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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.08.2001
Aktenzeichen: 22 U 9/01
Rechtsgebiete: UmweltHG, BGB


Vorschriften:

UmweltHG § 1
UmweltHG § 6
BGB § 823
1.

Voraussetzungen der widerlegbaren Vermutung des § 6 Abs. 1 UmweltHG, dass ein Schaden - hier: Flugrost an Kraftfahrzeugen - durch eine bestimmte Anlage im Sinne von § 1 UmweltHG verursacht worden ist, sind die abstrakte und die konkrete Eignung dieser Anlage, den Schaden zu verursachen; Darlegung und Beweis der abstrakten und der konkreten Kausalität obliegen dem Anspruchsteller.

2.

Bei einem Anspruch aus § 823 BGB wegen durch Schadstoffemissionen verursachter Schäden kommt eine Beweiserleichterung oder -umkehr für die Kausalität in Betracht, wenn eine Überschreitung der durch Verwaltungsvorschriften oder durch Bestimmungen und Auflagen der Betriebsgenehmigung festgelegten Emissionswerte feststeht.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

22 U 9/01

Verkündet am 17. August 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, die Richterin am Oberlandesgericht Müller-Piepenkötter und die Richterin am Landgericht Fuhr

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 7. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Kl betreibt ein Transportunternehmen. Sie hat ihre Fahrzeuge auf einem Hofgelände in einem Industriegebiet in D abgestellt. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Grundstück der Bekl, auf dem einerseits die Bekl selbst ein Stahlwerk und einen Hochofen betreibt und andererseits die Firma D Schlacken aufbereitet. Die Kl behauptet, am 13./14.3.1999, 30.4.1999, 19.6.1999 und an drei weiteren nicht näher bezeichneten Tagen im September, Oktober und November 1999 seien durch Metallstücke oder Metallspäne, die im Werk der Bekl ausgeworfen worden seien, Flugrostschäden an ihren Fahrzeugen entstanden. Deren daraufhin erforderliche spezielle Reinigung habe insgesamt 11.367,50 DM gekostet. Diesen Betrag verlangt sie von der Bekl als angeblicher Verursacherin ersetzt. Die Bekl bestreitet eine Verursachung der behaupteten Beschädigungen durch ihren Betrieb, da diese bei störungsfreiem Lauf ihrer Anlagen auszuschließen sei und Betriebsstörungen nicht eingetreten seien. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung der Kl bleibt erfolglos.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz der für die Reinigung ihrer verschmutzten Fahrzeuge aufgewandten Kosten ist nicht gem. §§ 1, 6 UmwHG, die als Anspruchsgrundlage hier vorrangig in Betracht kommen, begründet. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Fahrzeuge der Klägerin durch Umwelteinwirkungen beschädigt wurden, die von dem von der Beklagten betriebenen Stahlwerk (das eine Anlage gem. Ziff. 30 des Anhangs 1 zum UmwHG darstellt) ausgingen.

§ 6 Abs. 1 UmwHG erleichtert dem Geschädigten den Kausalitätsnachweis, indem er eine widerlegbare Vermutung dafür, dass ein Schaden durch eine bestimmte Anlage i.S. von § 1 UmwHG verursacht wurde, aufstellt. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Anlage abstrakt geeignet ist, einen Schaden dieser Art zu verursachen. Hinzu kommen muss ferner eine nach den Gegebenheiten des Einzelfalles sog. konkrete Eignung, d.h. es müssen konkrete Umstände gegeben sein, die es möglich erscheinen lassen, dass der Schaden gerade durch diese bestimmte Anlage hervorgerufen ist (Landsberg/Lülling, Umwelthaftungsrecht, § 6 Rdnr. 51). Für letzteres kommt es u.a. auf die zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten, also z.B. die zeitliche Distanz oder Nähe zwischen dem Emissionsvorgang und dem Schadensfall und die Wetterbedingungen im Zeitpunkt der schädlichen Imissionen an (Senatsurt. v. 10.12.1993, NJW-RR 1994, 1181, 1182 = VersR 1995, 551; Schmidt-Salzer, § 6 UmwHG Rdnr. 55). Die Darlegung und ggf. der Beweis der abstrakten und konkreten Kausalität obliegt dem Anspruchsteller (Schmidt-Salzer, § 6 UmwHG Rdnr. 51). Unter Berücksichtigung vorgenannter Grundsätze bestehen zwar im vorliegenden Fall keine Zweifel an der abstrakten Eignung des von der Beklagten betriebenen Stahlwerks für die von der Klägerin geschilderten Schäden. Jedoch ist die konkrete Eignung - auch nach einem entsprechenden Hinweis des Senats an die Klägerin - nicht hinreichend schlüssig dargetan worden. Die Klägerin trägt lediglich vor, dass sich ihr Hofgelände neben dem Werk der Beklagten befinde, ohne zu den örtlichen Verhältnissen nähere Angaben zu machen. Solche ergeben sich weder aus dem von der Klägerin mit Schriftsatz vom 25.6.2001 überreichten Stadtplanauszug (Bl. 101 d.A.) noch aus ihrer Angabe, das Gelände der Beklagten beginne in einem Abstand von 200 m von der Straße, auf der der Betrieb der Klägerin angesiedelt sei (Bl. 100 d.A.). Hierdurch werden nicht die räumlichen Verhältnisse der Anlage (auf das Gelände kommt es insofern nicht an) zum Schadensort verdeutlicht. Die Wetterbedingungen sind mit der Formulierung "entsprechende Windverhältnisse" ebenfalls nur unzureichend umschrieben worden. Soweit sich aus den Bekundungen des Zeugen O ergibt, dass die Luftverunreinigungen aus Kaminen, die sich auf dem Gelände der Beklagten ca. 1.800 m entfernt befinden, stammen, hat die Klägerin sich diese Angaben nicht zu eigen gemacht, ebenso wie die weitere Bekundung des Zeugen O, dass der Staub und die Eisenteile immer bei Wind aus nordöstlicher Richtung niedergehen würden. Darüber hinaus hat die Klägerin nur drei der insgesamt sechs geltend gemachten Schadensfälle zeitlich konkret eingeordnet; die Zeitangaben zu den übrigen Schadensfällen sind zu großräumig, als dass sie der Beklagten die Widerlegung der Vermutung durch den Nachweis des bestimmungsgemäßen Gebrauches gem. § 6 Abs. 2 UmwHG ermöglichten (vgl. Senatsurt. v. 10.12.1993, a.a.O.).

Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 BGB (den das Landgericht offensichtlich als allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlage im Auge hatte), im Rahmen dessen die Klägerin darzulegen und nachzuweisen gehabt hätte, dass vom Werk der Beklagten ausgehende Schadstoffemissionen die behauptete Rechtsgutverletzung verursacht haben. Eine Beweiserleichterung für die Kausalitätsfrage, ggf. auch eine Beweislastumkehr, kommen bei einem Anspruch aus unerlaubter Handlung in Betracht, wenn eine Überschreitung der durch Verwaltungsvorschriften (auch durch die Bestimmungen und Auflagen im Rahmen einer Betriebsgenehmigung) festgelegten Emissions- und Immissionswerte feststehen würde (BGH, Urt. v. 18.9.1984, NJW 1985, 47, 48; BGH, Urt. v. 17.6.1997, NJW 1997, 2748). Letzteres wird von der Klägerin, die pauschal ein störungsfreies Arbeiten der Anlage der Beklagten bestreitet (Bl. 23 d.A.), jedoch nicht behauptet. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 10.12.1993 (a.a.O.) Beweiserleichterungen im Wege des sog. Indiziennachweises für möglich gehalten hat, können auch diese hier der Klägerin nicht zugutekommen, da sie keine Indizien, z.B. parallele Schadensfalle vorträgt. Die Bekundungen des Zeugen K (die sich die Klägerin im übrigen nicht zu eigen gemacht hat), beziehen sich auf einen Zeitraum nach den von der Klägerin geltend gemachten Schadensfällen. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht (vgl. Protokoll der Sitzung vom 9.11.2000, Bl. 49 d.A.) angegeben, seit ca. einem Jahr einen Betrieb in der Nachbarschaft der Klägerin zu haben.

Auch die Bekundungen des Zeugen R, der ebenfalls Verunreinigungen auf seinem Gewerbegelände durch vom Gelände der Beklagten herrührende Schadstoffwolken bestätigt hat, sind als Indizien unergiebig, weil mangels konkreter Zeitangaben eine Parallelität zu den Schadensfällen der Klägerin nicht feststellbar ist. Als Indiz für eine Verursachung der Beklagten reicht es insofern auch nicht aus, dass diese die Reinigungskosten für Fahrzeuge anderer Firmen und Privatfahrzeuge übernommen haben soll. Rückschlüsse auf eine Verantwortlichkeit der Beklagten für die hier streitgegenständlichen Schäden aus dem Jahre 1999 können daraus nicht gezogen werden. Darlegungs- und Beweiserleichterungen für die Klägerin können auch nicht durch eine Anwendung des § 287 ZPO, die im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität abzulehnen ist (BGH, Urt. v. 28.4.1982, NJW 1983, 998, 999; OLG Köln, Urt. v. 3.12.1992 OLGR 1993, 36, 38; Zöller, 22. Aufl., § 287 ZPO Rdnr. 3; MünchKomm.-Prütting, 2. Aufl., § 287 ZPO Rdnr. 10) oder eine Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis angenommen werden. Der Anscheinsbeweis setzt einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und so sehr das Gepräge des Üblichen und Gewöhnlichen trägt, dass die besonderen Umstände des einzelnen Falles in ihrer Bedeutung zurücktreten (BGH, Urt. v. 18.3.1987, BGHZ 100, 214, 216; OLG Köln, Urt. v. 3.12.1992, OLGR 1993, 36, 37). Ein derartiger Sachverhalt kann hier schon deshalb nicht angenommen werden, weil sich in dem Industriegebiet, in dem die Betriebe beider Parteien angesiedelt sind, zumindest ein weiterer Betrieb (der D) befindet, der, auch wenn die Klägerin ihn als Verursacher ausschließt und in zweiter Instanz nur hilfsweise eine Mitverursachung durch diesen Betrieb unterstellt, als Schädiger in Betracht kommt.

Schließlich ändert - entgegen der Ansicht der Klägerin in der Berufungsbegründung - auch die Vorschrift des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB im vorliegenden Fall an den grundsätzlichen Darlegungs- und Beweisanforderungen nichts. Denn die Anwendbarkeit dieser Vorschrift setzt voraus, dass jeder von mehreren Schadstoffverursachern den gesamten Schaden herbeigeführt haben kann, nur unklar ist, welche Ursache entscheidend war, oder welche Anteile des Schadens auf welche Ursache zurückzuführen sind (Geigel. Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl., Kap. 1 Rdnr. 37). Es muss jedoch (wie die Klägerin zutreffend auf S. 3 der Berufungsbegründung aus der Kommentierung von Staudinger zitiert) die Beteiligung des in Anspruch Genommenen durch eine gefährliche Handlung, die den Schaden verursacht haben kann, feststehen (vgl. Palandt, 60. Aufl., § 830 BGB Rdnr. 8). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Selbst wenn man, wie der Zeuge S bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet hat (vgl. Protokoll der Sitzung vom 9.11.2000, Bl. 48 d.A.), annimmt, dass es in der Vergangenheit aus dem Werk der Beklagten ab und zu metallische Emissionen gegeben habe, kann aufgrund dessen keine unerlaubte Gefährdungshandlung der Beklagten festgestellt werden, zumal sich daraus nicht ergibt, dass diese Emissionen zu den von der Klägerin behaupteten Schadenszeitpunkten stattgefunden haben und ob sie erlaubte Konzentrationswerte überschritten haben.

Ist somit im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klägerin den vollen Kausalitätsnachweis zu erbringen hat, so ist dieser von ihr nicht erfolgreich geführt worden. Die Aussagen der auf ihren Antrag vom Landgericht vernommenen Zeugen sind zu unbestimmt und zu unqualifiziert, als dass sie für einen Verursachungsbeweis ausreichen konnten. Keiner der Zeugen hat seine Bekundungen in einen zeitlichen Zusammenhang mit den von der Klägerin behaupteten Schadensfällen, soweit sie datumsmäßig näher bestimmt worden sind, stellen können. Auch in räumlicher Hinsicht haben die Bekundungen der Zeugen O, K und R nur ergeben können, dass Schadstoffwolken vom Gelände der Beklagten ausgehen sollen. Ob sie auch vom Werk der Beklagten, die als Handlungsstörerin in Anspruch genommen wird und auf deren Gelände sich eine weitere Anlage befindet, ausgehen, kann gerade nicht festgestellt werden.

Schließlich kommt auch kein Anspruch der Klägerin aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB in Betracht.

Abgesehen davon, dass die Klägerin hier einen Schadensersatz und keinen (an die Grundsätze über die Enteignungsentschädigung angelehnten) Ausgleichsanspruch wegen Beeinträchtigung in der Grundstücksnutzung geltend macht, scheitert eine Inanspruchnahme der Beklagten aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB daran, dass die Schäden an den Fahrzeugen der Klägerin nicht über das von ihr unterhaltene Grundstück und seine Benutzung, sondern durch die Emissionen der Beklagten unmittelbar herbeigeführt worden sein sollen (vgl. BGH, Urt. v. 18.9.1984, NJW 1985, 47).

Der Schriftsatz der Klägerin vom 27. Juli 2001 gibt keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert zweiter Instanz und zugleich Beschwer der Klägerin: 11.367,50 DM.

Ende der Entscheidung

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