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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 3 Ws 445/05
Rechtsgebiete: IRG, ÜberstÜbk, StGB


Vorschriften:

IRG § 57 Abs. 2
IRG § 57 Abs. 6
ÜberstÜbk Art. 9 Abs. 3
ÜberstÜbk Art. 14
StGB § 57
1. Führt die deutsche Vollstreckungsbehörde nach Übernahme die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Maßnahme aus einem ausländischen Strafurteil durch, so gilt deutsches Strafaussetzungsrecht (§ 57 Abs. 2 IRG, Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk).

2. Dem Verurteilten kann das günstigere ausländische Strafaussetzungsrecht nur unter den engen Voraussetzungen des § 57 Abs. 6 IRG zu Gute kommen, wenn eine entsprechende formelle Mitteilung einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates vorliegt.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III - 3 Ws 445/05

In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B, den Richter am Oberlandesgericht v B und die Richterin am Landgericht M am 8. November 2005 auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 15. September 2005 (3 StVK 376/05) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Helsingborg hat den Beschwerdeführer, der am 22. August 2002 in Schweden festgenommen worden ist, am 25. September 2002 wegen schweren Rauschgiftschmuggels zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt und ihn des Landes verwiesen. Dem Urteil wurde ein Strafzeitbeschluss der Justizvollzugsbehörde Umea vom 4. Oktober 2002 beigeheftet, der auszugsweise wie folgt lautet:

"Vollzugsangaben /Zeitpunkt für bedingte Entlassung

Datum Vollzugsbeginn 3.10.2002

Schlussdatum 20.2.2007

Frühester Zeitpunkt für bedingte Entlassung 22.8.2005

Verbleibende Strafzeit 1 Jahr 6 Monate"

Auf Ersuchen der schwedischen Behörden erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Mönchengladbach durch Beschluss vom 16. Juni 2003 das ausländische Erkenntnis zwecks Vollzugs in der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar und wandelte die verhängte Sanktion in eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten um (§ 54 Abs. 1 IRG). Der Verurteilte wurde am 3. Juni 2004 den deutschen Behörden überstellt. Er befindet sich seither in Strafhaft, zuletzt im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt Remscheid-Zweiganstalt. Zwei Drittel der Strafe waren am 19. August 2005 verbüßt. Das Ende der Strafzeit ist für den 19. Februar 2007 notiert. Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal die bedingte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln (§ 57 Abs. 1 StGB) abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde, die er in erster Linie damit begründet, dass er bei einem Vollzug der Strafe in Schweden am 22. August 2005 aus der Haft entlassen worden wäre.

II.

Das Rechtsmittel ist unbegründet.

1.

Die Strafvollstreckungskammer war entgegen der Ansicht des Verurteilten zur Entscheidung über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung nach deutschem Recht berufen. Eine bedingte Entlassung des Verurteilten unter Berufung auf den von den schwedischen Behörden mitgeteilten 2/3 Termin ist unter keinem Gesichtspunkt möglich.

Im Vollstreckungshilfeverkehr mit Schweden gilt das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk). Als Wirkung der Überstellung für den Vollstreckungsstaat bestimmt Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk, dass die Vollstreckung der Sanktion sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates richtet und dieser Staat allein zuständig ist, alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Diese Verweisung auf das Recht des Vollstreckungsstaates ist im weiten Sinne auszulegen; sie umfasst auch die Vorschriften über die Voraussetzungen einer bedingten Entlassung und die hierfür maßgeblichen Prognoseelemente (vgl. Schomburg in Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl., Art. 9 ÜberstÜbk Rn. 8; Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 149). Der Urteilsstaat verliert folglich den Einfluss auf 2/3 Entscheidungen im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. Schomburg, aaO, vor § 48 IRG Rn. 16; Grotz in Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., Stand Oktober 2005, § 57 IRG Rn. 5). Gemäß Art. 14 ÜberstÜbk beendet der Vollstreckungsstaat allerdings die Vollstreckung der Sanktion, sobald ihn der Urteilsstaat von einer Entscheidung oder Maßnahme in Kenntnis gesetzt hat, aufgrund deren ihre Vollstreckbarkeit erlischt. Hierunter fallen Gnadenerweise, Amnestien und Wiederaufnahmeentscheidungen, wie sie ausdrücklich in Art. 12 und 13 ÜberstÜbk genannt sind (Schomburg/Lagodny, aaO, Art. 14 ÜberstÜbk Rn. 2).

Bei Anwendung dieser Normen unterliegt der Beschwerdeführer nach Übernahme der Vollstreckung durch die deutschen Behörden beim Vollzug der rechtskräftigen Exequaturentscheidung allein dem deutschen Strafaussetzungsrecht. Ein Rückgriff auf die durch die schwedischen Behörden in Aussicht gestellte bedingte Entlassung zum 22. August 2005 ist nicht möglich. Eine vollstreckungsbeendende Entscheidung im Sinne des Art. 14 ÜberstÜbk liegt nicht vor.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Anwendung der Regelungen des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe unter dem Gesichtspunkt des sog. Meistbegünstigungsprinzips.

Gemäß § 57 Abs. 2 S. 1 IRG kann nach Bewilligung der Rechtshilfe die Vollstreckung des Restes einer freiheitsentziehenden Sanktion zur Bewährung ausgesetzt werden. Hierfür gelten die Vorschriften des StGB entsprechend (§ 57 Abs. 2 S. 2 IRG). Von der Vollstreckung ist nach § 57 Abs. 6 IRG abzusehen, wenn eine zuständige Stelle des ersuchenden Staates mitteilt, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung entfallen sind. Aus dem Zusammenwirken dieser beiden Vorschriften wird verschiedentlich der allgemeine Grundsatz abgeleitet, dass für den Verurteilten stets das günstigste Strafaussetzungs- oder beendigungsrecht anzuwenden ist, ohne dass näher dargelegt wird, wie dies zu erfolgen hat (so Schomburg, aaO, vor § 48 IRG Rn. 16 und § 57 IRG Rn. 8, 8b unter Hinweis auf OLG Karlsruhe Die Justiz 1988, 369 und KG Berlin JR 1993, 257; zweifelnd Grotz, aaO, § 57 IRG Rn. 5). Dies kann jedoch nur unter engen Voraussetzungen gelten und nicht pauschal dazu führen, dass die Strafvollstreckungskammer etwa zum Vergleich eine Strafaussetzung zur Bewährung nach den ausländischen Strafvorschriften prüfen muss.

§ 57 Abs. 6 IRG trägt dem rechtshilferechtlichen Charakter der Vollstreckungsübernahme Rechnung, indem er bestimmt, dass auch dem ersuchenden Staat das Recht verbleibt, Maßnahmen zu Gunsten des Verurteilten zu treffen. Zu diesen Maßnahmen zählen nach allgemeiner Ansicht neben Gnadenerweis, Amnestie, Aufhebung im Wiederaufnahmeverfahren und Nichtigerklärung auch - insofern weitergehend als bei Art. 14 ÜberstÜbk - Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. OLG Karlsruhe und KG Berlin jeweils aaO; Grotz, aaO, vor § 48 IRG Rn. 32; Schomburg, aaO, vor § 48 IRG Rn. 15). Dieses Recht kann der ersuchende Staat allerdings nur dann ausüben, wenn eine entsprechende Mitteilung einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates im Sinne des § 57 Abs. 6 IRG erfolgt (vgl. Grotz, aaO, § 57 IRG Rn. 14). So war der Fall, der dem Beschluss des Kammergerichts in JR 1993, 257 zugrundelag: Zwar stellte das KG unter Berufung auf Schomburg den - in der Folge pauschal zitierten - allgemeinen Grundsatz auf, dass sich aus dem Zusammenwirken der Vorschriften des § 57 Abs. 2 und 6 IRG ergebe, dass für den Verurteilten stets das günstigtste Strafaussetzungsrecht anzuwenden sei. Aus den weiteren Gründen ergibt sich jedoch, dass das Kammergericht die engen per se vollstreckungsbeendenden Voraussetzungen des § 57 Abs. 6 IRG als erfüllt ansah. Es lag bereits im Vollstreckungshilfeersuchen, also vor der Überstellung des Verurteilten, eine Entscheidung der ausländischen Behörden vor, die die bedingte Entlassung des Verurteilten nach 7/12 der Strafverbüßung unter Bejahung der entsprechenden sachlichen Voraussetzungen und Angabe des konkreten Entlassungsdatums verbindlich angab. Damit lag eine förmliche Mitteilung im Sinne des § 57 Abs. 6 IRG vor, die allein mit Eintritt des konkreten Datums die Voraussetzungen für die weitere deutsche Vollstreckung entfallen ließ; einer Entscheidung nach deutschem Strafaussetzungsrecht zum (späteren) 2/3 Zeitpunkt gemäß § 57 Abs. 2 IRG war die Grundlage entzogen.

Der in diesem Zusammenhang ebenfalls zitierte Beschluss des OLG Karlsruhe in Die Justiz 1988, 369, der im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gegen die Exequaturentscheidung erging, weist lediglich darauf hin, dass neben der Anwendung deutschen Strafaussetzungsrechts weiterhin auch die Behörden des ersuchenden Staates Maßnahmen zu Gunsten des Verurteilten treffen könnten. Mit der Anwendbarkeit des Strafaussetzungsrechts des ersuchten wie des ersuchenden Staates sei sichergestellt, dass im Einzelfall das für den Verurteilten günstigere Recht durchschlage. Wie dies erfolgen kann, wird nicht näher mitgeteilt. Allerdings weist das OLG zutreffend darauf hin, dass die zuständigen deutschen Gerichte zur Heranziehung ausländischer - für den Verurteilten günstigerer - Strafaussetzungsnormen selbst nicht befugt seien.

Aus dem vorgenannten ergibt sich, dass auch im Rahmen der Anwendung des sog. Meistbegünstigungsprinzips im IRG die deutschen Gerichte nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet sind, von sich aus die ausländischen Strafaussetzungsnormen zur Prüfung auf ihre Günstigkeit für den Verurteilten heranzuziehen oder in sonstiger Weise auf bekannt gewordene mögliche Entlassungstermine im ersuchenden Staat hin tätig zu werden. Sie entscheiden vielmehr ausschließlich nach deutschem Recht gemäß § 57 Abs. 2 IRG. Nur dann, wenn eine formelle Mitteilung des Urteilsstaates im Sinne des § 57 Abs. 6 IRG vorliegt, die einen günstigeren Strafaussetzungszeitpunkt verbindlich benennt, lässt diese Mitteilung die Vollstreckungsvoraussetzungen entfallen und kann mittelbar zu einer (günstigeren) Strafaussetzung nach ausländischem Recht führen.

Unter diesem Gesichtspunkt des Meistbegünstigungsprinzips hat die Strafvollstreckungskammer ebenfalls zu Recht gemäß § 57 StGB über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung entschieden. Eine vorrangige formelle Mitteilung der schwedischen Behörden im Sinne des § 57 Abs. 6 IRG mit dem Inhalt, dass der Verurteilte am 22. August 2005 verbindlich aus der Haft zu entlassen sei, liegt nicht vor. Zwar haben die schwedischen Behörden bereits im Vollstreckungshilfeersuchen neben dem Urteil einen Strafzeitbeschluss übermittelt, in dem der 22. August 2005 als frühester Zeitpunkt für eine bedingte Entlassung angegeben ist. Aus der Formulierung "frühester" Zeitpunkt ergibt sich aber, dass es sich dabei lediglich um eine Strafzeitberechnung handelt, die erst unter bestimmten, noch zu überprüfenden Voraussetzungen die Möglichkeit einer bedingten Entlassung zu diesem Datum vorsieht. Es handelt sich somit nicht um eine abschließende und damit verbindliche Entscheidung nach Prüfung der erforderlichen sachlichen Voraussetzungen wie im Fall des Kammergerichts Berlin (s.o.). Eine eigenständige Prüfung und ggf. Heranziehung der schwedischen Strafaussetzungsnormen ist der Strafvollstreckungskammer - wie dargelegt - verwehrt.

Der Verurteilte kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, er habe sein Einverständnis zur Vollstreckungsübernahme nur erteilt, weil er möglichst schnell nach Deutschland habe zurückgelangen wollen, um seinen sterbenskranken Vater noch einmal zu sehen, was ihm angesichts der langen Dauer des Übernahmeverfahrens aber nicht mehr vergönnt gewesen sei. Deshalb hätte er seinen Antrag gern zurückgezogen.

Diese Möglichkeit bestand indes nicht mehr. Das ausdrücklich erklärte Einverständnis eines Verurteilten mit der Übernahme der Vollstreckung im Heimatstaat ist unwiderruflich. Er hat einmal die Gelegenheit, endgültig zu wählen, wo er seine Strafe unter Einschluss sämtlicher Konsequenzen für eine spätere bedingte Strafaussetzung verbüßen will. Die Ausgestaltung der weiteren Vollstreckung ist dann nur noch eine Angelegenheit zwischen den beiden Staaten, ohne dass dem Verurteilten noch eine Einflussmöglichkeit zusteht.

2.

In der Sache hat die Strafvollstreckungskammer die bedingte Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung zu Recht gemäß § 57 Abs. 1 StGB abgelehnt, da dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden kann. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der psychologische Sachverständige Jannusch stützt seine Prognose auf zwei Säulen: zum einen auf die schwierige Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten, der emotional labil und nicht belastbar ist und durch Konfliktsituationen völlig aus der Bahn geworfen wird und zu Spontanreaktionen neigt, zum anderen auf die schwierigen äußeren Umstände, die in der drückenden ungeregelten Schuldensituation und der Gefahr von Repressalien durch die Hintermänner seiner Straftat besteht. Der Gutachter verneint, dass der Verurteilte derzeit über intrapsychische Ressourcen und realistische Lösungsmuster verfügt, um diese komplizierte Situation angemessen zu gestalten und auszuhalten. Daran hat sich bislang nichts geändert. Angesichts dieser Beurteilung bleiben durchgreifende Zweifel an einer günstigen Sozialprognose, die allein durch die unbeanstandete Führung des Verurteilten im gelockerten Vollzug und seine äußerlich geordnete Entlassungssituation nicht beseitigt werden und zu seinen Lasten gehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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