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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 06.09.2001
Aktenzeichen: 2b Ss 126/01 - 63/01 IV
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 249
StPO § 250
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 250 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2b Ss 126/01 - 63/01 IV

In der Strafsache

gegen ...

wegen Diebstahls

hat der 4. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S , die Richterin am Oberlandesgericht M-S und den Richter am Oberlandesgericht B auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der auswärtigen kleinen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 17. Januar 2001 - Ns 10 Js 556/00 102/00 - nach Anhörung des Angeklagten und der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig

am 06. September 2001

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat gegen den Beschwerdeführer wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten verhängt. Mit dem angefochtenen Urteil hat die Strafkammer die vom Beschwerdeführer eingelegte Berufung verworfen. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, die mit der Verfahrensrüge Erfolg hat.

I.

Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte am 20. Juni 2000 in Moers gemeinsam mit dem gesondert verfolgten B aus dem Geschäft "S " zwei Trainingsanzüge nach vorheriger Entfernung der Sicherheitsetiketten entwendet, wobei die Tatbeteiligten die Beute unter jeweils von ihnen getragenen dünnen Nierengurten verbargen.

Der eine Beteiligung an dem Diebstahl bestreitende Angeklagte hat sich nach den Urteilsgründen im wesentlichen wie folgt eingelassen: Er habe den Nierengurt unter dem Hemd getragen, weil er vor der Fahrt nach Moers nach der Probefahrt mit einem Motorrad vergessen habe, den Gurt abzulegen; lediglich B sei in dem Geschäft "S " gewesen, während er draußen gewartet habe; als man zu dem Pkw zurückgekehrt sei, habe B unter seinem Hemd zwei Trainingsanzüge hervorgeholt und auf den Rücksitz gelegt. Die Strafkammer hat diese Einlassung als widerlegt angesehen. Aus im einzelnen dargelegten Gründen hat sie die Überzeugung gewonnen, "daß der Angeklagte ebenso wie B den Nierengurt bewußt angelegt hat, um ihn zur Begehung eines Ladendiebstahls zu nutzen. Weiter heißt es im Rahmen der Beweiswürdigung:

"Daß er (der Angeklagte) ihn (den Nierengurt) auch benutzt hat, ergibt sich aus der Aussage des Zeugen P . Dieser hat nämlich sowohl B als auch den Angeklagten beobachtet, und er hat nach seinem Eindruck bei beiden eine auffällige Ausbeulung der Kleidung festgestellt. Der Zeuge P , der, wie gesagt, besonders erfahren im Umgang mit der Bekämpfung von Ladendiebstahlskriminalität ist, hat diese Unförmigkeiten sofort auf das Verbergen von Gegenständen unter der Kleidung zurückgeführt. Zwar war der Zeuge P nunmehr, in der Hauptverhandlung, nicht mehr sicher, ob tatsächlich bei beiden Personen, also beim Angeklagten und B , auffällige Veränderungen der Figur festzustellen waren. Auf Vorhalt seines Vermerks vom 20.06.2000, in dem er dargelegt hatte, daß ihm "bei beiden" die "verbeulten Bäuche unter den Hemden" aufgefallen waren, hat er eindeutig erklärt, daß er dies, wenn damals so vermerkt, damals auch beobachtet habe. Dies zeigt auch, daß nicht etwa der Angeklagte B beide Trainingsanzüge unter seinem Hemd im Nierengurt versteckt hatte,..." (UA S. 11).

Diese Ausführungen belegen, dass die Strafkammer den Inhalt des erwähnten Vermerks des Zeugen P vom 20. Juni 2000 bei ihrer Überzeugungsbildung von der (Mit-) Täterschaft des Angeklagten verwertet hat und den Urteilsfeststellungen zugrundegelegt hat.

II.

Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß hierin ein Verstoß gegen §§ 261, 249 StPO liegt. Der Vermerk hätte für die Beweisführung nur verwertet werden dürfen, wenn er in der Hauptverhandlung verlesen worden wäre (§ 249 Abs. 1 StPO; vgl. OLG Düsseldorf, Beschluß vom 7. Januar 1987, StV 1987, 287). Ausweislich des Sitzungsprotokolls der Hauptverhandlung vom 17. Januar 2001 ist eine Verlesung des Vermerks unterblieben. Der Umstand, daß die maßgebliche Passage des Vermerks in der Hauptverhandlung dem Zeugen vorgehalten wurde - wie es dem Hauptverhandlungsprotokoll entnommen werden kann -, kann deren ausdrückliche Verlesung nicht ersetzen. Der Vorhalt als Vernehmungshilfe ist nicht selbst Grundlage für die Überzeugungsbildung (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.); verwertbar ist nach einem Vorhalt allein das, woran sich der Zeuge auf den Vorhalt hin wieder erinnert, also was ihm in die Erinnerung zurückgekehrt ist und von ihm dann bekundet worden ist. (vgl. BGH, StV 1994, 413; MDR 1990, 679 (H); OLG Düsseldorf, a.a.O.; Julius in Heidelberger Kommentar zur StPO, 3. Auflage 2001, § 253 Rdnr. 14). Ausweislich der Urteilsgründe hat sich der Zeuge auch nach dem Vorhalt des in Rede stehenden Vermerks an das Geschehen am Tattage im Hinblick auf die strittige Frage, ob sowohl bei dem Angeklagten als auch bei B auffällige Veränderungen der Figur festzustellen waren, nicht in weiterem Umfang als vorher erinnern können, er hat den Inhalt des Vermerks nicht aus eigener Erinnerung als sachlich richtig bestätigen können. Die in den Urteilsgründen wiedergegebene Erklärung des Zeugen P , er habe dies (gemeint sind die im Vermerk erwähnten "verbeulten Bäuche bei beiden"), wenn er das damals so vermerkt habe, auch so beobachtet, genügt nicht; wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30. März 1994 (StV 1994, 413) ausgeführt hat, genügt die auf Vorhalt eines Vernehmungsprotokolls abgegebene Erklärung eines als Zeugen vernommenen Vernehmungsrichters, er habe die ihm vorgehaltene Aussage eines - sich nunmehr auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufenden - Zeugen richtig aufgenommen, nicht (ebenso BGH MDR 1990,679 (H)). Dasselbe hat auch im vorliegenden Fall zu gelten, da auch hier der Zeuge nicht den Inhalt des ihm vorgehaltenen Schriftstücks - nunmehr aus seiner Erinnerung - bestätigt hat, sondern sich abstrakt generell über seine Vorgehensweise geäußert hat.

Nach alledem stellt die Nichtverlesung des Vermerks bei gleichzeitiger Verwertung deren Inhalts im Rahmen der Beweiswürdigung einen Verfahrensfehler dar, der zur Aufhebung des Urteils nötigt.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 06. August 2001 unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 04. Juni 1970 (NJW 1970, 1558) und vom 28. Juni 1995 (NStZ 1995, 609) darauf hingewiesen hat, daß nach ständiger Rechtsprechung schriftliche Vermerke eines Polizeibeamten zur Ergänzung seiner Aussage herangezogen werden dürfen, wenn sich dieser trotz Vorhaltes an den Inhalt des Vermerkes nicht mehr zu erinnern vermag, und vor diesem Hintergrund die Vorgehensweise der Strafkammer als rechtsfehlerfrei zu bewerten sei, ändert dies an den obigen Ausführungen nichts. Die angeführten Entscheidungen befassen sich lediglich mit der Frage, inwieweit die Verwertung derartiger Vermerke einen Verstoß gegen den in § 250 S. 2 StPO normierten Unmittelbarkeitsgrundsatzes in der Form des Vorrangs des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis darstellt. Insofern hat der Bundesgerichtshof klargestellt, daß § 250 StPO nur die Ersetzung der Zeugenaussage durch die Verwertung einer zu Beweiszwecken erstellten Urkunde untersagt; jedoch verbietet diese Vorschrift nicht, daß neben der Vernehmung der in Betracht kommenden Person als Zeuge eine frühere protokollarisch oder in einer schriftlichen Erklärung festgehaltene Äußerung dieser Person im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird (vgl. auch BGHSt 20, 160, 161).

Ende der Entscheidung

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