Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.05.2002
Aktenzeichen: 4 U 203/01
Rechtsgebiete: BetrAVG, GG


Vorschriften:

BetrAVG § 2 Abs. 2 S. 4
BetrAVG § 2 Abs. 2 S. 5
BetrAVG § 2 Abs. 2 S. 6
BetrAVG § 3
GG Art. 14
1.

Hat ein Arbeitgeber zur betrieblichen Altersversorgung seines Arbeitnehmers eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen, so dient die von dem Arbeitnehmer nach § 1 BetrAVG erworbene unverfallbare Versorgungsanwartschaft ausschließlich seiner Alterversorgung.

2.

Der Arbeitnehmer, der infolge seiner Erwerbsunfähigkeit auf die Auszahlung des Rückkaufswerts dringend angewiesen ist, ist durch § 2 Abs. 2 S. 5 BetrAVG ohne Verstoß gegen Art. 14 GG gehindert, den Rückkaufswert aufgrund einer Kündigung des Versicherungsvertrages vor dem festgesetzten Auszahlungszeitpunkt in Anspruch zu nehmen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 203/01

Verkündet am 14. Mai 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 13. September 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des beizutreibenden Betrags abzuwenden, sofern nicht die Beklagte ihrerseits entsprechende Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bankbürgschaft erbracht werden.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beansprucht den Rückkaufswert einer Direktversicherung.

Auf Antrag vom 8.11.1978 (GA 5) schloss der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, die Fa. G B - später B GmbH -, bei der Beklagten eine ab 1990 durch einen zweiten Vertrag de facto aufgestockte (GA 6) Kapital-Lebensversicherung zugunsten des Klägers mit einer Laufzeit von 30 Jahren ab. Von der im Formular vorgesehenen Möglichkeit, auch eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abzuschließen, wurde kein Gebrauch gemacht. Dem Kläger war ein eingeschränkt widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt, das der Fa. B den Widerruf u.a. bis zum Eintritt der Unverfallbarkeit gem. § 1 (1) des Gesetzes über die betriebliche Altersversorgung(BetrAVG) vorbehielt. Die Prämien wurden vom Konto des Arbeitgebers abgebucht.

Die Versorgungsanwartschaft ist zwischenzeitlich unverfallbar geworden (vgl. GA 22). Der Kläger war bis zur Betriebseinstellung im Jahre 2000 bei der Firma B GmbH beschäftigt. Mit Schreiben vom 27.12.2000 kündigte der Kläger, der einen Schlaganfall (GA 2) erlitten hatte und erwerbsunfähig geworden war (vgl. GA 12), die Lebensversicherungen (GA 8). Die Beklagte erklärte sich mit Blick auf § 2 Abs.2 S. 5 BetrAVG außerstande, den Rückkaufswert an den Kläger auszuzahlen (vgl. GA 24).

Der Kläger hat gemeint, die Beklagte sei an das Verbot des § 2 Abs. 2 S. 4-6 BetrAVG ("Der ausgeschiedene Arbeitnehmer darf die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag i.H. des durch Beitragszahlung des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe darf der Rückkaufswert aufgrund einer Kündigung des Versicherungsvertrags nicht in Anspruch genommen werden; im Falle einer Kündigung wird die Versicherung in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt. § 176 Abs. 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag findet insoweit keine Anwendung") nicht gebunden. Dieses Verbot gelte nicht uneingeschränkt. Er sei angesichts seiner Erwerbsunfähigkeit auf die Auszahlung des Rückkaufswertes dringend angewiesen. Die Beklagte brauche eine doppelte Inanspruchnahme nicht zu befürchten (vgl. GA 31).

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 103.985,27 DM nebst 9,26 % Zinsen seit dem 22. März 2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, sich über das gesetzliche Verbot auch angesichts der - teilweise bestrittenen - besonderen Notlage des Klägers nicht hinwegsetzen zu dürfen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dem Kläger stehe der Rückkaufswert wegen der besonderen Regelung in § 2 BetrAVG nicht zu. Das Verfügungsverbot sei bewusst strikt gefasst, um den Versorgungsweck nicht zu gefährden. Versorgungszweck sei vorliegend - abgesehen vom Todesfallrisiko - die Altersversorgung ab dem 65. Lebensjahr des Klägers. Das Gesetz sei weder auslegbar noch lückenhaft. Der Lebensversicherungsvertrag könne ebenfalls nicht dahin ausgelegt werden, dass auch das Risiko der Erwerbsunfähigkeit vom Versorgungszweck mitumfasst sei, zumal eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ausdrücklich nicht vereinbart gewesen sei.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, in letzter Konsequenz laufe die angefochtene Entscheidung darauf hinaus, dass ihm zugemutet werde, sein gesamtes Hab und Gut heute aufs Spiel setzen zu müssen, dafür aber später Leistungen zu erhalten, die ihm nichts mehr nutzten und dann an die Sozialhilfe, die für ihn habe einspringen müssen, flössen (vgl. GA 63). Das könne nicht richtig sein. Sein Eigentumsrecht (Art. 14 GG) werde verletzt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 103.985,27 DM nebst 9,26 % Zinsen seit dem 22. März 2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, für Billigkeitserwägungen lasse das Gesetz keinen Raum.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berufung muss der Erfolg versagt bleiben.

1.

Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbots, den Rückkaufswert aufgrund einer Kündigung in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 S. 5 BetrAVG), im vorliegenden Fall erfüllt sind, zieht die Berufung zu Recht nicht in Zweifel. Denn die Anwartschaft des Klägers auf betriebliche Altersversorgung war unstrittig unverfallbar geworden. Die Versicherungsprämien waren vom Arbeitgeber gezahlt worden. Das Begehren des Klägers zielt mithin auf die Auszahlung des durch Beitrage des Arbeitgebers gebildeten Deckungskapitals. Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbots, den Rückkaufswert vor Eintritt des Versicherungsfalls in Anspruch zu nehmen, erfüllt. Als Versicherungsfall ist ausschließlich die Alterssicherung ab festgesetztem Auszahlungszeitpunkt der Versicherungssumme definiert, nicht hingegen Erwerbsunfähigkeit.

2.

Dieses Verbot erlaubt keine Durchbrechung aus Gründen der Billigkeit im Einzelfall. In der Tat widerstrebt es zwar dem Billigkeitsgefühl, dem Kläger zu versagen, auf einen schlummernden Vermögenswert jetzt zuzugreifen, wo er ihn dringend benötigt. Bei der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung handelt es sich jedoch um einen gezielten sozialpolitisch motivierten Eingriff in den Grundsatz der Vertragsfreiheit der Parteien. Aus generalpräventiven Gründen sollen die steuervergünstigt (vgl. LG Freiburg, VersR 2000, 1221, 1222) angesparten Mittel wirklich nur für den vorgesehenen Versorgungszweck zur Verfügung stehen und auch erst dann. In dieses sozialpolitische Steuerungsinstrument dürfen weder die Parteien noch das Gericht aus in der Individualbeziehung herrührenden Gründen eingreifen. Da diese Frage der Dispositionsbefugnis der Parteien entzogen ist, kann im vorliegenden Fall - anders als die Berufung meint - auch nicht mit einer ergänzenden Vertragsauslegung geholfen werden. Hinzu kommt, dass die Probleme, die bei Invalidität vor Eintritt des Versorgungsfalls entstehen könnten, seit langem Gegenstand der Erörterung in der Fachliteratur sind (vgl. Hofer/Abt, 2. Aufl., § 2 BetrAVG Rn 110, Heubeck/ Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, 2. Aufl., § 2 BetrAVG Rn 268)). Eine Durchbrechung des Verbots wurde und wird in der Kommentierung nahezu einhellig abgelehnt (a.A. Blomeyer/ Otto, BetrAVG, 1984, Rn 282 zu § 2). Gleichwohl hat es der Gesetzgeber trotz mannigfacher sonstiger Änderungen des Gesetzes über die betriebliche Altersvers9rgung bei der hier dargestellten Regelung belassen. Auch aus § 3 BetrAVG ist für den Kläger nichts zu gewinnen. Das dort ausgesprochene grundsätzliche Abfindungsverbot bestätigt im Gegenteil die Absicht des Gesetzes, die Versorgungsleistungen bis zum Eintritt des Versorgungsfalles unangetastet zu lassen. Der Ausnahmefall für Altersversorgungen mit geringer Ansparleistung ("Bagatellanwartschaften") greift hier unstreitig (vgl. GA 24) nicht Platz.

Art. 14 GG ist nicht verletzt. Dem Kläger bleibt der Anspruch auf die Versicherungsleistung erhalten. Die vorübergehende Verfügungsbeschränkung ist Ausprägung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und Äquivalent der staatlichen Förderung der betrieblichen Altersversorgung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzliche Voraussetzung für eine Zulassung der Revision (§ 543 ZPO n.F.) sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert und Beschwer des Klägers: 53.166,82 Euro (= 103.985,27 DM).

Ende der Entscheidung

Zurück