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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.10.2000
Aktenzeichen: 2b Ss 204/00 - 72/00 I
Rechtsgebiete: StPO, BTMG


Vorschriften:

StPO § 318
BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
1. Das Revisionsgericht hat auch ohne entsprechende Verfahrensrüge zu prüfen, ob das angefochtene Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des amtsgerichtlichen Urteils, die der Überprüfungskompetenz des Berufungsgerichts unterlagen, entschieden hat. Es hat deshalb auch zu prüfen, ob das Berufungsgericht die von dem Berufungsführer erklärte Berufungsbeschränkung zu Recht als wirksam angesehen hat.

2. Auch wenn eine genaue Bestimmung des Wirkstoffes des Betäubungsmittels - etwa mangels Sicherstellung - nicht möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen, sondern muß unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung des Betäubungsmittels durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes "Im Zweifel für den Angeklagten" feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels mindestens auszugehen ist.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2b Ss 204/00 - 72/00 I 60 Js 788/99 StA Düsseldorf

Eingegangen auf der Geschäftsstelle am 27.10.2000

R, Justizsekretärin z. A. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 1. Strafsenat auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der XXIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 2000 in der Hauptverhandlung vom

25. Oktober 2000,

an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht S als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht H, Richter am Oberlandesgericht B als beisitzende Richter,

Staatsanwalt J als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,

Rechtsanwalt K als Verteidiger,

Justizsekretärin z. A. R als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Neuss hat den Angeklagten am 16. November 1999 wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt

Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

Die Strafkammer hat das amtsgerichtliche Urteil abgeändert. Es hat den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

II.

Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Das Landgericht ist zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten ausgegangen. Infolgedessen hat es den Umfang seiner Prüfungs- und Feststellungspflicht verkannt.

1.

Das Revisionsgericht hat auch ohne entsprechende Verfahrensrüge von Amts wegen zu prüfen, ob das angefochtene Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des amtsgerichtlichen Urteils, die der Überprüfungskompetenz der Berufungskammer unterliegen, entschieden hat. Deshalb hat es, wenn wie hier das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) sich nur mit einzelnen Teilen des amtsgerichtlichen Urteils befaßt hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt worden ist (BGH NStZ 1984, 566; BayObLG OLGSt Nr. 7 zu § 29 BtMG; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, Rz. 4 zu § 352).

2.

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist grundsätzlich zulässig (vgl. BGHSt 29, 359; 33, 59). Sie ist nur dann unwirksam, wenn die zum objektiven Tatgeschehen und zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen derart unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, daß sie den Schuldspruch nicht tragen und deshalb keine Grundlage für die Überprüfung des allein angefochtenen Rechtsfolgenausspruchs bilden (BGHSt 33, 59; NStZ 1994, 130; Senat NStZ 1992, 298; OLG Köln VRS 82, 39; BayObLG OLGSt Nr. 7 zu § 29 BtMG; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, Rz. 16 zu § 318).

Ein solcher Fall unwirksamer Berufungsbeschränkung liegt hier vor.

3.

a)

Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen festgestellt:

"1.

Im Zeitraum Dezember 1998 bis Januar 1999 verkaufte der Angeklagte in acht Fällen an den Drogenkonsumenten K R jeweils einen 5-Gramm Bubble Heroin für jeweils 170,-- DM bis 180,-- DM. Der Angeklagte hatte das von ihm verkaufte Heroin bei Schwarzafrikanern erworben und auf den von ihm bezahlten Preis je Bubble 20,-- DM aufgeschlagen...

2.

An den Drogenkonsumenten H B verkaufte der Angeklagte Anfang Dezember einen 5-Gramm Bubble Heroin für 150,-- DM. Dieses Rauschgift hatte der Angeklagte ebenfalls von Schwarzafrikanern zuvor erworben und eine Verdienstspanne aufgeschlagen.

3.

Im Juli 1998 verkaufte der Angeklagte in vier Fällen an den Zeugen C d J unter gleichen Bedingungen wie bei den späteren Heroingeschäften jeweils einen 5-Gramm Bubble Heroin.

4.

Am 30. Oder 31.12.1998 verkaufte der Angeklagte an den Zeugen C d J und eine weitere Person, die namentlich nicht bekannt geworden ist, insgesamt drei Bubbles Heroin zu je 5 Gramm zu einem Preis von jedenfalls 450,-- DM. Auch dabei hat der Angeklagte je Bubble einen Verdienst von 20,-- DM erzielt.

5.

Ferner verkaufte der Angeklagte an den Zeugen C d J am 03.01.1999 einen weiteren 5-er Bubble Heroin zum Preis von 150,-- DM."

b)

Damit hat das Amtsgericht den Schuldumfang nicht ausreichend bestimmt, weil keine Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt des Heroingemisches getroffen worden sind.

aa)

Neben der Menge des Rauschgifts, auf die sich die Tat bezieht, spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Insbesondere ist es für den Schuldumfang erheblich, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich im Betäubungsmittelgemisch befunden haben (BGH NStZ 1985, 273; 1986, 232; BGH bei Schoreit NStZ 1988, 348/350 f.; BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Nr. 4 Menge 1; BayObLG OLGSt Nr. 7 zu § 29 BtMG; Körner, BtMG, 4. Aufl., Rz. 359, 361 zu § 29 und Rz. 86 ff. zu § 29 a).

Deshalb hat der Tatrichter entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine genaue Wirkstoffbestimmung - wie in dem vorliegenden Fall - nicht möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muß vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes "Im Zweifel für den Angeklagten feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist (BayObLG OLGSt Nr. 7 zu § 29 BtMG: NStZ-RR 1998, 55, 56).

bb)

Diese Grundsätze hat das Amtsgericht nicht berücksichtigt. Den Feststellungen kann auch nicht andeutungsweise entnommen werden, von welchem Wirkstoffgehalt oder von welcher Qualität des von dem Angeklagten jeweils veräußerten 5-Gramm Heroingemisches es ausgegangen ist. Damit fehlt es an der erforderlichen Feststellung des Mindestumfangs des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat und damit auch an der wesentlichen Grundlage für die Strafzumessung.

Die hiernach gebotene Aufhebung des angefochtenen Urteils beruht auf § 353 StPO. Die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz folgt aus § 354 Abs. 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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