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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.11.2001
Aktenzeichen: 4 U 184/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
1.

Das Begehren der Versicherungsnehmerin, ihr die Versicherungssumme aus der von ihr abgeschlossenen Aussteuerversicherung wegen Eheschließung des - auch von anderen Personen z. T. mehrfach versicherten - Jugendlichen auszuzahlen, ist rechtsmissbräuchlich und unbegründet, wenn sich aus Indizien ergibt, dass der in Deutschland geborene, noch nicht 17 Jahre alte Versicherte während eines Urlaubs in der Türkei die fünf Jahre ältere Frau nur zwecks Auszahlung der Versicherungssumme und Erlangung einer deutschen Aufenthaltserlaubnis für sie geheiratet hat, eine persönliche Bindung aber weder beabsichtigt war noch besteht.

2.

Dessen ungeachtet steht der Versicherungsnehmerin der Rückkaufswert der Aussteuerversicherung zu.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 184/00

Verkündet am 13. November 2001

In Sachen

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, des Richters am Oberlandesgericht Dr. R und der Richterin am Landgericht F

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. August 2000 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.180,91 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 14. Juni 1999 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 65 % und die Beklagte zu 35 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat nur insoweit Erfolg, als die Klägerin Anspruch auf Auszahlung des Rückkaufwerts der von ihr bei der Beklagten unterhaltenen Aussteuerversicherung erhebt.

1.

Der Klägerin steht die Aussteuerversicherungssumme nicht zu, weil ihr Auszahlungsverlangen insoweit rechtsmißbräuchlich ist. In Übereinstimmung mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass die Eheschließung des mitversicherten Kindes - E G - nur dazu diente, die Voraussetzungen für die Auszahlung der Versicherungssumme sowie ggf. für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für die Ehefrau - G G - zu schaffen, eine über die Ehe "auf dem Papier" hinausgehende persönliche oder wirtschaftliche Bindung der Partner indes von vornherein nicht beabsichtigt war (vgl. dazu Senat, NJW-RR 2001, 392, 393 = NVersZ 2000, 541; Urt. v. 24.4.2001, 4 U 129/00). Das ergibt sich aus einer Kette von Indizien.

a) So sind 1995 für den damals 13-jährigen E G nicht nur ein oder zwei, sondern allein bei der Beklagten sieben Aussteuerversicherungen über jeweils 20.000 DM abgeschlossen worden. Zu dieser Behauptung der Beklagten hat sich die Klägerin, bei der es sich lediglich um eine Freundin der Familie von E handelt, zwar mit Nichtwissen erklärt. E hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht indes eingeräumt, dass allein sein Vater, A G, Aussteuerversicherungen in einer Größenordnung von ungefähr 100.000 DM abgeschlossen hatte. Im Einklang damit hat sein Vater bei seiner Befragung durch den Senat bestätigt, dass er mehrere Aussteuerversicherungen bei der Beklagten unterhalten hat. Bereits das dürfte aber eine ausreichende Motivation begründen, eine frühzeitige Eheschließung des Kindes nicht dem Zufall zu überlassen. Denn die von dem Vater vereinbarten Versicherungssummen waren keineswegs dazu bestimmt, dem jungen Paar das für eine Ehe erforderliche Startkapital zu verschaffen. Bei seiner Befragung durch das Landgericht hat E eingeräumt, dass das Geld von der Versicherung seinem Vater zufließen würde und dass er sich davon lediglich einen "Anteil" in Höhe eines Taschengelds verspreche.

Ebenso hat es sich auch bei dem Abschluss der Aussteuerversicherung durch die Klägerin, einer Hausfrau, um eine reine Kapitalanlage gehandelt. Denn für den Unterhalt des jungen Ehepaares musste sie schon mangels einer verwandtschaftlichen Beziehung nicht einstehen. Dabei kommt hinzu, dass ihr Ehemann und sie - wie die offengelegten Kontoübersichten erkennen lassen - in eher bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten und dass sie sich daher kaum erlauben konnten, auf eine baldige Eheschließung zu spekulieren, wenn nicht abgemachte Sache gewesen wäre, dass E möglichst bald heiraten würde.

b) Stärker spricht für die Eingehung einer Scheinehe aber noch, dass jedenfalls vor den Sommerferien im Jahre 1999 zwischen dem gerade 16 Jahre und 8 Monate alten, in Deutschland geborenen und lebenden E und der in der Türkei aufgewachsenen, fast fünf Jahre älteren G keinerlei persönliche Beziehung bestanden hat. Allerdings wollen sie sich nach ihren Angaben schon während des Sommerurlaubs von E 1997 in der Türkei erstmals gesehen haben. Zu der Zeit hat sich daraus jedoch noch kein nennenswerter persönlicher Kontakt entwickelt, wie die - damals noch anderweitig verheiratete - G auch bei ihrer Vernehmung durch den Senat ausdrücklich bestätigt hat. Ein weiteres eher zufälliges Zusammentreffen soll dann während des Urlaubs im Folgejahr erfolgt sein. Auch im Anschluss daran haben beide aber weder telefonisch noch brieflich in Verbindung gestanden. Dementsprechend war nach ihren Angaben für den Urlaub 1999 ein erneutes Zusammentreffen keineswegs verabredet gewesen. Gleichwohl wollen sie sich dann aber im Juli 1999 spontan und aus Liebe schon nach einwöchigem Wiedersehen zur Heirat entschlossen haben. Das hat schon das Landgericht mit Recht als völlig unglaubhaft betrachtet, obwohl beide der Kammer bei ihrer erstinstanzlichen Befragung noch - möglicherweise bewusst - verheimlicht hatten, dass G zuvor mit einem Cousin von E, N, verheiratet war und dass sie mit ihm ein gemeinsames Kind hatte. Hinzu kommt, dass A G - wie er vor dem Senat bekundet hat - erst bei seiner Ankunft in der Türkei unmittelbar vor der Eheschließung am 26. Juli 1997 seine Schwiegertochter kennengelernt und sich dennoch nach lediglich telefonischer Unterrichtung über die Heiratspläne seines minderjährigen Sohnes spontan entschlossen haben will, in die Türkei zu reisen, um ihm seine Zustimmung zu erteilen.

Insbesondere letzteres kann indes nicht stimmen. Zwar hat auch E bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung bekundet, seine Eltern seien erst zwei Tage vor der Hochzeit, also am 24. Juli 1999, in der Türkei eingetroffen. Das läßt sich indes nicht damit in Einklang bringen, dass das Amtsgericht K E schon durch Urteil vom 23. Juli 1999 (GA 16) auf Antrag der Eltern vom selben Tage die für die Eheschließung eines noch nicht 17-jährigen Jungen nach Art. 88 des türkischen ZGB erforderliche Ausnahmegenehmigung erteilt hat. Aus dem Tatbestand des Urteils geht insoweit nämlich hervor, dass E Eltern persönlich angehört worden sind. Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin unterstellt, dass E Eltern - wie von ihm in anderem Zusammenhang vor dem Landgericht ausgesagt (GA 123) - bereits eine Woche vor der Hochzeit in die Türkei gereist sind, bleibt schwer vorstellbar, dass sie in der verbleibenden Zeit noch in der Lage gewesen sind, die nötigen Arrangements für die Hochzeit zu treffen.

c) Abgerundet wird das sich daraus ergebende Bild durch die widersprüchlichen Angaben, die E und G zum Ablauf des Hochzeitstages gemacht haben. So hat E zwar - nach Zuruf seines Vaters - vor dem Landgericht bekundet, dass die Eheschließung vor dem Standesamt in E stattgefunden habe. Weiter hat er ausgesagt, dass die Anwesenden nach der Hochzeitszeremonie in einen Park gegangen seien und dort etwas gegessen und getrunken hätten. Am Folgetag habe er dann mit seinem Vater die Heimreise angetreten. Davon weicht die Schilderung von G aber keineswegs - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - nur in Nuancen ab. Sie hat nämlich ausgesagt, Getränke und einen Imbiss habe es nicht mehr gegeben, weil ihr Ehemann bereits eine halbe Stunde nach der Hochzeit wieder nach Deutschland abgereist sei. Daran hat sie auch bei wiederholtem Befragen festgehalten. Erst nach nochmaligem Vorhalt der anderslautenden Angaben von E hat sie dann ihre Aussage dahingehend eingeschränkt, dass - so weit sie sich erinnern könne - die Abreise nach Istanbul noch am selben Tag stattgefunden habe. In dem Zusammenhang hat sie ihre Bekundungen auch E Aussage dahingehend angepasst, dass sie nach der Eheschließung doch noch gemeinsam etwas gegessen und getrunken hätten.

Gleichermaßen ungereimt sind die beiderseitigen Angaben zu den Hochzeits- und Geburtstagsgeschenken. Während sich G daran erinnern konnte, dass es als Hochzeitsgeschenke einen Ehering und goldene Armbänder gegeben habe, war E davon nichts bekannt. Demgegenüber hat er bekundet, er habe seiner Ehefrau nach ihrer Ankunft in Deutschland nachträglich zu ihrem Geburtstag eine Rose und eine Uhr geschenkt. G gab dazu an, sie habe Kleidung geschenkt bekommen. Dass sie "auch" eine Uhr erhalten habe, hat sie dann erst nach Vorhalt von E Bekundungen bestätigen können.

d) Der Verdacht einer Scheinehe, der sich nach alldem bereits zur Gewissheit verdichtet hat, wird auch nicht dadurch entkräftet, dass G mittlerweile in Deutschland lebt und eine Aufenthaltserlaubnis für sich und ihren Sohn aus erster Ehe erlangt hat. Zwar haben E, und sie vor dem Landgericht angegeben, sie bewohnten gemeinsam ein 10 bis 12 qm großes Zimmer im Haus von E Vater. Das haben Vater und Schwiegertochter auch in zweiter Instanz bestätigt. Der Senat sieht jedoch keine Veranlassung, diesen Angaben Glauben zu schenken. Dem stehen nicht nur die bereits angesprochenen Widersprüche und Ungereimtheiten entgegen. Bezeichnenderweise hat E nämlich vor dem Landgericht angegeben, in dem gemeinsamen Zimmer stehe auch sein PC. Der war G jedoch bis dahin entgangen, obwohl sie eigenen Angaben zufolge bereits seit geraumer Zeit mit E zusammen in dem - gut überschaubaren - Raum wohnte. Dass der Vater A G dazu bei seiner zweitinstanzlichen Befragung angegeben hat, der Computer sei inzwischen im Keller aufgestellt worden, betrachtet der Senat unter den gegebenen Umständen lediglich als einen Versuch, den erstinstanzlich aufgetretenen Widerspruch zu beheben.

Dass G nicht nach Deutschland gekommen ist, weil sie sich zu ihrem sehr viel jüngeren Ehemann hingezogen fühlte, wird schließlich auch durch die Aussage des Gemeindevorstehers des Dorfes Gü, E A, der bei der Eheschließung als Standesbeamter fungiert hat, bestätigt. Er hat bei seiner Vernehmung im Rahmen des von der Beklagten in der Türkei angestrengten Eheanfechtungsverfahrens (GA 310) nicht nur ausgesagt, G habe auch noch nach der Eheschließung mit E mit ihrem ersten Ehemann N zusammengelebt, sondern auch bestätigt, dass er von dem Familienältesten von E erfahren habe, G habe sich nur scheiden lassen, um nach der Heirat mit E in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen und um dann nach erneuter Scheidung N wieder zu heiraten und ihn nach Deutschland nachzuholen. Bei der Bewertung dieser Aussage verkennt der Senat nicht, dass die Bekundungen im wesentlichen auf Hörensagen beruhen. Sie fügen sich aber so nahtlos in das Gesamtbild ein, dass der Senat nach alldem nicht mehr den geringsten Zweifel an dem Scheincharakter der zwischen E und G bestehenden Ehe hat.

2.

Dessen ungeachtet steht der Klägerin der Rückkaufwert der Aussteuerversicherung zu, den beide Seiten übereinstimmend mit 7.180,91 DM beziffert haben. Denn den Anspruch hat die Beklagte außergerichtlich mit Schreiben vom 14. Juni 1999 anerkannt. Ob der Versicherungsvertrag tatsächlich durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung beendet worden ist (§ 176 VVG), kann danach dahingestellt bleiben.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert: 20.485,50 DM.

Beschwer der Klägerin: 13.604,59 DM, Beschwer der Beklagten: 7.180,91 DM.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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