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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.11.1999
Aktenzeichen: 26 U 88/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 242 | |
BGB § 847 | |
ZPO § 523 | |
ZPO § 263 | |
ZPO § 267 | |
ZPO § 91 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 S. 1 | |
ZPO § 713 | |
ZPO § 546 Abs. 1 |
OLG Düsseldorf Urteil 21.12.1999 - 26 U 88/99 - 9 O 366/98 LG Düsseldorf
hat der 26. Zivilsenat auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 1999 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Neuhaus, die Richterin am Oberlandesgericht Wagner und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Scholten für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 26. 04. 1999 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - 9 O 366/99 - wird zurückgewiesen Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
Der Kläger, Opfer einer Gewalttat, war mit seinem Schmerzensgeldanspruch gegen den strafrechtlich verfolgten Schädiger vor Gericht zum Teil unterlegen. Um ein höheres Schmerzensgeld zu erstreiten hatte er die Beklagte beauftragt, in jenem Verfahren Berufung einzulegen. Die Beklagte tat dies auch, legte das Mandat aber nieder, nachdem der Kläger den geforderten Kostenvorschuss nicht geleistet hatte. Die Berufung wurde wenig später durch das Oberlandesgericht mangels rechtzeitigen Eingangs einer Berufungsbegründungsschrift als unzulässig verworfen.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch genommen und behauptet, im Falle der Durchführung der Berufung wäre ihm ein wesentlich höheres Schmerzensgeld zuerkannt worden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er außer weiterem Schmerzensgeld nun auch den Ersatz von Verdienstausfall geltend macht, der ihm infolge seiner Verletzungen entstanden sein soll.
II.
Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus pVV. Zwar hat die Beklagte pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt, jedoch hat der Kläger durch die Verletzung des Anwaltsvertrages keinen Schaden erlitten, den er von der Beklagten ersetzt verlangen könnte.
1. Zwischen den Parteien ist ein Anwaltsvertrag zustande gekommen. Ob der Vertragsschluß bereits in dem Telefongespräch vom 26. Januar 1998 erfolgt ist, kann dabei dahin stehen. Der Vertrag ist jedenfalls mit dem Schreiben des Klägers vom gleichen Tage einerseits und dem Antwortschreiben der Beklagten vom 6. Februar 1998 andererseits geschlossen worden.
2. Die Beklagte hat eine ihr aus diesem Vertrag obliegende Nebenpflicht verletzt.
a) Grundsätzlich hat der Anwalt - auch im Falle der Mandatsniederlegung - die Pflicht, seinen Mandanten "vor Rechtsverlusten zu schützen". § 1 Abs. 3 der Berufsordnung konkretisiert insoweit lediglich eine sich auch aus § 242 BGB im Hinblick auf das anwaltliche Vertrauensverhältnis ergebende Verpflichtung. Für den mit der Durchführung einer Berufung betrauten Rechtsanwalt folgt aus dieser Verpflichtung das Verbot der Niederlegung "zur Unzeit". Der Anwalt, der nach Auftragserteilung das Mandat niederlegen will, muß daher grundsätzlich seinem Mandanten auch mitteilen, daß in Kürze der Ablauf der Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist droht. Beabsichtigt er, das Mandat zum Ablauf einer gesetzlichen oder richterlichen Frist niederzulegen, muß er zunächst zugunsten des Mandanten eine Fristverlängerung beantragen, um diesem zu ermöglichen, noch einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen (i.d.S. auch OLG Frankfurt VersR 1991, 897).
b) Ob diese Verpflichtung ausnahmsweise entfällt, wenn sich der Mandant selbst vertragswidrig verhalten und so Anlaß für eine Kündigung gegeben hat, kann dahin stehen; denn eine solche Ausnahme ist allenfalls bei einem gravierenden Fehlverhalten des Mandanten zu machen, das dem Rechtsanwalt - für den Mandanten erkennbar - die weitere Durchführung des Mandats unzumutbar macht. Davon kann hier aber nicht die Rede sein. Zwar ist unstreitig, daß dem Kläger bereits bei seinem Anruf in der Praxis der Beklagten am 26. Januar 1998 mitgeteilt worden ist, daß ein Kostenvorschuß angefordert werde und daß dieser Kostenvorschuß binnen der gesetzten Frist bezahlt werden müsse, andernfalls das Mandat sofort niedergelegt werde. Unstreitig hat der Kläger sich auch mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt. Tatsächlich ist die Beklagte aber so nicht verfahren. Sie hat dem Kläger nach Ablauf der mit Schreiben vom 06. Februar 1998 bis zum 20. Februar 1998 gesetzten Frist nicht prompt mitgeteilt, daß sie das Mandat niederlege und er, falls er die Berufung durchführen wolle, diese bis zum 6. März 1998 mit Hilfe eines anderen Anwalts begründen müsse. Vielmehr hat sie zugewartet und selbst in ihrem Schreiben vom 2. März 1998, mit dem sie den Vorschuss anmahnte und ihm die Berufungsbegründungsfrist mitteilte, noch erkennen lassen, daß sie zur Fortführung des Mandats bereit sei. Ungeachtet der Tatsache, daß sie selbst angesichts der zögerlichen Behandlung durch den Kläger berechtigt war, das Mandat niederzulegen, hat sie darüber doch den Kläger bis zum Fristablauf im Unklaren belassen und ihm damit die Möglichkeit abgeschnitten, sein Rechtsmittel mit Hilfe eines anderen Anwalts durchzusetzen.
2. Durch die Pflichtverletzung ist dem Kläger aber kein Schaden entstanden.
Denn auch die Durchführung der Berufung hätte nicht zur Festsetzung eines höheren Schmerzensgeldes geführt. Dabei kann dahin stehen, ob das Landgericht die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes durch die strafrechtliche Verurteilung des Täters als erfüllt ansehen durfte (vgl. BGHZ 128, 117). Denn auch dann, wenn die Verurteilung bei der Gesamtwürdigung im Rahmen der Schmerzensgeldbemesssung außer Betracht bleibt, erscheint der dem Kläger im Vorprozeß in erster Instanz zugesprochene Betrag billig i.S. § 847 BGB. Das Landgericht hat bei der Bemessung die wesentlichen entscheidungserheblichen Umstände berücksichtigt. Insbesondere hat es auch die Depressionen des Klägers ins Kalkül gezogen und offen gelassen, ob psychische Dauerfolgen zu berücksichtigen sind. Sind solche zu gewärtigen, kann der Kläger ergänzende Schmerzensgeldansprüche noch heute auf der Grundlage der rechtskräftigen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil gegen den Täter geltend machen. Selbst wenn man die Richtigkeit des klägerischen Vortrags zu den Tatfolgen im übrigen unterstellt, wäre ein höheres Schmerzensgeld angesichts der Vermögensverhältnisse beider Parteien damals nicht angemessen gewesen.
III.
Soweit der Kläger nunmehr auch den Ersatz von Verdienstausfall verlangt, der ihm verletzungsbedingt entstanden ist, liegt eine Klageerweiterung vor. Diese ist zwar gemäß §§ 523, 263, 267 ZPO zulässig, in der Sache aber unbegründet.
Ein Anspruch aus pVV des Anwaltsvertrages besteht auch insoweit nicht. Denn durch die Pflichtverletzung ist dem Kläger der nunmehr zusätzlich geltend gemachte Schaden nicht verursacht worden.
Der Kläger hat gegen den Zeugen ... in dem gegen diesen angestrengten Verfahren Verdienstausfall nicht geltend gemacht. Er hat auch die Beklagte nicht beauftragt, solches gegen ... in der Berufungsinstanz einzuklagen. Da ein solcher Anspruch aber nicht Streitgegenstand des Verfahrens gegen ... war, wird er auch nicht von der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils erfaßt. Demgemäß hindert die Rechtskraft des Urteils in diesem Verfahren den Kläger nicht, den Anspruch gegen ... durchzusetzen. Ein Vermögensnachteil ist insoweit nicht eingetreten.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 713 ZPO.
Angesichts der Beschwer der Beklagten in Höhe von 42.615,00 DM ist die Entscheidung nicht kraft Gesetzes revisibel. Die Revision zuzulassen, besteht kein Anlaß, § 546 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 42.615,00 DM.
Ende der Entscheidung
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