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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 28.12.1999
Aktenzeichen: 2b Ss 191/99-74/99 I
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 21
StGB § 49 Abs. 1
StGB § 316
StGB § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. A
StGB § 69a
StGB §§ 21, 49 Abs. 1, 316, 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 69a

1. Zur Pflicht des Tatrichters, sich im Urteil nachprüfbar mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten nach § 21 StGB erheblich vermindert und deshalb eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB angezeigt ist.

2. Die Feststellung erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten im Falle der Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und eine dadurch veranlaßte Strafrahmenverschiebung führen nicht notwendigerweise zu einer Verkürzung der für die Erteilung der (entzogenen) Fahrerlaubnis festzusetzenden Sperrfrist.

OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, Beschluß vom 28.12.1999 - 2b Ss 191/99 - 74/99 I


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2b Ss 191/99-74/99 I 12 Js 1393/98 StA Krefeld

In der Strafsache

gegen

aus, geboren am, in

wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.

hat der l. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht und auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Krefeld - Strafrichters - vom 26. März 1999 nach Anhörung des Beschwerdeführers und der Generalstaatsanwaltschaft - zu Nr. 2 auf deren Antrag - am 28. Dezember 1999 einstimmig beschlossen:

Tenor:

l. Das angefochtene Urteil wird

a)

in dem die Tat vom 21. Dezember 1998 betreffenden Einzelstrafausspruch und

b)

im Gesamtstrafenausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, zur einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Als Einzelstrafen hat es für den Vorfall vom 23. Oktober 1998 eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,-- DM und für das weitere Tatgeschehen vom 21. Dezember 1998 eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten festgesetzt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und der Verwaltungswürde untersagt, ihm vor Ablauf von zwei Jahren und sechs Monaten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die nach § 335 Abs. 1. StPO eingelegte Sprungrevision des Angeklagten, die er wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel ist nur teilweise begründet.

II.

1.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Amtsgericht gegen ihn wegen eines Vergehens der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs, begangen am 23. Oktober 1999 gegen 23.45 Uhr auf dem Gelände einer Tankstelle an der in, auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,-- DM erkannt hat. Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat insoweit keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler aufgedeckt.

2.

Hingegen kann die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis wegen des Vorfalls vom 21. Dezember 1998 keinen Bestand haben. Die Bemessung der Strafe ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a)

Infolge der Beschränkung der Revision ist auch der Schuldspruch hinsichtlich der vorgenannten Tat in Rechtskraft erwachsen, so daß folgender Geschehensablauf mit bindender Wirkung für den Senat feststeht:

"Am 21.12.1998 um 23.57 Uhr fuhr der Angeklagte gleichwohl erneut einen PKW. Mit dem PKW seines Cousins, amtliches Kennzeichen... waren beide auch an diesem Abend zu einer Tankstelle, Ecke... gefahren, um noch Alkohol zu kaufen. Er hatte auch an diesem Abend bereits in erheblichem Maße Alkohol genossen. Beim Verlassen des Tankstellengeländes fuhr der Angeklagte sogleich auf die Linksabbiegespur und von dort weiter in Richtung Birkschenweg, obwohl für diese Fahrtrichtung die Ampel Rotlicht anzeigte. Für den Geradeausverkehr war Grünlicht. Als er den Birkschenweg fast erreicht hatte, kollidierte er mit dem PKW des Zeugen B., der die Hülser Straße in entgegengesetzter Richtung befuhr und ebenfalls Grünlicht hatte. Dieser konnte, als der Angeklagte plötzlich vor ihm auftauchte, trotz sofortigen Bremsens einen Zusammenstoß beider Fahrzeuge nicht mehr vermeiden. Beide Fahrzeuge wurden erheblich beschädigt, der Zeuge, sein Beifahrer und der Beifahrer des Angeklagten, sein Cousin, verletzt.

Dem Angeklagten wurde um 0.30 Uhr eine Blutprobe entnommen. Sie ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,96 0/00. Nach dem Eindruck des die Blutprobe entnehmenden Arztes war die Sprache des Angeklagten deutlich, seine Pupillen waren stark erweitert und sein Bewußtsein benommen. Er war orientiert. Sein Denkablauf war sprunghaft und perseverierend, seine Stimmung gereizt. Er schien deutlich unter Alkoholeinfluß zu stehen."

b)

Zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten bei der Tat vom 21. Dezember 1998 hat das Amtsgericht im Rahmen der Strafzumessung lediglich hervorgehoben, daß seine Alkoholisierung bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,96 Promille erheblich gewesen sei. Zur Frage, ob infolgedessen die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seines Tuns zu erkennen und sich einsichtsgemäß zu verhalten, nicht gem. § 21 StGB mit der Folge einer Strafrahmenänderung nach § 49 Abs. l StGB vermindert war, verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Vielmehr ist der Tatrichter ersichtlich von uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen.

c)

Das ist rechtsfehlerhaft.

aa)

Die dem Angeklagten am 22. Dezember 1998 um 0.30 Uhr, also 33 Minuten nach dem Vorfall, entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,96 0/00 auf. Die zur Feststellung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit erforderliche Rückrechnung mit dem zugunsten des Angeklagten maximalen stündlichen Abbauwert von 0,2 0/00 zuzüglich eines (einmaligen) Sicherheitszuschlags von ebenfalls 0,2 0/00 (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 20 Rdnr. 9 f mit zahlreichen Beispielen zur höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung) ergibt somit einen Blutalkoholwert von 2,26 0/00 (1,96 0/00 + 0,2 0/00 + 0,1 0/00).

bb)

Zwar gibt es keinen wissenschaftlich begründeten Erfahrungssatz, wonach von einer Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2 0/00 an aufwärts die Schuldfähigkeit erheblich vermindert ist (vgl. BGHSt 43, 66; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 20 Rdnr. 9 j m.w.N.). Angesichts der hinzutretenden weiteren Umstände des Falles, insbesondere der erheblichen bei dem Angeklagten festgestellten Ausfallerscheinungen, der von dem Blut entnehmenden Arzt erhobenen Befunde und der Einlassung des Angeklagten, er habe an das Geschehen keine Erinnerung mehr, war der Tatrichter jedenfalls gehalten, sich in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten nach § 21 StGB erheblich vermindert und deshalb eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. l StGB angezeigt war. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß bei rechtlich zutreffender Bewertung eine erhebliche Verminderung des Steuerungsvermögens des Angeklagten zur Tatzeit bejaht und demzufolge auf eine mildere Freiheitsstrafe erkannt worden wäre.

3.

Hiernach kann der Ausspruch über die Verhängung einer Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten wegen des Vorfalls vom 21. Dezember 1998 keinen Bestand haben und ist mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StGB).

Dies hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge.

III.

Der Ausspruch über die vom Tatrichter verhängte Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB hat hingegen Bestand. Der Senat schließt aus, daß sich die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten insoweit zu dessen Gunsten auswirken könnte. Angesichts seiner einschlägigen Vorbelastung, der raschen zeitlichen Abfolge der Straftaten vom 23. Oktober und 21. Dezember 1998 sowie seines sich daraus ergebenden offenbar außerordentlich leichtfertigen Umgangs mit Alkohol ist der Angeklagte noch lange Zeit charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr. Die von ihm ausgehende Gefahr für dessen Sicherheit und die übrigen Verkehrsteilnehmer ist derart hoch, daß nicht nur die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis unabdingbar geboten, sondern auch die vom Tatrichter festgesetzte Sperrfrist von zwei Jahren und sechs Monaten keinesfalls überhöht ist, sondern eher an der unteren Grenze liegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn dem Angeklagten Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. l StGB aufgrund der erneuten Hauptverhandlung zugebilligt werden sollte.

Die in der Revisionsbegründungsschrift zitierte Entscheidung des OLG Zweibrücken (DAR 99, 133) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der nicht näher begründeten Auffassung, es könne sich auch auf die Bemessung der Dauer der Fahrerlaubnissperre nach § 69 a StGB ausgewirkt haben, wenn eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. l StPO rechtsfehlerhaft unterlassen worden sei, vermag sich der Senat weder generell noch im Hinblick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles anzuschließen.



Ende der Entscheidung

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