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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.09.1999
Aktenzeichen: 4 U 179/98
Rechtsgebiete: VVG, AHB, BGB


Vorschriften:

VVG § 6 Abs. 3
AHB § 5 Nr. 2 Abs. 4
AHB § 6
BGB § 538
Leitsatz:

§ 6 Abs. 3 VVG, §§ 5 Nr. 2 Abs. 4, 6 AHB, § 538 BGB

Der Haftpfichtversicherer der Mieterin, die von ihrem Vermieter wegen fahrlässiger Inbrandsetzung des gemieteten Wochenendhauses auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, ist nach §§ 5 Nr. 2 Abs. 4, 6 AHB leistungsfrei, wenn die Versicherungsnehmerin den Versicherer grob fahrlässig nicht von einem durch den Vermieter gegen sie erwirkten Versäumnisurteil unterrichtet hat, das rechtskräftig geworden ist, und nicht festgestellt werden kann, daß die bei rechtzeitiger Einschaltung vom Haftpflichtversicherer für die Versicherungsnehmerin erhobene Einrede der Verjährung nach § 558 BGB erfolglos geblieben wäre.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 179/98 11 O 301/97 LG Düsseldorf

Verkündet am 21. September 1999

T., Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 1999 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. Juli 1998 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 DM abzuwenden, sofern nicht die Beklagte in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bankbürgschaft erbracht werden.

Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Privat-Haftpflichtversicherung geltend, die seine früheren Mieter, die Eheleute H, bei der Beklagten abgeschlossen hatten. Etwaige Ansprüche der Eheleute H gegen die Beklagte sind dem Kläger durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß (vgl. GA 12 ff.) zur Einziehung überwiesen.

Mitte August 1993 (vgl. GA 32/38) vermietete der Kläger den Eheleute H das Gebäude L in F - ein "Wochenendhaus" (Fotos BA 23 UJs 1633/93 StA Mosbach) - zu Wohnzwecken. Schon am 2. September 1993 brannte das Haus ab. Ursache war eine Verpuffung im Ölofen, den der Ehemann H angezündet hatte. Die Eheleute H meldeten der Beklagten, daß der Vermieter - der jetzige Kläger - Schadenersatz beanspruche. Von der Erhebung der Schadenersatzklage des Klägers gegen die Eheleute H (1 O 121/96 LG Mosbach) erfuhr die Beklagte zunächst nichts. Das Verfahren endete mit einer Verurteilung der Eheleute durch Versäumnisurteil vom 10. Dezember 1996 u.a. zur Zahlung von 200.102,50 DM nebst 4 ö Zinsen seit dem 6. November 1996. Dieses Urteil wurde unanfechtbar. Mit Schreiben vom 26. Mai 1997 (GA 28) versagte die Beklagte den Eheleuten H Deckungsschutz u.a. wegen Verletzung der Anzeigeobliegenheit des § 5 Nr. 2 Abs. 4 AHB.

Der Kläger hat behauptet, den Eheleute H, welche die Klageschrift nicht erhalten hätten, sei deren gerichtliche Inanspruchnahme erst mit Zustellung des Versäumnisurteils bekanntgeworden. Noch vor Ablauf der Einspruchsfrist hätten sie die Beklagte über das Versäumnisurteil informiert. Eine etwaige Verletzung der Anzeigeobliegenheit habe sich nicht ausgewirkt. Auch im Falle einer streitigen Entscheidung würde der Schadenersatzprozeß nicht anders ausgegangen sein. Die Eheleute H seien in die Bedienung des Ölofens im einzelnen eingewiesen worden. Gleichwohl habe der Ehemann den Ofen falsch bedient, nämlich schon in der Anzündphase den die Ölzufuhr regelnden Knopf auf die höchste Stufe gestellt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 200.102,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, vom Verfahren 1 O 121/96 LG Mosbach erst Kenntnis erhalten zu haben, als das Versäumnisurteil längst unanfechtbar gewesen sei. Es sei von einer vorsätzlichen Verletzung der Anzeigepflicht auszugehen, zumal die Eheleute H mit Schreiben vom 4. April 1996 (GA 27) und 21. Mai 1996 (vgl. GA 56) nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen worden seien, eine Klage unverzüglich an sie, die Beklagte, weiterzuleiten. Das Schadenersatz-Verlangen des Vermieters (und jetzigen Klägers) sei in der Sache mangels Verschuldens nicht berechtigt, jedenfalls der Höhe nach überzogen gewesen.

Das Landgericht hat die Klage (nach Beweisaufnahme GA 116 ff., GA 127 f.) mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei leistungsfrei, weil die Versicherungsnehmer, die Eheleute Hl, grob fahrlässig ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen seien, die Beklagte rechtzeitig von dem gegen sie ergangenen Versäumnisurteil in Kenntnis zu setzen. Es stehe fest, daß die Eheleute H über ihre Verpflichtung, Mitteilung von einer Klage zu machen, ausdrücklich und zweifach mit Schreiben vom 4. April und 21. Mai 1996 belehrt worden seien. Daß der Schadenersatzprozeß auch bei rechtzeitiger Einschaltung der Beklagten im Endergebnis keinen anderen Ausgang genommen haben würde, vermöge der Kläger nicht nachzuweisen. Zuverlässige Feststellungen seien jedenfalls nunmehr infolge Zeitablaufs nicht mehr möglich.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, Leistungsfreiheit sei schon deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte nicht ausreichend über die Konsequenzen der Obliegenheitsverletzung belehrt habe. Die Annahme, die Eheleute H hätten die Weiterleitung des Versäumnisurteils grob fahrlässig versäumt, sei unzutreffend. Schließlich sei das Landgericht vorschnell zu der unrichtigen Auffassung gelangt, es sei nicht mehr möglich, den Beweis zu führen, daß der Schadenersatzprozeß auch dann, wenn sich die Beklagte eingeschaltet haben würde, nicht anders ausgegangen sein würde. Die Verjährungseinrede hätte die Beklagte gegebenenfalls nicht mit Erfolg auf § 558 BGB stützen können, weil das Gebäude vollständig zerstört gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 200.102,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1997 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei und verweist insbesondere darauf, eine Verurteilung der Eheleute H im Schadenersatzprozeß würde schon durch die Einrede der Verjährung (§ 558 BGB) abgewendet worden sein.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt erfolglos.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Versicherungsleistungen aufgrund der Pfändung und Überweisung nicht erwerben können, weil den Eheleuten H, von denen er seine Befugnisse ableitet, ein solcher Anspruch nicht zustand. Die Beklagte ist nämlich gemäß §§ 5 Nr. 2 Abs. 4, 6 AHB leistungsfrei.

1.

Daß die Eheleute H als Versicherungsnehmer die in § 5 Nr. 2 Abs. 4 AHB niedergelegte Obliegenheit, die gegen sie erhobene Schadenersatzklage der Beklagten unverzüglich anzuzeigen, verletzt haben, steht angesichts der Zeugenaussage der Ehefrau H (GA 116 f.) fest. Auf die überzeugenden Ausführungen des angefochtenen Urteils wird verwiesen. Spätestens mit Zustellung des Versäumnisurteils an beide Eheleute H hatten diese positive Kenntnis von dem gegen sie gerichteten Prozeß. Wenn der Ehemann H entsprechend seinen Angaben bei der Zeugenvernehmung (GA 118) alles weitere seiner Ehefrau überlassen hat, muß er sich deren Untätigbleiben oder sonstiges Verhalten unter dem Blickwinkel des Wissensvertreters zurechnen lassen. Die Beklagte hat von dem inzwischen rechtskräftigen Urteil erst am 15. April 1997 erfahren. Der diesbezüglichen Aussage des Zeugen H (GA 128) tritt der Kläger nicht entgegen.

Davon, daß die Eheleute H ihre Anzeigeobliegenheit vorsätzlich verletzt haben könnten, ist nicht auszugehen. Normalerweise will niemand willentlich seinen Versicherungsschutz gefährden (vgl. Prölss/Voit, 26. Aufl., § 153 VVG Rdn. 3 m.w.N.). Nur für den Fall vorsätzlicher, jedoch folgenlos bleibender Verletzung der Anzeigeobliegenheit wird diskutiert, ob und wann die schwerwiegende Folge der Leistungsfreiheit eine vorherige Belehrung des Inhalts voraussetzt, daß ein vorsätzlicher Verstoß auch dann zum Verlust des Versicherungsanspruchs führt, wenn dem Versicherer kein Nachteil daraus erwächst (vgl. Prölss a.a.O., § 5 AHB Rdn. 4 m.w.N. einerseits, Langheid in Römer/Langheld § 33 VVG Rdn. 19 andererseits). Darum geht es hier nicht. Den Versicherungsnehmern ist hier (nur) entsprechend der Vermutung der §§ 6 AHB, 6 Abs. 3 VVG vorzuwerfen, die Anzeige grob fahrlässig unterlassen zu haben. Darüber hinaus sind die Eheleute H hier sogar - überobligationsmäßig - dadurch belehrt worden, daß die Beklagte mit Schreiben vom 4. April 1996 (GA 27) und 21. Mai 1996 (vgl. GA 56) nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, unverzüglich über eine Klage des Vermieters Müller unterrichtet zu werden. Die Ehefrau H hat bestätigt, das Schreiben vom 4. April 1996 erhalten zu haben (GA 117). Daß auch das spätere Schreiben zugegangen war, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Zeugen H (GA 127/128).

Vor diesem Hintergrund läßt sich grobe Fahrlässigkeit der Eheleute H sogar positiv feststellen. Denn die Eheleute H haben die Beklagte trotz der Hinweise nach Zustellung des Versäumnisurteils am 19. Dezember 1996 (BA 1 O 121/96 LG Mosbach Bl. 81 und 82) eben nicht informiert.

2.

Es kann nicht festgestellt werden, daß sich die Verletzung der Anzeigepflichten seitens der Eheleute H auf die Leistungsverpflichtungen der Beklagten nicht ausgewirkt hätte (§ 6 AHB, Kausalitätsgegenbeweis). Hätte sich die Beklagte rechtzeitig einschalten können, so wäre im Gegenteil die gegen die Eheleute H gerichtete Schadenersatzklage des Vermieters M und des jetzigen Klägers mutmaßlich abgewiesen worden. Denn die Beklagte hätte - worauf sie mit ihrer Berufungserwiderung vom 9. Dezember 1998 hinweist - für die Eheleute H die Einrede der Verjährung (§ 558 BGB) erhoben. Die kurze Verjährung ergreift auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung des Mietvertrags und damit konkurrierende, insbesondere deliktische Ansprüche (vgl. Palandt/Putzo, 58. Aufl., § 558 BGB Rdn. 7). Verjährungsbeginn ist der Zeitpunkt, in dem der Vermieter die Mietsache wieder in die Hände bekommt, das muß hier kurz nach dem Brand gewesen sei, denn die Eheleute H waren aus dem unbewohnt gewordenen Haus ausgezogen. Spätestens Mitte September 1993 begann deshalb die Verjährungsfrist. Die Beklagte hatte Ansprüche des Mieters und jetzigen Klägers bereits mit Schreiben vom 15. April 1994 abgelehnt (vgl. GA 27). Die Schadenersatzklage ist dann erst am 9. August 1996 beim Landgericht in Mosbach eingereicht worden, also erst nach Ablauf der sechsmonatigen Verjährung des § 558 BGB, so daß die Unterbrechungswirkung der §§ 209 Abs. 1 BGB, 270 Abs. 3 ZPO nicht mehr eintreten konnte.

Daß die auf § 558 BGB gestützte Verjährungseinrede ohne Erfolg geblieben sein würde - und der Kausalitätsgegenbeweis damit erbracht wäre -, ist nicht bewiesen. Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, daß die Verjährungsregelung des § 558 BGB bei völliger Zerstörung des Mietobjekts nicht anwendbar ist (BGH NJW 1981, 2406). Eine völlige Zerstörung liegt jedoch nur vor, wenn das Gebäude nicht mehr hätte aufgebaut werden können. Ein Totalschaden im wirtschaftlichen Sinn, weil die Kosten des Wiederaufbaus höher gewesen wären als der Zeitwert des Gebäudes vor dem Brand, reicht zur Annahme völliger Zerstörung nicht aus (BGH a.a.O.). Die Beklagte hat eine völlige Zerstörung des Gebäudes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter Hinweis auf den Bericht des Polizeibeamten H (BA 23 UJs 1633/93 StA Mosbach Bl. 10) bestritten. Ausweislich dieses Berichts sind zwei Schlafräume vom Brand verschont geblieben. Darüber hinaus ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung angesprochen worden, daß ausweislich der Lichtbilder (vorerwähnte Beiakten Bl. 8) massiv gemauerte Teile des Hauses erhalten geblieben sind. Angesichts dessen ist die schlagwortartige Behauptung des Klägers, die Mietsache sei "vollständig zerstört worden" (GA 191), nicht hinreichend substantiiert. Schon deshalb ist den Beweisantritten (Augenschein, Sachverständigengutachten) nicht nachzugehen. Durch Einnahme des Augenscheins könnte auch nicht nachgewiesen werden, daß die Mietsache völlig zerstört war. Dies könnte der Senat mangels bautechnischer Fachkunde nicht beurteilen. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens würde auch gemäß §§ 282 Abs. 2, 296 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen sein.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer des Klägers: 200.102,50 DM.

Ende der Entscheidung

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