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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 30.08.2002
Aktenzeichen: 3 Ws 300/02
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 40 Abs. 1 | |
StPO § 44 | |
StPO § 45 Abs. 2 | |
StPO § 311 Abs. 2 | |
StPO § 462a |
Entscheidung wurde am 22.10.2002 korrigiert: die Vorschriften wurden geändert und ein amtlicher Leitsatz hinzugefügt
2. Eine dem zuständigen Gericht trotz zumutbarer Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen bis zum Ablauf der zweiwöchigen Aushangfrist unbekannt gebliebene Inhaftierung des Zustellungsempfängers vermag die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung nicht zu beeinflussen.
3. Zu den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der unter Bewährungsaufsicht stehende Verurteilte seinen jeweiligen Aufenthaltsort entgegen einer ihm erteilten gerichtlichen Weisung nicht mitgeteilt hat und vor der öffentlichen Zustellung des Widerrufsbeschlusses in anderer Sache inhaftiert worden ist.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
3 Ws 300-301/02 50 VRs 35/00 StA Köln
In der Strafsache
pp.,
wegen Diebstahls u.a.
hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. und den Richter am Landgericht K. am
30. August 2002
auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die in dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 12. Februar 2002 - 1 StVK 694/01 - getroffene Widerrufsentscheidung und auf seinen Antrag, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren, nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde und das Wiedereinsetzungsgesuch werden als unzulässig verworfen.
Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Am 7. Februar 2000 verhängte das Amtsgericht - Schöffengericht - Leverkusen gegen den Verurteilten wegen "tatmehrheitlich im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangenen Diebstahls im besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in 10 Fällen, davon in einem Fall versuchter Diebstahl, Diebstahls in 11 Fällen, unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit zu vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, Betruges in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 16.12.1999 - 708 Ds 430/99 - " eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Köln in zweiter Instanz am 24. Mai 2000 auf drei Jahre zur Bewährung aussetzte. Durch Beschluss vom 12. Februar 2002 hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und - zugleich - die öffentliche Zustellung der Widerrufsentscheidung angeordnet. Der Beschluss ist im Zeitraum 18. Februar 2002 bis 19. März 2002 an der Gerichtstafel des Landgerichts Wuppertal angeheftet gewesen.
Mit seiner am 24. Juni 2002 bei Gericht eingegangenen Schrift vom 21. Juni 2002 wendet sich der am 10. Februar 2002 in Münster festgenommene und seit dem Folgetag aufgrund eines Haftbefehls in anderer Sache in der JVA Münster inhaftierte Verurteilte mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung und beantragt "vorsorglich" die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Beide Rechtsmittel sind als unzulässig zu verwerfen.
I.
Die sofortige Beschwerde ist verspätet, denn sie ging außerhalb der gemäß § 311 Abs. 2 StPO einwöchigen Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei Gericht ein. Die für den Fristbeginn maßgebliche Bekanntmachung der Widerrufsentscheidung war im vorliegenden Fall durch öffentliche Zustellung bewirkt worden und galt daher nach zweiwöchigem Aushang an der Gerichtstafel (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 40 Rn. 7; Löwe-Rosenberg-Wendisch, StPO, 25. Auflage, § 40 Rn. 18) am 4. März 2002 als erfolgt (§ 40 Abs. 1 StPO).
Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Widerrufsbeschlusses wegen unbekannten Aufenthalts des Verurteilten lagen zur Zeit der gerichtlichen Anordnung am 12. Februar 2002 vor, da die nach den Umständen zumutbaren Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen der Strafvollstreckungskammer ohne Erfolg geblieben waren. Ausweislich eines Berichts des Bewährungshelfers vom 30. Oktober 2001 hatte der Verurteilte die nach seinem Therapieaufenthalt im September getroffenen Absprachen zur Kontakthaltung nicht eingehalten und war unter Abkehr von seiner ursprünglichen Zusage nicht bei seiner Mutter in W., sondern bei einer Freundin in D. aufhältig, deren Namen und Anschrift er indes nicht preisgeben wollte. Die im Parallelverfahren 1 StVK 472/01 durch die Strafvollstreckungskammer veranlassten Ermittlungen der W. Polizei ergaben im Januar 2002, dass der Verurteilte unter seiner alten Anschrift in W. bereits seit dem 25. Juni 2001 abgemeldet und nach den Angaben seiner Mutter nicht bei ihr, sondern nach wie vor in D., dort allerdings nicht mehr bei seiner Freundin aufhältig sei. Angesichts dieser Erkenntnisse kamen für das zur Entscheidung berufene Gericht zur Zeit der Zustellungsanordnung weitere erfolgversprechende Nachforschungsmöglichkeiten nicht mehr in Betracht. Insbesondere bestand aufgrund der vorliegenden Informationen kein Anlass für Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen außerhalb der Städte W. und D..
Durch den zweiwöchigen Aushang des zuzustellenden Schriftstücks an der Gerichtstafel der für die Widerrufsentscheidung erstinstanzlich zuständigen Strafvollstreckungskammer (vgl. §§ 453, 462a Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 3 StPO) ist die öffentliche Zustellung ordnungsgemäß bewirkt worden. Der Begriff "Gericht des ersten Rechtszuges" im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 StPO ist nach Ansicht des Senats bei Vollstreckungssachen nicht im Rückgriff auf das - rechtskräftig abgeschlossene - Erkenntnisverfahren zu sehen, sondern knüpft angesichts der rechtlich verselbständigten Ausgestaltung des Vollstreckungsverfahrens an dessen eigenen Instanzenzug an (ebenso OLG Düsseldorf JMBl NW 98, 213; OLG Karlsruhe MDR 81, 159f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 40 Rn. 7; Löwe-Rosenberg-Wendisch, aaO, § 40 Rn. 17; a.A. OLG Hamm JMBl NW 97, 80f. und Beschluss vom 24. April 1979 - 3 Ws 212/79 -).
Da die zur Entscheidung berufene Strafvollstreckungskammer von der am 10. Februar 2002 in Münster erfolgten Inhaftierung des Verurteilten nicht innerhalb der zweiwöchigen Aushangfrist, sondern erst nach deren Ablauf (durch Schreiben des Bewährungshelfers vom 19. März 2002) erfahren hat, ist die öffentliche Zustellung bis zum endgültigen Eintritt ihrer gesetzlichen Folgewirkungen unverändert zulässig geblieben (vgl. hierzu OLG Düsseldorf MDR 92, 985; OLG Stuttgart MDR 73, 950; Löwe-Rosenberg-Wendisch, aaO, § 40 Rn. 7; KMR-Paulus, StPO, 31. Lieferung, Stand 02/02, § 40 Rn. 6). Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Verurteilte infolge seines Zwangsaufenthalts in staatlichem Gewahrsam außerstande war, sich zur Gerichtstafel zu begeben und von dem dort angehefteten Schriftstück Kenntnis zu nehmen. § 40 Abs. 1 StPO ordnet nach erfolgloser Ausschöpfung aller zumutbaren Aufenthaltsermittlungsmaßnahmen durch den zuständigen Entscheidungsträger im Interesse der Prozesseffizienz eine Bekanntmachungsfiktion an ("...so gilt die Zustellung als erfolgt, ..."; vgl. auch KMR-Paulus, aaO, § 40 Rn. 1), die auch dann rechtliche Wirkungen entfaltet, wenn der an unbekanntem Ort befindliche Zustellungsempfänger den Akt der Bekanntmachung nicht wahrnehmen kann. Seinen Verfahrensgrundrechten aus Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG wird durch die Institute der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44 StPO) und der Nachholung des rechtlichen Gehörs (§ 33a StPO; vgl. hierzu BGHSt 26, 127ff.) ausreichend Rechnung getragen.
II.
Das Wiedereinsetzungsgesuch des Verurteilten ist mangels ordnungsgemäßer Antragsbegründung (§ 45 Abs. 2 StPO; vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 45 Rn. 5) unzulässig, da der Verurteilte keinen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließt. Insoweit lässt auch der aktenkundig gewordene Geschehensablauf keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO) erkennen.
Unterlässt ein unter Bewährungsaufsicht stehender Verurteilter entgegen einer ihm erteilten gerichtlichen Weisung die Mitteilung seines jeweiligen Aufenthaltsorts, so ist die hierdurch veranlasste öffentliche Zustellung gerichtlicher Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren nach allgemeiner Ansicht nicht als unverschuldet anzusehen (vgl. BGHSt 26, 127, 128; OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, Beschluss vom 11. Februar 1988 - 1 Ws 120/88 -; OLG Hamm MDR 71, 862; LG Flensburg NJW 77, 1698; Löwe-Rosenberg-Wendisch, aaO, § 44 Rn. 33). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Der Verurteilte unterlag sowohl im hier anhängigen Verfahren als auch in der Parallelsache 1 StVK 472/01 der gerichtlichen Weisung, etwaige Wohnungswechsel mitzuteilen. Er ist diesen Weisungen spätestens seit dem 30. Oktober 2001 nicht mehr nachgekommen, obwohl er vor dem Hintergrund des bisherigen Verlaufs der Bewährungszeit und angesichts der mangelnden Kontakthaltung zu seinem Bewährungshelfer mit gerichtlichen Maßnahmen zur Bewährungsaufsicht rechnen musste. Angesichts dieser Umstände ist die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Widerrufsbeschlusses von dem Verurteilten selbst zu vertreten.
Anhaltspunkte für ein fehlendes Verschulden des Verurteilten am endgültigen Eintritt der Zustellungswirkungen sind gleichfalls nicht zu ersehen. Nach seiner Festnahme am 10. Februar 2002 hätte der Verurteilte die Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung noch bis zum Ablauf der zweiwöchigen Aushangfrist des § 40 Abs. 1 StPO (4. März 2002) durch eine unverzügliche Mitteilung von seiner Inhaftierung vereiteln können. Für eine möglichst kurzfristige Informierung der Strafvollstreckungskammer oder zumindest des Bewährungshelfers bestand angesichts des bisherigen Verlaufs der Bewährungszeit auch nach der Festnahme des Verurteilten unverändert weiterhin Anlass, zumal er jedenfalls in den hier maßgeblichen ersten drei Wochen seiner Untersuchungshaft in anderer Sache ohne eigenes Zutun auf eine sofortige behördliche Mitteilung gemäß Nr. 13 MiStra nicht vertrauen konnte. Dass der Verurteilte die für eine Bekanntgabe seines Aufenthaltsorts erforderlichen Maßnahmen bis zum Ablauf der zweiwöchigen Aushangfrist am 4. März 2002 ergriffen hat, ist weder dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag noch dem zur Akte gelangten Schreiben des Bewährungshelfers vom 19. März 2002 zu entnehmen.
Die Unkenntnis des Verurteilten vom - fristauslösenden - Aushang des Kammerbeschlusses an der Gerichtstafel ist als notwendige Folge der öffentlichen Zustellung ebenfalls nicht unverschuldet. Die Inhaftierung des Verurteilten hat insoweit nicht zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geführt, obwohl sie den Verurteilten während der Aushangfrist faktisch daran hinderte, die Gerichtstafel des Landgerichts Wuppertal aufzusuchen und von den dort ausgehängten Schriftstücken Kenntnis zu nehmen. Dass der Verurteilte, wäre er auf freiem Fuß geblieben, genau dies getan hätte, obwohl er - aufgrund eigenen Verschuldens - vom Stand des Bewährungsverfahrens und vom Erlass des Widerrufsbeschlusses nichts wusste, ist weder vorgetragen noch aufgrund der Aktenlage auch nur wahrscheinlich.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt mithin nicht in Betracht.
III.
Angesichts der Rechtskraft des angefochtenen Widerrufsbeschlusses wird dem Verurteilten im Nachverfahren gemäß § 33a StPO vor der Strafvollstreckungskammer rechtliches Gehör zu gewähren sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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