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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 08.09.2000
Aktenzeichen: 22 U 36/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 833
BGB § 847
Leitsätze:

1.

Allein dadurch, daß eine Mutter für den Hund ihrer nicht bei ihr wohnenden Tochter die Haftpflichtversicherungsprämien und die Hundesteuer zahlt, wird sie nicht zur Tierhalterin.

2.

Wer während der Beaufsichtigung eines Hundes aufgrund der Weisung des Tierhalters, daß der Hund wegen einer Krankheit nichts fressen dürfe, verhindern will, daß der Hund an einem Hundeknochen nagt, indem er mit dem Fuß den Knochen aus dem Maul des Hundes stößt und nach dem Knochen greift, dabei jedoch von dem Hund gebissen wird, muß sich ein hälftiges Mitverschulden an seiner Verletzung anrechnen lassen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

22 U 36/00 3 O 314/99 LG Krefeld

Verkündet am 8. September 2000

Tellmann, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, die Richterin am Oberlandesgericht Müller-Piepenkötter und den Richter am Landgericht Fuchs

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 17.2.2000 teilweise abgeändert:

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 2.666,67 DM zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 50 % sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden als Folge des Unfalls vom 5.11.1998 zu ersetzen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 86 %, die Beklagte zu 2) trägt sie zu 14 %. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt diese zu 86 % selbst, zu 14 % trägt sie die Beklagte zu 2). Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt zu 27 % die Beklagte zu 2) selbst, zu 73 % trägt sie die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Sachverhalt:

Die Bekl zu 2 ist Halterin eines Yorkshireterriers. Ihre Mutter, die Bekl zu 1, zahlt für den Hund die Haftpflichtversicherungsprämien und nach der Behauptung der Kl auch die Hundesteuer. Die Bekl zu 2 bat am 5.11.1998 die Kl, in ihrer Wohnung auf den Hund aufzupassen. Da der Hund krank war, erklärte sie der Kl, der Hund solle nichts fressen. Nachdem die Bekl zu 2 die Wohnung verlassen hatte, spielte der Hund mit einem Knochen aus Büffelhaut. Um dies zu unterbinden, stieß die Kl mit dem Fuß dem Hund den Knochen aus dem Maul. Als sie den Knochen aufheben wollte, schnappte der Hund zu. Die Kl erlitt zwei leichte Eindrücke auf der Haut der linken Hand mit Hautritzungen. Drei Tage später hatte sich eine Infektion entwickelt. In der aufgesuchten Krankenhausambulanz wurde eine Gasbrandinfektion festgestellt. Die Wunde wurde geöffnet und bis zum 16.11.1998 offengehalten. Es wurde auch die Möglichkeit einer Amputation erörtert. Anläßlich der Behandlung stellte sich ein Penicillinunverträglichkeit heraus. Die Verabreichung anderer Antibiotika führte zu Darmblutungen.

Der Haftpflichtversicherer der Bekl zu 2 hat an die Kl 3.333,33DM gezahlt. Die Kl begehrt ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 12.000 DM sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist teilweise begründet.

I.

Sie ist unbegründet, soweit in Abänderung des angefochtenen Urteils eine Verurteilung der Beklagten zu 1) begehrt wird. Die Beklagte zu 1) ist nicht Tierhalterin. Tierhalter ist nur, wer die Bestimmungsmacht über das Tier hat, aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt, den allgemeinen Wert und Nutzen des Tieres für sich in Anspruch nimmt und das Risiko eines Verlustes trägt (BGH NJW-RR 88, 655, 656). Dabei ist eine Verwendung des Tieres im eigenen Interesse entscheidend (OLG Saarbrücken, NJW-RR 1988, 1192; LG Wuppertal, MDR 1993, 1064). An einem solchen notwendigen Eigeninteresse der Beklagten zu 1) fehlt es. Diese ist die Mutter der Beklagten zu 2), die das Tier in einer anderen Wohnung allein betreut und beaufsichtigt. Unter diesen Umständen ist eine Teilkostenübernahme für die Haltung des Tieres durch Übernahme der Haftpflicht und - was von der Beklagten zu 1) bestritten wird - der Hundersteuer nicht ausreichend, die Tierhalterhaftung zu begründen. Sie stellt sich insbesondere aufgrund des persönlichen Näheverhältnisses der Beklagten zu 1) zu ihrer Tochter nicht als eigenes Interesse dar, sondern als wirtschaftliche Zuwendung an die Tochter, um dieser die Haltung des Tieres zu ermöglichen.

II.

Die Berufung ist teilweise erfolgreich hinsichtlich der Beklagten zu 2). Insoweit steht der Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 2.666,67 DM aus §§ 833 Satz 1, 847 BGB zu.

Der Hundebiß ist ursächlich geworden für die anschließenden Verletzungsfolgen. Eine solche Ursächlichkeit liegt zunächst auch dann vor, wenn eine Infizierung der Wunde mit dem Gasbranderreger erst zu einem späteren Zeitpunkt auf der Baustelle des Freundes der Klägerin erfolgt sein sollte. Auch in diesem Fall ist die anschließende weitere Verletzungsfolge noch von der Ausgangsverletzung erfaßt. Dabei ist von Bedeutung, daß keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, daß durch Arbeiten, die von der Klägerin ausgeführt wurden, eine neuerliche Verletzung entstanden ist.

Die Klägerin muß sich jedoch ein Mitverschulden bei der Schadensentstehung, welches der Senat mit 50 % bemißt, anrechnen lassen. Die Klägerin hat sich bei der Entfernung des Kauknochens nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und verständigen Menschens verhalten. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin als Tieraufseherin anzusehen ist, wogegen der Umstand spricht, daß sie nur für kürzere Zeit und nur in der Wohnung der Beklagten zu 2.) auf das Tier achten sollte. Die Übernahme der Tieraufsicht führt nicht dazu, daß Ansprüche aus der Tierhalterhaftung entfallen (vergl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1991, 1192 ff, OLG Hamm, VersR 1975, 865), sondern zu einer im Rahmen des § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung, in wieweit der Schaden vorwiegend auf der Tiergefahr oder der Verletzung der Aufsichtspflicht beruht.

Dabei ist der Versuch der Klägerin, den Kauknochen zu entfernen, noch nicht als Verschulden anzusehen, da sie Anlaß zu einem Eingreifen hatte. Ihr war aufgegeben worden, zu verhindern, daß der Hund Futter zu sich nahm. Damit war zunächst erkennbar zwar gemeint, daß die Klägerin nicht den Hund selber füttern sollte. Gleichwohl war es unter der gegebenen Anweisung verständlich und nachvollziehbar, daß die Klägerin versuchen wollte, den Knochen, der grundsätzlich, wenn auch erst über längere Zeitdauer, verzehrbar war, zu entfernen. Schließlich war ihr von der Beklagten zu 2) mitgeteilt worden, daß ein Freßverbot bestehe und sie deshalb mitgebrachte "Hundeleckerli" nicht verfüttern durfte (Bl. 29 GA). Dann war aber auch nachvollziehbar, daß die Klägerin sich verpflichtet fühlte, ein Nagen an dem Hundeknochen zu verhindern. Bei der Durchführung dieses Vorhabens hat die Klägerin allerdings nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen, um sich selbst zu schützen. Sie hat, ohne daß sie zuvor anderweitige Anstrengungen unternommen hat, mit Gewalt versucht, dem Hund den Hundeknochen zu entfernen. Insbesondere war es unvorsichtig, nachdem dies durch einen Fußtritt zunächst gelungen war, sofort nach dem noch im näheren Bereich liegenden Knochen zu greifen, da die Klägerin damit rechnen mußte, daß der Hund Anstrengungen unternehmen würde, um den Knochen wieder zu erlangen. Ein verständiger Mensch hätte zunächst beobachtet, ob der Hund noch weiter auf den Knochen Zugriff nehmen wollte. Er hätte ggbfs. den Hund zunächst angeleint oder in einen anderen Raum verbracht, jedenfalls aber nicht ohne weiteren Schutz versucht, den Knochen zu greifen, an dem der Hund erkennbar Interesse hatte. Auch war für die Klägerin erkennbar, daß keine besondere Gefahr bestand, wenn der Hund kurzzeitig an dem Knochen nagen würde. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes war sie gehalten, die Wegnahme des Knochens vorsichtig zu erwirken und ggf. sogar zu unterlassen, wenn ein Widerstand des Tieres noch zu erwarten war. Dabei liegt die entscheidende Pflichtverletzung in dem Aufgreifen des Knochens, so daß die näheren Umstände, wie der Knochen aus dem Maul des Hundes entfernt wurde, die zwischen den Parteien strittig sind, dahinstehen können.

Die Mithaftung der Klägerin ist mit 50 % zu bemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß mit einem Versuch des Hundes, den Knochen wieder zu erlangen, zu rechnen war und dabei - sogar ohne daß das Tier eine Verletzung herbeiführen wollte - eine solche schnell möglich war. Andererseits kannte die Klägerin das Tier, von dem eine besondere Aggressivität nicht bekannt ist, so daß die Reaktion nicht zwangsläufig war und sich auch als typische Tiergefahr darstellt. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Klägerin sich durch den Auftrag der Beklagten zu 2) verpflichtet fühlte, den Knochen wegzunehmen. Unter diesen Umständen stellen sich die Pflichtverletzung der Klägerin und die verwirklichte Tiergefahr als gleichwertig dar.

Die Klägerin muß sich ein weiteres Mitverschulden im Hinblick auf den Krankheitsverlauf und seine schweren Auswirkungen nicht anrechnen lassen. Das zunächst vorhandene Verletzungsbild bestand aus zwei Zahneindrücken mit einer Hautritzung (Bl. 30 GA). Das bot keinen Anlaß, einen Arzt aufzusuchen. Dieser hätte über eine allgemeine Desinfizierung hinaus, die aber nicht zwingend erforderlich ist und die auch von der Klägerin selbst vorgenommen wurde, zu diesem Zeitpunkt weitergehende Maßnahmen nicht treffen können. Insbesondere konnten zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Feststellungen zu dem Gasbrand getroffen werden, da sich diese Erkrankung erst unter Sauerstoffabschluß bildet. Auch soweit, wie von den Beklagten behauptet, sich einen Tag später eine Dunkelverfärbung der Bißstelle und deutlich sichtbare Nässung gezeigt haben sollte (Bl. 31, 45 GA), bot dies keinen Anlaß, unverzüglich nun einen Arzt aufzusuchen. Eine Verfärbung nach Biß ist ein übliches Erscheinungsbild, auch ein Nässen der Wunde kann bei einem normalen Verlauf der Wundheilung auftreten. Der Klägerin kann daher nicht angelastet werden, daß sie sich nicht sofort in ärztliche Behandlung begeben hat. Nach Auftreten massiverer Beschwerden hat sie unverzüglich ein Krankenhaus aufgesucht.

III.

Unter Berücksichtigung der Verletzungsfolgen sowie des anzurechnenden Mitverschuldens in Höhe von 50 % erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 6.000 DM angemessen. Für die Höhe des Schmerzensgeldes sind der 16-tägige stationäre Aufenthalt vom 8.11. bis zum 24.11.1998, die sich daran anschließende Erwerbsunfähigkeit von 100 % bis zum 11.1.1999 sowie die krankengymnastische Nachbehandlung bis zum 3.12.1998 zu berücksichtigen. Darüber hinaus trägt das zuerkannte Schmerzensgeld dem Umstand Rechnung, daß eine Nachbehandlung der Klägerin mit Antibiotika zu erfolgen hatte. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch berücksichtigt, daß eine weitere Behandlung zur Narbenbeseitigung erforderlich wird und die Klägerin die Durchführung dieser Operation ausweislich der Überweisung der behandelnden Fachärztin (Bl. 102 GA) vornehmen lassen wird. Dabei handelt es sich nach dem Überweisungsschein um eine handchirurgische Maßnahme. Für weitergehende Einschränkungen bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Die Bescheinigung der behandelnden Fachärztin vom 7.12.1999 beschränkt sich auf die vorhandene Narbenbildung. Hierzu ist in der Bescheinigung ausgeführt, daß diese evtl. noch einer Korrektur bedarf. Von weitergehenden verbliebenen Verletzungsfolgen ist dort nicht die Rede. Soweit im Zusammenhang mit der Narbe von der Klägerin eine rezidivierende Kälteempfindlichkeit, Schwellneigung und gelegentliche Kraftlosigkeit gerügt wird, ist ausweislich der ärztlichen Bescheinigung vom 17.1.00 (Bl. 121 d. GA) davon auszugehen, daß sich diese subjektiv geäußerten Beschwerden reduzieren werden und keine erhebliche dauernde Beeinträchtigung darstellen. Die allgemeine Behauptung der Klägerin, es seien darüber hinaus noch Dauerschäden vorhanden (Bl. 90, 91 GA), ist nicht substantiiert dargelegt.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist zu berücksichtigen, daß dieses keine Genugtuungsfunktion entfalten muß, da die Beklagte zu 2.) allein aus dem Gesichtspunkt verschuldensunabhängiger Gefährdung haftet (vergl. auch OLG Saarbrücken, NJW-RR 1988, 1492, 1494). Damit erscheint - unter Berücksichtigung des Mitverschuldens der Klägerin - ein Gesamtschmerzensgeld in Höhe von 6.000 DM angemessen. Auf dieses ist von dem Haftpflichtversicherer für die Beklagte zu 2) ein Betrag in Höhe von 3.333,33 DM geleistet worden, so daß noch ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 2.666,67 DM verbleibt.

IV.

Der Feststellungsantrag ist hinsichtlich der Beklagten zu 2) zulässig und begründet. Auch wenn die weitere Operation zur Reduzierung der Narbenbildung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits durchgeführt war, kann nicht ausgeschlossen werden, daß über den bereits im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigten allgemeinen Verlauf einer solchen Korrekturoperation hinaus Schäden entstehen, da der Heilungsverlauf noch nicht abgeschlossen ist. Dies stellt ein ausreichendes Feststellungsinteresse dar. Bei der Bemessung eines zukünftigen Schadens ist das Mitverschulden der Klägerin in Höhe von 50 % zu berücksichtigen.

Durch den weiteren Behandlungsverlauf sind auch materielle Schäden, z.B. durch Aufwendungen bei der Nachsorge, denkbar. Auch insoweit ist der Feststellungsantrag mithin begründet.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO. Dabei ist hinsichtlich des Feststellungsantrags berücksichtigt, daß die Klägerin in soweit nicht in vollem Umfang obsiegt hat, sondern sich ein hälftiges Mitverschulden anrechnen lassen muß.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert: 14.500 DM.

Beschwer der Klägerin: 10.583,33 DM.

Beschwer der Beklagten zu 2: 3916,67 DM.

Ende der Entscheidung

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