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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 02.10.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 409/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 453 Abs. 2 Satz 3 | |
StGB § 56 ff. |
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahls mit Waffen u.a.
hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. und den Richter am Landgericht O. am
2. Oktober 2001
auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 13. Juli 2001 (2 StVK 422/01) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten
beschlossen:
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Die durch das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 17. Juni 1999 (9 Ls 25/99) gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wird widerrufen.
3. Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
Durch rechtskräftiges Urteil vom 17. Juni 1999 verhängte das Amtsgerichts Gummersbach gegen den Verurteilten eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Vollstreckung der Strafe setzte es zur Bewährung aus und bestimmte die Bewährungszeit auf fünf Jahre. Am 6. Dezember 1999 verurteilte das Amtsgericht Wipperfürth den Verurteilten zu einer weiteren Freiheitsstrafe von vier Monaten, ebenfalls unter Strafaussetzung zur Bewährung. Die Bewährungszeit aus dem Urteil vom 17. Juni 1999 wurde wegen der neuen Straftat um ein Jahr auf sechs Jahre verlängert. Mit Urteil vom 22. Januar 2001 verhängte das Amtsgericht Wipperfürth eine Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen Bedrohung und versuchter Nötigung, begangen innerhalb der Bewährungszeit am 31. März 2000. Die Vollstreckung dieser Strafe setzte es zunächst zur Bewährung aus. Sodann widerrief das Amtsgericht sowohl die Strafaussetzung aus seinem Urteil vom 6.Dezember 1999 als auch die aus seinem Urteil vom 22. Januar 2001, weil der Verurteilte der Weisung, eine Alkoholentwöhnungstherapie aufzunehmen, nicht nachkam.
Im Hinblick auf die beiden Widerrufsentscheidungen des Amtsgerichts und die erneute Straffälligkeit des Verurteilten innerhalb der Bewährungszeit beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf auch der letzten noch offenen Strafaussetzung aus dem Urteil vom 17. Juni 1999. Die aufgrund der zwischenzeitlichen Inhaftierung des Verurteilten zuständig gewordene Strafvollstreckungskammer gab dem nicht statt, sondern verlängerte statt dessen die Bewährungszeit um ein weiteres Jahr auf sieben Jahre.
Gegen dies Verlängerungsbeschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde. Als solche ist das Rechtsmittel statthaft.
Die Frage, welches Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegen die unter Ablehnung ihres Widerrufsantrages beschlossene Verlängerung der Bewährungszeit zusteht, wird in der Kommentarliteratur und in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.
Einerseits wird unter Hinweis auf den Wortlaut des Gesetzes die unbefristete Beschwerde nach § 453 Abs.2 Sätze 1 und 2 StPO für statthaft gehalten (OLG Stuttgart, MDR 1994, 195; Senat, Beschluss vom 2. März 1994 in MDR 1994, 931; OLG Köln, NStZ 1995, 151; Fischer in KK-StPO, 4. Aufl., § 453 Rdnr.16; Wendisch in Löwe/Rosenberg StPO, 24. Aufl., § 453 Rdnr.15, 32; Stöckel in KMR-StPO, § 453 Rdnr.33, 40). Die Vertreter dieser Ansicht machen geltend, die mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Entscheidungen seien in § 453 Abs.2, Satz 3 StPO enumerativ aufgeführt. Dort sei "der Widerruf der Aussetzung" genannt, dessen Ablehnung aber gerade nicht. Die Ablehnung des Widerrufs sei vielmehr als "eine getroffene Anordnung" i.S.v. § 453 Abs.2 Satz 2 StPO anzusehen. Eine die analoge Anwendung des § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO legitimierende Gesetzeslücke bestehe nicht.
Andererseits wird aus Gründen der Rechtssicherheit für den Verurteilten die Anfechtbarkeit mit der sofortigen Beschwerde nach § 453 Abs.2 Satz 3 StPO befürwortet (OLG Hamm, NStZ 1988, 291; Senat, Beschluss vom 22. Juli 1988 in MDR 1989, 666; OLG Hamburg, StV 1990, 270; OLG Saarbrücken, MDR 1992, 505; OLG Stuttgart, NStZ 1995, 53; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 93; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl., § 453 Rdnr. 13; Krehl in HK, StPO, 3. Aufl., § 453 Rn. 6 und jetzt auch Wendisch a.a.O. 25. Aufl. § 453 Rn. 30). Der Senat kehrt zu dieser Ansicht, die er bereits am 22. Juli 1988 (MDR 1989, 666) vertreten hatte, zurück. An der im Beschluss vom 2. März 1994 (MDR 1994, 931) vertretenen gegenteiligen Auffassung wird nicht weiter festgehalten.
Die strikt am Gesetzeswortlaut orientierte Gegenansicht vermag nicht zu überzeugen. Unter den "getroffenen Anordnungen", die gemäß § 453 Abs.2 Satz 2 StPO der Anfechtung mit der einfachen Beschwerde unterliegen, sind nur Auflagen und Weisungen zu verstehen, die das Verhalten des Verurteilten während der laufenden Strafaussetzung positiv beeinflussen sollen und die ebenso gut bereits zu Beginn der Bewährungszeit in dem Beschluss nach § 268 a StPO hätten angeordnet werden können. Dies belegt ein Vergleich mit der in § 305 a StPO geregelten Anfechtbarkeit solcher bereits ursprünglich angeordneter Auflagen und Weisungen. Hier wie dort regelt das Gesetz mit identischem Wortlaut: "Sie (die Beschwerde) kann nur darauf gestützt werden, dass die getroffene Anordnung gesetzwidrig ist". Soweit bezüglich bestimmter Nachtragsentscheidungen weitergehende Anfechtungs- und Nachprüfungsmöglichkeiten geboten sind, wird dem in § 453 Abs.2 Satz 2 bezüglich der Verlängerung der Bewährungszeit und in Satz 3 bezüglich dem Widerruf der Aussetzung Rechnung getragen.
Hierbei ist unter dem "Widerruf der Aussetzung" nicht nur die positive Entscheidung über dessen Anordnung, sondern auch die negative über dessen Ablehnung zu verstehen. Es sind keine sachlichen Gründe erkennbar, die eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Anfechtbarkeit erfordern könnten. Die für eine Anfechtbarkeit der Anordnung des Widerrufs mit der sofortigen Beschwerde maßgeblichen Gründe treffen im Fall der Ablehnung eines dahingehenden Antrages gleichermaßen zu. In beiden Fällen handelt es sich um eine Entscheidung, die unmittelbar die Vollstreckung der ausgesetzten Freiheitsstrafe betrifft. Wenn diese Entscheidung zunächst zugunsten des Verurteilten ausgefallen ist und keine neuen Widerrufsgründe hinzutreten, muss er nach dem Ablauf einer fest bemessenen Frist auf den Bestand der Entscheidung vertrauen und seine Lebensgestaltung danach einrichten dürfen. Dieser Aspekt der Rechtssicherheit kommt insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden zum Tragen, wenn von der nicht alltäglichen Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, die Strafaussetzung zur Bewährung nicht antragsgemäß zu widerrufen, sondern die Bewährungszeit erneut zu verlängern. Die Bestandskraft dieser Entscheidung darf nicht für eine Ungewisse Zeit in der Schwebe bleiben. Die Anfechtbarkeit mit der sofortigen Beschwerde bietet zudem den Vorteil der uneingeschränkten Nachprüfbarkeit, die es dem Beschwerdegericht gestattet, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen.
Die demnach statthafte sofortige Beschwerde ist auch zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie Erfolg. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, unter Verlängerung der Bewährungszeit von einem Widerruf abzusehen, kann keinen Bestand haben. Zutreffend ist die Kammer davon ausgegangen, dass ein Widerrufsgrund gemäß § 56 f Abs.1, Satz 1, Nr.1 StGB gegeben ist. Denn der Verurteilte hat innerhalb der Bewährungszeit, am 31. März 2000 weitere Straftaten begangen. Er ist deshalb am 22. Januar 2001 durch das Amtsgericht Wipperfürth (rechtskräftig) wegen Bedrohung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Durch diese Straftaten hat der Verurteilte gezeigt, dass die der Strafaussetzung zugrunde liegende Erwartung sich nicht erfüllt hat. Der Verurteilte ist damit zum zweiten Mal innerhalb der Bewährungszeit straffällig geworden. Die Taten beruhen wiederum auf der Alkoholabhängigkeit des Verurteilten.
Von dem nach § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gebotenen Widerruf der Strafaussetzung kann nicht nach Absatz 2 dieser Vorschrift abgesehen werden. Insbesondere reicht es nicht aus, die Bewährungszeit erneut zu verlängern. In den Lebensverhältnissen des Verurteilten hat sich keine Konsolidierung ergeben. Die vom 18. Oktober 1999 bis zum 5. Februar 2000 durchgeführte stationäre Alkoholentwöhnungstherapie hatte keinen nachhaltigen Erfolg, wie die Begehung von neuen, gewaltbesetzten Straftaten unter Alkoholeinfluss bereits am 31. März 2000 zeigt. Unter diesen Umständen reichen Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB nicht aus, die Sozialprognose des Beschwerdeführers günstig zu beeinflussen. Zwar hatte das Amtsgericht Wipperfürth in seinem Urteil vom 22. Januar 2001 die Strafvollstreckung nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Jedoch hat sich die dem zugrunde liegende Erwartung, der Verurteilte werde sich umgehend in therapeutische Behandlung begeben, ebenfalls zerschlagen, weil der Verurteilte weiterhin unkontrolliert Alkohol konsumierte.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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