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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 01.12.1999
Aktenzeichen: 22 U 103/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 840 Abs. 1
BGB § 252
BGB § 843 Abs. 1 2. Alt.
ZPO § 518 Abs. 2
ZPO § 130 Nr. 6
ZPO § 516
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 100 Abs. 4
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 71
1. Wenn in einer Produktionshalle in einem durch Staubwände abgetrennten Teil Bauarbeiten ausgeführt werden, müssen nach einem Versetzen dieser Wände sowohl der Bauunternehmer als auch der Betriebsinhaber dafür sorgen, daß im Hallenboden keine Montagenägel zurückbleiben, über die dort Tätige stolpern können.

2. 4.000 DM Schmerzensgeld für fahrlässig verursachte Brüche beider Unterarme, die ambulant behandelt wurden, 6-wöchige Pflegebedürftigkeit infolge der von den Händen bis zu beiden Oberarmen reichenden Gipsverbände sowie 8 weitere Monate Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20%, danach folgenlose Verheilung der Verletzungen.

OLG Düsseldorf Urteil vom 19.11.1999 - 22 U 103/99 - 3 O 121/98 LG Duisburg


Der Kl verrichtete für seinen Arbeitgeber in der Halle der Bekl zu 2 Verpackungsarbeiten. In einem Teil dieser Halle führte die Bekl zu 1 im Auftrag der Bekl zu 2 Bauarbeiten aus. Ihr Arbeitsbereich war durch mit Montagenägeln im Betonboden befestigte Staubwände abgetrennt. Am 15. 5. 1997 verursachte der Kranführer der Bekl zu 2 den Einsturz einer Staubwand. Die Bekl zu 1 versetzte die Wand an eine andere Stelle. Am 16. 5. 92 gegen 1.3o Uhr stolperte der Kl dort, wo die Wand gestanden hatte, fiel hin und brach sich beide Unterarme. Er behauptet, er sei über einen nicht beseitigten Montagenagel gestolpert.

Das LG hat ihm gegen beide Bekl neben dem Ersatz materiellen Schadens ein Schmerzensgeld von 4.000 DM zugesprochen. Der Kl begehrt mit seiner Berufung eine Verdoppelung des Schmerzensgeldes sowie Pflegekosten für 6 Wochen, während deren beide Arme von den Händen bis zu den Oberarmen eingegipst waren. Die Bekl wenden sich gegen die Höhe des im übrigen zugesprochenen Schadenersatzes.

Hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29. 10. 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, den Richter am Oberlandesgericht Muckel und den Richter am Landgericht Galle

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers und die Hilfsanschlußberufungen der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 19. 04. 1999 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 7.565,67 DM nebst 4 % Zinsen daraus seit dem 04. 05. 1998 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 68 % und die Beklagten zu 32 %. Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 63 % und die Beklagten zu 37 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

I.

Die Berufung des Klägers vom 01. 06. 1999 ist zulässig.

1.

Die Berufungsschrift genügt der Form der §§ 518 Abs. 2, 130 Nr. 6 ZPO. Dem steht nicht entgegen, daß Rechtsanwalt Dr. M. in der Kanzlei des Rechtsanwalts K. nicht tätig ist, folglich vom Kläger nicht mandatiert worden war. Aus dem Schriftsatz vom 19. 07. 1999 (Bl. 152, 153 GA) geht hervor, daß Rechtsanwalt K. dem Kollegen Untervollmacht zur Einlegung der Berufung erteilt hat. Hierzu war er befugt (vgl. BAG NJW 1990, 2706 m.w.N.). Es schadet auch nicht, daß dies aus der Berufungsschrift nicht zu erkennen ist, weil ein die Untervollmacht andeutender Zusatz (z.B. "i.V.") fehlt. Ausschlaggebend ist allein, daß Rechtsanwalt Dr. M. am Oberlandesgericht Düsseldorf zugelassen ist und durch die Unterschrift die verantwortliche Prüfung des Schriftsatzes bezeugt hat. Dahinstehen kann, ob er vorher den Prozeßstoff selbst durchgearbeitet oder die "unterschriftsreif" vorbereitete Berufungsschrift nur unterzeichnet hat. In welchem Umfang der Rechtsmittelanwalt den fremden Text prüft, bleibt seinem eigenverantwortlichen Ermessen überlassen. Ausnahmen sind nur dann zu machen, wenn sich aus dem Schriftsatz selbst zweifelsfrei ergibt, daß sich der Anwalt von der Erklärung distanziert hat (z.B. mit dem Zusatz "i.A."), oder nach dem Inhalt des Schriftsatzes schlechthin ausgeschlossen ist, daß er sie in der gebotenen Weise überprüft haben konnte (BGH NJW 1989 394 (395); NJW 1989, 3022/3023). Ein derartiger Sachverhalt ist vorliegend nicht gegeben.

2.

Die Berufung wurde auch rechtzeitig eingelegt. Aus dem nunmehr vom Prozeßgericht erster Instanz übersandten Empfangsbekenntnis der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers (=früher Bl. 116 GA; nunmehr Bl. 183 GA) geht hervor, daß sie das angefochtene Urteil am 04. 05. 1999 erhalten haben. Folglich wurde die Monatsfrist des § 516 ZPO durch die am 01. 06. 1999 eingegangene Berufung eingehalten.

II.

Die Berufung des Klägers und die Hilfsanschlußberufungen der Beklagten sind teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten aus unerlaubter Handlung Anspruch auf Ersatz des durch den Unfall vom 15./16. 05. 1997 entstandenen Schadens, §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB. Ihm steht nur ein Schmerzensgeld (§ 847 BGB) in Höhe des erstinstanzlich zuerkannten Betrags von 4.000 DM zu. Nach § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB kann er Erstattung der an die Zeugin Waldhauer geleisteten Zahlungen verlangen. Der nach § 252 BGB zu ersetzende Gewinnentgang beträgt nur 175,67 DM. Im einzelnen:

1.

Die Beklagte zu 1 traf als verantwortliche Bauunternehmerin die Verpflichtung, nach Entfernung der umgestürzten Staubwand im Boden stecken gebliebene Montagenägel zu beseitigen. Auch die Beklagte zu 2 hatte den an die Staubschutzwände angrenzenden Hallenbereich von möglichen Stolperstellen freizuhalten. Es kann dahinstehen, ob sie als Bauherrin die Verpflichtung traf, den Abriß und die Neuerrichtung der Staubschutzwand zu überwachen (vgl. hierzu BGH NJW 1982, 2187, 2188). Da die Beklagte zu 2 die Halle auch während der Bauarbeiten als Betriebsstätte nutzte, trafen sie besondere, über die Pflicht zur Überwachung der Bauarbeiten hinausgehende Schutzpflichten. Sie hatte die durch die Staubschutzwände abgegrenzten Bereiche in einem Zustand zu erhalten, der ein gefahrloses Arbeiten ermöglichte. Die Gefahrlosigkeit des von ihr freigegeben Hallenbereichs hatte sie zu überwachen; insbesondere hatte sie sich nach jeder Beschädigung einer Staubschutzwand unverzüglich zu vergewissern, daß in dem freigegebenen Bereich weiterhin ein gefahrloses Arbeiten möglich war. Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als ihre eigenen Mitarbeiter die Staubschutzwand zum Umfallen gebracht hatten (vgl. S. 2 des Tatbestands des angefochtenen Urteils = Bl. 101 GA). Sie hatte vor dem Unfall ausreichend Gelegenheit, sicherzustellen, daß von der umgestoßenen Wand keine Gefahren ausgingen. Die Wand war bereits entfernt, als der Kläger die Arbeit in der Halle aufnahm.

Aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, daß der Kläger über einen Nagel gefallen ist, der nach den Umständen nur der Befestigung der umgestürzten Wand gedient haben konnte. Aus den Aussagen der Zeugen N., E. und St. ergibt sich zweifelsfrei, daß der Kläger über einen Nagel im Hallenboden gestolpert ist. Die Argumentation der Beklagten, die Zeugen hätten den Nagel erst gesehen, nachdem der Kläger gefallen sei, folglich sei nicht sicher, daß der Nagel unfallursächlich gewesen sei, ist unzutreffend. Aus den Aussagen der Zeugen ergibt sich, daß der Nagel an der Unfallstelle im Boden steckte und andere Gegenstände, über die der Kläger gestolpert sein könnte, dort nicht vorhanden waren. Das begründet den ersten Anschein, daß der Nagel für das Stolpern des Klägers ursächlich war. Da sich der Nagel nach der Aussage des Zeugen St. an einer Stelle befand, wo vorher die umgestoßene Staubschutzwand aufgestellt war, besteht auch kein Zweifel, daß er von der Beklagten zu 1 bei der Entfernung der Staubschutzwand nicht beseitigt worden war.

Dem Kläger ist kein Mitverschulden vorzuwerfen. Auch wenn es aufgrund der Bauarbeiten Veranlassung zu erhöhter Vorsicht gab, mußte er mit einzelnen, aus dem Hallenboden hervorstehenden Nägeln nicht rechnen. Nägel sind aufgrund ihrer Farbe, Größe und Form vom Boden kaum zu unterscheiden.

2.

Der Kläger ist durch den erstinstanzlich zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag angemessen entschädigt. Seine Verletzungen wurden ambulant behandelt. Aufgrund der Oberarmgipse war er 6 Wochen außerstande, sich zu waschen, an- und auszuziehen und zu ernähren. In der Folgezeit bestanden an beiden Armen Bewegungseinschränkungen, weshalb die Berufsgenossenschaft eine M.d.E. von 20 % anerkannte (Bescheid der Berufsgenossenschaft vom 10. 12. 1997 =Bl. 8 GA). Die M.d.E. war bis zum 28. 02. 1998 befristet, so daß - entgegen den Behauptungen des Klägers - davon auszugehen ist, daß die Verletzung seit März 1998 folgenlos verheilt ist. Auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen, die in vergleichbaren Fallen ergangen sind, ist die Höhe des erstinstanzlich zugesprochenen Schmerzensgeldes nicht zu beanstanden. Das Landgericht Bielefeld hat bei einem beidseitigen Unterarmbruch ein Schmerzensgeld von 5.000 DM zugesprochen (LG Bielefeld 18 O 3/94; Hacks, Ring, Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 19. A. Nr. 775); anders als im vorliegenden Fall mußte sich der Verletzte 10 Tage stationär behandeln lassen und mehr als 6 Wochen Gipsverbände an beiden Armen tragen. Das OLG Köln hat für die gleiche Verletzung bei 50-prozentigem Mitverschulden 7.000 DM zugesprochen (VersR 1992, 354 (355)); dieser Fall unterschied sich jedoch von dem vorliegenden durch die schwereren Verletzungsfolgen: Die Gebrauchsfähigkeit der Arme waren bleibend gemindert (1/6 rechts, 1/8 links); der Verletzte mußte die Ausbildung als Kfz-Mechaniker aufgeben.

3.

Dem Kläger sind verletzungsbedingte Mehraufwendungen in Höhe von 3.360 DM entstanden, die nach § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB zu erstatten sind. Die Vernehmung der Zeuginnen W. und L. hat ergeben, daß die Arme des Klägers von den Händen bis zu den Oberarmen eingegipst waren und der Kläger daher zur selbständigen Körperpflege und Nahrungsaufnahme außerstande war. Die Zeuginnen haben weiter ausgeführt, daß die Zeugin W. den Kläger für einen Stundenlohn von 10 DM 6 Wochen lang ca. 8 Stunden täglich gepflegt und seinen Haushalt versorgt hat. Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussagen. Es ist evident, daß Gipsverbände an beiden Armen selbst einfachste Verrichtungen wie Körperpflege, Essen, Trinken unmöglich machen. Erst recht gilt das für Tätigkeiten im Haushalt wie Einkaufen, Kochen, Putzen. Der Kläger war auf eine Vollversorgung angewiesen, so daß ein täglicher Zeitaufwand von ca. 8 Stunden plausibel ist. Die Höhe des Stundenlohns von 10 DM ist nicht zu beanstanden; die Beschäftigung eines professionellen Pflegedienstes wäre deutlich teurer gewesen.

Der Kläger ist auch Inhaber des Schadensersatzanspruchs. Belanglos ist, daß er gegen seine Krankenkasse Anspruch auf häusliche Krankenpflege und Stellung einer Haushaltshilfe aus §§ 37, 38 SGB V hatte. Er hat diese Möglichkeit nicht in Anspruch genommen, so daß der im Zeitpunkt des Unfalls gemäß § 116 Abs. 1 SGB X eingetretene Anspruchsübergang nicht bestehen geblieben ist (vgl. Schroeder-Prinzen, SGB X, 2. Aufl., § 116, Nr. 2.2 und zum alten Rechtszustand (§ 1542 Abs. 1 S. 1 RVO) BGH VersR 1965, 161 (163)).

4.

Die Hilfsanschlußberufung der Beklagten hat zum überwiegenden Teil Erfolg. Der Verdienstausfallschaden ist nach der modifizierten Nettolohnmethode oder der Bruttolohnmethode zu berechnen; beide Berechnungsweisen grenzen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die wegen des Schadensfalles nicht mehr anfallen, aus; sie führen stets zu den selben Ergebnissen (im einzelnen BGH NJW 1995, 389 (390)). Errechnet man den Schaden nach der modifizierten Nettolohnmethode, ergibt sich für den hier in Rede stehenden Zeitraum (28. 06. bis 03. 08. 1997) ein Betrag von 175,67 DM. Auszugehen ist von dem Nettoverdienst, den der Kläger nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge in diesem Zeitraum erzielt hätte. Diesen kann das Gericht schätzen (§ 287 ZPO). Da die Höhe des klägerischen Einkommens schwankt, ist der Durchschnittsbetrag aus den vorgelegten Verdienstabrechnungen zugrunde zu legen:

April 1997 (Bl. 74 GA): 2.908,94 DM Mai 1997 (Bl. 7 GA): 3.228,32 DM Oktober 1998 (Bl. 67 GA): 3.523,95 DM November 1998 (Bl. 68 GA): 3.233,93 DM Durchschnitt

3.223,79 DM.

Das fiktive Nettoeinkommen für die Zeit vom 28. 06. bis 30. 06., sowie vom 1. 8. bis 03. 08. 1997 errechnet sich wie folgt:

3.223,79 DM/30 × 6 644,76 DM Summe 3.868,55 DM Davon sind Leistungen der AOK Rheinland i.H.v. - 3.692,88 DM (Schreiben der AOK Rheinland vom 15. 01. 1998, Bl. 9 GA) in Abzug zu bringen, so daß ein Schaden von 175,67 DM

verbleibt. Der in der Klageschrift angegebene "Nettobetrag" von 1.800 DM ist nicht nachvollziehbar, da Leistungen der Krankenversicherung abgabenfrei sind (vgl. § 3 Nr. 1a EStG).

5.

Nach alledem errechnet sich der von den Beklagten zu zahlende Betrag wie folgt:

Schmerzensgeld 4.000,00 DM Pflegekosten 3.360,00 DM entgangener Gewinn 175,67 DM Attestkosten 30,00 DM Summe 7.565,67 DM

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlaß (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert des Berufungsverfahrens:

1. Berufung des Klägers:

a) Schmerzensgeld: 4.000,00 DM b) Pflegekosten: 3.360,00 DM

2. Hilfsanschlußberufung der Beklagten:

Entgangener Gewinn: 2.107,91 DM Summe 9.467,91 DM

Gegenstandswert der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme: 3.360,00 DM.

Beschwer des Klägers und der Beklagten: nicht über 60.000 DM.



Ende der Entscheidung

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