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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.11.1999
Aktenzeichen: 2b Ss 301/99-106/99 I
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 176 Abs. 3 Nr. 3
§ 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB

Das Vorzeigen (oder Übergeben) von Schriften mit pornographischem Inhalt ohne Abbildungen erfüllt nicht den Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs von Kindern im Sinne des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB.

OLG Düsseldorf Beschluß 08.11.1999 - 2b Ss 301/99-106/99 I - 70 Js 1167/99 StA Düsseldorf


wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u. a.

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S. und die Richter am Oberlandesgericht S. und S. auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 7. Juli 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, zu 2. auf deren Antrag und nach Anhörung des Beschwerdeführers, am 8. November 1999 einstimmig gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte wegen Beleidigung verurteilt ist, und

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Beleidigung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg. Sie führt zur Änderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

I.

Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge hat der Angeklagte einem elfjährigen Mädchen, mit dem er am Vortag über seinen Hund ins Gespräch gekommen war und mit dem er sich zu einem Spaziergang mit dem Hund verabredet hatte, einen Zettel übergeben, auf den er am Vorabend geschrieben hatte:

"1.

Weist Du was ein Schwanz ist und eine Fotze

2.

Hast Du schonmal einen Schwanz gesehen und eine Erfahrung damit gemacht

3.

Bekommst Du schon Brust und wenn ja kann man diese mal fühlen wie Dir die Fotze streichelst

4.

Kann Dir mal meinen Schwanz zeigen und Dir diesen in die Hand geben

5.

Hast Du Dir im Bett schonmal zwischen die Beine gestreichelt und was dabei gefühlt

6.

Hast Du Deine Monatsblutung oder es ... kommen

7.

Würdest Du mir einen Slip verkaufen und was drauf schreiben

8.

Möchtest Du mal das Ficken ausprobieren

9.

Hast Du schonmal ... Schwanz den Samen rausgespritzt daran reiben bis dieser spritzt

10.

Wieviel Geld willst Du dafür haben Sarah das soll nur sein bis Du den Max ausführst dann habe ich das Buch fast fertig"

Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, daß das Mädchen den Text zumindest teilweise gelesen habe, und den Angeklagten auch wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern bestraft, weil das Schreiben eine pornographische Darstellung im Sinne von § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB sei.

II.

Die Sachrüge, mit der der Angeklagte seine Verurteilung auch wegen - tateinheitlich - sexuellen Mißbrauchs von Kindern angreift, hat Erfolg.

1. Soweit das Amtsgericht den Angeklagten der Beleidigung für schuldig befunden hat, hat die Überprüfung durch den Senat aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO) aufgedeckt.

2. Dagegen ist die Verurteilung des Angeklagten auch wegen - tateinheitlich - sexuellen Mißbrauchs eines Kindes rechtsfehlerhaft.

Nach § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer auf ein Kind "durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt". Unbebilderte Schriften, das heißt bloße Texte, werden nach einhelliger Meinung im Schrifttum (Laufhütte, in: LK, 11. Aufl. [1995], Rdnr. 11; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl. [1997], Rdnr. 21; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. [1999], Rdnr. 9; Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl. [1999], Rdnr. 6; Horn, in: SK-StGB, 6. Aufl. [Stand 1998], Rdnr. 25; Preisendanz, StGB, 30. Aufl. [1978], Anm. 8c; jeweils zu § 176 StGB; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT I, 8. Aufl. [1995], § 20 Rdnr. 11) von § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB nicht erfaßt, weil sie keine "Darstellung" im Sinne dieser Vorschrift seien. Dem tritt der Senat bei. Das Amtsgericht hat mit seiner "Interpretation" des Gesetzes die Grenze überschritten, die den Gerichten bei der Auslegung von Straftatbeständen durch die Verfassung gesetzt ist.

a) Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 71, 108, 114 = NJW 1986, 1671; BVerfGE 75, 329, 340 f = NJW 1987, 3175; BVerfG NStZ 1990, 394). Dabei ist in erster Linie der für den Normadressaten - den Bürger - und aus seiner Sicht verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Straftatbestandes maßgebend. Führt erst eine über den Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so kann das nicht zu Lasten des Bürgers gehen (BVerfG, jeweils a. a. O.; vgl. auch BGHSt 41, 285, 286 = NJW 1996, 1068).

b) "Darstellen" bedeutet nach Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 3. Aufl. [1996], "1. in einem Bild, einer Nachbildung o. Ä. wiedergeben, als Abbild gestalten; abbilden ... 2. in einer Bühnenrolle verkörpern; (eine bestimmte Rolle) auf der Bühne gestalten, spielen ... 3. in Worten deutlich machen, ein Bild von etw. entwerfen; beschreiben, schildern ..." usw. Damit wird zwar auch die Beschreibung mit Worten von dem Begriff "darstellen" erfaßt. In allen Bedeutungen ist aber das "Bildhafte" für den Wortsinn kennzeichnend. Darstellen heißt demnach, bei dem Empfänger ein "Bild", sei es optisch oder gedanklich, entstehen zu lassen. Die Verknüpfung des Tatbestandsmerkmals der Darstellung mit dem des Vorzeigens ("... durch Vorzeigen pornographischer ... Darstellungen ...") stellt klar, daß - ebenso wie bei der Abbildung - mit Darstellung im Sinne des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB nur das spontan optisch (durch Form und Farbe) vermittelte pornographische Bild gemeint ist (Maurach/Schroeder/Maiwald a. a. O.). Eine Auslegung, die auch bloße Texte als Darstellung im Sinne dieser Vorschrift versteht, ist vom Wortsinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt.

c) Daß ein Kind, das lesen und den Inhalt des Gelesenen verstehen kann, durch einen unbebilderten pornographischen Text in gleichem Maße wie durch Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts oder durch entsprechende Reden gefährdet wird (vgl. Lenckner, Tröndle/Fischer und Preisendanz, jeweils a. a. O.), mag richtig sein. Der Umstand, daß eine Strafnorm ein in ähnlicher oder gleicher Weise strafwürdiges Verhalten nicht erfaßt, darf aber nicht zu einer "Interpretation" führen, die über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgeht. Insoweit muß sich der Gesetzgeber "beim Wort nehmen lassen" (BVerfGE 71, 108, 116 = NJW 1986, 1671). Die Gerichte müssen daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr erfaßt sind, zum Freispruch gelangen (BVerfG a. a. O.). Hier scheidet ein Freispruch nur deshalb aus, weil das Verhalten des Angeklagten einen anderen Straftatbestand - den der Beleidigung - erfüllt hat.

III.

Der Senat hat den Schuldspruch geändert. Damit unterliegt der Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen der Aufhebung (§ 353 StPO).

Die teilweise Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beruht auf § 354 Abs. 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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