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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 05.11.2002
Aktenzeichen: 2a Ss 167/02 - 57/02 II
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 356

Entscheidung wurde am 27.11.2002 korrigiert: Vorschriften geändert, Verfahrensgang und amtlichen Leitsatz hinzugefügt
Ein Parteiverrat setzt voraus, dass bei Übernahme des (zweiten) Mandats ein Interessengegensatz beider Parteien gegeben ist.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss 167/02 - 57/02 II

101 Js 87/00 StA Duisburg

In der Strafsache

gegen

pp.,

wegen Parteiverrats

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S., den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am Oberlandesgericht H.-R. am

5. November 2002

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 11. Januar 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO einstimmig

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Duisburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mülheim/Ruhr hat den Angeklagten durch Urteil vom 4. April 2001 wegen Parteiverrats zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die dagegen gerichteten Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten (erstere beschränkt auf en Rechtsfolgenausspruch) hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil verworfen.

Der Angeklagte hat Revision eingelegt, mit der er neben der Geltendmachung unzulässiger Verfahrensbeschwerden die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil die Feststellungen des angefochtenen Urteils den Schuldspruch nicht tragen.

II.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beauftragte die Zeugin J. D. am 4. Mai 1999 den Angeklagten mit ihrer Interessenwahrnehmung in einem gegen sie eingeleiteten Strafverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Die Zeugin D. hatte den Außenspiegel des Fahrzeugs der Geschädigten K. beschädigt. Der Schaden betrug nach deren Angaben 240,-- DM. In dieser Höhe hatte der Vater der Beschuldigten D. zuvor Zahlung an die Reparaturwerkstatt geleistet. Der Angeklagte regte eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO mit der Begründung an, dass sich der Schaden im Bagatellbereich bewege und bereits reguliert sei.

Nachdem die Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, dass sie einer Einstellung nur gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 200,-- DM zustimmen werde, forderte der Angeklagte die Mutter der Zeugin D., mit der er hauptsächlich verhandelte, auf, von der Zeugin K. eine Bescheinigung über die Zahlung von 80,-- DM zu beschaffen. Eine entsprechende von der Zeugin K. unterzeichnete Bescheinigung reichte der Angeklagte mit Schrift vom 30. Juni 1999 bei der Staatsanwaltschaft ein. Nachdem der Angeklagte eine Einstellung nach § 153 a StPO abgelehnt hatte, ordnete die Staatsanwaltschaft die Vernehmung der Zeugin K. zur Schadenshöhe an. Die Zeugin begab sich nach Erhalt der Ladung zu der Zeugin D. und erklärte dieser, dass sie nicht zur Polizei gehen wolle. Die Zeugin D. rief daraufhin den Angeklagten an, sprach mit ihm über die Vorladung und übergab anschließend den Telefonhörer an die Zeugin K.. Dieser erklärte der Angeklagte, dass er die Sache für sie regeln werde, sie müsse ihn lediglich bevollmächtigen. Die Zeugin K. schrieb im Anschluss an das Telefonat auf die Vorladung die Worte "Hiermit bevollmächtige ich, R. K., Rechtsanwalt H." und sandte dies an den Angeklagten. Der Angeklagte teilte daraufhin der Polizei mit, dass er die Zeugin K. vertrete und diese nicht zur Vorladung erscheinen werde. Mit Fax vom 7. September 1999 erhob der Angeklagte eine Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde gegen den in der Verkehrsunfallfluchtsache ermittelnden Staatsanwalt und teilte u.a. mit, dass er Frau J. D. und die Zeugin Renate K. vertrete.

III.

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Parteiverrats nicht.

Gemäß § 356 StGB macht sich ein Rechtsanwalt wegen Parteiverrats strafbar, wenn er bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient.

Der Tatbestand des § 356 StGB schützt neben der Treuepflicht gegenüber dem Auftraggeber vornehmlich das Vertrauen in die Integrität der Rechtspflege, insbesondere der Rechtsbeistandschaft (vgl. BGHSt 15, 332, 336). Insoweit ist eine Einwilligung der Parteien in eine pflichtwidrige Handlung nicht rechtfertigend (vgl. BayObLGSt 1994, 193, 194; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 35, 36). Die Tatsache, dass vorliegend beide Parteien mit dem Tätigwerden des Angeklagten einverstanden waren, ist daher unbeachtlich.

Ein pflichtwidriges Dienen liegt indessen nur vor, wenn bei Übernahme des Mandats ein Interessengegensatz beider Parteien zu bejahen ist.

Das Tatbestandsmerkmal "in derselben Rechtssache" ist nicht darauf beschränkt, dass der Rechtsanwalt in demselben Verfahren tätig wird. Maßgebend ist vielmehr die Identität des anvertrauten Sachverhalts, mag dieser auch in Verfahren verschiedener Art und unterschiedlicher Zielrichtung von Bedeutung sein (vgl. BGHSt 18, 192, 193; OLG Zweibrücken, aaO). Anvertrauter Gegenstand eines Verfahrens ist grundsätzlich alles, was für den Ausgang dieses Verfahrens relevant sein kann. Sobald und solange der anvertraute Verfahrensstoff bei einem anderen Auftragsverhältnis wieder rechtliche Bedeutung erlangen kann, darf der Anwalt nicht in eben dieser Rechtssache dem nunmehrigen Gegner seines früheren Auftraggebers Rat oder Beistand gewähren (vgl. BGHSt 18, 192, 193). Nach allgemeiner Meinung ist ein interessengegensätzliches Handeln Bestandteil des § 356 StGB. Für die Beurteilung des Interessengegensatzes ist die wirkliche Interessenlage, die durch den Auftrag der Parteien festgelegt wird, maßgebend. Das Tätigwerden des Rechtsanwalts im Rahmen des neu erteilten Auftrags muss dem Interesse der anderen Partei objektiv entgegengesetzt sein.

Ob ein widerstreitendes Interesse vorliegt, ist nicht nur anhand objektiver Kriterien zu bestimmen, sondern auch durch den konkreten Inhalt und Umfang der erteilten Aufträge (vgl. BGHSt 15, 332, 334; 5, 284, 287, 289; BayObLGSt, aaO; OLG Zweibrücken, aaO).

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt nicht in derselben Rechtssache beiden Parteien pflichtwidrig gedient. Zwar handelt es sich bei den Zeuginnen D. und K. hinsichtlich des Verfahrens wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort um Parteien in derselben Rechtssache iSd § 356 StGB, wobei sich die Zeuginnen auch als Verfahrensbeteiligte mit zunächst widerstreitenden rechtlichen Interessen gegenüberstanden. Die Feststellungen genügen indessen nicht, das Tätigwerden des Angeklagten für die Zeugin K. als pflichtwidriges Dienen in derselben Rechtssache in einer bestehenden Interessenkollision mit der Zeugin D. anzusehen.

Die Beschuldigte D. hatte den Angeklagten mit der Verteidigung in dem gegen sie eingeleiteten Strafverfahren und damit mit der Wahrnehmung ihrer Interessen, die auf einen Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StGB abzielten, beauftragt. Demgegenüber war der Auftrag der Zeugin K. inhaltlich dahingehend beschränkt, dass der Angeklagte lediglich eine polizeiliche Vernehmung verhindern sollte. Im Rahmen dieses Auftrags hat sich der Angeklagte bewegt, indem er einerseits eine entsprechende Mitteilung an die Polizei richtete und andererseits mittels Dienstaufsichtsbeschwerde ein weiteres Tätigwerden der Staatsanwaltschaft in diese Richtung zu unterbinden suchte. Dieser eingeschränkte Umfang der erteilten Vollmacht ergab sich nach außen aus dem Umstand, dass die Vollmacht auf das Vorladungsschreiben geschrieben worden war. Der Angeklagte hatte insoweit nicht den Auftrag, die Zeugin auch hinsichtlich des eingetretenen Unfallschadens zu vertreten. Dazu bestand auch kein Anlass, nachdem der Schaden bereits vorher vollständig reguliert worden war.

Das erklärte Ziel und das daraus zu entnehmende Interesse der Zeugin K. bestand demgemäß lediglich darin, dem zeugenschaftlichen Vernehmungstermin zu entgehen sowie der Art der Ermittlungstätigkeit, durch die sie sich belästigt fühlte, entgegen zu treten.

Das angefochtene Urteil unterliegt daher der Aufhebung und Zurückverweisung.

Im übrigen weist der Senat darauf hin, dass auch der Rechtsfolgenausspruch durchgreifenden Bedenken unterliegt.

Die Strafkammer hat einen vermeidbaren Verbotsirrtum angenommen, in der Konsequenz indessen § 17 Satz 2 StGB nicht erörtert. Dies stellt einen Rechtsfehler dar, da das Urteil erkennen lassen muss, dass der Tatrichter die Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 1 StGB gesehen und geprüft hat (vgl. BGH MDR 1969, 359).

Darüberhinaus hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten verwertet, dass dieser keine Einsicht in sein vermeintliches Fehlverhalten gezeigt habe. Auch dies ist rechtsfehlerhaft. Eine Uneinsichtigkeit des Angeklagten darf nur im Ausnahmefall straferschwerend herangezogen werden. Denn ansonsten würde das Recht des Angeklagten, sich uneingeschränkt gegenüber dem erhobenen Strafvorwurf verteidigen zu können, durch eine Verfahrenssanktion unzulässig und deshalb nicht hinnehmbar beeinträchtigt. Das Verteidigungsrecht eines Angeklagten verbietet regelmäßig, ihm einen zusätzlichen Vorwurf daraus zu machen, dass er die Straftat in Abrede stellt und damit von einer ihm eingeräumten prozessualen Möglichkeit Gebrauch macht. Aus dem Fehlen eines Geständnisses darf konsequenterweise auch keine Uneinsichtigkeit zum Nachteil des Angeklagten abgeleitet werden.

Von einem leugnenden Angeklagten kann naturgemäß nicht erwartet werden, dass er Reue und Einsicht zeigt, weil er sonst seine Verteidigung ad absurdum führt, zumindest seine Verteidigungsposition gefährdet (vgl. BGH wistra 1988, 303, 304; NStZ 1983, 453; StV 1983, 501; MDR 1980, 240, 241).

Eine Uneinsichtigkeit des Angeklagten darf bei der Bemessung der Strafe nur dann ausnahmsweise zu seinem Nachteil berücksichtigt werden, wenn eine solche Wertung aus tat- und täterspezifischen Tatsachen ohne weiteres gefolgert werden kann und sich daraus zwangsläufig ergibt, dass das Verhalten des Angeklagten den zwingenden Schluss auf eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung, eine besondere Gefährlichkeit oder künftige Rechtsverletzungen begründet (vgl. BGHSt 32, 165, 182/183; BGH NStZ 1985, 545; StV 1982, 223; OLG Düsseldorf StV 1996, 217; StV 1995, 525 f = Stbg 1994, 524 f = wistra 1994, 352 f; DAR 1994, 282 f = NZV 1994, 288 f = VM 1994 Nr. 91 = VRS 87, 213 f; BayObLG St 1964, 147, 148; OLG Köln MDR 1981, 69; VRS 60, 375, 377; OLG Schleswig SchlHA 1982, 98).

Solche besonderen Umstände sind vorliegend nicht festgestellt, so dass die Berücksichtigung einer Uneinsichtigkeit des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerhaft ist.

Ende der Entscheidung

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