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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.11.1999
Aktenzeichen: 22 U 39/99
Rechtsgebiete: BGB, StGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266a
ZPO § 138 Abs. 4
§ 823 Abs. 2 BGB § 266a StGB § 138 Abs. 4 ZPO

1. Der für § 266a StGB erforderliche Vorsatz des Geschäftsführers einer GmbH ist zu bejahen, wenn er nach Abgabe einer Dauerbeitragsnachweisung Veränderungen der Höhe der Gehaltszahlungen und der Anzahl der Arbeitnehmer der Einzugsstelle nicht mitteilt; denn jeder Unternehmer kennt die Verpflichtung zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge.

2. Ein Rechtsanwalt, der von seinem früheren Mandanten auf Schadenersatz in verklagt wird, weil er einen angeblichen Anspruch hat verjähren lassen, kann die prozessualen Vorteile des § 138 Abs. 4 ZPO für sich in Anspruch nehmen, auch wenn diese dem Schuldner in einem fiktiven Vorprozeß versagt gewesen wären.

Sch war Geschäftsführer der R GmbH. Über deren Vermögen wurde im Juli 1994 das Konkursverfahren eröffnet. 1995 beauftragte die Kl die beklagten Rechtsanwälte, gegen Sch einen Anspruch wegen nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung geltend zu machen. Die Bekl unternahmen nichts zur Verjährungsunterbrechung, so daß sich Sch 1997 auf Verjährung berief. Deshalb nimmt die Kl die Bekl auf Schadenersatz in Höhe von 20.662,48 DM in Anspruch. Die Bekl machen geltend, ein Prozeß gegen Sch wäre u.a. deshalb nicht erfolgreich gewesen, weil Sch nicht vorsätzlich gehandelt habe. Sie bestreiten mit Nichtwissen, daß Sch nach einer Dauerbeitragsnachweisung Änderungen nicht mitgeteilt habe. Das LG hat der Klage stattgegeben.

OLG Düsseldorf Urteil 12.11.1999 - 22 U 39/99 - 9 O 255/98 Landgericht Duisburg


hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 22.10.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, die Richterin am Oberlandesgericht Müller-Piepenkötter und den Richter am Landgericht Galle für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 1 und 3 wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 21. 01. 1999 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist begründet. Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrags. Es kann dahinstehen, ob die Beklagten ihre Sorgfaltspflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt haben, indem sie es unterlassen haben, nach Eingang des Schreibens vom 20. 06. 1995 (Bl. 14 GA) den Anspruch gegen den Zeugen Sch. unverzüglich - insbesondere innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist aus § 852 Abs. 1 BGB - gerichtlich geltend zu machen. Die Klägerin hat nicht bewiesen, daß das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten für den durch den Forderungsausfall entstandenen Schaden ursächlich war. Die Ursächlichkeit ist nur dann gegeben, wenn eine fiktive, in unverjährter Zeit erhobene Klage gegen den Zeugen Sch. erfolgreich gewesen wäre. Das ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Fall.

Eine fiktive Klage gegen den Zeugen Sch. wäre auf einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB zu stützen gewesen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist § 266a StGB Schutzgesetz jedenfalls zugunsten der Sozialversicherungsträger (BGHZ 133, 370 (374); 134, 304 (307); OLG Düsseldorf OLGR 1998, 71 ff.). Die Klägerin ist als Einzugsstelle im Sinne des § 28 h Abs. 1 SGB IV für den Einzug der Sozialversicherungsbeiträge nach § 28 i SGB IV zuständig, mithin zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB aktivlegitimiert.

Der objektive Tatbestand des § 266a StGB - unterlassene Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen - ist erfüllt. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, daß die Fa. R. GmbH von 1990 bis zur Konkurseröffnung (01. 07. 1994) ständig zu niedrige Arbeitnehmerbeiträge gezahlt hat, wodurch Rückstände in Höhe von 80.089,07 DM aufgelaufen sind (Schreiben vom 12. 10. 1998, Bl. 65/66 GA), die durch die unstreitigen Zahlungen aus der Konkursmasse (59.426,59 DM) nur zum Teil ausgeglichen werden konnten.

Des weiteren muß der subjektive Tatbestand des § 266a StGB erfüllt sein. Für den in dieser Vorschrift vorausgesetzten Vorsatz ist das Bewußtsein und der Wille erforderlich und ausreichend, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen (BGHZ 133, 370 (381); OLG Düsseldorf, a.a.O.). Hat der Zeuge Sch., wie von der Klägerin behauptet, Veränderungen bei der Höhe der Gehaltszahlungen und der Anzahl der Arbeitnehmer nicht mitgeteilt, ist ein solcher Vorsatz gegeben. Eine fahrlässige Unterlassung ist auszuschließen, da jeder Unternehmer die Verpflichtung zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge kennt.

Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22. 10. 1999 geäußerten Rechtsauffassung haben, die Beklagten diese Behauptung erheblich bestritten, indem sie pauschal behauptet haben, der Zeuge Sch. habe jede Veränderung der Gehaltshöhe und des Personalbestandes mitgeteilt. Es war nicht zu verlangen, daß die Beklagten die Einzelheiten der Änderungsmitteilungen (Zeitpunkt, Inhalt) darlegen. Zu Recht sind sie der Auffassung, den Vortrag der Klägerin mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) bestreiten zu können (die pauschale Behauptung, alle Veränderungen der Gehälter und des Personalbestandes angezeigt zu haben, steht einem Bestreiten mit Nichtwissen gleich). Der behauptete Vorgang (Unterlassen der Änderungsmitteilungen) spielte sich außerhalb ihrer Wahrnehmung ab. Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß der Zeuge Sch., wäre es zu einem Schadensersatzprozeß gegen ihn gekommen, die Einzelheiten der Änderungsmitteilungen hätte darlegen müssen, die Beklagten mithin nicht besserstehen dürfen. Im Regreßprozeß handelt es sich um einen eigenständigen Streitgegenstand, der in einem eigenständigen Verfahren geltend gemacht wird (BGH NJW 1984, 1240). Demgemäß können die Beklagten die prozessualen Vorteile des § 138 Abs. 4 ZPO für sich beanspruchen, auch wenn diese dem Zeugen Sch. in einem fiktiven Vorprozeß versagt gewesen wären.

Hat der Zeuge Sch., wie von den Beklagten behauptet, die Änderungsmitteilungen eingereicht, so ist ein vorsätzliches Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen nicht festzustellen. Obwohl die Dauerbeitragsnachweisung der Vereinfachung diente, war vom Zeugen Sch. die Überprüfung der abgebuchten Beitragshöhe zwar zu erwarten. Es mag auch sein, daß ihm die jahrelangen Differenzen zwischen angemeldeten und abgebuchten Beiträgen hätten auffallen können oder müssen. Indes reicht die nur fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes aus § 266a StGB nicht aus.

Der Ausgang des fiktiven Vorprozesses hängt demnach von der Frage ab, ob der Zeuge Sch. der Klägerin Veränderungen bei der Höhe der Gehaltszahlungen und der Anzahl der Arbeitnehmer nicht mitgeteilt hat. Die Beweislast trägt die Klägerin. Der Vorsatz läßt sich nicht im Wege des Anscheinsbeweises aus dem Bestehen erheblicher Zahlungsrückstände herleiten. Bei Vorsatztatbeständen finden die Regeln über den Anscheinsbeweis keine Anwendung, da für willensgesteuertes, strafbares Handeln keine Typizität angenommen werden kann (BGHZ 104, 256 ff.).

Der Klägerin ist der Beweis nicht gelungen. Die Aussage des Zeugen Dr. S. war unergiebig. Der Zeuge, der damals als Konkursverwalter im Konkurs der Fa. R. GmbH tätig war, konnte keine Angaben dazu machen, ob der Zeuge Sch. der Klägerin Änderungsmitteilungen übersandt hat. Der Zeuge Sch. hat bekundet, er habe die jeweiligen Veränderungen jedenfalls in den Jahresmeldungen angezeigt; weitere Einzelheiten hat er nicht angegeben. Auch aus den beigezogenen Akten (Strafakte Staatsanwaltschaft Duisburg 2 Js 361/94 = Amtsgericht Mülheim/Ruhr 8 Ls 20/95; Konkursakte Amtsgericht Duisburg 43 N 115/94) läßt sich nicht entnehmen, daß der Zeuge Sch. die Änderungsmitteilungen unterlassen hat. Ziffer 2 der Verfügung des Staatsanwalts Sc. vom 02. 02. 1995 (Bl. 216/217 der Strafakte) läßt eher darauf schließen, daß die Aussage des Zeugen Sch., er habe jedenfalls Jahresmitteilungen gemacht, zutreffend ist. In dem Vermerk ist ausgeführt, Herr P. von der AOK Rheinland habe erklärt, daß die Gemeinschuldnerin die Jahresmitteilungen für 1991 bis 1993 abgegeben habe; ob sie pünktlich eingereicht worden seien, könne er nicht feststellen. Es hätten sich "Unstimmigkeiten" zwischen der Beitragsnachweisung und der Jahresmitteilung 1992 ergeben, die die Klägerin veranlaßt habe, Überprüfungen durchzuführen. Hieraus ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die Behauptung der Klägerin, der Zeuge Sch. habe Veränderungen zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt (Bl. 153 GA), unzutreffend ist. Zumindest aus der Jahresmitteilung für das Jahr 1992 war zu erkennen, daß beitragsrelevante Veränderungen stattgefunden hatten, andernfalls hätten keine "Unstimmigkeiten" zwischen der Dauerbeitragsnachweisung und der Jahresmeldung auffallen können.

Der in der Verhandlung vom 22. 10. 1999 gestellte Beweisantrag der Klägerin ist verspätet und daher zurückzuweisen, §§ 527, 520 Abs. 2, 296 Abs. 1 und 4 ZPO. Die Klägerin hatte ihre Verteidigungsmittel innerhalb der bis zum 19. 07. 1999 gesetzten Frist zur Berufungserwiderung (Bl. 136, 141, 146 GA) vorzubringen. Die Zulassung des Beweisantrags würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen, da die Anberaumung eines weiteren Termins zur Beweisaufnahme und mündlichen Verhandlung unvermeidlich wäre. Genügende Entschuldigungsgründe hat die Klägerin nicht vorgetragen. Unzutreffend ist ihr Vortrag, erst in der mündlichen Verhandlung habe sich herausgestellt, daß es auf die Existenz der Änderungsmitteilungen ankomme. Die Klägerin hat die Relevanz dieser Frage in ihrer Berufungsbeantwortung selbst erkannt (vgl. S. 7 Abs. 3 der Berufungsbeantwortung = Bl. 153 GA). Aus Ziff. IV der Verfügung vom 10. 08. 1999 (Bl. 161/162 GA) war zudem zu erkennen, daß der Senat der Frage prozeßentscheidende Bedeutung beimißt. Die Klägerin hatte zwischen dem 13. 8. 1999 (Zugang der Verfügung, vgl. Bl. 165 GA) und dem Verhandlungstermin mehr als ausreichend Zeit, ihren Mitarbeiter H. als Zeugen nachzubenennen oder als präsenten Zeugen zu stellen.

Der Schriftsatz der Klägerin vom 8. 11. 1999 gibt dem Senat keinen Anlaß, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlaß (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert für die Berufungsinstanz und zugleich Beschwer der Klägerin: 20.662,48 DM.

Ende der Entscheidung

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