Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.08.2000
Aktenzeichen: 4 U 139/99
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 159 ff.
Leitsatz

§ 159 ff. VVG (Rentenversicherung), c. i. c.

Der private Rentenversicherer haftet dem Versichererungsnehmer aus c. i. c. auf Rückzahlung der Prämien und Ersatz entgangener Anlagenrendite, sofern er beim Abschluß des Versicherungsvertrages mit Gewinnanteilen geworben hat, die wegen veränderter Lebenserwartung der Bevölkerung erkennbar unrealistisch waren.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 139/99 9 O 71/99 LG Duisburg

Verkündet am 15. August 2000

O G, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2000 unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R sowie des Richters am Landgericht O

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 10. Juni 1999 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.548,16 DM nebst 4 % Zinsen

a)

aus je 1.000 DM bis zum 4. Dezember 1998, ab 1.4.1995, 1.5.1995, 1.6.1995, 1.7.1995, 1.8.1995, 1.9.1995, 1.10.1995, 1.11.1995, 1.12.1995,

aus je 1.058,70 DM bis zum 4. Dezember 1998

ab 1.1.1996, 1.2.1996, 1.3.1996, 1.4.1996, 1.5.1996, 1.6.1996, 1.7.1996, 1.8.1996, 1.9.1996, 1.10.1996, 1.11.1996 und 1.12.1996,

aus je 1.130,37 DM bis zum 4.12.1998

ab 1.1.1997, 1.2.1997, 1.3.1997, 1.4.1997, 1.5.1997, 1.6.1997, 1.7.1997, 1.8.1997, 1.9.1997, 1.10.1997,

aus 87,92 DM

ab 1.11.1997 bis zum 4.12.1998

b)

aus 1.1042,45 DM

ab 1.11.1997,

aus 1.130,37 DM

ab 1.12.1997,

aus je 1.215,99 DM

ab 1.1.1998, 1.2.1998, 1.3.1998, 1.4.1998, 1.5.1998, 1.6.1998, 1.7.1998, 1.8.1998, 1.9.1998, 1.10.1998, 1.11.1998

zu zahlen.

Wegen der weitergehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadenersatz in Anspruch.

Unter dem 20.2.1995 fertigte die Beklagte die Police über eine vom Kläger beantragte Rentenversicherung aus (loser Hefter I Bl. 4), nach welcher dem Kläger gegen eine Monatsprämie von ursprünglich 1.000 DM ab 1. April 2019 eine monatliche Altersrente von 2.681,05 DM bis zu seinem Tod zugesagt wurde, wahlweise eine Kapitalabfindung. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1998 (Hefter I Bl. 23) kündigte der Kläger den Versicherungsvertrag fristlos. Er erhielt einen Rückkaufswert samt Gewinnbeteiligung in Höhe von insgesamt 33.096,02 DM erstattet (Hefter I Bl. 25). Die Differenz zwischen Erstattungsbetrag und geleisteten Prämienzahlungen in Höhe von 98.699,18 DM (GA 4) macht die Hauptforderung der Klage aus.

Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe die aus der abgeschlossenen Rentenversicherung zu erwartenden Leistungen schuldhaft unrealistisch günstig für ihn, den potentiellen Kunden, dargestellt, indem sie Gewinnerwartungen, wie sie 1994/1995 in Ansatz gebracht worden seien, in Aussicht gestellt habe, obwohl bereits Ende 1994 absehbar gewesen sei, daß die Gewinnanteile künftig deutlich gekürzt werden mußten, um die dadurch frei werdenden Mittel dem Deckungskapital für die Garantierente zuzuführen. Es sei nämlich schon 1994 in der Branche bekanntgewesen, daß infolge verlängerter Lebenserwartung längere als die bislang prognostizierten Rentenzahlungszeiten bevorstanden, für welche das bislang kalkulierte Deckungskapital nicht mehr ausreichte. Unstreitig war die Notwendigkeit, wegen höherer Lebenserwartung zusätzliche Rückstellungen zu bilden, bereits Thema einer Mitteilung der Deutschen Aktuarvereinigung vom 26. September 1994 (loser Hefter I Bl. 29), welche auch die bei der Beklagten tätigen Aktuare erhalten hatten. Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen (BAV) veröffentlichte am 21. Februar 1995 - einen Tag nach Ausfertigung der Police - eine neue Sterbetafel für Rentenversicherungen. Im Juli 1995 erteilte das BAV der gesamten Assekurranz die Anweisung, für Verträge, welche nach dem 1. Januar 1996 abgeschlossen wurden, neue Tarife nach den reuen Rechnungsgrundlagen zu kalkulieren und darüber hinaus seine Werbung mit Gewinnanteilen zuzulassen, wenn deren Herabsetzung vorhersehbar sei (loser Hefter II Bl. 1/2).

Der Kläger hat weiter behauptet, bei Kenntnis der geminderten Gewinnbeteiligung - die zur Auffüllung einer sonst um mehr als 10 % niedriger ausfallenden Rente benötigt werde (GA 5) - würde er den Versicherungsvertrag nicht abgeschlossen haben. Er würde vielmehr in einen Aktienfonds investiert und eine Rendite von mehr als 7,18 % pro Jahr erzielt haben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.548,16 DM nebst naher aufgeschlüsselter Zinsen (vgl. GA 2) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dem Kläger bekannte Fakten über eine bevorstehende Herabsetzung der Gewinnanteile vorenthalten zu haben. Die Dinge seien Anfang 1995 noch im Fluß gewesen und es habe damals noch kein neues Kalkulationsmodell gegeben. Das Bundesaufsichtsamt (BAV) habe neue Regeln denn auch nur für nach dem 31. Dezember 1995 abgeschlossene Rentenverträge vorgegeben (Hefter II Bl. 1), also für die Zeit nach Zustandekommen des streitbefangenen Vertrags.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Beklagte habe keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten verletzt. Da die Auswirkungen der längeren Lebenserwartung im Februar 1995 bei Vertragsschluß noch völlig offen gewesen seien - bis auf die Tatsache, daß die Veröffentlichung einer neuen Sterbetafel unmittelbar bevorgestanden habe -, könne eine Verpflichtung der Beklagten, darauf hinzuweisen, daß eine neue Sterbetafel Änderungen auch der Gewinnerwartung nach sich ziehen werde, nicht angenommen werden. Die Abhängigkeit der Gewinnerwartung von der Sterblichkeitsentwicklung ergebe sich auch mit hinreichender Deutlichkeit insbesondere aus § 19 der zugrundegelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Hefter I Bl. 14/17). Zudem sei nicht ersichtlich, daß der Kläger durch Abschluß des in Rede stehenden Rentenversicherungsvertrages einen Schaden erlitten habe.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, entgegen der Auffassung des Landgerichts gehe es nicht darum, ob die Beklagte die künftige Gewinnerwartung bereits positiv habe angeben können. Entscheidend sei, daß der Beklagten eine Veränderung der Renditeerwartung im Sinne einer Verschlechterung bekanntgewesen sei, sie aber noch mit den alten Werten geworben habe. Sein Schaden liege darin, andere Möglichkeiten der Geldanlage nicht unter realistischer Prämisse geprüft haben zu können und dadurch in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt worden zu sein. Auch könne seine fristlose Kündigungserklärung der Täuschungsanfechtung verstanden werden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen Schlußanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, dem Kläger, der sich vor Vertragsschluß intensiv anderweitig informiert habe, seien die Abhängigkeit von Gewinnerwartung und Entwicklung der Sterblichkeit klar gewesen und in allgemeiner Form auch vom Agenten vor Vertragsschluß vor Augen geführt worden. Der Kläger sei auch nicht geschädigt, da ihm Kürzungen der Gewinnanteile durch Zahlung der damit finanzierten Renten schließlich wieder zugute kämen. Der Kläger würde auch bei Kenntnis der Auswirkungen einer neuen Sterbetafel auf die Gewinnerwartung den Vertrag abgeschlossen haben, da andere Anlageformen derselben Risikoebene unter Einbeziehung steuerlicher Aspekte nicht günstiger gewesen sein würden.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat bis auf einen Teil der Zinsforderung Erfolg.

Schadenersatzansprüche des Klägers sind unter dem Blickwinkel des Verschuldens bei Vertragsschluß begründet.

1.

Die Beklagte hat ihr "Produkt" - ihr Rentenversicherungsmodell - unter Verletzung ihrer vorvertraglichen Sorgfaltspflichten günstiger dargestellt als es tatsächlich war. Denn die Beklagte hat unbestritten Prognosen über künftige Gewinnanteile angegeben, die sich so nicht mehr halten ließen, weil sich eine der Rechnungsgrundlagen - die durchschnittliche Lebenserwartung und damit der Zeitraum, über welchen die Beklagte Rente zu zahlen übernahm - verändert hatten. Die Beklagte hätte aufgrund der diesbezüglichen Erörterungen in Fachkreisen, insbesondere aufgrund der Mitteilung der Deutschen Aktuarvereinigung vom 26. September 1999 (Hefter I Bl. 29), erkennen können und müssen, daß die Mittel, aus denen die Renten über zusätzliche Jahre finanziert werden mußten, bei laufenden Verträgen, in denen eine vertragliche Bindung in bezug auf Renten- und Prämienhöhe bestand, nur zu Lasten der Gewinnanteile zur Verfügung stehen konnten. Die Renditeberechnungen, die dies unberücksichtigt ließen, mußten also zwangsläufig irreführen. Ob die Beklagte diese sich aufdrängenden Schlußfolgerungen nur fahrlässig in ihren Angebotsunterlagen nicht umgesetzt (Organisationsmangel) oder aber arglistig getäuscht hat, kann hier offenbleiben, ein Verschulden ist zweifelsfrei. Die Anordnung des Bundesaufsichtsamts von Juli 1995 (Hefter II Bl. 2): "Soweit bei Abschluß von Rentenversicherungsverträgen eine Herabsetzung der bisher gewährten Überschußanteilssätze bereits absehbar ist, darf keine Werbung mit diesen Überschußanteilssätzen erfolgen" drückt nur eine Selbstverständlichkeit aus, welche die Beklagte von sich aus spätestens ab Ende 1999 zu beachten gehabt hätte.

Darauf, daß der Beklagten Maßstäbe für eine prognostische Einschätzung der Gewinnanteile unter Berücksichtigung der höheren Lebenserwartung noch nicht zur Verfügung standen (die Beklagte also, wie es die Berufung ausdrückt, noch nicht "rechnen" konnte), ist in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich wie die zwangsläufigen Ungewißheiten der Gewinnentwicklung wegen der Unvorhersehbarkeiten künftiger gewinnrelevanter Faktoren. Jedenfalls mit dem, was absehbar war, hätte die Beklagte nicht hinter dem Berg halten dürfen. Beispielsrechnungen hätten zumindest einen Hinweis darauf enthalten müssen, daß wegen einer Überarbeitung der Sterbetafel geringere Gewinnanteile zu erwarten seien.

Daß die Gewinnerwartung auf der Grundlage der zu kalkulierenden längeren Lebensdauer deutlich geringer war als dargestellt - in ihrem dem Vertragsschluß vorausgegangenen Angebotsschreiben vom 24. November 1994 (Hefter I Bl. 47) geht die Beklagte bei Wahl einer Kapitalabfindung von einer Rendite von 7,18 % pro Jahr aus - stellt die Beklagte nicht in Abrede. Der Kläger trägt insoweit vor, 10 % der Rente müßten korrigierend über Kürzungen der Gewinnanteile finanziert werden (GA S). Die notwendig werdenden Verschiebungen fallen also durchaus ins Gewicht.

Die Argumentation der Beklagten, die Kürzungen kämen letztlich dem Versicherungsnehmer über Renten wieder zugute, verkennt, daß dem Versicherungsnehmer die "Garantie-Rente" vertraglich bindend zugesagt ist, die Beklagte also die Erfüllbarkeit ihrer eigenen Verpflichtung aus dem Topf und auf Kosten der zusätzlichen Gewinnchancen des Versicherungsnehmers sicherstellt.

2.

Dafür, daß mithin überholte und damit unrichtige Renditeprognosen keinen Einfluß auf die Entscheidung des Klägers gehabt hätten, den Versicherungsvertrag abzuschließen, tritt die insoweit beweisbelastete (BGH NJW 1998, 302, 303) Beklagte keinen Beweis an (vgl. GA 104).

3.

Der Kläger hat auch einen Schaden erlitten. Es ist nicht nur so, daß der über wesentliche Punkte uninformiert gebliebene Kläger in seiner Freiheit, über sein Vermögen frei zu disponieren, beeinträchtigt worden ist, weil er Alternativmöglichkeiten der Alterssicherung nicht anhand realistischer Daten des Angebots der Beklagten messen konnte: Der Kläger hat vielmehr - und darin liegt der Schaden - einen Gegenwert erhalten, der nicht dem entsprach, was er berechtigterweise erwarten durfte. Denn die Beklagte hatte den Eindruck erweckt, bei gleichbleibenden Verhältnissen, wie sie zur Zeit des Vertragsabschlusses herrschten, sei bei Wahl einer Kapitalabfindung eine Rendite von 7,18 % pro Jahr zu erwarten. Das aber war unzutreffend, die Renditeerwartung war seinerzeit bei gleichbleibenden Verhältnissen deutlich geringer. Um diesen Schaden in Form herabgesetzter Werthaltigkeit des Vertrages auszugleichen, durfte sich der Kläger vom Vertrag lossagen, wobei ihm durch den Vertragsschluß bedingte Vermögensnachteile nicht verbleiben dürfen. Deshalb hat er Anspruch auf Erstattung der von ihm erbrachten Prämien, soweit ein diesbezüglicher Ausgleich nicht schön stattgefunden hat. Daraus rechtfertigt sich der zugesprochene Hauptsachebetrag von 15.548,16 DM.

4.

Darüber hinaus hat die Beklagte auch den Schaden zu ersetzen, der dem Kläger erwachsen ist, weil er die gezahlten Prämienbeträge nicht anderweitig gewinnbringend eingesetzt hat. Daß der Kläger allerdings in Aktienfonds investiert haben würde, wie er behauptet (GA 73/74), kann nicht als gesichert betrachtet werden. Dabei handelt es sich um eine spekulativere Anlageform ohne gesicherte Mindestrente. Eine Rendite von 4 % immerhin wäre aller Voraussicht nach auch mit kurzfristigen Geldanlagen erzielbar gewesen. Den Zinsausfallschaden (§ 287 ZPO) schätzt der Senat daher auf 4 %.

Soweit die Laufzeit der Zinszahlungen bis zum 9. Dezember 1998 begrenzt ist, trägt dies dem Umstand Rechnung, daß der Erstattungsanspruch des Klägers an diesem Tage in Höhe von 33.096,02 DM seitens der Beklagten erfüllt worden ist.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Entgegen der vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten im Senatstermin geäußerten Auffassungen weicht das vorliegende Urteil nicht von der Entscheidung OLG Stuttgart NVersZ 2000, 21 ff. ab. Das vorbezeichnete Urteil behandelt ausdrücklich eine Fallgestaltung, bei welcher gerade nicht feststeht, daß der Versicherer die Unrichtigkeit seiner Gewinnprognose bei Vertragsschluß hätte erkennen können und müssen.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten: 15.598,16 DM.

Ende der Entscheidung

Zurück