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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.04.2002
Aktenzeichen: 24 U 123/01
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 45
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 130 Abs. 2
InsO § 130
ZPO § 286
ZPO § 287 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 543 n.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 123/01

Verkündet am 16. April 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die am 19. März 2002 geschlossene mündliche Verhandlung unter Mitwirkung seiner Richter Z, T und D

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 07. Mai 2001 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal -Einzelrichter- teilweise abgeändert und die Klage kostenpflichtig zu Lasten des Klägers ganz abgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen eine Sicherheitsleistung von 8.000,00 EUR abzuwenden, es sei denn, der Beklagte leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.

Tatbestand:

Der beklagte Rechtsanwalt hatte im Oktober 1999 im Auftrag der Insolvenzschuldnerin (nachfolgend Schuldnerin genannt) mit einer Gläubigerin einen Vergleich geschlossen. Danach sollte eine zu Gunsten der Gläubigerin titulierte Forderung von mehr als 200.000,00 DM mit einer bis zum 13. Oktober 1999 zu leistenden Zahlung von 25.000,00 DM (neben der Inanspruchnahme einer Bankbürgschaft von knapp 41.000,00 DM) abgelöst werden. Die Schuldnerin zahlte den Ablösungsbetrag anforderungsgemäß am 08. Oktober 1999 auf ein Konto des Beklagten. Weil die Schuldnerin die zuvor erteilten drei Honorarrechnungen (insgesamt 42.902,00 DM) nicht ausglich, beanspruchte der Beklagte die eingegangene Zahlung in Höhe des Honorars für diese Angelegenheit (17.902,00 DM) für sich. Den überschießenden Betrag (7.098,00 DM) leitete er an die Gläubigerin weiter. Mangels Zahlungsfähigkeit erbrachte die Schuldnerin keine weiteren Leistungen. Auf ihren Antrag vom 19. November 1999 wurde gegen sie am 14 Januar 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet, in welchem der Kläger als Verwalter eingesetzt ist. Auf die erklärten Anfechtungen haben der Beklagte die an ihn gelangte Leistung voll, die Gläubigerin (nach Abschluss eines Vergleichs mit dem Kläger) zur Hälfte zur Masse zurückgezahlt. Zu Gunsten der Gläubigerin ist eine Forderung von 215.751,60 DM zur Tabelle festgestellt.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe eines erstrangigen Teilbetrags von 75.000,00 DM in Anspruch. Er hat geltend gemacht:

Hätte der Beklagte pflichtgemäß den Ablösungsbetrag ungekürzt und unverzüglich an die Gläubigerin weitergeleitet, wäre die Verbindlichkeit gegenüber der Gläubigerin in Höhe des Erlassbetrags von (215.751,60 DM - 25.000,00 DM) 190.751,60 DM erloschen.

Er hat im Wege der Teilklage deshalb beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 75.000,00 DM nebst 4% Zinsen seit dem 01. Juni 2000 zu zahlen.

Der Beklagte hat um

Klageabweisung

gebeten und geltend gemacht:

Die Einbehaltung des Teilbetrags von 17.902,00 DM sei nicht pflichtwidrig gewesen. Der Geschäftsführer der Schuldnerin habe vielmehr dieser Verfahrensweise ausdrücklich zugestimmt. Ferner sei ein Schaden nicht feststellbar. Der Kläger trage nicht vor, dass die Gläubigern im Insolvenzverfahren einen über 25.000,00 DM hinausgehenden Anspruch durchsetzen könne.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage (bis auf einen Teil der Zinsforderung) stattgegeben. Eine Zustimmung des Geschäftsführers der Schuldnerin zur Einbehaltung eines Teils des Ablösebetrags könne nicht festgestellt werden. Dass die zu erwartende Insolvenzquote niedriger sei als die zur Tabelle angemeldete Forderung ändere nichts am Umfang des von der Schuldnerin erlittenen Schadens.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen, rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts und macht ergänzend geltend: Die Schuldnerin sei schon bei Vergleichsabschluss zahlungsunfähig und überschuldet gewesen. Der Kläger hätte, da auch keine Masse vorhanden sei, den Vergleich, wäre er zustande gekommen, im Interesse der Insolvenzmasse anfechten müssen, so dass letztlich ein Schaden nicht eingetreten sei.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger bittet um

Zurückweisung der Berufung

Auch er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und macht ergänzend geltend: Es stehe gar nicht fest, dass die Schuldnerin innerhalb der maßgeblichen Anfechtungsfrist Insolvenzantrag hätte stellen müssen.

Wegen allerweiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel des Beklagten führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils sowie zur gänzlichen Klageabweisung.

1. Allerdings geht das Landgericht zu Recht von einer Pflichtverletzung des Beklagten aus. Dabei kann offen bleiben, ob der Beweiswürdigung des Landgerichts gefolgt werden kann. Ganz unabhängig davon, wie der Geschäftsführer der Schuldnerin auf das Ansinnen des Beklagten (Verwendung des Ablösebetrags zur Erfüllung der Honorar- statt der Vergleichsforderung) reagiert hatte, durfte der Beklagte den treuhänderisch entgegen genommenen Betrag nicht wie geschehen verwenden, ohne die Mandantin zuvor eingehend über die damit verbundenen Rechte und Risiken zu belehren. Dass das geschehen ist, behauptet der Beklagte selbst nicht.

In rechtlicher Hinsicht hatte der Beklagte keinen (Honorar)Anspruch, den er vorrangig hätte befriedigen lassen können. Weder ein Vorschuss noch eine sonstige Sicherheit zur Befriedigung von Honorarforderungen waren vereinbart, geschweige denn geleistet worden. Der Rechtsanwalt, der eine Dienstleistung ohne Vorschuss erbringt, kann nachträglich keine vorrangige Befriedigung oder Sicherung verlangen. Der Beklagte hätte die Schuldnerin nach Lage der Dinge darüber aufklären müssen, was nicht geschehen ist.

Die mit der behaupteten Verrechnungsabrede verbundenen Risiken lagen auf der Hand, weil die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen war. Das wusste der Beklagte auch. Ausweislich seines Schreibens vom 10. September 1999 hatte er der Gläubigerin bereits angezeigt, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig sei und das die Mittel zur Befriedigung der Vergleichsforderung bereits aus den Mitteln des Gesellschafters der Schuldnerin entnommen werden mussten. Der Kläger trägt nicht vor, dass über die bereits eingezahlten 25.000,00 DM hinaus die Aufbringung weiterer Mittel gesichert gewesen war. Vielmehr wollte sich der Geschäftsführer der Mandantin darum nur bemühen. Unter diesen Umständen musste der Beklagte die Schuldnerin dahin beraten, dass der bereits eingezahlte Betrag bestimmungsgemäß verwendet und das Ausfallrisiko bei ihm, dem Beklagten, entsprechend der aktuellen Rechtslage verbleibt, weil das der sicherere Weg gewesen wäre (vgl. dazu BGH MDR 1985, 39 = NJW 1985, 42, 43; NJW-RR 1990, 1241, 1243; MDR 1997, 894, 895).

2. Trotz der Pflichtverletzung ist es aber zu keinem feststellbaren Schaden der Schuldnerin gekommen. Auch wenn sie statt einer Verbindlichkeit aus dem Mietverhältnis in Höhe von nur 25.000,00 DM infolge des Scheiterns des Vergleichs nun eine solche von mehr als 200.000,00 DM hat, wäre dieser Schaden bei hypothetischem Schadensverlauf (§ 287 Abs. 1 ZPO) auch eingetreten.

a) Die Auffassung des Beklagten allerdings, die ohnehin zahlungsunfähige Schuldnerin habe durch das bloße Anwachsen ihrer Verbindlichkeiten keinen messbaren Schaden erlitten, ist unzutreffend. Ein Schaden liegt nach der maßgeblichen Differenzhypothese (vgl. dazu Rinsche Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 6. Aufl., Anm. I 212; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., vor § 249 Rn. 8, 50ff jew. m. w. N.) immer dann vor, wenn sich die Vermögenslage nach dem schädigenden Ereignis im Vergleich zum Status davor nachteilig entwickelt hat. Es liegt auf der Hand, dass das Anwachsen der Verbindlichkeiten die Vermögenslage verschlechtert, und zwar genau in dem Umfange, in dem die Verbindlichkeiten bei pflichtgemäßer Beratung hätte vermieden werden können.

b) Eine andere Frage ist, ob die pflichtwidrige Herbeiführung einer Verbindlichkeit zu einem Schadensersatzanspruch in Geld oder nur zu einem Anspruch auf Befreiung von der in Rede stehenden Verbindlichkeit führt (vgl. dazu BGH NJW 1986, 581). Aber auch daran scheitert im Streitfalle der geltend gemachte Anspruch nicht. Ist nämlich, wie hier geschehen, der Geschädigte insolvent geworden, wandelt sich der Befreiungsanspruch gemäß § 45 InsO (früher § 69 KO) kraft Gesetzes in einen Geldanspruch um (vgl. RGZ 139, 321; BGHZ 57, 78, 83; NJW 1994, 49 = MDR 1994, 55f jew. zu § 69 KO; vgl. auch Palandt aaO, vor § 249 Rn. 46 und § 257 Rn. 1).

c) Zutreffend ist jedoch die Auffassung des Beklagten, dass der hier umstrittene Vergleich, unterstellt er wäre zustande gekommen, der Insolvenzanfechtung unterlegen hätte. Bei kongruenter Deckung, die hier nur in Betracht kommt, sind Rechtshandlungen gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, die drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte, Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen vor.

aa) Die Gläubigerin war durch das Schreiben des Beklagten vom 10. September 1999 von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin unterrichtet worden. Zudem hatte die Gläubigerin nach eigenem Vorbringen bei der Gemeinschuldnerin erfolglos vollstreckt, so dass ihre Kenntnis auch ohne Unterrichtung gemäß § 130 Abs. 2 InsO festzustellen wäre.

bb) Auch die gesetzliche Frist von drei Monaten wäre für die Anfechtungserklärung einzuhalten gewesen. Das liegt mit Blick auf den Zeitpunkt des Insolvenzantrags (19. November 1999) und den Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses im Oktober 1999 auf der Hand. Dem kann der Kläger nicht entgegenhalten, es sei ganz ungewiss, ob es bei einem Zustandekommen des Vergleichs innerhalb der in Rede stehenden Frist überhaupt zum Insolvenzantrag gekommen wäre. Bei der Beurteilung des hypothetischen Schadensverlaufs ist zum Beweis des Schadenseintritts kein Vollbeweis im Sinne des § 286 ZPO erforderlich. Vielmehr genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gemäß § 287 Abs. 1 ZPO (vgl. dazu BGH MDR 1993, 1125; MDR 1996, 90; MDR 1998, 1441).

Das bedeutet für den Streitfall, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden müsste, dass es mit dem Vergleichsschluss innerhalb einer Frist von drei Monaten nicht zur Stellung des Insolvenzantrags gekommen wäre.

Eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht nicht. Im Gegenteil, unter den bekannten Voraussetzungen ist die Stellung des Insolvenzantrags auch dann überwiegend wahrscheinlich, wenn der Vergleich zustande gekommen wäre. Der Geschäftsführer der Schuldnerin hatte den Insolvenzantrag zu einem Zeitpunkt gestellt, als die Frist zur Erfüllung des Vergleichs (einseitig durch die Gläubigerin) noch einmal bis zum 23. November 1999 verlängert worden war. Die Schuldnerin hatte gegenüber dem Beklagten Verbindlichkeiten von rund 23.000,00 DM und sie hatte die Inanspruchnahme der Bürgschaft (über 40.000,00 DM) durch die Gläubigerin zu vergegenwärtigen. Sie war offensichtlich nicht (mehr) kreditwürdig und nicht in der Lage, aus den Kasseneinnahmen Rücklagen zu bilden oder Forderungen zu begleichen. Das ergibt sich aus der Vernehmung des Geschäftsführers der Schuldnerin. Der Insolvenzantrag, so ist daraus zu folgern, wurde deshalb nicht wegen erst am 23. November 1999 drohender Zahlungsunfähigkeit, sondern wegen bereits am 19. November 1999 eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung gestellt, also unabhängig davon, ob es noch zum Vergleichsschluss gekommen wäre oder nicht.

cc) Tatsächlich ist die Zahlung auch aus dem Vermögen der Schuldnerin erbracht worden, was unstreitig ist, wenn auch im Schreiben vom 10. September 1999 angekündigt gewesen war, die Zahlung werde aus dem Vermögen ihres Gesellschafters erbracht werden. Der (möglicherweise) gute Glaube der Schuldnerin daran, die zur Erfüllung des Vergleichs aufgebrachten Mittel stammten aus dem Vermögen des Gesellschafters der Schuldnerin, wird durch § 130 InsO nicht geschützt.

dd) Es gibt auch eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür (§ 287 Abs. 1 ZPO), dass der Kläger den Vergleich, wenn er zustande gekommen wäre, angefochten hätte. Ob der Insolvenzverwalter ein anfechtbares Rechtsgeschäft anficht, hängt davon ab, ob das Rechtsgeschäft der Masse Vorteil oder Nachteil bringt. Vorteilhaft wäre die Anfechtung nur dann, wenn die Insolvenzforderung voraussichtlich nicht oder nur unterhalb des Betrags befriedigt werden könnte, der dem nach Anfechtung rückforderbaren Betrag entspricht, hier also unterhalb eines Betrags von 25.000,00 DM gelegen hätte.

Dass es sich so verhält, dafür sprechen die Umstände. Der Kläger bestreitet nicht den Vortrag des Beklagten, dass eine Masse nicht vorhanden sei. Der Senat versteht dieses Vorbringen dahin, dass jedenfalls keine Masse vorhanden ist, mit welcher nicht vorberechtigte Insolvenzforderungen, wozu die der Gläubigerin gehört, befriedigt werden können. Jedenfalls hätte der Kläger im Rahmen der ihn auch bei Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO treffenden Darlegungspflicht Tatsachen vortragen müssen, die es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen könnten, dass die zur Befriedigung der Insolvenzforderung Gläubigerin zur Verteilung kommende Quote zu einer Zahlung von mehr als 25.000,00 DM geführt hätte. Nur in diesem Falle hätte die Anfechtung der Masse zum Nachteil gereicht. Und nur in diesem Falle hätte im Zuge des zu prüfenden hypothetischen Schadensverlaufs zu Gunsten des Klägers von einem Unterbleiben der Anfechtung ausgegangen werden können.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Rechtsstreit gibt keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, § 543 ZPO n.F..

Berufungsstreitwert und zugleich Beschwer: 38.346,89 EUR (75.000,00 DM)

Ende der Entscheidung

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