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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 07.02.2001
Aktenzeichen: 2a Ss (OWi) 284/00 - (OWi) 4/01 II
Rechtsgebiete: OWiG, StGB, StVO


Vorschriften:

OWiG § 19
OWiG § 20
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 - 3
OWiG § 79 Abs. 1 S. 2
OWiG § 79 Abs. 2
StGB § 52
StGB § 53
StVO § 18 Abs. 5
Leitsatz:

1.

Liegen dem angefochtenen Urteil mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen zugrunde, müssen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unter Beachtung der Feststellungen des Tatrichters, aber ohne Bindung an dessen Rechtsansicht bei jeder Tat gesondert geprüft werden, wobei der prozessuale Tatbegriff entscheidend ist.

2.

Zu den Konkurrenzen mehrerer (fahrlässig begangener) Geschwindigkeitsüberschreitungen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss (OWi) 284/00 - (OWi) 4/01 II 313 Js 151/00 StA Duisburg

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 2. Senat für Bußgeldsachen durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R am

7. Februar 2001

auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 5. Juni 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 80a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2, 79 Absatz 5 Satz 1, 80 Abs. 4 S. 1 und 3 OWiG

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird hinsichtlich der abgeurteilten Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 als unbegründet und im übrigen als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene.

Gründe:

Am 5. Juni 2000 verkündete das Amtsgericht Oberhausen gegen den Betroffenen ein im Tenor wie folgt lautendes Urteil:

"Der Betroffene wird wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 3, 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG in neun Fällen zu einer Geldbuße von 870 DM verurteilt.

(Tat vom 6.9.1999 7.50 - 9.50 Uhr 200 DM

Tat vom 6.9.1999 10.00 - 11.20 Uhr 60 DM

Tat vom 6.9.1999 12.15 - 12.35 Uhr 100 DM

Tat vom 6.9.1999 12.45 - 13.00 Uhr 50 DM

Tat vom 6.9.1999 15.20 - 15.40 Uhr 100 DM

Tat vom 6.9.1999 15.45 - 16.00 Uhr 100 DM

Tat vom 7.9.1999 7.20 - 7.55 Uhr 100 DM

Tat vom 7.9.1999 8.15 - 8.40 Uhr 100 DM

Tat vom 7.9.1999 11.30 - 11.55 Uhr 60 DM)."

Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich der abgeurteilten Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 unbegründet und im übrigen - auch unter Berücksichtigung des in der Beschwerdeschrift "hilfsweise" gestellten Zulassungsantrags - unzulässig.

1.

Wie sich der im Tenor enthaltenen Auflistung sowie den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zweifelsfrei entnehmen läßt, ist das Amtsgericht vorliegend von neun tatmehrheitlich begangenen Fällen der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen und hat hierfür - ungeachtet der insoweit sprachlich mißglückten Formulierung im ersten Teil des Tenors - neun Geldbußen festgesetzt (§ 20 OWiG). Für die Frage, ob die unbeschränkt eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG zulässig ist oder einer Zulassung bedarf (§§ 79 Abs. 1 S. 2, 80 OWiG), ist zwischen den abgeurteilten Verkehrsverstößen vom 6. September 1999 einerseits und denjenigen des 7. September 1999 andererseits zu unterscheiden. Dies ergibt sich aus § 79 Abs. 2 OWiG.

Nach dieser Vorschrift, über deren Voraussetzungen das Rechtsbeschwerdegericht in Orientierung an die tatrichterlichen Feststellungen, aber ohne Bindung an dessen Rechtsansicht zu entscheiden hat (vgl. BayObLG Wistra 94, 80), müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3, S. 2 OWiG für jede im Urteil abgehandelte prozessuale Tat isoliert geprüft werden. Da § 79 Abs. 2 OWiG hierbei an den prozessualen und nicht an den materiellrechtlichen Tatbegriff anknüpft (vgl. OLG Düsseldorf NZV 94, 118, 119), sind mehrere gemäß § 20 OWiG verwirkte Geldbußen bei der Ermittlung des zulässigkeitsrelevanten Beschwerdewerts zusammenzurechnen, sofern die ihnen zugrundeliegenden Verstöße einem einheitlichen historischen Geschehenshergang zuzuordnen sind.

Dies trifft im vorliegenden Fall für die Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 einerseits und für diejenigen vom 7. September 1999 andererseits zu. Nach den aufgrund einer Auswertung von Fahrtenschreiberschaublättern getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene als Fahrer eines Lastkraftwagens an beiden Tagen zu den im Urteilstenor niedergelegten Zeiträumen die fahrzeugbedingt geltende Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2a StVO) mehrfach überschritten. In derartigen Fällen einer "Aneinanderreihung" gleichartiger Verkehrsverstöße beginnt nach allgemeiner Ansicht mit jedem Fahrtbeginn nach einem nicht verkehrsbedingten Stillstand des Fahrzeugs eine neue Tat im prozessualen Sinne, denn unter Berücksichtigung normaler Verhältnisse im Straßenverkehr stellt das Abstellen des Fahrzeugs eine Zäsur dar, die einen zuvor als historische Einheit zu betrachtenden Verkehrsvorgang beendet (OLG Düsseldorf, NZV 94, 118f., NZV 96, 503, 504f. und VRS 90, 296, 299; BayObLG NZV 97, 282 und 489, 490; OLG Köln NZV 94, 292). Bei den hier festgestellten Verkehrsverstößen vom 6. September 1999 und denen des Folgetages handelt es sich mithin um verschiedene Taten im verfahrensrechtlichen Sinne, denn es ist ohne weiteres davon auszugehen, daß der Betroffene die nach den Urteilsausführungen schon am Morgen des 6. September 1999 begonnene Fahrt mit dem Lkw spätestens in der darauffolgenden Nacht unterbrochen hat. Im übrigen läßt das angefochtene Urteil mangels jeglicher Angaben zu etwaigen Fahrtpausen des Betroffenen die Annahme weitergehender verfahrensrechtlicher Zäsuren nicht zweifelsfrei zu. Aufgrund der amtsgerichtlichen Feststellungen zu den zeitlichen Abläufen ist vielmehr zu Gunsten des Betroffenen nicht auszuschließen, daß die ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitungen des 6. September 1999 im Verlauf einer einzigen - wenn auch langen - Fahrt begangen wurden und Teil eines einheitlichen historischen Geschehenshergangs sind; gleiches gilt für die Verkehrsverstöße, die sich nach den Feststellungen des Amtsgerichts am Folgetag ereigneten.

2.

Die im Hinblick auf die festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 6. September 1999 (Gesamtwert der insoweit verhängten Geldbußen: 610,- DM) gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG ohne weiteres zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der hier allein erhobenen Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.

Der dem Verfahren zugrunde liegende Bußgeldbescheid der Stadt Oberhausen vom 30. November 1999 (90833090/104) ist wirksam und als Prozeßvoraussetzung geeignet, obwohl er keine Angaben zum Tatort der einzelnen Verkehrsverstöße enthält und fälschlicherweise den 7. - und nicht den 6. - September 1999 als Tattag benennt. Da dem Betroffenen vorgeworfen wird, schneller gefahren zu sein, als er mit dem von ihm geführten Fahrzeug günstigstenfalls fahren durfte, die Verstöße mithin keinen orts- oder situationsbezogenen Charakter tragen, war eine Mitteilung der jeweiligen Tatorte im vorliegenden Fall entbehrlich (vgl. BayObLG DAR 96, 31 und NZV 97, 489, 490). Durch die genauen Zeitangaben hinsichtlich jeder einzelnen Geschwindigkeitsüberschreitung wird der Bußgeldbescheid seiner Umgrenzungs- und Informationsfunktion in ausreichendem Maße gerecht. Der Fehler bei der Angabe des Tattages ist insoweit ebenfalls unschädlich, denn unter Heranziehung des Akteninhalts, insbesondere der zur Akte gereichten Fahrtenschreiberschaublätter (vgl. hierzu BayObLG DAR 96, 31 m.w.N.), kann kein Zweifel daran bestehen, daß sich die im Bußgeldbescheid hinsichtlich der Uhrzeit exakt konkretisierten Taten am 6. - und nicht am 7. - September 1999 ereignet haben.

Die Urteilsausführungen zum Schuldspruch wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung in sechs Fällen sind rechtsfehlerfrei; insbesondere begegnet die tatrichterliche Annahme einer tatmehrheitlichen Begehungsweise im vorliegenden Fall keinen Bedenken. Nach wohl herrschender Auffassung stehen mehrere, im Verlauf einer Fahrt begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen regelmäßig im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander; nur dann, wenn bei natürlicher Betrachtung wegen des unmittelbaren zeitlich-räumlichen und des inneren Zusammenhangs der einzelnen Verstöße ein einheitliches zusammengehöriges Tun angenommen werden muß, kommt eine Wertung als natürliche Handlungseinheit in Betracht (BayObLG NZV 95, 407f., DAR 96, 31, NZV 97, 489, 490f. und NZV 97, 282; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 3 StVO Rn. 56, jeweils m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwischen den einzelnen Tathandlungen, die das Amtsgericht durch eine Ermittlung der in den genannten Zeiträumen jeweils erreichten "Maximalgeschwindigkeit" festgestellt hat, lag mit mindestens fünf Minuten ein in zeitlicher und räumlicher Hinsicht noch genügend deutlicher Abstand, der den Schluß rechtfertigt, daß jede Ordnungswidrigkeit notwendigerweise in einer veränderten Verkehrssituation begangen wurde und die einzelnen Verstöße unschwer voneinander abzugrenzen sind. Schon aufgrund dieser Umstände ist - materiellrechtlich - die Annahme einer tatmehrheitlichen Begehungsweise gerechtfertigt, selbst wenn man zu Gunsten des Betroffenen davon ausgeht, daß er die einzelnen Geschwindigkeitsüberschreitungen auf einer nicht durch Pausen unterbrochenen Fahrt und aus einem einheitlichen Motiv heraus beging. Der insoweit offenbar abweichenden Ansicht des 1. Strafsenats (vgl. die Ausführungen im Beschluß vom 1. September 1997 - 5 Ss (OWi) 236/97-(OWi) 117/97 I -) vermag sich die zuständige Einzelrichterin nicht anzuschließen.

Auch der Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Verkehrsverstöße vom 6. September 1999 begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Amtsgericht hat sich an den in der Bußgeldkatalogverordnung jeweils vorgesehenen Regelfolgen orientiert, hierbei aber dem "Wiederholungscharakter" der Einzeltaten und dem möglicherweise gegebenen Motivzusammenhang durch eine äußerst maßvolle Bemessung der Geldbußen ersichtlich zu Gunsten des Betroffenen Rechnung getragen und im übrigen von dem ihm gemäß § 17 OWiG eingeräumten tatrichterlichen Ermessen in rechtsfehlerfreier Weise Gebrauch gemacht.

3.

Die gegen den Urteilsspruch wegen der Verkehrsverstöße vom 7. September 1999 gerichtete Rechtsbeschwerde ist unzulässig; der insoweit hilfsweise gestellte Zulassungsantrag bleibt sachlich ohne Erfolg.

Der Gesamtwert der das prozessuale Tatgeschehen vom 7. September 1999 betreffenden Geldbußen liegt mit 260,- DM unterhalb der Wertgrenze des § 79 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG. Die Voraussetzungen einer Zulassung gemäß §§ 79 Absatz 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG sind ebenfalls nicht gegeben. Es ist weder geboten, das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben, noch bedarf es einer Nachprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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