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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 12.02.2001
Aktenzeichen: 19 Sa 5/01
Rechtsgebiete: HGB, GVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

HGB § 1
HGB § 95 Abs. 1 Nr. 1 n.F.
GVG § 97 Abs. 2 Satz 1
GVG § 97 Abs. 2 Satz 2
GVG § 102 Satz 1 u. 2
GVG § 102
GVG § 97 Abs. 1 Satz 1
GVG § 95 Abs. 1 Nr. 1
GVG § 98 Abs. 1 Satz 2
BGB § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3 u. 5
ZPO § 36 Abs. 3
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 36
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Dr. hc. B... sowie die Richter am Oberlandesgericht K... und Z... am 12. Februar 2001

beschlossen:

Tenor:

Die zuständige Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf wird als das funktionell zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

Die Klägerin hat im März 2000 mit der an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf gerichteten Klage Schadensersatz von dem Beklagten mit der Begründung verlangt, er habe ihr Sweat-Shirts verkauft, die mit den Markenrechten eines Dritten belastet gewesen seien. Der Beklagte, der seine Kaufmannseigenschaft im Sinne des § 1 HGB nicht in Abrede gestellt hat, aber nicht im Handelsregister eingetragen ist, hat sich gegen die Klage verteidigt.

Die Kammer für Handelssachen hat sich, ohne den Parteien vorher rechtliches Gehör gewährt zu haben, kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung mit Beschluss vom 07.11.2000 für funktionell unzuständig erklärt und gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 GVG den Rechtsstreit von Amts wegen an die zuständige Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf verwiesen. Zur Begründung hat die Kammer für Handelssachen darauf abgestellt, dass die in § 97 Abs. 2 Satz 2 GVG genannte Beschränkung einer Verweisung von Amts wegen bereits nach dem Wortlaut nicht eingreife. Unter Bezugnahme auf die in NJW RR 2000, 568 veröffentlichte Entscheidung des OLG Nürnberg hat sie zudem eine Auslegung in dem Sinne, dass die Beschränkung sich auch auf die Nichteintragung im Handelsregister beziehe, abgelehnt. Die 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat den Parteien zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und sich sodann mit Beschluss vom 02.01.2001 ebenfalls für funktionell unzuständig erklärt, die Übernahme der Bearbeitung abgelehnt und die Akten dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 BGB vorgelegt.

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung durch den Senat liegen vor. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO findet nämlich entsprechende Anwendung u.a. in den Fällen eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen einer Zivil- und einer Kammer für Handelssachen (MüKo-Wolf, ZPO, Band 3, § 102 GVG Rdnr. 6; Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 36 Rdnr. 29; Zöller-Gummer, a.a.O., § 102 GVG Rdnr. 3).

Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl die zunächst mit der Sache befasste 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf als auch die 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf haben sich rechtskräftig im Sinne dieser Vorschrift für funktionell unzuständig erklärt. Zuständig für die Entscheidung ist die (10.) Kammer für Handelssachen. Dem steht nicht deren Verweisungsbeschluss vom 07.11.2000 entgegen.

Zwar ist gemäß § 102 Satz 1 und 2 GVG ein Verweisungsbeschluss unanfechtbar und bindet das Gericht, das in dem Beschluss bezeichnet ist. Mit der Bindung an die unanfechtbare Verweisungsentscheidung verfolgt § 102 GVG ebenso wie die vergleichbare Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 3 und 5 ZPO den Normzweck, im Interesse der Prozessökonomie einer Verzögerung der Verfahren durch Zuständigkeitsstreitigkeiten vorzubeugen. Die Bindungswirkung des § 102 Satz 2 GVG entfällt - ebenso wie bei § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO - nach der ständigen Rechtsprechung des Senats aber dann, wenn der Verweisungsbeschluss unter Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist oder sich als objektiv willkürlich erweist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Kammer für Handelssachen hat nämlich den Parteien, zwischen denen die Kaufmannseigenschaft des Beklagten sowie das Vorliegen einer Handelssache nicht streitig war, vor der von Amts wegen erfolgten Verweisungsentscheidung vom 07.11.2000 kein rechtliches Gehör im Sinne des Artikel 103 Abs. 1 GG gewährt.

Die (10.) Kammer für Handelssachen war nicht zur Verweisung von Amts wegen gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GVG befugt, obwohl mangels Eintragung des Beklagten im Handelsregister die Voraussetzungen für die Zuständigkeit der KfH gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG in der durch Artikel 16 des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22.06.1998 geschaffenen Fassung nicht vorlagen. Denn nach § 97 Abs. 2 Satz 2 GVG kann die Verweisung nicht aus dem Grunde erfolgen, dass der Beklagte nicht Kaufmann ist. Von dieser Beschränkung einer Verweisung von Amts wegen wird auch der Fall erfaßt, dass die Verweisung auf die fehlende Eintragung des Beklagten im Handelsregister gestützt wird. Die gegenteiligen Auffassungen des OLG Hamburg (Transportrecht 1999, 127) und des OLG Nürnberg (NJW-RR 2000, 568) vermögen nicht zu überzeugen. Die Begründung, § 97 Abs. 2 Satz 2 GVG könne nicht dahin gelesen werden, dass die verklagte Partei nicht Kaufmann im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 1 n.F. HGB, also nicht in das Handelregister eingetragen sei, und greife daher bereits nach seinem Wortlaut nicht ein, berücksichtigt wesentliche Umstände nicht.

Schon die sprachliche Fassung des § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG belegt, dass die Handelsregistereintragung kein eigenständiges weiteres, neben den Kaufmannsbegriff tretendes Tatbestandsmerkmal für die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ist. Durch die Formulierung "... gegen einen Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches, sofern er im Handelsregister eingetragen ist ..." wird deutlich, dass die Handelsregistereintragung lediglich ein untergeordnetes, den Kaufmannsbegriff umschreibendes Element ist. Dafür spricht auch der gesetzgeberische Wille (vgl. BT-Drucksache 13/8444, Seite 83). Die Novelierung des § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG durch das neue formelle Erfordernis der Handelsregistereintragung, welches bereits in der vor dem Handelsrechtsreformgesetz geltenden Fassung des § 98 Abs. 1 Satz 2 GVG enthalten war, sollte erklärtermaßen zeitraubende Beweiserhebungen über das Vorliegen der Kaufmannseigenschaft vermeiden. Die formelle Anknüpfung diente allein der Beweiserleichterung, ohne ein weiteres Tatbestandsmerkmal neben der Kaufmannseigenschaft schaffen zu wollen (vgl. auch Zöller-Gummer, a.a.O., § 95 GVG Rdnr. 3, § 97 GVG Rdnr. 4).

Die Schlussfolgerung des OLG Hamburg (a.a.O., 128), der Zweck der Änderung des § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG, Beweisaufnahmen über die Kaufmannseigenschaft zu vermeiden und mit der Handelsregistereintragung ein einfach festzustellendes Zuständigkeitskriterium einzuführen, müsse erst recht bei der Verweisung von Amts wegen gelten, ist nicht zwingend. Denn bei der Verweisung von Amts wegen besteht zwischen den Parteien, wie das der vorliegende Fall auch deutlich zeigt, gar kein Streit, der durch eine Beweisaufnahme beizulegen wäre.

Es sprechen aber noch weitere Gründe gegen die Annahme, § 97 Abs. 2 Satz 2 GVG schließe es nicht aus, die Verweisung des Rechtsstreits von Amts wegen durch die Kammer für Handelssachen an die Zivilkammer allein auf die fehlende Handelsregistereintragung zu stützen.

§ 97 Abs. 2 Satz 2 GVG schränkt die Befugnis, von Amts wegen zu verweisen, gerade in den Fällen ein, in denen die Kaufmannseigenschaft des Beklagten nicht gegeben oder zweifelhaft ist. Sinn und Zweck dieser Einschränkung ist es, Verweisungen zwischen Kammern für Handelssachen und Zivilkammern jedenfalls dann zu vermeiden, wenn eine Handelssache vorliegt und nur die Kaufmannseigenschaft fraglich ist. Diesem Anliegen des Gesetzes gerade zuwiderlaufend wäre es aber, bei unverändert gebliebenem Gesetzeswortlaut nun gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1, 2 GVG eine Möglichkeit der Verweisung von Amts wegen zu schaffen, wo sie bisher nicht bestand, nämlich bei Handelssachen, bei denen die Parteien, wie hier, die Kaufmannseigenschaft des Beklagten nicht in Frage stellen und es lediglich an der formellen Eintragung im Handelsregister fehlt.

Insoweit in Übereinstimmung mit dem OLG Nürnberg (a.a.O., 568) ist der erkennende Senat der Auffassung, dass die Auslegung des OLG Hamburg (a.a.O., 128), die Vorschrift des § 97 Abs. 2 Satz 2 GVG sei mit der Neufassung des § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG gegenstandslos geworden, nicht zwingend ist. Die Vorschrift behält nämlich ihren Sinn, wenn bei Fehlen der Kaufmannseigenschaft oder bei Fehlen der Eintragung im Handelsregister nur noch die Parteien eine Verweisung initieren können, nicht aber das Gericht diese den Rechtsstreit verzögernde Entscheidung von Amts wegen vornehmen kann. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Verweisung von Amts wegen - anders als die auf Antrag des Beklagten erfolgende Verweisung (§ 101 GVG) - nicht zeitlich befristet ist und damit auch noch nach längerer Prozeßdauer erfolgen kann; wie der vorliegende Fall anschaulich zeigt. Eine allein auf die fehlende Eintragung im Handelsregister gestützte Verweisung von Amts wegen gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 GVG eröffnet geradezu die Möglichkeit einer Verzögerung des Rechtsstreits, die durch den Ausschluss der Beweiserhebung über die Kaufmannseigenschaft mit der Einführung des formellen Anknüpfungspunktes der Handelsregistereintragung verhindert werden sollte.

Schließlich würde eine Verweisung von Amts wegen in Fällen der fehlenden Handelsregistereintragung den Parteien auch die Möglichkeit nehmen, sich gezielt und gewollt der besonderen Sachkunde der Kammer für Handelssachen zu bedienen.

Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 3 ZPO wegen der Abweichung von den bereits erwähnten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Nürnberg und Hamburg ist nicht zulässig. Wie der Bundesgerichtshof (NJW 2000, 3214, 3215) unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien und den sich daraus ableitbaren Zweck der Entlastung des Bundesgerichtshof dargelegt hat, besteht eine Vorlagepflicht eines Oberlandesgerichts gemäß § 36 Abs. 3 ZPO nur dann, wenn dieses Oberlandesgericht gemäß § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des Bundesgerichtshofs entscheidet. Liegt dagegen eine originäre Entscheidungszuständigkeit des Oberlandesgerichts als des gemeinschaftlich höheren Gerichts der beiden an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte vor, so besteht eine Vorlagemöglichkeit, die es auch nach der alten Fassung des § 36 ZPO nicht gab, nicht. Denn die erklärte Absicht des Gesetzgebers, den Bundesgerichtshof zu entlasten, verbietet eine Auslegung des neu gefaßten § 36 Abs. 3 ZPO die dazu führt, dass ein neuer, bisher nicht gegebener Zugang zum Bundesgerichtshof erst geschaffen würde (BGH a.a.O., 3215).

Die zuständige (10.) Kammer für Handelssachen wird daher dem Verfahren Fortgang zu geben haben.

Ende der Entscheidung

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