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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.01.2001
Aktenzeichen: 4 Ausl (A) 413/00-1 + 2/01 III
Rechtsgebiete: EuALÜbk, SDÜ, IRG, StPO


Vorschriften:

EuALÜbk Art. 9 Satz 2
SDÜ Art. 54
IRG § 9
StPO § 154 Abs. 2
Leitsatz:

Ist das deutsche Strafverfahren gegen einen ausländischen Verfolgten nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden, verstößt die Auslieferung des Verfolgten wegen der eingestellten Straftat nicht gegen den Grundsatz "ne bis in idem".


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

4 Ausl (A) 413/00 - 1 + 2/01 III

In der Auslieferungssache

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B, den Richter am Oberlandesgericht von B und den Richter am Landgericht R am

22. Januar 2001

auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Gegen die Verfolgten wird gemäß Art. 16 EuAlÜbk i.V.m. §§ 15, 16 IRG die vorläufige Auslieferungshaft zum Zwecke ihrer Auslieferung an die italienische Regierung zur Strafverfolgung angeordnet.

Gründe:

Die Verfolgten sollen Mitglieder eines italienischen Täterkreises sein, der Kokain im Kilobereich von Holland über Deutschland nach Italien einführte. Sie wurden für ihre Tatbeiträge vom Landgericht Bochum am 1. September 2000 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. - nicht rechtskräftig - zu langjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt und befinden sich derzeit für dieses Strafverfahren in Untersuchungshaft.

Das italienische Ministerium der Justiz ersucht das nordrhein-westfälische Justizministerium um Auslieferung der Verfolgten hinsichtlich eines weiteren Falles des betroffenen Gesamtkomplexes. Das Ersuchen stützt sich auf Haftbefehle des Untersuchungsrichters beim Gericht Lecce vom 7. September 2000, in denen den Verfolgten zur Last gelegt wird, drei weiteren italienischen Tätern am 21. März 1999 und in der Zeit unmittelbar danach dazu verholfen zu haben, 926 Gramm Kokain von einem italienischen Täter in Holland zu kaufen, das von einem italienischen Kurier zum Transport nach Italien in die Bundesrepublik eingeführt und hier von der Polizei sichergestellt worden sei. Auch dieser Tatvorwurf war Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Landgericht Bochum - das Gericht hat das Verfahren insoweit hinsichtlich beider Verfolgter nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft gegen die Verfolgten.

Der Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft stehen Bedenken nicht entgegen.

1.

Das Festnahmeersuchen genügt den formellen Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 EuAlÜbk.

2.

Die Auslieferung der Verfolgten erscheint nicht von vornherein unzulässig (Art. 16 Abs. 1 EuAlÜbk i.V.m. §§ 16 Abs. 1, 15 Abs. 2 IRG).

a)

Die Verfolgten unterliegen gemäß Art. 6 EuAlÜbk i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG der Auslieferung. Sie sind nicht Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, sondern italienische Staatsangehörige.

b)

Die Straftat, hinsichtlich derer die Auslieferung erfolgen soll, ist gemäß Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk auslieferungsfähig. Sie ist sowohl nach deutschem Recht (§ 30 BtMG) als auch nach italienischem Recht (Art. 73, 74 d.p.r. 309/90) im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht.

c)

Art. 9 Satz 2 EuAlÜbk steht der Auslieferung im Hinblick auf die durch das Landgericht Bochum erfolgte vorläufige Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Auslieferung abgelehnt werden, wenn die zuständigen Behörden des ersuchten Staates entschieden haben, wegen derselben Handlung kein Strafverfahren einzuleiten oder ein bereits eingeleitetes Strafverfahren einzustellen.

aa)

Zunächst ergibt sich aus Art. 9 Satz 2 EuAlÜbk in Verbindung mit Art. 54 SDÜ kein zwingendes Auslieferungshindernis, da es im Fall des § 154 Abs. 2 StPO sowohl an einer rechtskräftigen Verurteilung als auch an einer zu vollstreckenden Sanktion fehlt.

bb)

Darüber hinaus unterliegt Art. 9 Satz 2 EuAlÜbk der Zulässigkeitsprüfung des Senats als Fakultativklausel nur insoweit, als grundrechtlich geschützte Interessen der Verfolgten berührt sind (Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl. § 1 IRG Rdnr. 25 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG ist nicht betroffen. Das grundgesetzliche Verbot der Doppelbestrafung betrifft allein die Einmaligkeit der Strafverfolgung durch deutsche Gerichte (BVerfGE 12, 62, 66). Art. 103 Abs. 3 GG steht demgemäß einer neuerlichen Strafverurteilung im Ausland selbst nach einer - vorliegend insoweit nicht erfolgten - Inlandsverurteilung nicht entgegen. Auch ist die Würde der Verfolgten und ihr Grundrecht auf körperliche Bewegungsfreiheit nicht betroffen, soweit die ausländische Strafverfolgung und -vollstreckung dem Handeln deutscher Hoheitsträger als Folge des Auslieferungs-Vollzugsaktes zuzurechnen ist (vgl. Lagodny, NJW 1988, 2146, 2148). Da die dem italienischen Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Tat in Deutschland nicht sanktioniert wurde, erscheint die in Italien beabsichtigte Bestrafung weder als Erniedrigung der Verfolgten zum Objekt staatlichen Handelns im Rahmen des Art. 1 Abs. 1 GG noch als unverhältnismäßig im Rahmen des Gesetzesvorbehalts des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG.

cc)

Im übrigen ist die erfolgte vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO auch auf der Ebene der Bewilligungsbehörde ohne Relevanz. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit dem im vertraglichen Bereich nicht anwendbaren § 9 Nr. 1 IRG. Von den verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO ist dort nur § 153 a StPO als zwingendes Auslieferungshindernis genannt. Wenn § 154 Abs. 2 StPO damit mangels "sanktionsähnlicher Leistung" (vgl. Reg.Begr., S. 43) einer Auslieferung schon im engeren auslieferungsgesetzlichen Bereich nicht entgegensteht, so gilt dies erst Recht im vertraglichen Bereich des Art. 9 EUAlÜbk, der an die Zulässigkeit der Auslieferung geringere Anforderungen stellt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1997, 13, 14).

d)

Sonstige Umstände, die der Auslieferung nach Art. 3 ff. EuAlÜbk zwingend oder fakultativ entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

3.

Die Voraussetzungen, unter denen nach Art. 16 Abs. 1 EuAlÜbk i.V.m. §§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG die Auslieferungshaft angeordnet werden kann, liegen vor.

Aus dem schwerwiegenden Schuldvorwurf und der damit verbundenen beträchtlichen Straferwartung resultiert ein hoher Fluchtanreiz für die über Kontakte zum holländischen und italienischen Drogenmilieu verfügenden Verfolgten, dem die in Deutschland vorhandenen sozialen und beruflichen Bindungen nicht ausreichend entgegenwirken.

Ende der Entscheidung

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