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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 25.01.2001
Aktenzeichen: 26 Wx 6/01
Rechtsgebiete: AuslG, FEVG, FGG


Vorschriften:

AuslG § 69 Abs. 3
AuslG § 103 Abs. 2 Satz 1
AuslG § 57 Abs. 2 Ziff. 5
AuslG § 57 Abs. 2 Satz 4
AuslG § 64 Abs. 3
FEVG § 7
FGG § 22 Abs. 1
FGG § 29 Abs. 2
FGG § 27
FGG § 12
Leitsatz

1. In Fällen, in denen gegen einen Ausländer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Anklage erhoben ist, muß vor der Anordnung von Abschiebehaft von Amts wegen geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft das gemäß § 64 Abs. 3 AuslG notwendige Einvernehmen mit einer sofortigen Abschiebung erteilt hat.

2. Verweigert die zuständige Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen, so scheidet die Anordnung von Abschiebehaft grundsätzlich aus, weil nicht angenommen werden kann, daß die Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG.

3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist denkbar; allerdings kann das die Haft anordnende Gericht einen solchen Ausnahmefall nur in Betracht ziehen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß das Strafverfahren ganz kurzfristig zu seinem Abschluß gelangt und der Abschiebung im übrigen keine Hindernisse entgegen stehen.

4. Für den Abschluß des Strafverfahrens ist der Zeitpunkt entscheidend, in dem sich der staatliche Strafanspruch erledigt.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

26 Wx 6/01 26 T 68/00 LG Duisburg 11 XIV 2767- B AG Duisburg

In der Abschiebehaftsache

hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 10. Januar 2001 gegen den Beschluß der 26. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 29. Dezember 2000 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht N und die Richter am Oberlandesgericht S und Dr. S am

25. Januar 2001

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Duisburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29.11.1999 ausreisepflichtig. Nachdem der Bescheid am 20. Dezember 1999 vollziehbar wurde, tauchte der Betroffene im Januar 2000 unter. Am 29. September 2000 wurde er in Mülheim festgenommen und dem Strafrichter vorgeführt. Dieser erließ gegen ihn einen Untersuchungshaftbefehl.

Mit Schreiben vom 6.12.2000 beantragte die Ausländerbehörde im Hinblick auf den bevorstehenden Hauptverhandlungstermin die Anordnung von Sicherungshaft als Überhaft. In dem Antrag wird mitgeteilt, daß die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen gemäß § 69 Abs. 3 AuslG verweigert habe, daß jedoch mit dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens "wahrscheinlich vor Ablauf von drei Monaten zu rechnen" sei.

Mit Beschluß vom 11. Dezember 2000 ordnete das Amtsgericht Duisburg Abschiebehaft für die Dauer von längstens drei Monaten an, die im Anschluß an die Untersuchungshaft zu vollziehen ist. Die gegen diese Entscheidung von dem Betroffenen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluß vom 29. Dezember 2000 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II.

Das gemäß §§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, 7 FEVG, 22 Abs. 1, 29 Abs. 2 FGG zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil die Entscheidung auf einer Gesetzesverletzung beruht, § 27 FGG.

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht festgestellt, dass der Betroffene zur Ausreise verpflichtet ist, und der Haftgrund des § 57 Abs. 2 Ziff. 5 AuslG besteht. Der Umstand, dass über die Ablehnung des Asylfolgeantrags noch nicht rechtskräftig entschieden ist, beseitigt die durch den bestandskräftigen Bescheid vom 24.11.1999 begründete Ausreisepflicht nicht. Die Tatsache, dass der zur Ausreise verpflichtete Betroffene im Januar 2000 untergetaucht ist, rechtfertigt vorliegend den Verdacht, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

Das Landgericht hat jedoch der ihm im Abschiebehaftverfahren gemäß § 12 FGG obliegenden Amtsermittlungspflicht nicht genügt und dadurch gegen das Gesetz verstoßen. Denn es hat keine hinreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob feststeht, daß aus Gründen die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann, § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG.

In Fällen, in denen gegen einen Ausländer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Anklage erhoben ist, kann die Abschiebung an dem gemäß § 64 Abs. 3 AuslG notwendigen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft - und damit - aus von dem Ausländer nicht zu vertretenen Gründen scheitern. In diesen Fällen muß daher immer von Amts wegen geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Abschiebung trotz des laufenden Strafverfahrens einverstanden ist (OLG Düsseldorf, 3. Zivilsenat, Beschluß vom 21.12.1994 - 3 Wx 649/94, InfAuslR 1995, 207). Teilt die Ausländerbehörde - wie dies hier der Fall war - mit, daß die zuständige Staatswaltschaft ihr Einvernehmen verweigert hat, so scheidet die Anordnung von Abschiebehaft als Überhaft grundsätzlich aus (OLG Frankfurt StV 2000, 377; SchlHOLG InfAuslR 2000, 449, 450); denn in diesem Falle kann in der Regel nicht damit gerechnet werden, daß das Strafverfahren binnen der Dreimonatsfrist beendet und die Abschiebung in der nach Beendigung dieses Verfahrens noch verbleibenden Restfrist durchgeführt werden kann.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist denkbar; allerdings kann das die Haft anordnende Gericht einen solchen Ausnahmefall nur in Betracht ziehen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß das Strafverfahren ganz kurzfristig zu seinem Abschluß gelangt und der Abschiebung im übrigen keine Hindernisse entgegen stehen.

Zur Begründung der Möglichkeit, daß die Abschiebung trotz des fehlenden Einvernehmens der Staatsanwaltschaft noch binnen der Dreimonatsfrist gelingen könnte, ist der Hinweis auf einen kurzfristig in der Strafsache anstehenden Hauptverhandlungstermin nicht ausreichend. Denn die Hauptverhandlung beendet nicht das Strafverfahren und läßt das Hindernis, das durch das fehlende Einvernehmen begründet wird, nicht entfallen. Nach Auffassung des erkennenden Senats kommt es insoweit auch nicht auf den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Strafverfahrens an (so die Rechtsprechung des früher zuständigen 3. Zivilsenats, vgl. Beschluß vom 21.12.1994 - 3 Wx 649/94, InfAuslR 1995, 207). Entscheidend ist vielmehr der Zeitpunkt, an dem sich der staatliche Strafanspruch erledigt. Denn die in § 64 Abs. 3 AuslG statuierte Pflicht hat den Sinn, eben diesen zu sichern (BVerwG InfAuslR 1998, 383, 384). Der staatliche Strafanspruch reicht aber über die Hauptverhandlung und die Rechtskraft der Sachentscheidung hinaus. Er besteht gegebenenfalls bis zum Ende des Vollstreckungsverfahrens fort. Daher entfällt das Erfordernis, das Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft herbeizuführen, erst, wenn das Strafverfahren durch Einstellung, rechtskräftigen Freispruch oder Beendigung der Strafvollstreckung endgültig abgeschlossen ist. Nur wenn zu erwarten ist, daß eines dieser Ereignisse binnen der nächsten drei Monate eintritt, kann bei fehlender Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft davon ausgegangen werden, daß die Abschiebung unter Umständen noch fristgerecht durchgeführt werden kann.

Das Gericht hat diese Möglichkeit gegebenenfalls an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalles darzulegen. Dies setzt voraus, daß es sich nach dem Stand des Strafverfahrens und seinem voraussichtlichen Ende erkundigt. Die Kammer hätte dazu hier nicht nur klären müssen, was konkret dem Betroffenen zur Last gelegt wird, wie er sich zu dem Vorwurf eingelassen hat, welche Strafe er zu gewärtigen hat und wann die Strafvollstreckung gegebenenfalls frühestens erledigt sein könnte. Sie hätte auch der Frage nachgehen müssen, ob die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen nur bis zur rechtskräftigen Sachentscheidung verweigern, sich einer Abschiebung unter Zurückstellung der Strafvollstreckung dagegen nicht widersetzen wollte.

Die Entscheidung gibt im übrigen zu dem Hinweis Veranlassung, dass die Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG nicht erst mit dem Vollzug der Abschiebungshaft, sondern bereits mit derer Anordnung beginnt (SchlHOLG InfAuslR 2000, 449, 450; KG FG Prax 1995, 83, 84; OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 273).

Die Kammer darf sich daher nicht auf die Feststellung beschränken, dass eine Abschiebung nach der Untersuchungshaft binnen drei Monaten möglich ist, sondern muß prüfen, ob feststeht, daß die Abschiebung aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, nicht bis zum 11. März 2001 durchgeführt werden kann.

Ende der Entscheidung

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