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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: 2 Ws 43/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 68 f Abs. 1 | |
StGB § 68 f Abs. 2 | |
StPO § 463 Abs. 3 S. 1 | |
StPO § 454 Abs. 1 S. 3 |
1.
Ist eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren, die wegen vorsätzlicher Straftaten verhängt worden ist, vollständig vollstreckt worden, so scheitert der Eintritt von Führungsaufsicht nicht daran; daß keine der Einzelstrafen zwei Jahre erreicht.
2.
Zu den Voraussetzungen, unter denen über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus die mündliche Anhörung des Verurteilten zu dessen Antrag, die Maßregel (vorzeitig) zu beenden, entfallen kann.
Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss
2 Ws 43/01 38 VRs 290/98 StA Mönchengladbach
In der Strafvollstreckungssache
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u.a.
hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S, den Richter am Oberlandesgericht B und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. am
14. Februar 2001
auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Duisburg vom 13. Dezember 2000 (90 StVK 255/99) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Verurteilten verworfen.
Gründe:
I.
Das Rechtsmittel richtet sich bei verständiger Würdigung des anwaltlichen Schriftsatzes vom 22. Dezember 2000 ausschließlich gegen die unter Ziffer 1 des angefochtenen Beschlusses getroffene Anordnung. Nur diese Entscheidung ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Die übrigen Anordnungen in dem Beschluss des Landgerichts Duisburg können gemäß §§ 454 Abs. 4 Satz 1, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO nur mit der einfachen - gemäß § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO eingeschränkten - Beschwerde angegriffen werden.
1.
Der Umstand, dass die zuständige Strafvollstreckungskammer erst am 13. Dezember 2000 entschieden hat, nachdem der Verurteilte bereits am 24. Januar 2000 aus der Strafhaft entlassen worden war, führt im vorliegenden Fall nicht zur Unzulässigkeit der ergangenen Entscheidung. Zwar ordnet § 54 a Abs. 2 StVollstrO an, dass eine im Rahmen des § 68 f StGB zu treffende Entscheidung rechtzeitig vor der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug ergehen soll. Diese Vorschrift beinhaltet indessen keine zwingenden Verfahrensvoraussetzung, sondern stellt nur eine Ordnungsvorschrift dar, deren Verletzung nicht zwangsläufig zur Unzulässigkeit der Aufrechterhaltung von den Verurteilten belastenden Maßnahmen führt (vgl. OLG Hamm JMBl NW 1982, 131). Die Frage, ob eine unzulässige Beschränkung von Grundrechten oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angenommen werden kann, wenn die Prüfung der Erforderlichkeit der Führungsaufsicht ohne zwingenden Grund zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sich der Verurteilte bereits längere Zeit in Freiheit befindet (vgl. dazu BVerfG NStZ 1981, 21; OLG Hamm, aaO), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
Denn einer zeitigeren Entscheidung stand entgegen, dass dass der Verurteilte infolge von Aufenthaltswechseln unerreichbar war bzw. zu Anhörungsterminen nicht erschienen ist. Insofern ist die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht ohne - zwingenden verfahrensfremden - Grund verzögert worden.
2.
Der Beschluß unterliegt auch nicht etwa deshalb der Aufhebung, weil die gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung des Verurteilten unterblieben ist.
Zwar liegt einer der in § 454 Abs. 1 Satz 4.StPO geregelten Ausnahmefälle nicht vor. Dem Ausnahmekatalog dieser Vorschrift ist indessen der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass über die aufgeführten Beispiele hinaus die mündliche Anhörung auch dann entfallen kann, wenn davon eine mögliche Beeinflussung der Entscheidung nicht zu erwarten ist und die mündliche Anhörung zu einer reinen Formalie herabsinken würde (vgl. OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, NStZ 1987, 524 mwN). Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der Eindruck, den sich das Gericht bei einer früheren Anhörung persönlich gebildet hat, bis zur Entscheidung fortwirkt und dieser mangels Vorliegens neuer entscheidungserheblicher Tatsachen keiner Auffrischung oder Ergänzung bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, NStZ 1988, 95; 1982, 437 mwN). Davon ist hier auszugehen. Die personengleich besetzte Strafvollstreckungskammer hatte den Verurteilten im Rahmen der Entscheidung über eine bedingte Reststrafenaussetzung am 5. November 1999 gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO angehört. Aufgrund des fortwährenden wechselnden Aufenthalts des Verurteilten in Not- und Sozialunterkünften konnte die Strafvollstreckungskammer von einer unverändert schwierigen sozialen Situation und problematischen sozialen Einstellung des Verurteilten ausgehen und davon absehen, die Lebensführung des Verurteilten nach Beendigung des Strafvollzugs durch zusätzliche Nachforschungen weiter aufzuklären. Es war nicht zu erwarten, dass die nach der Entlassung eingetretenen Lebensumstände die bereits vorher festgestellten psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten hätten günstig beeinflussen können.
Im übrigen hat sich der Verurteilte zeitweilig unerreichbar gehalten und hat mehrfach Termine zur mündlichen Anhörung ohne genügende Entschuldigung versäumt. Zuletzt hat er den mündlichen Anhörungstermin vom 13. Dezember 2000, zu dem er ordnungsgemäß geladen worden ist, nicht wahrgenommen. Ein derartiges Verhalten eines Verurteilten, der wegen einer gemäß § 68 f Abs. 1 StGB kraft Gesetzes eingetretenen Führungsaufsicht für das Gericht erreichbar zu sein hat, sich der Anhörung aber durch Untätigkeit oder in anderer Weise entzieht, führt zur Verwirkung des Rechts auf mündliche Anhörung. Der Rechtsverlust infolge derartigen Verhaltens hat zur Folge, dass die Strafvollstreckungskammer nicht gehalten ist, die Entscheidung über die Führungsaufsicht zurückzustellen, bis sich eines Tages die Gelegenheit zur Anhörung ergeben würde. Die im Rahmen der gebotenen Entscheidung zu treffenden Anordnungen konnten hiernach ohne mündliche Anhörung des Verurteilten getroffen werden (vgl. OLG Zweibrücken MDR 1992, 1166; OLG Hamm MDR 1988, 74, 75).
3.
Die Voraussetzungen des § 68 f Abs. 1 StGB für den Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes liegen vor.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift tritt mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug Führungsaufsicht ein, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat vollständig vollstreckt worden ist.
In der Rechtsprechung ist streitig, unter welchen Voraussetzungen bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren Führungsaufsicht eintritt. Ein Teil vertritt die Rechtsauffassung, § 68 f Abs. 1 StGB sei nur dann anzuwenden, wenn der Gesamtstrafe auch eine Einzelstrafe von mindestens zwei Jahren, die wegen einer vorsätzlichen Tat verhängt worden ist, zugrundeliegt (vgl. KG JR 1979, 421 = OLGSt Nr. 1 zu 68 f StGB; OLG Bremen MDR 1980, 512; OLG Celle StV 1982, 227; OLG Hamm, 3. Strafsenat, NStZ-RR 1996, 31; 4. Strafsenat, NStZ 1996, 408; OLG Karlsruhe MDR 1981, 420 = NStZ 1981, 182 = GA 1981, 26(): OLG Koblenz MDR 1980, 711 OLG Köln NStZ-RR 1994, 4; OLG Naumburg MDR 1995, 85 OLG Stuttgart NStZ 1992, 101, OLG Zweibrücken MDR 1986, 870 = StV 1986, 541 GA 1986, 424).
Nach der Auffassung anderer Oberlandesgerichte ist die Vorschrift des § 68 f Abs. 1 StGB auch dann anzuwenden, wenn es sich um die vollständige Vollstreckung einer Gesamtstrafe von mindestens zweijähriger Dauer handelt, vorausgesetzt dass die zugrundeliegenden Einzelstrafen vorsätzliche Straftaten betreffen (vgl. OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, MDR 1981, 336 = JMBl NW 1981, 103 = NStZ 1981, 302; 3. Strafsenat, OLGSt Nr. 10 zu § 68 f StGB; 5. Strafsenat, MDR 1981, 70 = GA 1981, 38; OLG Frankfurt MDR 1982, 164 = NStZ 1982, 1 16; OLG Hamburg NStZ-RR 1996, 262; JR 1979, 116 = MDR 1979, 157; MDR 1982, 689; OLG Hamm 6. Strafsenat, MDR 1979, 601; OLG Köln OLGSt Nr. 14 zu § 68 f StGB; OLG München NStZ 1984, 314; OLG Nürnberg NStZ-RR 1998, 124, 125; MDR 1978, 858; OLG Schleswig SchlHA 1995, 2). Diese Auffassung stützt sich vor allem auf die kriminalpolitische Zielsetzung des Instituts der Führungsaufsicht und sieht als entscheidend an, dass ein Verurteilter eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren voll zu verbüßen hatte, weil eine Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB nicht zu verantworten war. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Ein Verurteilter, der mindestens zwei Jahre durchgehend im Strafvollzug verbracht hat, bedarf nach der Strafverbüßung der Lebenshilfe in Form der Führungsaufsicht ohne Rücksicht darauf, ob die verbüßte Strafe sich aus mehreren kleineren Freiheitsstrafen zusammensetzt. Demgegenüber kann dem Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB keine entscheidende andersartige Bedeutung zukommen. Wenn darin von "einer" vorsätzlichen Straftat die Rede ist, so besagt dies nicht, dass die Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen nur "einer" vorsätzlichen Straftat vollständig vollstreckt sein muss. Gegenüber der Argumentation der Gegenmeinung, ein Vergleich mit § 66 Abs. 1 StGB spreche für die Auffassung, dass eine in der Gesamtstrafe enthaltene Einzelstrafe die Zweijahresgrenze erreichen muss, hat bereits der 5. Strafsenat des OLG Düsseldorf (aaO) überzeugend darauf hingewiesen, dass in § 66 StGB - anders als in § 68 f StGB - dem Abs. 1 in Abs. 2 ausdrücklich der Fall einer Gesamtstrafe gegenübergestellt ist.
Die dem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. März 1998 zugrundeliegenden Einzelstrafen einschließlich der einbezogenen Vorverurteilungen betreffen vorsätzliche Straftaten, so dass die Voraussetzungen des § 68 f Abs. 1 StGB gegeben sind.
4.
Das Landgericht hat in der Sache mit zutreffenden Erwägungen entschieden, dass die kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht nicht gemäß § 68 f Abs. 2 StGB entfällt. Dem schließt sich der Senat an.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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