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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 19.09.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 213/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 453
StPO § 462 a Abs. 2 Satz 2
Die Abgabe der nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen durch das Gericht des ersten Rechtszuges an das Wohnsitzgericht ist entgegen dem Wortlaut des § 462 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht bindend, wenn sie willkürlich erfolgt.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2 Ws 213/02

wegen Verletzung der Unterhaltspflicht

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S..., den Richter am Oberlandesgericht B... und die Richterin am Oberlandesgericht R...-H... am

19. September 2002

auf die Vorlage des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 17. Juli 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt ist für die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt hat den Verurteilten am 8. März 2002 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Durch Beschluss vom selben Tag hat es die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt und den Verurteilten angewiesen, keine Straftaten zu begehen, jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn M... C... nach besten Kräften nachzukommen und dem Jugendamt Mönchengladbach alle drei Monate seine Einkommensverhältnisse nachzuweisen.

Durch Beschluss vom 25. Juni 2002 übertrug das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt die infolge der Strafaussetzung nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen dem Amtsgericht Neuss, da der Verurteilte in dessen Bezirk wohnt. Mit Verfügung vom 9. Juli 2002 lehnte das Amtsgericht Neuss die Übernahme mit der Begründung ab, die Abgabe sei willkürlich erfolgt, da die Entfernung zwischen Neuss und Rheydt lediglich 15 km betrage, der Unterhaltsberechtigte in Rheydt wohne und der Verurteilte sich mit dem Jugendamt in Mönchengladbach in Verbindung zu setzen habe. Das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt hat die Akten dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 14 StPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Neuss als auch das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt haben sich hinsichtlich der weiteren Bewährungsaufsicht für unzuständig erklärt.

Zuständig ist das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt. Dessen Abgabebeschluss vom 25. Juni 2002 ist unwirksam. Die Abgabe ist willkürlich und daher rechtsmissbräuchlich und für das Amtsgericht Neuss nicht bindend.

Gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 2 StPO ist die Abgabeentscheidung des Gerichts des erstinstanzlichen Rechtzuges an das Wohnsitzgericht grundsätzlich bindend und unanfechtbar. Eine Bindungswirkung tritt nur dann nicht ein, wenn die Abgabeentscheidung auf sachfremden, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und bei verständiger Würdigung unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint und deshalb offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45,49; BGHSt29, 216, 219, OLG Düsseldorf [1. Senat] NStZ 1992, 206, 207 und [3. Senat] OLGSt StPO § 462 a Nr. 13 sowie Beschluss vom 15.08.02, 3 Ws 287/02).

Das ist hier der Fall. Die in § 462 a Abs. 2 StPO eröffnete Abgabemöglichkeit bedeutet nicht, dass die noch im Rahmen des § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen in jedem Fall an das Gericht des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes abzugeben sind. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber dem erkennenden Gericht nicht nur die Möglichkeit der Übertragung eingeräumt, sondern diese zwingend vorgeschrieben (BGH NJW 1958, 560 zu § 453 Abs. 2 S.2 a.F.). Es obliegt in erster Linie dem erkennenden Gericht, die Überwachung der Bewährung so zweckmäßig und wirkungsvoll wie möglich zu gestalten und selbst die erforderlichen Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen (OLG Düsseldorf VRS 82, 200). Bei der Abgabeentscheidung steht dem erkennenden Richter ein gewisses Ermessen zu, das lediglich auf eklatante Fehler überprüft werden kann. Das Fehlen besonderer Gründe, die eine Abgabe zweckmäßig erscheinen lassen, rechtfertigt allein noch nicht die Annahme von Willkür (BGH NStZ 1992, 399 und NStZ 1993, 230 m.w.N.). Erscheint jedoch, wie bereits ausgeführt, die Übertragung an das Wohnsitzgericht unter keinem sachlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar, ist von Willkür auszugehen (OLG Düsseldorf VRS 87, 38; 88, 51).

Ein sachlicher Grund ist z. B. dann gegeben, wenn dem Verurteilten Weisungen nach § 56 c StGB erteilt worden sind, er also in seiner Lebensführung zu überwachen ist, und das erkennende Gericht wegen seiner räumlichen Entfernung zum Wohn- bzw. Aufenthaltsort des Verurteilten hierzu kaum oder nur unter Schwierigkeiten in der Lage ist (BGH NJW 1958, 560; OLG Düsseldorf VRS 82, 200; 86, 187, OLG Hamm - Beschluss vom 18.12.90, 3(s) Sbd 1-19/90). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden:

Die allgemeine Weisung, sich straffrei zu führen und jeden Wechsel des Wohnsitzes mitzuteilen, ist keine Weisung im Sinne des § 56 c StGB. Ihre Einhaltung kann durch das erkennende Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt ebenso wirkungsvoll und sachnah wie durch jedes andere Gericht überwacht werden.

Der Kontakt mit dem Jugendamt zum Zwecke der Offenlegung der Einkommensverhältnisse des Verurteilten erfolgt vorwiegend schriftlich und ist für das erkennende Gericht nicht schwieriger zu überwachen als für das Gericht am Wohnort des Verurteilten. Zudem hat sich der Verurteilte nicht mit dem Jugendamt Neuss, sondern mit dem Jugendamt Mönchengladbach in Verbindung zu setzen.

Schließlich stellt auch das eventuelle Erfordernis einer mündlichen Anhörung des Verurteilten im konkreten Fall keinen sachlichen Grund für eine Abgabe dar. Dem Verurteilten ist angesichts der geringen Entfernung und den guten Städteverbindungen im Verkehrsverbund Rhein/Ruhr eine Anreise zu dem erkennenden Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt ohne Schwierigkeiten möglich. Da der Verurteilte in N...-E... und somit außerhalb der N... I... wohnt, muss er ohnehin bei einer Anhörung eine Anreise zum Gerichtsort - sei es nun Neuss oder Mönchengladbach-Rheydt - auf sich nehmen.

Die dem erkennenden Gericht obliegende Aufgabe, die Bewährungsaufsicht so zweckmäßig und wirkungsvoll wie möglich zu gestalten, hat danach keinen Anlass gegeben, die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen an das Amtsgericht Neuss zu übertragen. Sonstige sachliche Erwägungen, die eine Übertragung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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