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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 30.12.1999
Aktenzeichen: 2b Ss (OWi) 251/99 - (OWi) 102/99 I
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 23 Abs. l Satz 2
StVO § 49 Abs. l Nr. 22
StVO §§ 23 Abs. l Satz 2, 49 Abs. l Nr. 22

Eine - objektive - Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO liegt vor, wenn der Fahrzeugführer das Kraftfahrzeug in Betrieb nimmt, ohne sich zuvor davon überzeugt zu haben, daß im Fahrzeugtank genügend Treibstoff vorhanden ist, um die in Aussicht genommene Fahrstrecke zu bewältigen, und wenn das Fahrzeug wegen Treibstoffmangels in verkehrsgefährdender Weise, etwa auf der Autobahn, liegen bleibt. In subjektiver Hinsicht erfordert der Vorwurf einer solchen Pflichtwidrigkeit allerdings, daß der Fahrzeugführer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt den vorzeitigen Verbrauch des vorhandenen Treibstoffs und das Liegenbleiben des Fahrzeugs unter verkehrsgefährdenden Umständen vorhersehen konnte und mußte.

OLG Düsseldorf, l. Senat für Bußgeldsachen, Beschluß vom 30.12.1999 - 2b Ss (OWi) 251/99 - (OWi) 102/99 I


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2b Ss (OWi) 251/99 - (OWi) 102/99 I 904 Js 742/99 StA Düsseldorf

In der Bußgeldsache

gegen

...

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der l. Senat für Bußgeldsachen durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S... sowie die Richter am Oberlandesgericht H... und S... auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Ratingen vom 31. Mai 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 30. Dezember 1999 beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Ratingen zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 23, 49 StVO, 24 StVG" zu einer Geldbuße von 100,-- DM verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Rechtsbeschwerde, die der Senat auf den Antrag des Betroffenen durch besonderen Beschluß vom heutigen Tage zugelassen hat, führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Eines Eingehens auf die Verfahrensrüge bedarf es hiernach nicht.

I.

l. Das Amtsgericht hat festgestellt:

"Der Betroffene befuhr am 21.10.1998 um 05:40 Uhr in R... die A 52 innerhalb des Autobahnkreuzes Breitscheid mit seinem Pkw VW Passat, dessen Halter er auch ist, amtliches Kennzeichen .... Auf dem Verflechtungsstreifen innerhalb des Autobahnkreuzes blieb er infolge Benzinmangels liegen. Er hatte damit als Fahrzeugführer nicht dafür ausreichend Sorge getragen, daß das Fahrzeug vorschriftsmäßig war, so daß dadurch die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt wurde. Später geschahen noch Auffahrunfälle, weil andere Verkehrsteilnehmer das liegengebliebene Fahrzeug auf der Fahrbahn nicht rechtzeitig erkannten. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene durchaus erkennen können und müssen, daß er nicht genügend Benzin im Fahrzeug hatte."

2.

Die Einlassung des Betroffenen, der Treibstofftank des drei Wochen vor dem Vorfallstag erworbenen Pkw's habe nach 900 gefahrenen Kilometern mit einem Verbrauch von 7 Liter pro 100 km noch nicht leer sein können, die Tanknadel habe zudem bei der Abfahrt erst im Anfangsbereich der roten Markierung gestanden, hat das Amtsgericht für unerheblich erachtet und dazu ausgeführt:

"Diese Einlassung des Betroffenen vermag ihn nicht zu entlasten. Als Fahrzeugführer ist er verpflichtet, ausreichend dafür Sorge zu tragen, daß er genug Benzin bzw. Diesel im Tank hat. Es kann ihn keinesfalls entlasten, daß er das Fahrzeug erst drei Wochen vorher gekauft hat. Erst recht kann ihn nicht die Tatsache entlasten, daß er erst 900 km mit einem Tank gefahren sei. Er mußte ohne weiteres damit rechnen, daß insoweit der Sprit nicht ausreichen konnte. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte er dies jedenfalls erkennen können und müssen."

II.

Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch "wegen fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 23, 49 StVO, 24 StVG"

l.

Gemäß § 23 Abs. 1 StVO ist der Fahrzeugführer u.a. für die Verkehrssicherheit des von ihm in Betrieb genommenen Kraftfahrzeugs verantwortlich. Die ihm deshalb obliegende Überwachungspflicht, an die strenge Anforderungen zu stellen sind, ist eine Schutzpflicht gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern gegen erhöhte Gefahren, die auf Mängel beim Betrieb des Kraftfahrzeugs zurückzuführen sind (vgl. hierzu Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 23 StVO Rdnr. 10 m.w.N.). Wer als Kraftfahrzeugführer vorsätzlich oder fahrlässig dieser Pflicht nicht genügt, handelt ordnungswidrig (§ 49 Abs. l Nr. 22 StVO, 24 StVG).

a)

Ob der Kraftfahrzeugführer hiernach auch verpflichtet ist, sich vor Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs davon zu überzeugen, daß während der Fahrt im öffentlichen Straßenverkehr der Treibstoff nicht ausgeht, also eine ausreichende Menge Treibstoff zur Vorschriftsmäßigkeit des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 30 Abs. l StVZO gehört, ist - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (vgl. OLG Karlsruhe VRS 49, 265; ferner Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 23 StVO Rdrn. 27; Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 15. Aufl., § 23 Rdnr. 13, sämtlich m.w.N.). Gegen eine solche generelle Annahme spricht jedenfalls, daß das Kraftfahrzeug allein durch Fehlen von Treibstoff dann nicht vorschriftswidrig wird, wenn es infolgedessen unter nicht verkehrsgefährdenden Umständen liegenbleibt (vgl. Mühlhaus/Janiszewski, a.a.O., und die dort genannten weiteren Nachweise). Im Hinblick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles kann der Senat diese Frage aber unentschieden lassen.

b)

Anders ist es jedoch, wenn - wie hier - ein den Vorschriften der §§ 23 Abs. l StVO, 30 StZVO an sich genügendes Kraftfahrzeug wegen Liegenbleibens infolge Treibstoffmangels die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigt. Das ist dann der Fall, wenn das Liegenbleiben die von dem Betrieb des Kraftfahrzeugs normalerweise ausgehende Gefahr derart steigert, daß eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer dadurch wahrscheinlich wird (vgl. Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 23 StVO Rdnr. 21). Diese Folge tritt vor allem ein, wenn das Kraftfahrzeug wegen Treibstoffmangels an einer Stelle liegen bleibt, an der es nicht oder nicht rechtzeitig als stehendes Hindernis erkannt werden kann, also an einer unübersichtlichen Örtlichkeit, an der deshalb Parken und Anhalten grundsätzlich verboten ist, und vor allem auf Autobahnen, auf denen in aller Regel mit hoher Geschwindigkeit gefahren wird (vgl. Jagusch/Hentschel, a.a.O.; Mühlhaus/Janiszewski, a.a.O., jeweils m.w.N.). Dieser erhöhten Gefahr tragen die Vorschriften der §§ 15 Satz l, 23 Abs. 2 StVO Rechnung, wonach der Fahrzeugführer in einem solchen Fall sofort das Warnblinklicht einzuschalten und überdies dafür Sorge zu tragen hat, daß das Kraftfahrzeug auf kürzestem Wege aus dem Verkehr gezogen wird, wenn der die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigende Mangel nicht an Ort und Stelle alsbald beseitigt werden kann.

Unter den dargelegten Umständen, daß nämlich das Liegenbleiben des Kraftfahrzeugs mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und einer daraus resultierenden erhöhten konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verbunden ist, ist der Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 23, 49 Abs. l Nr. 22 StVO, 24 StVG objektiv erfüllt, wenn der Fahrzeugführer das Kraftfahrzeug in Betrieb genommen hat, ohne sich zuvor davon überzeugt zu haben, daß genügend Treibstoff vorhanden war, um die in Aussicht genommene Fahrstrecke zu bewältigen (vgl. OLG Karlsruhe VRS 49, 266; Jagusch/Hentschel, a.a.O.; Mühlhaus/Janiszewski, a.a.O., und die dort zitierten Entscheidungen).

c)

In subjektiver Hinsicht erfordert der Vorwurf des pflichtwidrigen Verhaltens insoweit allerdings, daß der Fahrzeugführer bei Anwendung der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, daß infolge des geringen Vorrats an Treibstoff im Sinne der Vorhersehbarkeit damit zu rechnen war, daß dieser vorzeitig verbraucht sein und das Kraftfahrzeug unter verkehrsgefährdenden Umständen liegen bleiben würde (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; ferner Mühlhaus/Janiszewski, a.a.O., Einführung Rdnr. 79 ff.). Nur dann, wenn der Betroffene insoweit pflichtwidrig gehandelt hat, kann ihm schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden.

2.

Den hiernach an eine Verurteilung gemäß §§ 23, 49 Abs. l Nr. 22 StVO, 24 StVG insbesondere in subjektiver Hinsicht zu stellenden Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Insbesondere fehlt es an hinreichenden Darlegungen zur Frage, ob der Betroffene bei Anwendung der im Verkehr erfor-derlichen Sorgfalt voraussehen konnte und mußte, daß der von ihm geführte Pkw wegen Treibstoffmangels vor Beendigung der Fahrt in verkehrsgefährdender Weise auf der Autobahn liegen bleiben werde.

a)

Es wird bereits nicht mitgeteilt, welche Fahrstrecke der Betroffene zurücklegen und über wie viele Kilometer er bei der Fahrt die Autobahn benutzen wollte.

b)

Wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, hat - jedenfalls nach der Einlassung des Angeklagten - im Zeitpunkt der Abfahrt die Nadel des Tankanzeigers im Anfangsbereich der roten Markierung gestanden. Der Tatrichter setzt sich in diesem Zusammenhang nicht mit der Frage auseinander, wie viele Kilometer mit der zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenen Treibstoffmenge zurückgelegt werden konnte. Ferner läßt das Urteil jede Erörterung der Frage vermissen, ob der Betroffene nach der Tankanzeige noch annehmen durfte, er könne das Ziel seiner Fahrt ohne Liegenbleiben infolge Treibstoffmangels erreichen, oder ob er darauf - und gegebenenfalls aus welchen Gründen - nicht mehr vertrauen durfte.

c)

Vor allem aber ist den Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen, daß der Betroffene damit zu rechnen hatte, der Treibstoffvorrat werde gerade auf der Autobahn zu Ende gehen und deshalb der Pkw dort in verkehrsgefährdender Weise liegenbleiben.

Letztlich verhält sich die angefochtene Entscheidung mit keinem Wort zu der Frage, ob der Betroffene die nach § 15 StVO vorgeschriebenen Maßnahmen zur Verkehrssicherung in ausreichendem Umfang vorgenommen und sich bemüht hat, den vorhandenen Mangel baldigst - etwa durch Nachtanken aus einem möglicherweise mitgeführten Reservekanister oder Treibstoffbeschaffung auf andere Weise - zu beheben.

III.

Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es ist mit den Feststellungen aufzuheben (§§ 79 Abs. 3 Satz l OWiG, 353 StPO). Da weitere Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Der Senat erachtet dabei die Zurückverweisung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts für angezeigt.



Ende der Entscheidung

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