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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 28.08.2000
Aktenzeichen: 2b Ss (OWi) 203/00 - (OWi) 75/00 I
Rechtsgebiete: StVO, OWiG, StVG, StPO


Vorschriften:

StVO § 41 Abs. 2 Nr. 7
OWiG § 10
OWiG § 71 Abs. 1
StVG § 25 Abs. 2 a Satz 1
StPO § 260 Abs. 4 Satz 1
StPO § 260 Abs. 4 Satz 2
StPO § 260 Abs. 5 Satz 1
1. Zur Feststellung einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

2. Es steht nicht im Ermessen des Gerichts, ob die "Schonfrist" des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG für das Wirksamwerden des Fahrverbots festgesetzt wird. Dies hängt vielmehr allein davon ab, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Eine "Verwirkung" dieser gesetzlichen Vergünstigung durch den Betroffenen scheidet aus.

3. Zur Fassung der Urteilsformel bei Verurteilungen wegen Ordnungswidrigkeiten.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2b Ss (OWi) 203/00 - (OWi) 75/00 I 908 Js 1998/99 StA Düsseldorf

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 1. Senat für Bußgeldsachen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S und die Richter am Oberlandesgericht S und B auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 10. April 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, zu 2. auf deren Antrag und nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 und 3 StPO einstimmig,

am 28. August 2000

beschlossen:

Tenor:

1.

Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert und neu gefaßt.

Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der durch Verkehrszeichen zugelassenen Höchstgeschwindigkeit zu 150 DM Geldbuße verurteilt.

Für die Dauer eines Monats wird dem Betroffenen verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.

Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Angewendete Vorschriften:

§§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2a Satz 1 StVG.

2.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

3.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen §§ 49, 41 (Zeichen 274) StVO, 24 StVG" zu einer Geldbuße von 200 DM verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot vom einem Monat verhängt. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Änderung des Schuldspruchs (Fahrlässigkeit statt Vorsatz) und des Rechtsfolgenausspruchs (Herabsetzung der Geldbuße auf 150 DM und Gewährung der "Schonfrist") durch den Senat. Im Übrigen ist sie nicht begründet.

I.

Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge überschritt der Betroffene am 16. Juni 1999 um 6.16 Uhr mit seinem Pkw auf der Landstraße L 390 zwischen Kaarst und Schiefbahn die an der Meßstelle durch Zeichen 274 zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 28 km/h. Die wörtlich wiedergegebene Einlassung des - ortskundigen - Betroffenen in der Hauptverhandlung lautete:

"Ja ist klar. Das habe ich gemacht. Das gebe ich zu. Auf dem Zweig sind 3 Zonen, einmal 50, 70 und 100 und einige Schilder mit Aufhebung aller Streckenverbote und 2 Schilder Ende Überholverbot. Da werde ich nicht richtig drauf geguckt haben. Ich habe gedacht, alles ist aufgehoben und ich darf 100 fahren."

Daraus hat das Amtsgericht hergeleitet, der Betroffene habe die zugelassene Höchstgeschwindigkeit vorsätzlich überschritten. Das war rechtsfehlerhaft. Der Betroffene hat zwar zugegeben, wissentlich schneller als 70 km/h gefahren zu sein. Damit hat er aber nicht eingeräumt, daß er sich bewußt gewesen sei oder damit gerechnet habe, schneller als erlaubt zu fahren. Das Gegenteil ist der Fall. Der Betroffene hat ausdrücklich eingewandt, er habe die festgestellte und zugegebene Geschwindigkeit von 98 km/h für erlaubt gehalten ("Ich habe gedacht,... ich darf 100 fahren"). Umstände, aufgrund derer es diesen Einwand als widerlegt ansehen durfte, hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

II.

Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Änderung des Schuldspruchs und des Rechtsfolgenausspruchs. Der Senat entscheidet in entsprechender Anwendung von § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst, weil ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten und auch nicht nötig sind.

1. Die sonst fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts belegen, daß der Betroffene die durch Zeichen 274 zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h fahrlässig überschritten hat. Insoweit hat der Betroffene das Urteil auch nicht angegriffen.

2. Bei einer fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h beträgt die Regelbuße 100 DM (Nr. 5.3.2 Bkat). Wegen der einschlägigen Vorbelastung, die das Amtsgericht festgestellt hat (Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h, geahndet durch Bußgeldbescheid vom 2. Oktober 1998, rechtskräftig seit dem 29. Oktober 1998), ist eine Geldbuße von 150 DM angemessen und geboten.

3. Die Anordnung des Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers folgt aus § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV. Danach kommt ein Fahrverbot in der Regel in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig verhängt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht. Das ist hier der Fall. Von der Anordnung des Regelfahrverbots von einem Monat wäre nur - unter Erhöhung der Regelbuße, § 2 Abs. 4 BKatV - abzusehen, wenn der Sachverhalt so erheblich von dem Normalfall abwiche, daß die Anordnung dieser Nebenfolge unangemessen wäre. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils bieten dafür keinen Anhalt.

4. Die Urteilsformel war um die "Schonfrist" des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG zu ergänzen, weil in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen den Betroffenen nicht verhängt worden und - was der Senat zugunsten des Betroffenen unterstellt - auch bis jetzt ein Fahrverbot nicht verhängt worden ist. Insoweit steht dem Gericht kein Ermessen zu (Senat VRS 95 [1998], 288). Die Ansicht des Amtsgerichts, der Betroffene habe die Vergünstigung des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG "verwirkt", findet im Gesetz keine Stütze.

5. Die Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils gibt erneut Anlaß zu dem Hinweis, daß auch in Bußgeldsachen die Tat in der Urteilsformel mit Worten anschaulich und verständlich zu bezeichnen ist. Die angewendeten Vorschriften sind erst nach der Urteilformel aufzuführen und werden nicht verkündet (§ 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 260 Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 1, 268 Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. Senat VRS 98 [2000], 362 m. w. N.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 465 Abs. 1 Satz 1, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Teilerfolg (geringere Geldbuße, "Schonfrist") führt nicht zu einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 473 Abs. 4 StPO. Denn es ist davon auszugehen, daß der Betroffene auch gegen eine dem Senatsbeschluß entsprechende Entscheidung des Amtsgerichts Rechtsbeschwerde eingelegt hätte (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. [1999], § 473 Rdnr. 26 m. w. N.).



Ende der Entscheidung

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