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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 05.02.2002
Aktenzeichen: 4 U 144/01
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 6
VVG § 61
VVG § 1 Abs. 1 S. 1
VVG § 49
Grob fahrlässige Herbeiführung des Diebstahls einer Aktentasche mit Schmuck und Juwelen im Wert von über 180.000 US-Dollar, die ein Schmuckhändler während der Anmeldung an der Reception eines Hotels im Diamantenviertel von Antwerpen auf dem Boden abgestellt hat.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 144/01

Verkündet am 05. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, des Richters am Oberlandesgericht Dr. R und der Richterin am Landgericht F

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 16. Mai 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung von 10.000 Euro abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Sicherheitsleistungen können jeweils auch durch Bankbürgschaft erbracht werden.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die sich mit dem Vertrieb von Schmuckwaren befasst, begehrt von der Beklagten Versicherungsentschädigung wegen des Diebstahls von Schmuckstücken und Bargeld.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten mit einem Anteil von 60 % und bei der H Versicherungsgesellschaft mit 40 % eine Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Versicherungsvertrages wird auf die von der Klägerin in Kopie zur Gerichtsakte gereichte Police (GA 21-50) verwiesen. Zwischen den Vertragsparteien - der Klägerin, der Beklagten und der H Versicherung - besteht Einigkeit darüber, dass die Klägerin die Beklagte wegen des behaupteten Diebstahls vom 16. Februar 2000 auf den Gesamtschaden in Anspruch nehmen kann und sich die H Versicherung der Prozessführung seitens der Beklagten anschließt (GA 51).

Mit Schreiben vom 14. März 2000 (GA 97) lehnte die Beklagte die Schadensregulierung wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ab und kündigte das Versicherungsverhältnis unter Hinweis auf § 6 VVG i.V.m. Ziffer 6.1 des Versicherungsvertrages mit sofortiger Wirkung.

Die Klägerin hat behauptet:

Am 16. Februar 2000 sei ihr Geschäftsführer, Herr A, in Begleitung des Herrn C von I nach B geflogen. Auf dem Flughafengelände B habe Herr K ihrem Geschäftsführer Schmuck und Juwelen zum Einkaufspreis von insgesamt 188.058 US-Dollar ausgehändigt, die sie Herrn K am 15. Februar 2000 gegen Lieferschein (GA 58) übergeben und die sie von der Firma S AS Sch in I gekauft habe. Diese Schmuckstücke habe Herr A in seiner Lederaktentasche verstaut, in der sich zudem 4.500 US-Dollar Bargeld befunden hätten. Vom Flughafen seien die Herren A und O nach Antwerpen gefahren und dort zum A E Hotel gegangen, wo für sie Hotelzimmer reserviert worden sein sollten. Während sich Herr A nach der Abfertigung von zwei anderen Hotelgästen zur Rezeption begeben habe, habe sich Herr C, der sich unwohl gefühlt habe, in einen im Foyer befindlichen Sessel gesetzt. Herr A habe an der Rezeption seine Lederaktentasche neben sich auf den Boden gestellt und mit dem Hotelangestellten bezüglich der Zimmerreservierung gesprochen. Da der Angestellte keine entsprechende Buchung habe feststellen können, habe Herr A mit seinem Mobiltelefon vergeblich versucht, den Geschäftsfreund anzurufen, der die Buchung habe vornehmen sollen. In dem Moment, als Herr A das Telefon wieder ausgeschaltet habe, habe er das Fehlen der Aktentasche festgestellt. Herr O der wegen seiner Übelkeit den Kopf in die Hände gestützt gehabt habe, habe von dem Verschwinden der Tasche ebenfalls nichts bemerkt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Geschäftsführer habe keineswegs sorglos gehandelt. Das Foyer des Hotels sei nicht mit Menschen bevölkert, sondern - jedenfalls im unmittelbaren Bereich, wo Herr A sich aufgehalten habe -leer gewesen. Überdies sei die Hotelhalle nicht sehr groß. Es habe keine Anzeichen gegeben, die Herrn A hätten veranlassen müssen, sich besonders gegen einen Diebstahl zu wappnen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 384.288 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 14. März 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht: Der von der Klägerin dargestellte Geschehensablauf sei nicht nachvollziehbar. Jedenfalls sei sie gem. Ziffer 6.1 des Versicherungsvertrages und § 61 VVG leistungsfrei. Der Geschäftsführer der Klägerin habe gröblich gegen die in Ziffer 6.1 des Versicherungsvertrages vereinbarte Obliegenheit verstoßen, bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen. Denn er habe die Aktentasche mit den Schmuckwerten in Höhe von ca. 400.000 DM drei bis vier Minuten unbeobachtet gelassen. Bei einem Mindestmaß an Sorgfalt hatte Herr A die Tasche entweder neben sich mit Körperkontakt auf den Rezeptionstisch abstellen, oder sie in die Obhut des Herrn O geben müssen. Sein Verhalten sei außergewöhnlich unbekümmert, leichtfertig und nachlässig. Sie, die Beklagte, sei aber auch deshalb nicht leistungspflichtig, weil der Schmuck im Eigentum der Firma S AS I gestanden habe, die ebenfalls von Herrn A geführt werde, die aber nicht ihre Versicherungsnehmerin sei.

Zudem hat die Beklagte die Schadenshöhe und den geltend gemachten Zinsschaden bestritten und sich auf die Haftungsbegrenzung von 50.000 DM nach Ziffer 3.4.3 des Versicherungsvertrages berufen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei gem. § 61 VVG leistungsfrei, weil der Geschäftsführer der Klägerin den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 384.288 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 14. März 2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 384.288 DM (= 196.483/33 Euro) aus §§ 1 Abs. 1 S. 1, 49 VVG i.V.m. Ziffer 1.1, 1.3 und Ziffer 3.2.1 des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrages.

Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin aufgelisteten Schmuckstücke und 4.500 US-Dollar - wie von der Klägerin behauptet - am 16. Februar 2000 entwendet worden sind. Auch bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob § 61 VVG durch Ziffer 6.1 des Versicherungsvertrages, wonach der Versicherungsnehmer bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen habe, zum Nachteil des Versicherungsnehmers so abgeändert wurde, dass die Beklagte schon bei leicht fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch die Klägerin von ihrer Leistungspflicht befreit ist (vgl. hierzu BGH VersR 1972, 85, 86).

Denn wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, ist die Beklagte gem. § 61 VVG leistungsfrei, weil der Geschäftsführer der Klägerin den Versicherungsfall sogar grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Grob fahrlässig handelt nach allgemein anerkannter Rechtsprechung derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und das unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Auch in subjektiver Hinsicht muss dem Versicherungsnehmer ein schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten zur Last fallen (vgl. BGH NJW 1992, 3235, 3236; OLG Köln VersR 1999, 311, 312; OLG Bremen VersR 1983, 260; Römer/Langheid, VVG, § 61, Rdnr. 29}. Diese Voraussetzungen sind auch nach der Sachverhaltsschilderung der Klägerin erfüllt:

1.

Der Geschäftsführer der Klägerin hat sich in objektiver Hinsicht grob fahrlässig verhalten, indem er seine Aktentasche, in der er Schmuck und Bargeld im Gesamtwert von rd. 400.000 DM mit sich führte, neben sich auf dem Boden abstellte und nicht dafür Sorge trug, dass entweder er oder seine Begleitperson Herr O zu der Tasche ständig Sicht- oder Körperkontakt halten konnten (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 19.1.2001 - 20 U 138/00 -, Pressemitteilung abgedruckt in MDR 18/2001, R 14; für die Reisegepäckversicherung: OLG Bremen VersR 1983, 260; OLG Karlsruhe VersR 1983, 479).

Der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, in der konkreten Situation sei die Diebstahlsgefahr nicht offenkundig so groß gewesen, dass sich ihr Geschäftsführer zu weiteren Schutzmaßnahmen habe veranlasst sehen müssen. Selbst wenn die Hotelhalle nicht sehr groß und nahezu menschenleer war, bestand erkennbar die Gefahr, dass fremde Personen den Empfangsbereich passierten und sich unbemerkt der Aktentasche bemächtigten. Dies gilt umso mehr, als sich die Rezeption des Hotels ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Fotodokumentation (GA 59 ff.) in unmittelbarer Nähe des Ein- bzw. Ausgangs befindet. Potentielle Diebe konnten so die typische Situation der Anmeldung eines Gastes an der Rezeption, durch die er von der Beobachtung seiner Gepäckstücke zwangsläufig abgelenkt wird, zu einem Diebstahl ausnutzen und schnell aus der Hotelhalle nach draußen entkommen. Hinzu kommt, dass eine Aktentasche - anders als ein großer Koffer - ein besonders begehrtes Diebstahlsobjekt darstellt, zum einen weil sie sich schnell und unbemerkt mitnehmen lässt, zum anderen weil hierin in der Regel Wertsachen vermutet werden. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als sich das Hotel ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Hotelprospektes im Herzen des Diamanten-Viertels von Antwerpen befindet. Wenn dort ein Gast absteigt und eine Aktentasche mit sich führt, liegt für potentielle Diebe die Vermutung nahe, dass sich darin Wertsachen befinden können. Diese Zusammenhänge waren dem Geschäftsführer der Klägerin als Schmuckhändler bekannt.

Dem Vorwurf eines objektiv grob fahrlässigen Verhaltens steht schließlich auch nicht entgegen, dass Herr O nur wenige Meter hinter dem Geschäftsführer der Klägerin in einem Sessel Platz genommen haben soll und von dieser Position die Aktentasche ohne weiteres hätte beaufsichtigen können. So lange der Geschäftsführer der Klägerin, Herr A Herrn O nicht konkret darum bat, die Tasche zu bewachen, durfte er nicht darauf vertrauen, dass Herr O dies ungefragt tun werde, zumal Herr A wusste, dass sich sein Begleiter unwohl fühlte und mit sich selbst beschäftigt war.

2.

Den Geschäftsführer der Klägerin trifft auch in subjektiver Hinsicht der Vorwurf eines unentschuldbaren Fehlverhaltens, weil er in besonders sorgloser Weise die Vorsichtsmaßnahmen außer Acht ließ, die sich jedem verständigen Versicherungsnehmer in der konkreten Situation geradezu aufdrängten. So wäre es angesichts des im Diebstahlsfalle drohenden besonders hohen Schadens naheliegend gewesen, die Aktentasche während der Anmeldung an der Rezeption entweder in die Obhut des Herrn O zu geben, oder sie im Blickfeld auf die Rezeptionstheke zu legen, oder aber sie so zwischen beide Beine zu klemmen, dass der Geschäftsführer der Klägerin ihre Wegnahme sofort hätte bemerken können. Dass er sich in leichtfertiger Weise überhaupt nicht um den Verbleib der mit wertvollem Schmuck und Bargeld bestückten Aktentasche kümmerte, zeigt sich auch darin, dass er - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - erst nach drei bis vier Minuten, in denen er mit dem Hotelangestellten verhandelt und versucht hatte, seinen Geschäftsfreund telefonisch zu erreichen, den Verlust der Tasche bemerkte. Wenn - wie die Klägerin behauptet - die Hotelhalle tatsächlich menschenleer gewesen wäre, hätte Herr A doch zumindest gewahr werden müssen, dass sich ihm jemand näherte. Der Umstand, dass er bei sonst menschenleerer Hotelhalle nicht einmal eine sich ihm nähernde Person bemerkt hat, belegt, dass er während seiner Gespräche an der Rezeption alles ändere um sich herum - einschließlich seines wertvollen Gepäcks - vergessen haben muss. Dies rechtfertigt auch in subjektiver Hinsicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit.

3.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat und von der Klägerin mit ihrer Berufung auch nicht angegriffen wird (vgl. GA 162), ist das grob fahrlässige Verhalten ihres Geschäftsführers für den Eintritt des Versicherungsfalles ursächlich geworden, denn bei Beachtung der oben angeführten Vorsichtsmaßnahmen hätte der Diebstahl der Aktentasche ohne weiteres vermieden werden können.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts in dieser Sache erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).

Streitwert für die Berufung und Beschwer der Klägerin: 384.288 DM (= 196.483,33 Euro).

Ende der Entscheidung

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