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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 11.01.2001
Aktenzeichen: 20 W 78/00
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 890 |
1. Wegen Zuwiderhandlungen gegen einen Unterlassungstitel können Ordnungsmittel auch dann noch verhängt werden, wenn die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache wegen nachträglicher Umstände übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Eine Ahndung setzt nicht voraus, daß die Hauptsache nur für die Zeit nach den Zuwiderhandlungen für erledigt erklärt worden ist. Wenn eine zeitliche Beschränkung der Erklärungen aber doch gefordert wird, liegt es nahe, sie bei Fehlen ausdrücklicher Erklärungen - der Interessenlage gemäß - als konkludent erfolgt anzusehen.
2. Führt ein bedeutendes Unternehmen eine wettbewerbswidrige Werbekampagne, die einen ebenfalls bedeutenden Wettbewerber in seinen Marktchancen wesentlich beeinträchtigen kann, trotz eines gerichtlichen Verbots während eines Monats in massiver Weise und mit hohem Aufwand weiter, so kann bei Vorsatz selbst unter Zugrundelegung einer einheitlichen Handlung ein Ordnungsgeld von 400.000 DM angemessen sein.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
20 W 78/00 34 O 139/99 LG Düsseldorf
In Sachen
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Berneke sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. Schmidt und Schüttpelz am 11. Januar 2001
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 30. August 2000 wird zurückgewiesen.
Die Schuldnerin trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Beschwerdewert beträgt 400.000 DM.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde (§ 793 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg.
Zutreffend hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 400.000 DM festgesetzt. Dabei hat es die mit den Ordnungsgeldbeschlüssen vom 30. September 1999 und 5. Oktober 1999 festgesetzten Ordnungsgelder von 100.000 DM bzw. 200.000 DM einbezogen, so dass sich diese Ordnungsgeldbeschlüsse und die dagegen gerichteten Beschwerden (20 W 8/00) erledigt haben.
Die Verhängung eines Gesamtordnungsgeldes von 400.000 DM ist sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach gerechtfertigt.
Wie das Landgericht als unstreitig festgestellt hat, hat die Schuldnerin der am 30. August 1999 erlassenen und ihr am 31. August 1999 zugestellten einstweiligen Verfügung im Rahmen einer massiven Werbekampagne in nicht weniger als 28 Fällen zuwidergehandelt. Diese Verstöße bleiben nicht etwa deshalb sanktionslos, weil die Parteien in der Berufungsverhandlung vor dem Senat am 9. Mai 2000 die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, nachdem die Schuldnerin eine mit der einstweiligen Verfügung übereinstimmende Unterlassungserklärung abgegeben hatte (vgl. das Urteil des Senats vom 30. Mai 2000 im Parallelverfahren 20 U 10/00), und der Senat nur noch durch Beschluss vom 30. Mai 2000 der Antragsgegnerin die Kosten des gesamten Verfügungsverfahrens auferlegt hat. Der in dem genannten Urteil im Parallelverfahren 20 U 10/00 gegebene Hinweis auf den Fortfall des Titels infolge der Erledigungserklärung ändert nichts daran, dass Verstöße, die vor der Erledigungserklärung begangen wurden, gleichwohl mit Ordnungsmitteln geahndet werden können.
Der vorliegende Fall demonstriert in selten augenfälliger Weise die nicht hinzunehmenden Missstände, zu denen die Verneinung einer weiteren Vollstreckungsmöglichkeit führen müsste. Da der Gläubiger die Vertragsstrafenklage nur wegen solcher Verstöße erheben kann, die der Unterwerfungserklärung zeitlich nachfolgen, hätte es der Verletzer ohne eine fortbestehende Sanktion aus dem Titel in der Hand, sich durch ein geschicktes Vorgehen den zeitlichen Freiraum zu verschaffen, den er benötigt, um die wettbewerbswidrige Handlung abzuschließen. Er müsste nur warten, bis er die wettbewerbswidrige Maßnahme abgeschlossen hat, und dann eine Unterwerfungserklärung abgeben. Schlösse die damit verbundene Erledigung die Verhängung von Ordnungsmitteln aus, bliebe sogar der vorsätzliche Verstoß ohne Konsequenzen (Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 2. Aufl., Rdnr. 957: Gloy/Spätgens, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 2. Aufl., § 93, Rdnr. 33, Fußn. 91). Dieses Ergebnis ist mit der dem Wettbewerbsrecht zugrunde liegenden Interessenlage nicht zu vereinbaren (Melullis a.a.O.). Der Gläubiger würde praktisch rechtsschutzlos gestellt und das wettbewerbliche Rechtsmittel der einstweiligen Verfügung entscheidend entwertet (Gloy/Spätgens a.a.O.). Der Senat steht deshalb, wie indem angefochtenen Beschluss auch erwähnt, seit langem auf dem Standpunkt, dass auch im Falle einer Erledigungserklärung im Hinblick auf den Strafcharakter von § 890 ZPO die Vollstreckungsmöglichkeit auch nach einer übereinstimmenden Erledigungserklärung generell eröffnet bleiben muss (vgl. Beschluss vom 22. Mai 2000 - 20 W 43/99 - und die weiteren Nachweise aus Rechtsprechung und Schrifttum im angefochtenen Beschluss des Landgerichts, S. 12).
Es ist heute wohl allgemeine Meinung, dass die Ordnungsmittel des § 890 ZPO nicht nur Maßnahmen zur Beugung des Willens des Schuldners sind (wie im Falle des § 888 ZPO), sondern auch strafrechtliche (repressive) Elemente enthalten. Durch Verhängung von Ordnungsmitteln nach einer Zuwiderhandlung wird diese geahndet und zugleich versucht, künftiges Wohlverhalten zu erzwingen (BGH NJW 93, 1076, 1077; Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 890, Rdnr. 5 m.w.N.). Ob eine Vollstreckung noch möglich ist, richtet sich daher nach den gleichen Grundsätzen wie im Strafrecht. In diesem Zusammenhang hat die Gläubigerin zutreffend auf den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 4 StGB hingewiesen, wonach bei einem sogenannten Zeitgesetz eine Tat auch dann strafbar ist, wenn das Gesetz inzwischen außer Kraft getreten ist, wenn nur die Tat während seiner Geltung begangen würde. Auch die einstweilige Verfügung gilt von vornherein nur bis zu einer Entscheidung im Hauptverfahren und einer durch diese bedingten Aufhebung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Erledigung der Hauptsache infolge eines abgegebenen Unterlassungsversprechens nicht dahin interpretiert werden kann, dass damit auf den Unterlassungstitel verzichtet worden wäre. Dem Gläubiger bleibt gar nichts anderes übrig, als zur Vermeidung einer Klageabweisung eine Erledigungserklärung abzugeben, weil durch die Unterwerfungserklärung die Wiederholungsgefahr weggefallen ist (vgl. Pastor/Ahrens/Schulte, Der Wettbewerbsprozeß, 4. Aufl., Kap. 16, Rdnr. 49). Aufgrund des Unterwerfungsvertrages kann ein Verstoß gegen die Unterlassungspflicht nunmehr in gleicher Weise mit der Vertragsstrafe sanktioniert werden wie vorher mit einem Ordnungsgeld. Das vertragliche Verbot schließt sich nahtlos an das gerichtliche Verbot an (vgl. Melullis a.a.O., Rdnr. 959). Nach dem "Anlehnungsgrundsatz" soll es dem Gläubiger so weit wie möglich eine einem Gerichtsurteil vergleichbare Sicherung verschaffen (Pastor/Ahrens/Schulte a.a.O., Kap. 17, Rdnr. 6).
Eine an der repressiven Natur der Vollstreckung nach § 890 ZPO und der Interessenlage im Wettbewerbsrecht ausgerichtete Auslegung dieser Vorschrift kann also Ergebnisse vermeiden, die selbst nach Auffassung der Beschwerde "Unmut erregen" können (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 57, Rdnr. 38 m.w.N.). Aber selbst wenn man der Gegenmeinung folgen würde, die hier einen dogmatischen Widerspruch zu den §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO sieht (vgl. Teplitzky a.a.O.), würde sich das vorliegend auf das Ergebnis nicht auswirken. Diese Gegenansicht, die den Titel bereits im Erkenntnisverfahren durch eine Erledigungserklärung nur für die Zukunft zeitlich stückeln will, ist zwar wenig praktikabel und vernachlässigt die interpretatorische Anpassung des § 775 ZPO an Unterlassungstitel, die auf ein Dauerverhalten zugeschnitten sind. Von einer Titelteilbarkeit ausgehend verlangt sie aber nur eine klarstellende (einschränkende) Aussage in der Erledigungserklärung über deren zeitliche Wirkung (vgl. Pastor/Ahrens a.a.O., Kap. 63, Rdnr. 16). Eine solche Beschränkung der Erledigungserklärung vermisst die Beschwerde, wenn sie darauf hinweist, die Gläubigerin habe im Verfügungsverfahren den Rechtsstreit - dem Wortlaut nach - in der Hauptsache insgesamt für erledigt erklärt. Darauf kann es indes nicht entscheidend ankommen, denn nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung von Prozesserklärungen im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse der Partei entspricht (vgl. etwa BGH NJW-RR 2000, 1996). Dass die Erledigungserklärung eine Wirkung nur für die Zukunft haben soll, dürfte sich deshalb auch ohne entsprechende ausdrückliche Formulierung in diesem Sinne verstehen (vgl. Pastor/Ahrens a.a.O.; Teplitzky a.a.O.; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., Einl. UWG, Rdnr. 587 b a.E.). Das muss gerade hier gelten, wo zum Zeitpunkt der Abgabe der Unterlassungserklärung bereits sieben Ordnungsmittelanträge gestellt waren, und die Entscheidung über fünf dieser Anträge bereits in der Beschwerdeinstanz anhängig war.
Auch der Höhe nach ist das vom Landgericht unter Einbeziehung der früher festgesetzten Ordnungsgelder von 100.000 DM und 200.000 DM festgesetzte Gesamtordnungsgeld von 400.000 DM keineswegs unangemessen. Dazu kann zunächst auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses verwiesen werden.
Das Landgericht ist zugunsten der Schuldnerin von einer "natürlichen Handlungseinheit bzw. einem Fortsetzungszusammenhang" ausgegangen. Ob die Grundsätze über den Fortsetzungszusammenhang im Zivilrecht weiterhin anwendbar sind, kann vorliegend sogar offen bleiben, denn jedenfalls dürfen diese Grundsätze die Verhängung angemessener Ordnungsgelder nicht behindern (vgl. Teplitzky a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 35 m. Fußn. 119; Baumbach/Hefermehl a.a.O., Einl. UWG, Rdnr. 592). Insoweit hat das Landgericht zutreffend die Einzelakte und ihren jeweiligen Unrechtsgehalt berücksichtigt (vgl. Gloy/ Spätgens a.a.O., § 93, Rdnr. 54), die auch nach Auffassung des Senats ein niedrigeres Ordnungsgeld als 400.000 DM nicht zulassen.
Bei der Bemessung des - schuldangemessenen - Ordnungsmittels kommen der Intensität und dem Maß des Verschuldens sowohl bei der Art als auch bei der Höhe der Sanktion entsprechende Bedeutung zu, daneben auch Gesichtspunkte wie das Interesse des Gläubigers und das Vorverhalten des Schuldners. Ein Ordnungsgeld ist jedenfalls so zu bemessen, dass der aus dem Verstoß erzielte Gewinn abgeschöpft wird, der Verstoß sich also "nicht lohnt" (Gloy/Spätgens a.a.O., § 93, Rdnr. 53; Teplitzky a.a.O., Kap. 57, Rdnr. 34). Zu Unrecht wendet sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang gegen die Wendung des Landgerichts von der "besonderen wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit". Damit ist ersichtlich die Gefährlichkeit und Schwere der Verstöße gemeint, die sich vorliegend daraus ergibt, dass die Gläubigerin gerichtsbekannt Deutschlands und Europas größtes Telekommunikationsunternehmen ist, und die Schuldnerin der zweitgrößte Internet-Provider in Deutschland; AOL wird in der Werbung auch als der "weltweit größte Online-Dienst" vorgestellt (Anl. WV 30). Eine Werbung, die den irrigen Eindruck erweckt, dass die Einwahl in das Internet bei der Schuldnerin immer günstiger sei als bei der Gläubigerin, und zwar im Einzelfall bis zu 96 % (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Mai 2000 - 20 U 17/00 -), hat hier angesichts der wirtschaftlichen Größe des Verletzers und des Verletzten einen ganz ungewöhnlich hohen Angriffsfaktor. Die irreführende Werbung der Schuldnerin musste zudem auf besonders fruchtbaren Boden fallen, weil gerichtsbekannt die hohen Telefongebühren der Gläubigerin in der Vergangenheit immer wieder als Hindernis für eine intensivere Nutzung des Internet in Deutschland hingestellt wurden.
Hinzu kommt die in einem Zeitraum von etwa einem Monat kaum zu übertreffende Intensität und Massivität der Werbekampagne. Es geht vorliegend um acht Bestrafungsanträge und 28 verschiedene Werbepublikationen in überwiegend bundesweit verbreiteten Zeitungen und Nachrichtenmagazinen mit hoher Auflage wie etwa "Frankfurter Allgemeine", "Süddeutsche Zeitung", "Spiegel", "Stern", "Focus", sowie ebenfalls bundesweit verbreiteten Programmzeitschriften und Computer-Zeitschriften (vgl. die Aufzählung auf S. 7 f. des angefochtenen Beschlusses). Auf eine entsprechende Anfrage des Senats ist mitgeteilt worden, dass allein eine einzige Anzeige im "Stern" 299:000 DM und im "Spiegel" 286.000 DM gekostet hätten. Ein derartiger Werbeaufwand wird in der Wirtschaft kaum ohne jede Aussicht auf einen entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg betrieben.
Was das Verschulden angeht, so ist der Senat der Ansicht, dass nicht nur Fahrlässigkeit vorliegt, sondern dass diese Werbekampagne in Kenntnis des Verbots der einstweiligen Verfügung vom 30. August 1999 vorsätzlich "durchgezogen" wurde. Das folgt schon aus dem eigenen Vortrag der Schuldnerin, ihre Justitiarin habe unverzüglich Anweisung gegeben, die Werbung zu ändern, denn danach sind offensichtlich keine ernst zu nehmenden Anstrengungen unternommen worden, nach Zugang der Beschlussverfügung das Erscheinen weiterer Werbungen der verbotenen Art zu stoppen, obwohl die Gläubigerin vorgetragen hatte, dass dies möglich gewesen sei. Zutreffend macht zwar die Beschwerde geltend, der Gesichtspunkt der Missachtung des Gerichts sei dem deutschen Recht unbekannt; genauso zutreffend ist aber, dass das Ordnungsgeld der Höhe nach geeignet sein muss, den Schuldner von weiteren Zuwiderhandlungen abzuhalten. Dabei ist noch darauf hinzuweisen, dass eine derart hartnäckige Missachtung einstweiligen Verfügungen bei der Schuldnerin offenbar keinen Einzelfall darstellt (vgl. OLG Köln, OLGR 2000, 259). In Ansehung all dieser Gesichtspunkt ist dem Landgericht darin zuzustimmen, dass das festgesetzte Ordnungsgeld von 400.000 DM "ohne weiteres gerechtfertigt" ist. Es handelt sich um einen selten gravierenden Fall der Missachtung eines gerichtlichen Verbots.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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