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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.11.2001
Aktenzeichen: 23 U 20/01
Rechtsgebiete: StBerG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StBerG § 68
AO § 122 Abs. 1
AO § 122 Abs. 2
AO § 155 Abs. 1 Satz 2
BGB § 209 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 284 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1
ZPO § 693 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Ziffer 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gericht: OLG-Duesseldorf OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

23 U 20/01

Verkündet am 20. November 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 23.10.2001 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dohnke-Kraff, den Richter am Oberlandesgericht Treige und die Richterin am Oberlandesgericht Frechen

für Recht erkannt::

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 05.09.2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.464,52 DM nebst 4 % Zinsen seit 23.02.1999 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten beider Rechtszüge tragen der Kläger 70 % und der Beklagte 30 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist Konditormeister und betreibt in Geldern eine Konditorei nebst Cafe. Der Beklagte war von mindestens 1990 bis September 1997 sein Steuerberater. Im Jahre 1989 baute der Kläger in Geldern ein Einfamilienhaus und nahm zur Finanzierung dieser Baumaßnahme einen privaten Kredit von 514.000 DM auf. Ab 1990 führte er auf Empfehlung des Beklagten zwei Betriebskonten, und zwar ein Konto, auf das er seine Betriebseinnahmen einzahlte, und ein Konto, über das die Betriebsausgaben erfolgten. Mittels Entnahmen vom Einnahmekonto führte er ab 1990 durch mehrere Sondertilgungen seinen Privatkredit zurück und nahm auf dem Ausgabekonto mehrfach Kredite auf, deren Zinsen er in der Folgezeit als Betriebsausgaben steuerlich absetzte. Nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1994 (Betriebsprüfungsbericht vom 06.06.1994, Bl. 13 f GA) erließ das Finanzamt Geldern für die Jahre 1990 bis 1994 Einkommenssteuerbescheide, die unter Aberkennung der Schuldzinsen für die in den Jahren 1990/1991 aufgenommenen Kredite auf dem Ausgabekonto höhere Gewinne ausweisen und eine Steuermehrbelastung des Klägers von insgesamt 34.185,14 DM zur Folge hatten.

Der Kläger hat von dem Beklagten Ersatz für diese Steuermehrbelastung verlangt. Er hat behauptet, der Beklagte habe ihm davon abgeraten, gegen die geänderten Steuerbescheide vom 17.10.1994, 28.10.1994, 07.12.1994, 24.07.1995 und 12.07.1996 Einsprüche einzulegen, und hat die Auffassung vertreten, dass Einsprüche nach den Vorlagebeschlüssen des BFH vom 28.06.1995/19.07.1995 sowie des daraufhin ergangenen Beschlusses des großen Senats des BFH vom 08.12.1997 Erfolg gehabt hätten.

Hilfsweise hat der Kläger seinen Schadensersatzanspruch darauf gestützt, dass der Beklagte nach Veröffentlichung des Beschlusses des großen Senates des BFH vom 08.12.1997 es unterlassen habe, ihn auf seine, des Beklagten, Pflichtverletzung und die Verjährung des primären Schadensersatzanspruches hinzuweisen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 34.185,14 DM nebst 11 % Zinsen seit dem 23.02.1999 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet:

Er habe dem Kläger umfassend über das Zwei-Konten-Modell und die in der Rechtsprechung umstrittene Rechtslage, insbesondere auf das Risiko der Umschuldung eines Privatkredites, die in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Aufnahme eines Betriebskredites stand, sowie über die Möglichkeit, gegen die Einkommenssteuerfestsetzungen Einspruch einzulegen, aufgeklärt. Der Kläger habe sich jedoch nach ausführlicher Erörterung unter Abwägung der Vor- und Nachteile gegen die Erhebung von Einsprüchen entschieden.

Vorsorglich hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme und informatorischer Anhörung der Parteien der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung unter Weiterverfolgung seines Klageabweisungsantrags.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und hat zum überwiegenden Teil auch in der Sache Erfolg.

I.

Die Klage ist nur in Höhe eines Betrages von 10.464,52 DM begründet. In dieser Höhe steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch wegen Nichteinlegung von Rechtsmitteln gegen die Einkommensteuerfestsetzung vom 12.07.1996 zu. Der weitergehende Schadensersatzanspruch, der aus den Steuerbelastungen durch die Einkommensteuerfestsetzungen vom 17.10.1994, 28.10.1994, 07.12.1994 und 24.07.1995 hergeleitet wird, ist unbegründet, weil dem Beklagten insoweit keine Pflichtverletzung zur Last gelegt werden kann.

1.

Ein Steuerberater ist aufgrund des Steuerberatervertrages verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen seines erteilten Mandats nach jeder Richtung umfassend wahrzunehmen. Er muss sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen seines Auftraggebers tunlichst vermeidet. Sind mehrere Wege möglich, um einen erstrebten Erfolg zu erreichen, hat er denjenigen zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist. Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Falles. Wegen der richtungsweisenden Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Rechtswirklichkeit zukommt, hat sich ein Steuerberater bei der Wahrnehmung seines Mandates grundsätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten. Er darf in der Regel auf ihren Fortbestand vertrauen. (BGH NJW 2001, 146 f./148; OLG Düsseldorf, 13. Zivilsenat, Gl 2000, 267 f.). Gleichwohl gibt es Grenzen des Vertrauens auf den Fortbestand einer höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Steuerberater hat abweichende Stimmen im Schrifttum und bei Gerichten der unteren Instanzen zu beachten, wenn sie evident auf eine neue Rechtsentwicklung hinweisen und eine neue Antwort auf bisher nicht entschiedene Fragen nahelegen (OLG Düsseldorf, a.a.O.; zur Anwaltshaftung: BGH NJW 1993, 3323 f.).

Im vorliegenden Fall konnte der Beklagte bis Dezember 1995 davon ausgehen und den Kläger auch entsprechend beraten, dass Einsprüche gegen die nach der Betriebsprüfung für die Jahre 1990-1993 erfolgten Einkommenssteuerfestsetzungen erfolglos sein würden. Er konnte darauf vertrauen, dass die Finanzämter und Finanzgerichte sich an den Runderlass des BMF vom 10.11.1993 und der diesem Runderlass auf der Grundlage des Urteils des großen Senates des BFH v. 04.07.1990 vorangegangenen Rechtsprechung zu abzugsschädlichen Entnahmefinanzierungen u.a. bei Umschuldungsdarlehen (FG Bremen vom 18.08.1992, EFG 1993, 139, rechtskräftig geworden) orientieren würden, auch wenn im Schrifttum ab etwa 1993 (Pfalzgraf/Meyer DStR 12/1993, 1850 f.; Wagenknecht DStR 1994, 1679; Pfalzgreif/Meyer DStR 1/95, 7 f.) kritisch geäußert wurde, der Inhalt des BMF-Briefes stehe mit dem Urteil des großen Senates des BFH vom 04.07.1990 nicht voll in Einklang und lege dies zu restriktiv aus. Diese kritischen Äußerungen ließen nicht mit hinreichender Deutlichkeit den Schluss zu, dass sich die Rechtsprechung abweichend von der Auffassung des BMF zugunsten der Steuerschuldner entwickeln werde. Es kann daher offen bleiben, ob ein Steuerberater die in der Zeitschrift DStR veröffentlichen kritischen Stellungnahmen kennen muss. Die in der Zeitschrift "Der Betrieb", in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Übersichten zu Steuerverfahren beim BFH, BVerFG und EuGH muss ein Steuerberater weder regelmäßig noch zeitnah lesen, da sich hieraus für ihn nur unzureichende Informationen ergeben. Daher ist es für den Beklagten unschädlich, dass das Heft Nr. 8 der Zeitschrift "Der Betrieb", vom 24.02.1995 eine Entscheidung des niedersächsischen FG zum Zwei-Konten-Modell als beim BFH anhängig aufführt.

Beachten musste der Beklagte jedoch die Vorlagebeschlüsse des 11. BFH-Senats vom 28.06.1995 und des 10. BFH-Senats vom 19.07.1995 zum 2- bzw. 3-Konten-Modell, da nicht auszuschließen war, dass der große Senat des BFH nunmehr auch die mittels Umschuldung verursachten Darlehenszinsen trotz zeitnaher Entnahmen als abzugsfähig anerkennen würde. Für die Kenntnisnahme dieser höchstrichterlichen Entscheidungen ist dem Beklagten eine Karenzzeit von vier bis sechs Wochen zuzubilligen (13. Zivilsenat des OLG Düsseldorf, Gl 2000, 269). Diese Karenzzeit lief erst im Februar 1996 ab, da die Vorlagebeschlüsse des 11. und 10. BFH-Senats erst im Dezember 1995 im Bundessteuerblatt und in Fachzeitschriften für Steuerberater (z. B. "Deutsches Steuerrecht" und "Der Betrieb") veröffentlicht worden waren. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Einkommenssteuerfestsetzungen vom 17.10., 18.10. und 07.12.1994 sowie 24.07.1995 bereits rechtskräftig mit der Folge, dass die hierdurch verursachte Steuermehrbelastung des Klägers durch Einsprüche nicht mehr zu verhindern war.

Erfolgsversprechend wäre jedoch ein Einspruch gegen den erst am 12.07.1996 erlassenen Einkommenssteuerbescheid gewesen. Der Beklagte war daher verpflichtet, den Kläger hierauf hinzuweisen, was er unstreitig nicht getan hat.

2.

Es ist zu vermuten, dass der Kläger dem Rat, Einspruch einzulegen, gefolgt wäre, da für ihn bei vernünftiger Betrachtungsweise nur diese Entscheidung nahegelegen hätte, zumal die mit dem Einspruch verbundenen Vorteile die Einspruchskosten deutlich überstiegen. Das Einspruchsverfahren wäre nach der üblichen Handhabung der Finanzverwaltung bis zur Entscheidung des großen Senates des BFH vom 08.12.1997 zum Ruhen gebracht worden und hätte danach unter Beachtung dieser Entscheidung (allein hierauf ist im Regressprozess abzustellen, BGH NJW 2001, 146 f.) zur Aufhebung des Steuerbescheides vom 12.07.1996 geführt. Nach den mit Schriftsatz des Klägers vom 16.10.2001 vorgelegten Kontoauszügen entsprachen die Buchungen auf den zwei Betriebskonten des Klägers den Anforderungen der neuen BFH-Rechsprechung an die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Betriebskosten. Auf dem Entnahmekonto standen im Zeitpunkt der Privatentnahmen, die zur Tilgung des Privatkredites verwandt wurden, jeweils ausreichende Barmittel zur Verfügung. Nach der Entscheidung des BFH vom 08.12.1997 vermochte die zeitliche Nähe zwischen den Privatentnahmen und der Zuführung der Kreditmittel auf das Ausgabenkonto ebenso wenig wie der Umstand, dass die zugeführten Darlehen und die entnommenen Barmittel nahezu gleich hoch waren, etwas daran ändern, dass die durch Darlehen getilgten Kontokorrentschulden zum Betriebsvermögen des Klägers gehörten, und zwar deshalb, weil es nach dieser Entscheidung dem Steuerpflichtigen freigestanden hat, liquide Betriebsmittel einer privaten Verwendung zuzuführen und trotz vorhandener Barmittel betriebliche Investitionen mit Fremdkapital zu finanzieren.

3.

Der infolge der Nichteinlegung des Einspruches gegen die Steuerfestsetzung vom 12.07.1996 entstandene Schaden des Klägers ist unstreitig in Höhe der Steuernachbelastung von 10.464,52 DM entstanden.

4.

Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat keinerlei Umstände vorgetragen, die sein Verschulden an der objektiven Pflichtverletzung ausräumen könnten (BGH NJW 2001, 518, 519).

5.

Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht verjährt.

Die dreijährige Verjährungsfrist des § 68 StBerG begann mit der Bekanntgabe des Steuerbescheides vom 12.7.1996 gemäß §§ 122 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 2 AO (BGH NJW 1995, 2108 f; NJW 2000, 2678 f) und wurde rechtzeitig vor ihrem Ablauf gemäß §§ 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB, 693 Abs. 2 ZPO mit der Einreichung des Mahnbescheids am 5.3.1999 unterbrochen.

II.

Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Einen höheren Zinsschaden hat der Kläger nicht hinreichend dargetan. Da die Zinssätze in den letzten Jahren häufig und zum Teil nicht unerheblich variieren, genügt die lapidare Behauptung, er habe einen durchschnittlichen Zinssatz von 11 % entrichten müssen, nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision (§ 546 Abs. 1 ZPO) besteht kein Anlass.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 34.185,14 DM.

Beschwer für beide Parteien: jeweils unter 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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