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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.11.2000
Aktenzeichen: 2a Ss 272/00 - 64/00 II
Rechtsgebiete: BtmG


Vorschriften:

BtmG § 29 Abs. 1
BtmG § 29 a Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz:

BtmG §§ 29 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2

Die Bestimmung des Schuldumfangs bei Verstößen gegen das Betäubungmittelgesetz setzt grundsätzlich voraus, daß entweder konkrete Festellungen über die Qualität des Betäubungsmittels getroffen oder daß von der für den Angeklagten günstigsten Qualität ausgegangen wird, die nach den Umständen in Frage kommt.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss 272/00 - 64/00 II 15 Js 1316/99 StA Mönchengladbach

In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S, den Richter am Oberlandesgericht B und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R am

8. November 2000

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 7. Juni 2000 nach Anhörung des Beschwerdeführers und der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Mönchengladbach hat den Angeklagten durch Urteil vom 6. April 2000 wegen "unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in drei Fällen mit solchen in nicht geringer Menge gemeinschaftlich handelnd," zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten ist durch das angefochtene Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach verworfen worden.

Die Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Das zulässige und begründete Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts (§§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

I.

In Bezug auf die Verurteilung wegen dreier Fälle des gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) ist das Landgericht zu Unrecht von einer Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen und hat daher - rechtsfehlerhaft - eigene Feststellungen zum Schuldspruch unterlassen.

Nach allgemeiner Ansicht kann die Berufung nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden, wenn die Urteilsfeststellungen zur Tat - sei es auch nur zur inneren Tatseite - derart knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, daß sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 318 Rn. 16 m.w.N.). Dies ist vorliegend bei den amtsgerichtlichen Feststellungen zu den drei Fällen der gemeinschaftlichen. Begehung einer Tat gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG der Fall, so daß die Kammer insoweit nicht von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgehen durfte.

1.

Soweit im amtsgerichtlichen Urteil ausgeführt ist, daß der Angeklagte "wahrscheinlich im Juli 1999" für einen Dritten Betäubungsmittel "bunkerte" und hierfür als Entgelt 200,- DM und zehn Gramm Kokain erhielt (Fall 5 der Urteilsgründe), sind die Feststellungen sowohl zum objektiven Tathergang als auch zur subjektiven Tatseite derart knapp, daß sie den Schuldspruch wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht tragen und den Unrechtsgehalt der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat nicht ansatzweise erkennen lassen. Die Urteilsgründe teilen nicht mit, welchem Endzweck die Einlagerung der Betäubungsmittel beim Angeklagten diente und inwiefern der Angeklagte in die Verwendungspläne der einlagernden Person eingeweiht war. Auf derart lückenhafter Grundlage läßt sich weder die rechtliche Würdigung der Tathandlung als gemeinschaftliches Handeltreiben im Sinne einer von Tatherrschaft getragenen Förderung des Betäubungsmittelabsatzes nachvollziehen noch der für die Strafbemessung relevante Umfang der persönlichen Schuld des Angeklagten bestimmen.

2.

Die amtsgerichtlichen Ausführungen zum Schuldspruch in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe sind in Bezug auf das gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erforderliche Tatbestandsmerkmal der "nicht geringen Menge" lückenhaft und daher für eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ebenfalls nicht geeignet.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts bezog und veräußerte der Angeklagte im Zeitraum Ende Juni bis Anfang August 1999 fünfundsiebzig Gramm Kokain in Pulverform; ferner verkaufte er "etwa Mitte 1999" vierzig Gramm Kokain für 2.700,- DM an den gesondert verfolgten B, der bei der Weiterveräußerung 3.800,- DM als Kaufpreis vereinnahmen konnte. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, welchen Wirkstoffgehalt das Amtsgericht für die gehandelten Betäubungsmittelmengen zugrunde gelegt hat. Die tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen für sich allein nicht die Schlußfolgerung, daß in beiden Fällen des Handeltreibens der bei Kokainprodukten für die "nicht geringe Menge" maßgebliche Grenzwert von 5 g Kokainhydrochlorid (vgl. BGHSt 33, 133; Körner, BtMG, 4. Auflage, § 29a Rn. 50) erreicht war. Da Kokain im innereuropäischen Handel zumeist nicht ohne Beimengungen, sondern gestreckt in den unterschiedlichsten Wirkstoffkonzentrationen verkauft wird (vgl. BGH StV 85, 148; BGH Beschluß v. 28. April 1994 -4 StR 185/94-; Weber, BtMG, Vor §§ 29ff., Rn. 519 sowie Anh. E. "Häufigkeit der Wirkstoffgehalte - Kokain"), ist angesichts der hier zur Rede stehenden Gesamthandelsmengen von fünfundsiebzig und vierzig Gramm noch nicht auszuschließen, daß es sich um Ware ungewöhnlich schlechter Qualität mit einem Reinheitsgehalt von nur bis zu 6% gehandelt haben könnte. Auch die Urteilsausführungen zum Kaufpreis erlauben insoweit keine abweichenden Schlußfolgerungen, denn es ist nicht mitgeteilt, ob- und inwieweit das zur Rede stehende Handelsgeschäft des Angeklagten den zur Tatzeit "marktüblichen" Preis - Leistungsverhältnissen entsprach. Sonstige Umstände, die auf eine bestimmte Mindestqualität der vom Angeklagten vertriebenen Kokainmengen schließen lassen (vgl. hierzu Weber, aaO, Vor 29ff., Rn. 500-502; Körner, aaO, § 29a Rn. 79ff., jeweils m.w.N.), sind nicht festgestellt. Das amtsgerichtliche Urteil weist daher zum Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Lücken auf, die einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch im Wege stehen.

II.

Hinsichtlich der beiden Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG (Verkauf von "drei bis vier Gramm" sowie "fünf oder acht Gramm" Kokain an O T, Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe) geht das Landgericht zwar zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch aus. Die Strafzumessung ist indes rechtsfehlerhaft, da das Berufungsurteil Angaben zum Wirkstoffgehalt der veräußerten Betäubungsmittel vermissen läßt.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Bestimmung des Schuldumfangs bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz grundsätzlich voraus, daß entweder konkrete Feststellungen über die Qualität des Betäubungsmittels getroffen oder daß von der für den Angeklagten günstigsten Qualität ausgegangen wird, die nach den Umständen in Frage kommt (BGH NJW 94, 1885f. sowie die Beschlüsse v. 29. Januar 1992 -5 StR 5/92-, 28. April 1994 -4 StR 185/94- und 8. Januar 1992 -5 StR 628/91-). Von genaueren Feststellungen darf nur dann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es ausgeschlossen ist, daß eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen kann (BGH NStZ 90, 395; Beschlüsse v. 29. Januar 1992 -5 StR 5/92- und 8. Januar 1992 -5 StR 628/91-). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das Landgericht im Falle genauerer Feststellungen zum (Mindest)Wirkstoffgehalt der verkauften Mengen für die beiden Verstöße gegen § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG - unter zusätzlicher Berücksichtigung der durch den Angeklagten ausweislich des Urteils geleisteten Aufklärungshilfe - nur eine Geldstrafe verhängt hätte.

Da unzulängliche Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Betäubungsmittels außerhalb der Bestimmung des Grenzwerts zur "nicht geringen Menge" nur den Rechtsfolgenausspruch, nicht aber bereits den Schuldspruch berühren (so die Rechtsprechung des BGH, vgl. NStZ-RR 96, 281; NStZ 96, 498f.; StV 94, 527; NJW 94, 1885f.; Beschlüsse v. 29. Januar 1992 -5 StR 5/92-, 28. April 1994 -4 StR 185/94-, 11. Februar 1992 -5 StR 18/92- und 8. Januar 1992 -5 StR 628/91 begegnet die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung in den Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG vorliegend keinen Bedenken. Die insoweit teilweise vertretene Gegenansicht (BayObLG NStZ-RR 98, 55f; OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, Beschluß v. 25. Oktober 2000 -2b Ss 204/00-72/00 I-) vermag der Senat nicht zu teilen.

III.

Für die weitere Sachbehandlung wird auf folgendes hingewiesen:

In den Fällen einer Aufklärungshilfe ist vor der Anwendung des über § 31 BtMG gemilderten Strafrahmens des § 29a Abs. 1 BtMG zunächst zu prüfen, ob der zur Rede stehende Sachverhalt - mit oder ohne Berücksichtigung der für die Aufklärungshilfe relevanten Umstände - die Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne von § 29 Abs. 2 BtMG erfüllt (Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, § 49 Rn. 6).

Werden bei der Strafbemessung Vorstrafen zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, so ist grundsätzlich das Rechtskraftdatum der diesbezüglichen Gerichtsentscheidung im tatrichterlichen Urteil anzugeben, denn nur auf diese Weise vermag der Senat zu überprüfen, ob und inwieweit sich der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldhaft über die Warnfunktion der Vorverurteilung hinweggesetzt hat. Auch die nachteilige Annahme eines Bewährungsversagens setzt voraus, daß der Angeklagte zur Tatzeit die bestehende Bewährungsaufsicht und insbesondere den Lauf der Bewährungszeit kannte, was im Falle einer Verlängerung ursprünglich festgesetzter Bewährungszeiten oder einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gegebenenfalls ergänzende Feststellungen zur Bekanntgabe der entsprechenden Gerichtsbeschlüsse erforderlich macht.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die tatrichterliche Entscheidung zur Frage einer etwaigen Strafaussetzung zur Bewährung nur dann revisionsrechtlich überprüft werden kann, wenn die insoweit maßgeblichen Tatsachen im Urteil vollständig mitgeteilt sind. Es wird daher ergänzender Angaben zum Umfang der Aufklärungshilfe des Angeklagten und zu dem Inhalt des Berichts seiner Bewährungshelferin bedürfen, den das Landgericht im angefochtenen Urteil als "ansatzweise positiv" bezeichnet hat.

Ende der Entscheidung

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