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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 15.03.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 66/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO, GVG


Vorschriften:

StGB § 63
StGB § 67 d Abs. 2
StGB § 67 e
StPO § 463 Abs. 3 S. 1
StPO § 454 Abs. 1 S. 3
GVG § 78 b Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:

Zur Vorbereitung der Entscheidung, ob die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen ist, kann die mündliche Anhörung des Untergebrachten in der Regel durch einen an dem späteren Kammerbeschluß mitwirkenden beauftragten Richter erfolgen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2 Ws 66/01 32 VRs 6041/94 StA Mönchengladbach

In der Unterbringungssache

wegen Körperverletzung

hat der 2. Strafsenat durch, den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht den Richter am Oberlandesgericht B und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R am

15. März 2001

auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 5. Dezember 2000 - StVK 151/00 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Untergebrachten verworfen.

Gründe:

Durch Urteil vom 22. Juni 1994 verhängte das Landgericht Mönchengladbach gegen den Untergebrachten wegen Körperverletzung eine sechsmonatige Freiheitsstrafe und ordnete ferner seine Unterbringung zunächst in einer Entziehungsanstalt, sodann in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der seit dem 22. Juni 1994 in den Rheinischen Kliniken Viersen erfolgte Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB wurde aufgrund gerichtlicher Anordnung gemäß § 67d Abs. 5 StGB (Senatsbeschluß vom 7. Februar 1996 - 2 Ws 116-117/95 - ) zum 15. Februar 1996 beendet; der Untergebrachte verblieb auf der Grundlage der Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB in den Rheinischen Kliniken Viersen. Die ihm durch Beschluß der Strafvollstreckungskammer - des Landgerichts Mönchengladbach vom 31. August 1998, gewährte Aussetzung zur Bewährung ist am 1. Juni 1999 - rechtskräftig seit dem 18. Juni 1999 - widerrufen worden.

Durch den angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren gemäß § 67e StGB die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Untergebrachten ist unbegründet.

I.

Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer Entscheidung über die Aussetzung der weiteren Unterbringung die prognoserelevanten Erkenntnisquellen vollständig verwertet und insbesondere den Untergebrachten in Anwesenheit des ihm beigeordneten Pflichtverteidigers und des Bewährungshelfers mündlich angehört (§§ 463 Abs. 1, 454 Abs. 1 S. 3 StPO). Zwar ist die Anhörung hier nicht durch sämtliche Kammermitglieder, sondern ersichtlich allein durch den Berichterstatter als beauftragten Richter vorgenommen worden, der hierzu ein Protokoll erstellt und an der anschließenden Beschlußfassung durch die Kammer mitgewirkt hat. In dieser Verfahrensweise liegt indes - entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft - kein Verfahrensfehler.

Die Frage, ob die mit drei Richtern besetzte "Große Strafvollstreckungskammer" in den Fällen ihrer Entscheidungszuständigkeit auch die mündliche Anhörung zwingend durch sämtliche Kammermitglieder durchzuführen hat, wurde bereits seit der Neugründung der Strafvollstreckungskammern zum 1. Januar 1975 kontrovers diskutiert (zum Meinungsstand in - der älteren Rechtsprechung vgl. die Nachweise bei LR-Wendisch, StPO, 25. Auflage, § 454 Rn. 24-28; KK-Fischer, StPO, 4. Auflage, § 454 Rn. 14). Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 13. September 1978 die Anhörung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter "in besonderen Fällen" für zulässig erachtet, hierbei jedoch angesichts des ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalts (Anhörung durch einen ersuchten Richter) ausdrücklich offen gelassen, "ob - unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls - die Anhörung durch den beauftragten Richter immer schon dann ausreicht, wenn er als Mitglied des Gerichts an dem Beschluß über die Aussetzung der Strafe oder Unterbringung mitwirkt" (BGHSt 28, 138, 140). Der Senat bejaht diese Frage jedenfalls für den hier vorliegenden, nicht durch besondere Ausnahmekonstellationen geprägten Fall der Unterbringung gemäß § 63 StGB und vermag sich der insoweit abweichenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des OLG Düsseldorf (vgl. Beschlüsse vom 1. Juni 1999 - 4 Ws 128+129/99 -, vom 24. Juli 2000 - 4 Ws 302/00 und 4 Ws 331-333/00 -, vom 9. November 2000 - 4 Ws 545/00 -, vom 14. Februar 2001 - 4 Ws 666-667/00 - und vom 16. Februar 2001 - 4 Ws 63/01) aus den nachfolgend näher, dargelegten Gründen nicht anzuschließen.

1.

Weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte der einschlägigen Gesetzesregelungen ist eindeutig zu entnehmen; daß die mündliche Anhörung gemäß § 454 Abs. 1 S. 3 StPO zwingend in der für die Entscheidung vorgeschriebenen Besetzung erfolgen muß (ebenso BGHSt 28, 138, 140f.; OLG München NJW 76, 254f., 256; OLG Karlsruhe MDR 76, 512; LR-Wenisch, aaO, Rn. 32). Die Anhörung, für die der Gesetzgeber keine besonderen Förmlichkeiten vorgesehen hat, ist Bestandteil eines im übrigen schriftlichen Beschlußverfahrens (§ 454 Abs. 1 S. 1 StPO), auf das sich die im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung geltenden Grundsätze der Strengbeweisführung und der Unmittelbarkeit nicht übertragen lassen. Infolge dessen rechtfertigt das Fehlen einer Vorschrift über die Anhörung durch den ersuchten oder beauftragten Richter nicht ohne weiteres die Annahme ihrer Unzulässigkeit. Ebenso wenig erlaubt die in § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG niedergelegte Besetzungsregelung für sich allein die Schlußfolgerung, daß der Gesetzgeber in den Fällen des Maßregelvollzugs gemäß § 63 StGB nicht nur die Entscheidung über die Aussetzung der Unterbringung, sondern auch schon die im Rahmen ihrer Vorbereitung zu treffenden, grundsätzlich dem Freibeweis zugänglichen Maßnahmen in die Hände der voll besetzten Strafvollstreckungskammer legen wollte.

2.

Nach Ansicht des Senats ist in den Fällen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die mündliche Anhörung durch einen an der späteren Entscheidung mitwirkenden beauftragten Richter auch regelmäßig dazu geeignet, der mit § 454 Abs. 1 S. 3 StPO gesetzgeberisch intendierten Zielsetzung einer "unmittelbaren Kontaktaufnahme" der Strafvollstreckungskammer mit dem Untergebrachten (vgl. hierzu BGHSt 28, 138, 141 und LR-Wendisch, aaO, Rn. 31) in ausreichender Weise Rechnung zu tragen.

Die mündliche Anhörung als besondere Ausgestaltung rechtlichen Gehörs soll in erster Linie gewährleisten, daß sich der Untergebrachte gegenüber dem Gericht zu prognoserelevanten. Fragen - wie zum Beispiel seinen eigenen Vollzugserfahrungen sowie Zukunftsabsichten - unbefangen und ohne Behinderung durch die Umstände des Freiheitsentzugs oder durch Schwierigkeiten im schriftlichen Ausdruck persönlich äußern kann. Dieser Zweck des § 454 Abs. 1 S. 3 StPO läßt sich regelmäßig mit einer Anhörung durch das zum Berichterstatter, bestellte Kammermitglied erreichen, das seine Erkenntnisse über den Gesprächsinhalt und das Verhalten sowie Erscheinungsbild des Untergebrachten ebenso zum Gegenstand der Kammerberatung machen kann wie die wesentlichen Teile der Akten und die ärztlichen Stellungnahmen beziehungsweise Gutachten (ebenso OLG München NJW 76, 254ff.; OLG Hamburg NJW 77, 1071; OLG Karlsruhe MDR 76, 512f.).

Ein Anlaß, von der auch sonst bei Beschlußverfahren üblichen arbeitsteiligen Entscheidungsvorbereitung zu Gunsten einer Anhörung durch sämtliche Kammermitglieder abzuweichen, besteht nur dann, wenn man den alleinigen oder hauptsächlichen Zweck der mündlichen Anhörung in der Vermittlung eines persönlichen Eindrucks vom Untergebrachten sieht und diesem Umstand bei Aussetzungsentscheidungen im Bereich des Maßregelvollzugs maßgebliche Bedeutung verleiht. Eine derartige Sichtweise ist indes nach Ansicht des Senats nicht gerechtfertigt.

Der in einer notwendigerweise kurzen, "schlaglichtartigen" Prüfung durch gegenwärtige Richter gewonnene Eindruck von einer Person kann für die Prognose ihres zukünftigen Legalverhaltens unter Umständen eine äußerst unzuverlässige und zuweilen auch trügerische Erkenntnisquelle sein, deren Einfluß auf die Entscheidungsfindung schon im Interesse einer rational nachvollziehbaren Begründung nicht überbewertet werden darf (vgl. hierzu bereits OLG München NJW 76, 254, 255). Dies gilt in besonderem Maße für die Aussetzungsentscheidungen im Bereich des Maßregelvollzugs gemäß. § 63 StGB, die sowohl für den Untergebrachten selbst als auch für das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit von erheblicher Tragweite sind. Dort muß sich das Gericht in erster Linie zuverlässige Erkenntnisse über den aktuellen Stand der psychiatrisch relevanten Erkrankung des Untergebrachten verschaffen. Die richterliche Einschätzung des insoweit erreichten Therapiefortschritts ist von entscheidender Bedeutung für die Gefahrenbeurteilung, denn nur vor ihrem Hintergrund läßt sich das Gewicht der übrigen prognoserelevanten Faktoren (Vollzugsverhalten sowie Verhalten des Untergebrachten bei der Anhörung, Zukunftsplanung, Lebensumfeld außerhalb des Maßregelvollzugs) hinreichend sicher bewerten. Im Vordergrund der richterlichen Entscheidungsfindung steht daher die Würdigung der ärztlichen Dokumentation des Maßregelvollzugs, der therapeutischen Stellungnahmen zur aktuellen Gefahrenprognose und der gegebenenfalls ergänzend eingeholten externen Gutachten. Die hieraus resultierenden Ergebnisse können durch einen nur aus der mündlichen Anhörung geschöpften persönlichen Eindruck des Gerichts nicht ersetzt, sondern allenfalls ergänzt werden. Die in der Forderung nach einer Anhörung durch alle Kammermitglieder liegende formale Aufwertung des persönlichen Eindrucks in seiner Bedeutung für die Aussetzungsentscheidung kann daher - entgegen der Ansicht des 4. Strafsenats - nicht gewährleisten, daß die Prognosebeurteilung auf gesicherter Tatsachengrundlage erfolgt und gleichzeitig in originärer richterlicher Verantwortung bleibt, also nicht zur reinen Sachverständigenangelegenheit wird. Dies vermag vielmehr nur eine sorgfältige, umfassende und eigenverantwortliche Nutzung der fachmedizinischen Erkenntnisquellen durch das Gericht sicherzustellen.

Der mit § 454 Abs. 1 S. 3 StPO verfolgten Zielsetzung bei Aussetzungsentscheidungen im Bereich des Maßregelvollzugs gemäß § 63 StGB ist nach alledem regelmäßig schon dann Genüge getan, wenn die mündliche Anhörung des Untergebrachten durch den mit der Entscheidungsvorbereitung betrauten und später an der Beratung mitwirkenden Berichterstatter durchgeführt wird. Ob insoweit Ausnahmekonstellationen in Betracht kommen, die eine Anhörung durch die voll besetzte Strafvollstreckungskammer erfordern, kann vorliegend dahinstehen. Der Untergebrachte hatte im Anhörungstermin vor dem beauftragten Richter am 16. November 2000 ausreichend Gelegenheit, zu allen prognoserelevanten Fragen Stellung zu beziehen; seine Äußerungen sind in einem ausführlichen Protokoll festgehalten, dessen Inhalt ersichtlich zum Gegenstand der Kammerberatung gemacht worden ist. Die in der angefochtenen Entscheidung verwerteten, außerhalb der mündlichen Anhörung gewonnenen Erkenntnisquellen bieten keinen Anhaltspunkt für die Vermutung, daß die Kammer zu einer abweichenden Beurteilung der Gefahrenprognose gelangt wäre, wenn sie den Untergebrachten in voller Besetzung angehört hätte.

II.

Die angefochtene Entscheidung zur Fortdauer der Unterbringung ist auch sachlich nicht zu beanstanden. Die Erwartung, daß der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 StGB), ist derzeit noch nicht gerechtfertigt.

Der Untergebrachte hat 1993 im Zustand erheblich verminderter beziehungsweise ausgeschlossener Schuldfähigkeit zwei Körperverletzungsdelikte begangen. Zur Tatzeit war er polytoxikoman und stand zusätzlich unter dem Einfluß einer leichten Hirnleistungsschwäche sowie einer schweren Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Funktionsniveau, die die Fähigkeit konstruktiver Auseinandersetzungen im mitmenschlichen Bereich beeinträchtigte und bei dem Untergebrachten ein erhebliches Aggressionspotential begründete. Wie sich aus der ärztlichen Stellungnahme der Rheinischen Kliniken vom 6. Oktober 2000 ergibt, hat der bisherige Therapieverlauf im Hinblick auf die schwere Persönlichkeitsstörung des Untergebrachten nicht zu nennenswerten positiven Veränderungen geführt. Seine Grundhaltung ist nach wie vor durch Mißtrauen, Feindseligkeit, Unberechenbarkeit und Kränkbarkeit geprägt. In Konfliktsituationen reagiert der Untergebrachte impulsiv sowie verbal aggressiv; er zeigt keine Einsicht in die während des gesamten Maßregelvollzugs stets aktuell gebliebene Problematik des Alkohol- und Drogenkonsums. Da der Untergebrachte überdies seit seiner Rückverbringung in die Kliniken nach einer gescheiterten Dauerbeurlaubung am 27. Juni 2000 jegliche Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen verweigert hat, begründet sein ärztlich diagnostizierter Zustand derzeit noch die Gefahr einer erneuten Straffälligkeit für den Fall der Aussetzung des Maßregelvollzugs.

Dieser Gefahr kann durch ambulante Therapiemaßnahmen sowie Weisungen zur Lebensführung und eine Kontrolle durch die Bewährungsaufsicht nach Ansicht des Senats nicht in ausreichender Weise begegnet werden, da sich der Untergebrachte insoweit bislang als unzuverlässig erwiesen hat. Die im Anschluß an eine Dauerbeurlaubung seit Januar 1997 am 31. August 1998 angeordnete Aussetzung der Unterbringung mußte am 1. Juni 1999 widerrufen werden, und er im Januar 2000 erneut begonnene Versuch einer Dauerbeurlaubung verlief ebenfalls erfolglos. Die Gründe für das Scheitern der soziotherapeutischen Eingliederungsversuche lagen hierbei ausnahmslos in der Persönlichkeitsstruktur des Untergebrachten, der einen strukturierten Tagesablauf nicht langfristig einhalten konnte, vereinbarte Gesprächstermine weder bei seinem Therapeuten noch beim Bewährungshelfer zuverlässig einhielt und Alkohol sowie Drogen konsumierte.

Die Einholung eines externen Gutachtens zur Frage der Sozialprognose hält der Senat derzeit nicht für erforderlich, denn der bislang dokumentierte Verlauf des Maßregelvollzugs gibt zu Zweifeln an der ärztlichen Einschätzung des gegenwärtigen Zustands keinen Anlaß und verdeutlicht zugleich, daß das in der Anhörung zum Ausdruck gekommene massive Mißtrauen des Untergebrachten in die ihn behandelnden Ärzte krankheitsbedingten Charakter trägt. Da das bislang verfolgte soziotherapeutische Konzept einer möglichst frühzeitigen außerstationären Eingliederung des Untergebrachten nicht zu nennenswerten Fortschritten geführt hat, werden im Verlauf der vorerst weiterhin erforderlichen Unterbringung neue beziehungsweise ergänzende Therapieansätze zu entwickeln sein, deren Erfolgsaussichten maßgeblich davon abhängen, daß der Untergebrachte seine derzeit vorhandene Verweigerungshaltung aufgibt und an den Therapiebemühungen innerhalb des Maßregelvollzugs aktiv mitwirkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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