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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.07.2002
Aktenzeichen: 4 U 10/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 917 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 2
Ist für die Eigentümer eines Bürohauses ohne eigene Zufahrt zu den Einstellplätzen im Untergeschoss vor mehr als 30 Jahren im Zuge des Neubaus eines benachbarten Laden- und Bürokomplexes eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf eine - nie bestellte - Grunddienstbarkeit betreffend die Mitbenutzung der Tiefgaragenzufahrt sowie der unterirdischen Fahrstraßen des Neubaukomplexes eingetragen worden und ist diese Mitbenutzung seitdem toleriert worden, so können sich die Eigentümer des Bürohauses gegenüber dem Begehren der heutigen Eigentümer des Neubaukomplexes, die Mitbenutzung der Zufahrt zu den Einstellplätzen zu unterlassen, in zumindest entsprechender Anwendung von § 917 Abs. 1 BGB auf ein entgeltliches Notwegrecht berufen, um zu den Einstellplätzen des Bürohauses zu gelangen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 10/02

Verkündet am 16. Juli 2002

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S und der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 13. November 2001 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu ein Achtel zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutragenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger sind - zusammen mit weiteren 63 Personen, darunter die Beklagte -Miteigentümer der Teileigentumsanlage "K", K D. Die Beklagte ist - ferner - Eigentümerin des angrenzenden Grundstücks B Beide Grundstücke sind in Form einer ineinander übergehenden Passage mit Geschäftslokalen bebaut. Im Untergeschoss des "K" befindet sich eine Tiefgarage, die über eine Rampe an der K befahrbar ist. Im Kellergeschoss des Gebäudes der Beklagten sind mindestens 11 PKW-Stellplätze eingerichtet worden, die durch ein Rolltor von der Tiefgarage getrennt und über die Ein- und Ausfahrt des "K " zu erreichen sind.

Das K wurde bis Anfang 1968 durch die K Gesellschaft für Verwertung und Verwaltung von Grundbesitz mbH & Co. KG (im Folgenden. K KG) errichtet, die zunächst Alleineigentümerin war und später erste Verwalterin der Teileigentümergemeinschaft wurde. Am 22. September 1995 bewilligte sie zugunsten der Eigentümer der Nachbargrundstücke, darunter die Beklagte, die Eintragung einer - heute noch im Grundbuch verzeichneten - Vormerkung, durch die der Anspruch auf eine Grunddienstbarkeit gesichert wurde. Gegenstand dieser Grunddienstbarkeit, die nicht zur Eintragung gelangte, sollte das Recht auf Mitbenutzung der Garagenein- und ausfahrt sowie der unterirdischen Fahrstraßen des K sein.

Parallel zur Errichtung des K wurde das Grundstück der Beklagten weitgehend neu bebaut. Im Zusammenhang damit bestätigte Notar Dr. R dem Bauamt der Landeshauptstadt D mit Schreiben vom 9. Juli 1968, dass die K KG in allen bislang von ihm beurkundeten Verträgen über den Verkauf von Teileigentumseinheiten die Haftung für die Freiheit des Objekts von Rechten Dritter übernommen habe mit Ausnahme der noch einzutragenden Grunddienstbarkeit (GA 43). Ferner teilte die K KG dem Bauamt mit Schreiben vom 23. September 1968 mit, dass sie mit der beabsichtigten Bebauung des Grundstücks der Beklagten einverstanden sei (GA 17).

Nachdem die Beklagte und deren Mieter die Ein- und Ausfahrt sowie die unterirdischen Fahrstraßen auf dem klägerischen Grundstück bis dahin unbeanstandet mitbenutzt hatten, kam es im Herbst 2000 zu Auseinandersetzungen, weil die Beklagte sich nicht bereit erklären wollte, die damit verbundenen Betriebs- und Reparaturkosten anteilig mit zu übernehmen. Daraufhin nahmen die Kläger, die den Verwaltungsbeirat der Teileigentümergemeinschaft des K bilden, die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Sie haben geltend gemacht: Die Beklagte und ihre Stellplatz-Mieter seien nicht berechtigt, die Tiefgarage zu befahren. Wenn überhaupt, bestünde ein schuldrechtlicher Anspruch auf Bestellung einer Grunddienstbarkeit. Dieser Anspruch sei jedoch mittlerweile verjährt, worauf auch sie - die Kläger - sich berufen könnten.

Sie haben beantragt,

die Beklagte unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM zu verurteilen, es zu unterlassen, die Garagenein- und ausfahrt sowie die unterirdischen Fahrstraßen im K K D zu und von den auf ihrem Grundstück E P Flur Flurstück befindlichen PKW-Stellplätzen zu benutzen oder durch Dritte, insbesondere durch Mieter ihrer PKW-Stellplätze, benutzen zu lassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht: Nicht nur die Eigentümer des K hätten die Verpflichtung zur Eintragung einer Dienstbarkeit übernommen, vielmehr habe diese Verpflichtung in unmittelbarem Zusammenhang mit der beabsichtigten Bebauung des K Grundstücks gestanden. Aus dem Grund sei zugunsten sämtlicher unmittelbaren Nachbarn die Grunddienstbarkeit eingeräumt worden. Ferner müssten sich die Teileigentümer des K die Erklärung der K KG gegenüber dem Bauamt zurechnen lassen. Da die Kläger durch das Unterlassungsbegehren der Baugenehmigung die Grundlage entzögen, verstoße ihr Verhalten überdies gegen Treu und Glauben.

Durch Urteil vom 13. November 2001. hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung zur Mitbenutzung der Zu- und Abfahrtswege der Tiefgarage berechtigt. Dieser Vertrag sei dadurch zustande gekommen, dass die K KG als W Verwalterin der Beklagten die Mitbenutzung der Tiefgarage überlassen habe. Dadurch seien nicht nur die damaligen Miteigentümer verpflichtet worden, sondern auch die später hinzugekommenen, weil diese mit Abschluss des Kaufvertrages in die bestehenden Verpflichtungen eingetreten seien.

Dagegen wenden sich die Kläger mit der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Außerdem verweisen sie darauf, dass die Kläger zu 1), 2), 3) und 5) ihr Teileigentum erst nach Beendigung des Verwalterverhältnisses mit der K KG erworben hätten und von daher nicht an eine etwaige schuldrechtliche Vereinbarung mit der ursprünglichen Verwalterin gebunden seien.

Sie beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € zu verurteilen, es zu unterlassen, die Garagenein- und ausfahrt sowie die unterirdischen Fahrstraßen im K, K D zu und von den auf ihrem Grundstück B P Flur, Flurstück befindlichen PKW-Stellplätzen zu benutzen oder durch Dritte, insbesondere durch Mieter ihrer PKW-Stellplätze, benutzen zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass ihr jedenfalls ein Notwegrecht zustehe, wenn nicht vom Abschluss einer schuldrechtlichen Nutzungsvereinbarung auszugehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Der von den Klägern geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist ausgeschlossen, weil sie verpflichtet sind, die Mitbenutzung der Garagenein- und ausfahrt sowie der unterirdischen Fahrstraße des K durch die Beklagte und deren Stellplatz-Mieter zu dulden (§ 1004 Abs. 2 BGB).

Allerdings ergibt sich die Duldungspflicht nicht aus der Vormerkung, da die Kläger dem dadurch gesicherten Anspruch auf Zustimmung zur Eintragung einer Grunddienstbarkeit nach Ablauf von mehr als 30 Jahren seit Bewilligung der Vormerkung (§ 195 BGB) die Einrede der Verjährung entgegensetzen können (vgl. BGH, NJW 2000, 3496; MK-Wacke, BGB, 3. Aufl., § 888 Rn 4; Palandt/ Bassenge, BGB, 61. Aufl., § 888 Rn 6). Auf ein aus einem Leihvertrag abgeleitetes Recht zum Gebrauch können sie sich auch nicht berufen, weil die Kläger zu 1) bis 3) und 5) als Einzelrechtsnachfolger der Ersterwerber dadurch nicht gebunden wären (vgl. BGH NJW 1976, 416; MK-Medicus, a.a.O., § 1004 Rn 54; Staudinger-Gursky, BGB, § 1004 Rn 191). Anders lägen die Dinge zwar bei einem Mietverhältnis, da dann der Grundsatz: "Kauf bricht nicht Miete" eingreifen würde (§ 571 BGB a.F.). Dass eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung vereinbart worden ist, hat die Beklagte jedoch nicht hinreichend dargelegt und auch nicht ordnungsgemäß unter Beweis gestellt. Soweit sie zum Nachweis dafür, dass sie im Gegenzug zur Gebrauchsüberlassung ihre Zustimmung zur Errichtung des K erteilt habe, die Beiziehung der Bauakten beantragt, handelt es sich dabei um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, da sie die beizuziehenden Urkunden nicht näher bezeichnet hat. All das kann indes dahingestellt bleiben, weil die Beklagte sich jedenfalls mit Erfolg auf ein entgeltliches Notwegrecht - gemäß oder analog § 917 Abs. 1 BGB - berufen kann.

Der Annahme eines Notwegrechts steht nicht entgegen, dass das Grundstück der Beklagten an einen öffentlichen Weg - die Blumenstraße - grenzt. Die - zumindest entsprechende - Anwendung des § 917 Abs. 1 BGB kommt nämlich auch in Betracht, wenn der Notwegberechtigte auf die Mitbenutzung der Garageneinfahrt- und ausfahrt des Nachbarn angewiesen ist, um zu den Stellplätzen im Keller seines Gebäudes zu gelangen (vgl. BGH NJW 1985, 1952). So liegen die Dinge hier. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Benutzung des Verbindungsgrundstücks zur Behebung einer Zugangsnot notwendig ist. Dabei ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (Palandt-Bassenge, a.a.O., § 917 Rn 5); entscheidend sind jedoch stets die Umstände des Einzelfalls (OLG Frankfurt, MDR 1981, 932). Deshalb ist bei einem Wohngrundstück in der Regel eine Zufahrt für Kraftfahrzeuge nicht notwendig, solange nahegelegene Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Palandt/Bassenge, a.a.O., § 917 Rn 6). Eine großzügigere Betrachtung ist jedoch möglich und auch geboten, wenn es dem Notwegberechtigten - wie im Streitfall - allein um die Mitbenutzung einer bereits für den Kraftfahrzeugverkehr voll ausgebauten Privatstraße geht (OLG Frankfurt, MDR 1981, 932). Dabei kommt hier noch entscheidend hinzu, dass die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger die Tiefgaragendurchfahrt der Beklagten und ihrer Mieter über 30 Jahre toleriert haben. Wenn sie die Beklagte nunmehr auf die Benutzung eines Parkhauses verweisen wollen, widerspricht das Treu und Glauben (vgl. OLG Celle, MDR 2000, 81). Das gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, dass die K KG als Erbauerin der Teileigentumsanlage 1968 der von der Beklagten beabsichtigten Bebauung ihres Grundstücks und damit auch der beabsichtigten Mitbenutzung der Tiefgarage zugestimmt hat und dass auch die Kläger beim Erwerb ihres Teileigentums die Vormerkung zugunsten der Beklagten mitübernommen haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass durch die entsprechenden Klauseln in den Grundstückskaufverträgen lediglich die Rechtsmängelhaftung des Veräußerers ausgeschlossen und keine Vereinbarung zugunsten Dritter getroffen worden ist. Immerhin ergibt sich daraus aber auch, dass die Kläger gegen ein Wegerecht für die Beklagte keine durchgreifenden Einwände hatten. Daran müssen sie sich festhalten lassen. Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht gerechtfertigt, weil ihnen nicht positiv bekannt war, dass im Grundbuch keine Grunddienstbarkeit eingetragen war und sie nicht gewusst haben, dass die Tiefgarage von Außenstehenden mitbenutzt wurde. Beides war jedenfalls" mit Hilfe der Grundstückskaufverträge und der Baupläne feststellbar und zumindest für den W Verwalter auch ohne weiteres erkennbar.

Voraussetzung ist weiterhin, dass die Beklagte von den Teileigentümern die Einräumung eines Notwegs verlangt haben, da dieses Verlangen für die Entstehung der Duldungspflicht aus § 917 Abs. 1 BGB konstitutiv ist (BGH NJW 1985, 1952). Auch davon ist indessen im Streitfall auszugehen. Zwar reicht dafür nicht aus, dass die Beklagte sich im Berufungsverfahren gegenüber den Klägern auf ein Notwegrecht berufen hat, weil es sich bei dem Verlangen um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, die bei einer Mehrheit von Duldungspflichtigen gegenüber allen abzugeben ist (BGH NJW 1984, 2210). Dass die Kläger als Mitglieder des Verwaltungsbeirats zur Vertretung der übrigen Teileigentümer berechtigt sind, hat die Beklagte jedoch nicht dargetan. Das bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil die Beklagte ein Notwegerecht schon gegenüber der K KG als empfangsbevollmächtigtem (§ 27 Abs. 2 Nr. 3 WEG) Verwalter der Teileigentümergemeinschaft geltend gemacht hat. Er hat der Beklagten nämlich unstreitig die Mitbenutzung der Tiefgarage ermöglicht. Indem die Beklagte davon Gebrauch gemacht hat, hat sie aber auch - zumindest konkludent bis zur Bestellung der ins Auge gefassten Grunddienstbarkeit - ein Notwegrecht verlangt. Dass sie zwischenzeitlich eine Beteiligung an den Unterhaltungskosten für die Garageneinfahrt und -ausfahrt sowie der unterirdischen Fahrstraßen abgelehnt hat, steht dem nicht entgegen, weil sie dabei fälschlicherweise von der Existenz einer Grunddienstbarkeit ausgegangen ist (GA 21).

Ob ein Unterlassungsanspruch darüber hinaus auch unter dem Blickwinkel der Verwirkung ausgeschlossen ist, bedarf nach alldem keiner weiteren Entscheidung.

Die Schriftsätze vom 26. Juni, 1. Juli und 4. Juli 2002 haben dem Senat keinen Anlass geboten, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision findet ihre Grundlage in § 543 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Kläger: 134.981,05 € (= 264.000,-- DM).

Ende der Entscheidung

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