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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.02.2000
Aktenzeichen: 22 U 140/99
Rechtsgebiete: VOB/B, BGB, ZPO


Vorschriften:

VOB/B § 6 Nr. 6
BGB § 765
ZPO § 91 a
Leitsätze:

1.

Für einen Schadenersatzanspruch aus § 6 Nr.6 VOB/B hat der Auftraggeber zu beweisen, daß die Ursachen der Verzögerung im Bereich des Auftragnehmers liegen, während dieser sein Verschulden auszuräumen hat; soweit der Auftraggeber jedoch entgangenen Gewinn - hier: Mietausfall - geltend macht, trifft ihn die Beweislast für eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verursachung der hindernden Umstände durch den Auftragnehmer.

2.

Zur Darlegung vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung der hindernden Umstände im Sinne des § 6 Nr.6 VOB/B muß der Auftraggeber konkret vortragen, wann und unter welchen Umständen der Auftragnehmer mögliche Arbeiten unterlassen und damit in besonders grober Weise gegen seine Vertragspflichten verstoßen hat.

3.

Eine Vorauszahlungsbürgschaft sichert den Rückzahlungsanspruch des Auftraggebers für den Fall, daß die erbrachten Leistungen des Auftragnehmers die geleistete Vorauszahlung nicht decken.

4.

Tritt eine Erledigung während der ersten Instanz ein, kann die Hauptsache auch noch im Berufungsverfahren für erledigt erklärt werden.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

22 U 140/99 11 O 197/96 LG Wuppertal

Verkündet am 18. Februar 2000

Tellmann, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, die Richterin am Oberlandesgericht Müller-Piepenkötter und den Richter am Landgericht Galle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlußberufung der Klägerin wird das Urteil des Vorsitzenden der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wuppertal vom 18. Mai 1999 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 244.345,26 DM nebst 5 % Zinsen von 76.192,90 DM ab dem 03. Juni 1996 und von weiteren 168.152,36 DM ab dem 06. August 1996 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 6.000,00 DM Zug um Zug gegen Herstellung einer Kante zwischen Dachschräge und Mittelpfette im 5. Obergeschoß des Hauses A straße 12/16 in W (Stationsbüro, Appartement 506, Raum 500, Flur), die den Anforderungen nach DIN 18 202 (Grenzwert 10 mm auf 4 m) genügt, zu zahlen.

Hinsichtlich des Antrages auf Herausgabe der Originalbürgschaftsurkunden Nrn. und der Z Kautions- und Kreditversicherungs-AG, Frankfurt am Main, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin die Originalbürgschaftsurkunde über 66.352,77 DM der Z Kautions- und Kreditversicherungs-AG, Frankfurt am Main, herauszugeben.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Aufrechterhaltung der Bürgschaften Nrn. und der Z Kautions- und Kreditversicherungs-AG, Frankfurt am Main, über den 10.12.1996 hinaus entstanden ist und noch entsteht.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Anschlußberufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 28 %, die Beklagte 72 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, die dieser selbst zu tragen hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen sie durch Sicherheitsleistung von 393.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen sie durch Sicherheitsleistung von 5.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Vertrag über Trockenbauarbeiten geltend. Am 13.1.1995 erteilte die Beklagte ihr den Auftrag für den Innenausbau an dem Bauvorhaben Seniorenresidenz in Wes. Die Parteien vereinbarten Geltung der VOB/B. Als "im einzelnen ausgehandelt" wurde im Vertrag als Ausführungsfrist die Zeit von der 4. Kalenderwoche 1995 bis zur 19. Kalenderwoche 1995 angegeben. Außerdem wurde eine Vorauszahlung von 90 % des Nettobetrages gegen Vorauszahlungsbürgschaften vereinbart. Auf Angebot, Leistungsverzeichnis, Bauvertrag und Zusätzliche Angebots- und Vertragsbedingungen (Anlagen K1 bis K4) wird wegen der Einzelheiten des Vertragsinhalts Bezug genommen. Die Beklagte leistete eine Vorauszahlung von 938.020,50 DM und erhielt vier Bürgschaften über je 234.505,13 DM.

Die vereinbarte Ausführungsfrist wurde nicht eingehalten. Die Parteien streiten darüber, ob dies von der Klägerin oder von der Beklagten zu vertreten ist. Die Abnahme der Arbeiten erfolgte am 20.9.1995. Dabei wurde ein Mängelprotokoll erstellt, die Klägerin nahm weitere Arbeiten vor und zeigte am 27.9.1995 die Fertigstellung der Mängelbeseitigungsarbeiten an. Am 20.11.1995 leistete die Beklagte noch eine Abschlagszahlung von 1.330,83 DM. Am 26.3.1996 erteilte die Klägerin ihre Schlußrechnung. Sie akzeptiert die von der Beklagten dazu vorgenommenen Kürzungen und hat in erster Instanz eine restliche Werklohnforderung von 87.001,88 DM geltend gemacht.

Von den vier Vorauszahlungsbürgschaften gab die Beklagte zunächst nur eine am 31.8.1995 zurück. Aufgrund der zweiten Bürgschaft forderte sie am 22.7.1996 die Bürgin zur Zahlung von 168.152,36 DM für Schadensersatzansprüche wegen der Verzögerung der Bauausführung auf (Anlage K16). Die Klägerin zahlte am 6.8.1996 diesen Betrag zur Vermeidung der Inanspruchnahme der Bürgin (Anlage BO) und erhielt die zweite Bürgschaftsurkunde zurück. Erst nach Rechtshängigkeit der Klage gab die Beklagte am 11.8.1997, wie die Parteien erstmals in der Berufungsinstanz übereinstimmend vortragen, die letzten zwei Bürgschaften gegen Übersendung einer neuen Bürgschaft über einen Betrag von 66.352,77 DM zurück.

Die Klägerin hat in erster Instanz die restliche Werklohnforderung, Rückzahlung des wegen der Inanspruchnahme der Bürgschaft gezahlten Betrages, eine Schadensersatzforderung wegen Behinderungen bei der Ausführung der Arbeiten, Ansprüche auf Rückgabe der Bürgschaftsurkunden und Schadensersatz wegen verspäteter Rückgabe geltend gemacht. Sie hat behauptet, sie habe sämtliche im Abnahmeprotokoll aufgeführten Mängel beseitigt, und von der Beklagten behauptete Mängel bestritten. Sie hat weiter behauptet, die Verzögerung der Bauarbeiten sei auf unzureichende Vorarbeiten und mangelnde Koordination der Arbeiten durch die Beklagte zurückzuführen gewesen. Dadurch seien ihre Mehrkosten von 127.325,70 DM entstanden, welche sie ebenfalls geltend gemacht hat.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 382.479,94 DM zuzüglich 9,25% Zinsen von 214.327,57 DM für die Zeit vom 3.6.1996 bis zum 5.8.1996 und von 382.479,94 DM seit dem 6.8.1996 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie die Originalbürgschaftsurkunden Nr und Nr. der Z Kautions- und Kreditversicherungs-AG, Frankfurt am Main, herauszugeben,

3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Aufrechterhaltung der vorgenannten Bürgschaften über den 30.10.1995 hinaus entstanden sei und noch entstehe.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat eine Reihe von Mängel der Arbeiten der Klägerin behauptet und deswegen Ansprüche auf Ersatz der Nachbesserungskosten sowie Minderungsansprüche geltend gemacht. Gegen den von ihr noch errechneten restlichen Werklohnanspruch von 8.798,31 DM hat sie die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen der verspäteten Fertigstellung der Arbeiten erklärt und dazu behauptet, die Klägerin hätte die Arbeiten zügig fertigstellen können, sie habe zuwenig Mitarbeiter an der Baustelle eingesetzt, deshalb sei der Fertigstellungstermin nicht eingehalten worden. Dadurch sei ein Mietausfallschaden für zwei Monate in Höhe von etwa 316.666,66 DM entstanden.

Das Landgericht hat Beweis erhoben über von der Beklagten behauptete Mängel sowie darüber, auf welche Umstände die Verzögerung der Bauausführung zurückzuführen war. Es hat durch Urteil vom 18. Mai 1999 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 244.345,26 DM nebst 5% Zinsen aus 76.192,90 DM ab dem 3.6.1996 und aus weiteren 168.152,36 DM ab dem 6.8.1996 zu zahlen, sowie weitere 6.000,00 DM Zug um Zug gegen Beseitigung eines Mangels an der Dachschräge. Weiter hat es die Beklagte verurteilt, die genannten Bürgschaftsurkunden herauszugeben, und festgestellt, daß die Beklagte zum Schadensersatz wegen der Aufrechterhaltung der Bürgschaften über den 10.12.1996 (Zeitpunkt der Rechtshängigkeit) hinaus verpflichtet sei. Es hat dazu ausgeführt, unter Berücksichtigung von festgestellten Mängeln bestehe noch eine Werklohnforderung von 82.192,90 DM, wovon 6.000,00 DM nur Zug um Zug gegen Mängelbeseitigung zu zahlen seien. Ansprüche der Beklagten wegen verspäteter Fertigstellung beständen nicht, weil die Klägerin bewiesen habe, daß sie die Überschreitung des Fertigstellungstermins nicht zu vertreten habe. Deshalb habe die Beklagte auch den Betrag von 168.152,36 DM zu erstatten. Allerdings hat das Landgericht auch der Klägerin die geltend gemachten Mehrkosten wegen der Bauzeitenüberschreitung nicht zuerkannt, weil keine hinreichenden Feststellungen zum Schadensumfang möglich seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Gründe der Entscheidung wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 28.6.1999 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 28.7.1999 eingegangenen und nach entsprechender Fristverlängerung am 20.10.1999 begründeten Berufung.

Sie wendet sich nicht gegen die Berechnung der noch bestehenden Werklohnforderung durch das Landgericht. Insoweit erklärt sie die Aufrechnung mit dem von ihr behaupteten Mietausfallschaden von 316.666,66 DM für zwei Monate und macht geltend, die Beweislast für mangelndes Verschulden an der Verzögerung treffe die Klägerin. Die Beweiswürdigung des Landgerichtes sei insoweit fehlerhaft. Soweit die Klägerin Rückzahlung der geleisteten 168.152,36 DM verlange, liege im übrigen eine Zahlung in Kenntnis der Nichtschuld vor.

Die Beklagte ist der Ansicht, eine Erledigungserklärung der Klägerin hinsichtlich des Antrages auf Rückgabe der bereits zurückgegebenen Bürgschaftsurkunden in zweiter Instanz komme nicht mehr in Betracht, die Klage sei insoweit abzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 18. Mai 1999 die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin erklärt den Rechtsstreit hinsichtlich des Antrages auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunden und der Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten teilweise für erledigt und beantragte nunmehr,

die Beklagte bei Zurückweisung der Berufung im übrigen in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, an sie in die Originalbürgschaftsurkunde Nr. der Z Kautions- und Kreditversicherungs-AG, Frankfurt am Main, über 66.352,77 DM herauszugeben,

und festzustellen,

daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Aufrechterhaltung der drei Bürgschaften Nrn. und der Z Kautions- und Kreditversicherungs-AG, Frankfurt am Main, über den 30.10.1995 hinaus entstanden sei und noch entstehe.

Die Klägerin ist der Auffassung, ein Anspruch wegen Terminsverzuges sei von der Bürgschaft nicht umfaßt, schon deshalb sei die Beklagte zur Rückzahlung des auf die Bürgschaft geleisteten Betrages verpflichtet. Im übrigen bestreitet sie einen Mietausfallschaden der Beklagten und macht geltend, insoweit sei die Beklagte beweispflichtig dafür, daß die Verzögerung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der Klägerin beruhe. Dazu habe sie ebensowenig vorgetragen wie zur Höhe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Dagegen hat die zulässige Anschlußberufung der Klägerin auch in der Sache Erfolg.

I.

Der Klägerin steht die Werklohnforderung in der vom Landgericht zuerkannten Höhe zu.

Insoweit ist, da die Beklagte sich nicht gegen die Höhe der vom Landgericht zuerkannten restlichen Werklohnforderung wendet, allein über die Frage zu entscheiden, ob ihr der im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Mietausfallschaden wegen verzögerter Fertigstellung der Arbeiten der Klägerin zusteht.

Die Erweiterung der Aufrechnung in der Berufungsinstanz ist gemäß § 530 ZPO zulässig, da die Klägerin sich sachlich zu der mit der Aufrechnung geltend gemachten Forderung eingelassen und damit in die Erweiterung eingewilligt hat (§ 267 ZPO analog).

Die zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzforderung steht der Beklagten jedoch nicht zu, da die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des Mietausfallschadens nicht substantiiert dargetan und bewiesen sind. In Betracht kommt allein ein Anspruch aus § 6 Nr. 6 in Verbindung mit § 5 Nr. 4 VOB/B. Die Auffassung der Beklagten, daß sie als Auftraggeber lediglich darzutun und zu beweisen habe, daß die Ursachen für die Verzögerungen im Bereich des Auftragnehmers liegen, dagegen die Klägerin als Auftragnehmerin ihr Verschulden auszuräumen habe, trifft nur grundsätzlich für den Schadensersatzanspruch aus § 6 Nr. 6 VOB/B zu. Etwas anderes gilt gemäß § 6 Nr. 6 VOB/B für den Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinnes. Insoweit trifft den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für eine, vorsätzliche oder grob fahrlässige Verursachung der hindernden Umstände (Motzke in Ganten/Jagenburg/Motzke, VOB/B § 6 Nr. 6 Rdn. 119). Der allein geltend gemachte Mietausfall, also entgangener Ertrag aus dem errichteten Bauwerk, ist ein solcher Anspruch auf entgangenen Gewinn (vgl. Ingenstau/Korbion, 13. Aufl., B § 6 Rdn. 142 m.w.N.).

Vorsatz, der etwa in Betracht kommt, wenn der Auftragnehmer Leute abzieht, weil er an einer anderen Baustelle einen höheren Gewinn erzielen kann, oder grobe Fahrlässigkeit, d. h. ungewöhnlich grobe Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor. Die Zeugen W und K, Mitarbeiter der Klägerin, und P, Mitarbeiter der an der Baustelle tätigen Sanitärinstallationsfirma, haben bestätigt, daß die Arbeiten durch von der Klägerin nicht zu vertretende Umstände, nämlich auf von der Klägerin benötigten Lagerflächen noch gelagertes fremdes Material, unzureichende Vorarbeiten, z.B. fehlende Decken, abgerissene Wände, nicht vergossene Bodendurchbrüche, Nichtfertigstellung der Maurerarbeiten und der Sanitärinstallationen, fehlende Verrohrung, behindert worden seien. Der Zeuge W hat auch angegeben, die von der Beklagten geforderte Verstärkung der Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte um vier weitere Arbeitskräfte sei erfolgt, für diese habe aber keine Beschäftigungsmöglichkeit bestanden. Durch diese eindeutigen Aussagen und die Angaben des in erster Instanz als Zeuge vernommenen Streithelfers S, des bauleitenden Architekten der Beklagten, ist widerlegt, daß der Klägerin Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit anzulasten wären. Der Zeuge S hat zwar ausgesagt, es habe bei der Klägerin am notwendigen Einsatz gefehlt, die Klägerin habe nicht genügend Leute auf der Baustelle gehabt, er sei der Auffassung, die Klägerin hätte die Ausführungsfrist einhalten können, wenn sie genügend Leute auf der Baustelle gehabt hätte. Diese Aussage ist jedoch nicht ausreichend konkret, um grob vertragswidriges Abziehen von Personal von der Baustelle für bestimmte Arbeitstage festzustellen. Außerdem hat der Zeuge auch eingeräumt, daß es einen Bauablaufplan seitens der Bauleitung nicht gegeben habe, kontinuierlicher Bauablauf nicht möglich gewesen und die Arbeiten immer wieder an bestimmten Stellen ins Stocken geraten seien. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte konkret dartun müssen, wann und unter welchen Umständen die Klägerin mögliche Arbeiten unterlassen und dabei in besonders grober Weise gegen ihr Vertragspflichten verstoßen haben soll. Die allgemeine Behauptung, es seien immer wieder Arbeitskräfte von der Baustelle abgezogen worden, reicht dazu nicht aus. Eine Vertragspflichtverletzung ergibt sich insoweit auch nicht aus dem vom Streithelfer mit Schriftsatz vom 20.01.2000 vorgelegten Bautagebuch und dem Hinweis, daß nach dem Vertrag die Klägerin von einer durchschnittlichen Kapazität von zwölf Personen auf der Baustelle ausgegangen sei. Zwar waren nach dem Bautagebuch häufig weniger als zwölf Personen auf der Baustelle tätig, häufig aber auch deutlich mehr, bis zu 22 Personen. Der durch die Aussagen der Zeugen W und K gestützte Vortrag der Klägerin, sie habe Personal nur abgezogen, wenn nicht genügend Arbeit vorhanden gewesen sei, ist dadurch nicht ausgeräumt. Auch soweit der Zeuge S ausgesagt hat, daß die Klägerin mit ihren Leuten bei Behinderungen in einzelnen Stockwerken im Gebäude hätte springen müssen, ist nicht konkret dargetan, wann und in welchem Umfang durch solches "Springen" die Ausführung hätte beschleunigt werden können. Diese Aussage bestätigt vielmehr, daß es Behinderungen gegeben hat, und beweist im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen W, gerade dadurch, daß man von Etage zu Etage gesprungen sei, sei wegen des dafür erforderlichen Umsetzens der Gerüste und des gesamten Materials zusätzlicher Zeitaufwand verursacht worden, daß jedenfalls eine ungewöhnlich grobe Verletzung der im Verkehr anzuwendenden Sorgfalt nicht vorliegt. Auch die ebenfalls mit Schriftsatz vom 20.01.2000 vorgelegten Antworten des Streithelfers auf Behinderungsanzeigen der Klägerin beweisen keine konkreten Vertragsverstöße. Aus ihnen ergibt sich lediglich, daß schon während der Bauausführung Streit zwischen den Parteien bestand, wer die Verzögerungen zu vertreten hätte.

Damit dringt die Beklagte mit der Aufrechnung gegen die Werklohnforderung der Klägerin nicht durch.

II.

Die Beklagte hat auch die von der Klägerin erhaltenen 168.152,36 DM zurückzuerstatten. Der Anspruch ergibt sich aus § 812 BGB, weil die Beklagte durch die Zahlung der Klägerin ungerechtfertigt bereichert ist.

Die Verpflichtung, die die Klägerin mit ihrer Leistung allenfalls erfüllen wollte, bestand nicht. Die Klägerin hat nämlich, wie sie in ihrem Schreiben vom 5.8.1990 eindeutig erklärt hat, die Leistung nicht zur Erfüllung eines eventuellen Schadensersatzanspruches gegen sie erbracht, sondern zur Abwendung der Inanspruchnahme der Bürgin (Anlage BO). Der durch die Bürgschaft gesicherte Anspruch bestand nicht. In dem Bauvertrag war lediglich eine Vorauszahlungsbürgschaft vereinbart (Anlage K1). Diese sichert den Rückzahlungsanspruch des Auftraggebers für den Fall, daß die erbrachten Leistungen des Auftragnehmers die geleistete Vorauszahlung nicht decken (vgl. BGH BauR 1999, 1023), das heißt einen bei Abrechnung der erbrachten Bauleistungen nach Erfüllung oder sonstiger Beendigung des Bauvertrages eventuell sich ergebenden Rückzahlungsanspruch. Entsprechend dieser Vereinbarung heißt es auch in den Bürgschaftsurkunden, die Bürgschaft sichere "eine Vorauszahlung bis zur Tilgung der Vorauszahlung durch Anrechnung auf fällige Zahlungen". Damit ist der Zweck der Bürgschaft eindeutig dahin klargestellt, daß lediglich die Erfüllung des Bauvertrages durch die Klägerin gesichert werden sollte, keine Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche der Beklagten. Dem steht die Entscheidung des OLG Dresden, die Vorauszahlungsbürgschaft erfasse alle Ansprüche des Gläubigers (OLGR Brandenburg/Dresden/Jena/Naumburg/Rostock 1998, 295, 297), nicht entgegen, denn im weiteren führt das OLG Dresden aus, daß die Vorauszahlungsbürgschaft bis zur Fälligkeit der letzten Rate aufrechtzuerhalten sei. Sie erfaßt also auch nach dieser Entscheidung nur die Erfüllung des Vertrages und keine Schadensersatzansprüche. Die Leistungen der Klägerin waren zur Zeit der Inanspruchnahme der Bürgschaft vollständig erbracht und abgenommen und die gesamte Werklohnforderung damit fällig, sie überschritt auch nach dem Ergebnis der Prüfung der Schlußrechnung durch die Beklagte den Wert der Vorauszahlungen.

Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 6 Nr. 6 VOB/B wegen des von der Beklagten geltend gemachten Mietausfallschadens, der Rechtsgrund für ein Behalten der Leistung der Klägerin sein könnte, besteht aus den unter I. dargelegten Gründen nicht. Auch wenn für die Geltendmachung eines Rückzahlungsanspruchs gemäß § 812 BGB den Bereicherungsgläubiger grundsätzlich die volle Beweislast dafür trifft, daß ein Rechtsgrund für die erbrächten Leistungen nicht besteht (vgl. BGH NJW-RR 1992, 1214, 1216), so hat derjenige, der als Rechtsgrund für die Leistung grob fahrlässige Verletzung vertraglicher Pflichten und sich daraus ergebenden Schadensersatzanspruch geltend macht, jedenfalls die Umstände konkret darzutun, aus denen sich die Pflichtverletzung ergeben soll. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nicht gegeben.

Der Rückforderung steht schließlich auch § 814 BGB nicht entgegen. § 814 BGB gilt nur für die Fälle endgültiger freiwilliger und vorbehaltloser Erfüllung einer Nichtschuld (vgl. Palandt-Thomas, BGB, 59. Aufl., § 814 Rdn. 1). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Zum einen ist für die Anwendung des § 814 BGB positive Kenntnis des Nichtbestehens der Verpflichtung erforderlich. Zweifel am Bestehen der Verbindlichkeit schließen die Rückforderung nicht aus (vgl. Thomas, a.a.O., Rdn. 3 m.w.N.). Das Bestehen einer Schadensersatzforderung und des Rechts der Beklagten, dafür die Bürgschaft in Anspruch zu nehmen, ist zwischen den Parteien streitig, so daß schon nicht positive Kenntnis des Nichtbestehens der Verbindlichkeit festgestellt werden kann. Die Klägerin zahlte, wie dargelegt, um die Inanspruchnahme der Bürgin zu verhindern. Wurde die Leistung aber nur zur Vermeidung drohender Nachteile, die sich hier aus der Inanspruchnahme der nur zur Sicherheit gegebenen Bürgschaft z.B. im Hinblick auf die Kreditfähigkeit der Klägerin ergeben konnten, erbracht, so handelte es sich nicht um eine freiwillige vorbehaltlose Leistung auf eine Nichtschuld im Sinne von § 814 BGB (vgl. Thomas, a.a.O., Rdn. 5 m.w.N.).

III.

Die Beklagte ist weiter zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde verpflichtet. Hinsichtlich der während des Rechtsstreits herausgegebenen Bürgschaftsurkunden liegt Teilerledigung vor, diese ist auf den Antrag der Klägerin festzustellen.

In der Änderung der Anträge in Bezug auf die Bürgschaftsurkunden liegt eine gemäß § 521 Abs. 1 ZPO zulässige Anschlußberufung.

Die einseitigen Teilerledigungserklärung, soweit das Landgericht die Beklagte zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunden mit den Endziffern und verurteilt hat, ist noch in der Berufungsinstanz zulässig. Die Erledigungserklärung kann ab Rechtshängigkeit, auch noch in der höheren Instanz, abgegeben werden. Ein zeitliche Grenze besteht nicht (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., § 91 a, Rdn. 36). Das Gesetz verlangt nicht, daß sie alsbald nach Eintritt des erledigenden Ereignisses abgegeben wird.

Das erledigende Ereignis lag, was für die Erledigung der Hauptsache Voraussetzung ist, nach Rechtshängigkeit (9.12.1996), denn die Beklagte hat unstreitig die beiden Urkunden erst am 11.8.1997 herausgegeben.

Es ist auch Erledigung der Hauptsache eingetreten, denn der Klägerin stand aus den unter II. ausgeführten Gründen ab Juli 1996 ein Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunden aus § 812 BGB zu. Entsprechend der Vereinbarung der Parteien sicherten die Bürgschaften lediglich die Vorauszahlungen bis zu deren Tilgung durch Anrechnung auf fällige Zahlungen.

Fälligkeit war hinsichtlich der gesamten Werklohnforderung gemäß § 16 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B zwei Monate nach Zugang der Schlußrechnung eingetreten. Die Schlußrechnung war der Beklagten, wie sich aus der vorgelegten Durchschrift (Anlage K14) ergibt, am 9.5.1996 zugestellt worden.

Der Beklagten stand auch kein Zurückbehaltungsrecht an den beiden Bürgschaftsurkunden zu, weil die Klägerin die im Schreiben vom 5.8.1996 angekündigte reduzierte Bürgschaft noch nicht übersandt hatte, denn aus denselben Gründen, aus denen sie zur Rückgabe der geforderten Bürgschaftsurkunden verpflichtet war, stand ihr kein Anspruch auf die reduzierte Bürgschaft zu.

Soweit die Klägerin nunmehr Herausgabe der Bürgschaftsurkunde mit den Endziffern 00078 über 66.352,77 DM verlangt, liegt eine Klageänderung gemäß § 263 ZPO vor, denn Antrag und Streitgegenstand werden geändert, da nunmehr eine im ursprünglichen Klageantrag nicht genannte Bürgschaftsurkunde herausverlangt wird. Diese Klageänderung ist zulässig, da sie sachdienlich ist. Es handelt sich um denselben Prozeßstoff, die Tatsachen sind geklärt und es kann abschließend entschieden werden, ein neuer Prozeß wird vermieden (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 21. Aufl., § 263, Rdn. 14 m.w.N.).

Auch dieser Antrag ist aus den unter II. und oben unter III. dargelegten Gründen gerechtfertigt.

IV.

Zulässig und begründet ist auch der Antrag der Klägerin auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen verspäteter Herausgabe der Bürgschaftsurkunden.

Die Zulässigkeit des Feststellungsantrages ergibt sich daraus, daß die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, da die letzte Bürgschaftsurkunde noch nicht herausgegeben ist. Solange der Schaden noch nicht endgültig beziffert werden kann, ist der Anspruchsberechtigte nicht gehalten, teilweise Leistungs- und teilweise Feststellungsklage zu erheben (vgl. Greger, a.a.O., § 256 Rdn. 7a m.w.N.).

Der Anspruch besteht jedoch erst ab Rechtshängigkeit, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Ein Schadensersatzanspruch kann sich nur unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 284, 286 BGB ergeben. Da eine verzugsbegründende Mahnung nicht vorgetragen ist, ist Verzug gemäß § 284 Abs. 1 S. 2 BGB mit Klageerhebung eingetreten.

V.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, 352 Abs. 1 HGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da sie mit ihrer Berufung unterliegt und die Klägerin mit ihrer Anschlußberufung voll obsiegt. Dies gilt auch, soweit auf die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin die teilweise Erledigung des Rechtsstreits festzustellen ist, da die Beklagte auch insoweit Klageabweisung beantragt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert für die 1. Instanz: 476.479,94 DM (Zahlung 382.479,94 DM + Herausgabe 90.000,00 DM + Feststellung 4.000,00 DM);

Gegenstandswert für die Berufung:

bis zum 20.1.00: 344.345,26 DM (Zahlung 250.345,26 DM + Herausgabe 90.000,00 DM + Feststellung 4.000,00 DM), ab 21.1.00: 278.345,26 DM (Zahlung 250.345,26 DM + Kosten des erledigten Teils 12.000,00 DM + Herausgabe 12.000,00 DM + Feststellung 4.000,00 DM;

Beschwer der Beklagten: 278.345,26 DM.

Ende der Entscheidung

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