vom 17. Februar 2000 Aktenzeichen: 10 U 100/98 rechtskräftig


Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung rückständigen Mietzinses einschließlich Nebenkosten aus den Jahren 1994 und 1995 sowie auf Zahlung von Schadensersatz wegen verspäteter Mietzinszahlungen in Anspruch.

Im Jahre 1993 vollendete die F. GmbH mit Sitz in M. ein Bauvorhaben, welches als ein sogenanntes kooperatives Ärztehaus mit individuell zu nutzenden Einzelpraxen sowie für den kollektiven Gebrauch vorgesehenen Einrichtungen wie Laborräumen, Röntgenräumen einschließlich eines Operations-Traktes geplant war. Die Klägerin ist Hauptmieterin des Gebäudes. Ende 1993 wurden die Praxisräumlichkeiten von Ärzten bezogen, die mit der Klägerin Untermietverträge abgeschlossen hatten. Unter dem Datum des 30. September 1992 war es zum Abschluß eines Untermietvertrages zwischen der Klägerin, die seinerzeit unter der Bezeichnung "C. GmbH" firmierte, und der Beklagten gekommen. Gegenstand des Vertrages waren im ersten Obergeschoß des Hauses gelegene Räumlichkeiten zum Betrieb einer radiologischen Praxis, wobei die als "Individualräume" bezeichneten Bereiche eine Nutzfläche von ca. 550 qm aufweisen sollten.

Der Vertrag, auf den im übrigen ergänzend Bezug genommen wird, hat unter anderem den folgenden Wortlaut:

§ 2 Nr. 1

Der Vermieter vermietet an den Mieter als Mietgegenstand

- Individualflächen für Praxisräume,

- Kraftfahrzeugabstellplätze als Individualräume zur alleinigen Benutzung,

- die Gemeinschaftsflächen (Wartezonen

und sonstige Gemeinschaftsräume) zur Mitbenutzung,

- Funktionsflächen (OP, Röntgen) zur Mitbenutzung

§ 2 Nr. 3

Der Mieter mietet Individualräume für seine Praxis mit einer Nutzfläche von ca. 550 qm. Die gewünschte Größe und die gewünschte Lage der Individualräume sind in dem diesen Vertrag beigefügten Plan blau (Anlage 8) gekennzeichnet. Der Mieter weiß, daß die genaue Situierung und Größe seiner Individualräume erst noch mit den Anforderungen der anderen Mieter abgestimmt werden müssen und erst dann endgültig festgelegt werden können. Die Festlegung trifft der Vermieter nach billigem Ermessen ( ... ).

§ 5 Nr. 1

Der Mietzins beträgt monatlich netto DM 21,50 zuzüglich Mehrwertsteuer je Quadratmeter Nutzfläche für die Individualfläche. Bei der Berechnung wird die Gesamtfläche der Individualräume innerhalb der äußeren Begrenzungen und zwar von der Mitte der Außenwände an, jedoch ohne die Flächen tragender Wände oder Pfeiler zugrundegelegt.

Entscheidungsgründe:

c) Unabhängig davon ist die unter dem 18. Mai 1994 für die Individualflächen vollzogene Erhöhung der Raumanteilsfestsetzung auf insgesamt 550,03 qm als unbillige Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 3 BGB unverbindlich. Zwar war mit dieser Nutzflächenangaben die Größe erreicht, welche die Klägerin nach § 2 Ziffer 3 des Mietvertrages als Raumausstattung des noch herzustellenden Mietobjektes schuldet. Allerdings hatte die Klägerin die zuletzt mitgeteilten Flächenangaben nur dadurch realisieren können, daß sie - wie eingangs des Schreibens vom 18. Mai 1994 klargestellt - die Nutzfläche gemäß der Klausel zu § 5 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages ermittelt hatte. Folglich hat sie "bei der Berechnung ... die Gesamtfläche der Individualräume innerhalb der äußeren Begrenzungen, und zwar von der Mitte der Außenwände an, jedoch ohne die Flächen tragender Wände oder Pfeiler zugrunde gelegt" (Bl. 24 d.A.).

Die Auswirkungen dieser Flächenberechnung werden in der Zeichnung M 505 verdeutlicht, die als Anlage zum erstinstanzlichen Schriftsatz der Klägerin vom 12. April 1995 in Verbindung mit der "Einlage zur Massenberechnung" (Anlage K 5) zu den Akten gelangt ist (Bl. 72/75 d.A.). Demnach haben für den Bereich zwischen den Außenwänden der Praxisräumlichkeiten nur die grün eingekreisten Flächen als Abzugsposten Berücksichtigung gefunden, die - abgesehen von einem Rechteck in der Größe von 2 Meter x 1 Meter - überwiegend die im Grundriß quadratischen Stützpfeiler für die Geschoßdecken mit einer Seitenlänge von 45 cm betreffen. Mit anderen Worten: Die an die Beklagte vermieteten Praxisräumlichkeiten weisen zwischen den Außenwänden keine tragende Innenwand auf, und sämtliche zur Herstellung der benötigten Praxisräumlichkeiten errichteten Zwischenwände haben - weil ohne tragende statische Funktion gemäß der vertraglichen Regelung zu § 5 Ziffer 1 Satz 2 bei der Berechnung der Nutzfläche Berücksichtigung gefunden. Hinzu kommt, daß die Beklagte nach der Berechnungsklausel auch Miete für den durch die Außenmauern eingenommene Flächenanteil soll zahlen müssen, der von der Mitte der Wände nach innen reicht. Die Beklagte hat bereits in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 25. Februar 1997 zu Recht geltend gemacht, als vermietbare Fläche werde eine Fiktion angenommen (Bl. 249 d.A.). Bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechtes gemäß § 315 Abs. 1 BGB, welches der Klägerin nach § 2 Ziffer 3 Satz 4 des Vertrages in Bezug auf "die genaue Situierung und Größe" der der Beklagten vermieteten Individualräume zusteht, sollen nach § 5 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages Flächen Berücksichtigung finden dürfen, von denen von vornherein fest steht, daß sie wegen ihrer Inanspruchnahme durch tragendes Außenmauerwerk bzw. durch nicht tragende Innenzwischenwände als eigentliche Nutzfläche für den Praxisbetrieb ausscheiden.

d) Damit ist schon zweifelhaft, ob die Regelung zu § 5 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages mit der Bestimmung des § 10 Nr. 4 AGB-Gesetz in Einklang zu bringen ist. Danach ist die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, nur unter engen Voraussetzungen möglich. Formularmäßig aufgenommene Abänderungsklauseln sind - selbst im kaufmännischen Rechtsverkehr - nur dann zulässig, wenn sie auf schwerwiegende Änderungsgründe beschränkt sind und die Interessen des anderen Vertragsteils angemessen berücksichtigen. Greifen sie dagegen einseitig in das Leistungsgefüge ein, so verletzen sie den auch im kaufmännischen Rechtsverkehr geltenden Grundsatz, daß beide Vertragspartner an eine von ihnen getroffene Vereinbarung gebunden sind und eine Abänderung dieser Vereinbarung grundsätzlich nur im beiderseitigen Einvernehmen erfolgen darf (OLG Celle ZMR 1994, 209 mit Hinweis auf BGHZ 89, 206, 211; vgl. auch Bub/Treffer, a.a.O., II Rn. 420, Seite 206).

Mit Schreiben vom 18. Mai 1994 hat die für die Klägerin tätige Verwaltungsgesellschaft die Nutzflächenberechnung "gemäß Mietvertrag § 5 Abs. 1 .... korrigiert". Gegenüber der früheren "Mietflächenberechnung gemäß Bauplänen" nach Maßgabe des Schreibens vom 5. Januar 1994 (Bl. 34 d.A.) ergab sich demnach eine Steigerung des monatlichen Bruttomietzinses um mehr als 5,9 %. Die Gefahr einer solch erheblichen Veränderung der durch sie geschuldeten Mietzinszahlung allein aufgrund der Klausel zu § 5 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages war für die Beklagte als bautechnischer Laie bei Vertragsschluß aufgrund der ihr überlassenen Unterlagen nicht ohne weiteres erkennbar.

e) Im Ergebnis kann jedoch die Vereinbarkeit dieser Klausel mit der Bestimmung des § 10 Nr. 4 AGB-Gesetz dahinstehen. Die vorformulierte vertragliche Regelung ist jedenfalls als eine überraschende Klausel im Sinne des § 3 AGB-Gesetz nicht Vertragsbestandteil geworden. Danach werden Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Ob eine Klausel ungewöhnlich ist, ist nach den Gesamtumständen zu beurteilen. Die Ungewöhnlichkeit kann sich u.a. aus einem Widerspruch zum Verlauf der Vertragsverhandlungen oder auch aus der Unvereinbarkeit mit dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ergeben (Palandt/Heinrichs, Kommentar zum BGB, § 3 AGB-Gesetz, Rn. 2 mit Hinweis auf BGH NJW 1992, 1236 sowie BGHZ 103, 33).

aa) Folgt man der streitigen Darstellung der Klägerin, war der Beklagten die bezeichnete Anlage 6 (§ 1 Ziffer 2 des Vertrages) bei Vertragsschluß bekannt. Gegenstand der Anlage war die bereits mehrfach erwähnte Bauzeichnung M 505, die unter anderem die architektonische Innenaufteilung mit Zwischenwänden wiedergab, die für den Praxisbetrieb der Beklagten in den gemieteten Räumlichkeiten vorgesehen war. Nach Maßgabe des § 2 Ziffer 3 Satz 1 des Vertrages sollten die praxisbezogenen Individualräume eine "Nutzfläche von ca. 550 qm" umfassen (Bl. 16 d.A.). Insbesondere wegen der durch die Klägerin bereit gestellten Fachplanung der Innenaufteilung der Individualräume (§ 2 Ziffer 3 Abs. 2 Satz 2 des Vertrages) durfte die Beklagte von der Erwartung ausgehen, daß die vertraglich vereinbarte "Nutzfläche von ca. 550 qm" auch der Nutzfläche entsprach, die sich aus der bauzeichnerischen Darstellung dieser Fläche ergab. Diese stellt offensichtlich das Ergebnis der Vorplanung und der vorvertraglichen Verhandlungen der Parteien über die Aufteilung der Räumlichkeiten (§ 2 Ziffer 3 Satz 5 und 6 des Vertrages; Bl. 16 d.A.) dar.

bb) Demgegenüber stellt es für die Beklagte eine überraschende Regelung dar, daß an ganz anderer Stelle des Vertrages, nämlich im Zusammenhang mit der Mietzinsregelung zu § 5 Ziffer 1, das Leistungsbestimmungsrecht der Klägerin bezüglich der abschließende Festlegung der Nutzfläche des Mietobjektes mit der bezeichneten Befugnis zu § 5 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages verknüpft ist. Danach soll die Klägerin in die Nutzfläche Etagenzonen einbeziehen dürfen, die aufgrund ihrer Belegung mit Gebäudebestandteilen von vornherein der individuellen Nutzung für den Praxisbetrieb entzogen sind. Nach dem Gesamtinhalt des Vertrages brauchte die Beklagte nicht damit zu rechnen, daß die vorgegebene "Nutzfläche von ca. 550 qm" ohne jede praxisnotwendige Innenaufteilung lediglich den Bereich "innerhalb der äußeren Begrenzungen und zwar von der Mitte der Außenwände an, jedoch ohne die Flächen tragender Wände oder Pfeiler" (§ 5 Ziffer 1 Satz 2 des Vertrages) zum Gegenstand haben soll.

Ende der Entscheidung

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