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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.09.2002
Aktenzeichen: 4 U 221/01
Rechtsgebiete: AHagB 94, VVG, AGBG


Vorschriften:

AHagB 94 § 9 Nr. 1 Abs. 2 (Fassung 1999)
AHagB 94 § 9 Nr. 2 (Fassung 1999)
VVG § 2 Abs. 2 S. 2
VVG § 5
VVG § 5 a
AGBG § 9
1.

Die Einreichung weiterer Anbauverzeichnisse, ohne die nach § 9 Nr. 1 Abs. 2, Nr. 2 AHagB 94 - Fassung 1999 - bei Bodenerzeugnissen, die - wie Salat - mehrfach im Jahr nacheinander angebaut werden, nur der erste Anbausatz hagelversichert ist, stellt eine Anspruchvoraussetzung für den Versicherungsschutz und nicht nur eine verhüllte Obliegenheit dar.

2.

§ 9 Nr. 1 Abs. 2, Nr. 2 AHagB 94 (Fassung 1999) verstößt nicht gegen § 9 AGBG.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 221/01

Verkündet am 10. September 2002

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 27. August 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S und der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. Oktober 2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kleve teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.227,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes für die Zeit vom 16. November 2000 bis zum 31. Dezember 2001 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB für die Zeit ab dem 1. Januar 2002 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 96 % und die Beklagte zu 4 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, von Beruf Landwirt, unterhält bei der Beklagten eine Hagelversicherung für Gemüse, insbesondere für harte und weiche Salate. Den Versicherungsantrag hat ein Agent der Beklagten, der Zeuge J, am 30. Mai 2000 aufgenommen. Zugleich mit dem Antrag unterzeichnete der Kläger ein Anbauverzeichnis, in dem er den aktuellen Anbau an Kopf- und Eissalat auf dem B P 2000, F N deklarierte. Dabei wurde vermerkt:

"Diese Aufstellung ist gültig bis 30.06.00. Ab 01.07.00 erfolgt neue Aufstellung."

Am 3. Juli 2002 erstattete der Kläger der Beklagten eine Änderungsanzeige, in der er den Kopf- und Eissalatanbau der 27. - 30. Kalenderwoche aufführte. Eine weitere Änderungsanzeige für den Salatanbau ab der 31. Kalenderwoche reichte er nicht ein, weil die neue Auftragsbestätigung des niederländischen Lieferanten, die die Grundlage dafür bilden sollte, bei ihm versehentlich ungeöffnet liegen blieb.

Am 16. September 2000 ereignete sich auf der Anbaufläche des Klägers ein Hagelschaden, bei dem er nach seiner Behauptung einen Ernteausfall in Höhe von 73.500,- DM erlitten hat.

Der Kläger hat behauptet: Bei der Vertragsanbahnung habe er mit dem Zeugen J erörtert, wie die Versicherung abgerechnet werden solle. Während er ein Versicherungsrisiko von 100.000 Pflanzen pro Hektar gewünscht habe, habe ihm der Zeuge mitgeteilt, es würde die jeweilige Flache versichert. Da die Beklagte zur "Kalkulation" des Gesamtrisikos Angaben über die Anzahl der angebauten Pflanzen benötigte, habe er dem Zeugen verbindlich als Vorgabe mitgeteilt, dass sich die Gesamtzahl bei ca. 900.000 bewegen werde. Dabei habe dieser versichert, dass die jeweiligen Anbauverzeichnisse von der Beklagten nur benötigt würden, um die Prämie später "spitz" abrechnen zu können. Im übrigen habe er ihm bestätigt, dass er grundsätzlich versichert sei, da die "diskutierte Pflanzenzahl von 900.000 Stück sich im Rahmen" halte.

Unter Anrechnung eines Selbstbehalts von 20 % hat der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 58.800 DM nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. November 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, nach den Versicherungsbedingungen, die dem Kläger bei Vertragsschluss ausgehändigt und mit dem Versicherungsschein nochmals übersandt worden seien, werde ihre Haftung erst durch die Einreichung des Anbauverzeichnisses begründet. Das gelte auch, wenn Bodenerzeugnisse mehrfach nacheinander angebaut würden. Davon abweichende Zusagen habe der Zeuge J nicht gemacht.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Anbauverzeichnis habe für den Versicherungsumfang konstitutive Bedeutung. Ob die Versicherungsbedingungen dem Kläger zugänglich gemacht worden seien, sei unerheblich, da er sein Widerspruchsrecht gemäß § 5 a VVG nicht binnen Jahresfrist ausgeübt habe. Im übrigen habe er nicht hinreichend dargelegt, dass mit dem Agenten ein von den Bedingungen abweichender Vertragsinhalt vereinbart worden sei.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er macht geltend: Das Landgericht habe verkannt, dass er schon mit Anwaltsschreiben vom 10. April 2000 von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht habe. Dadurch habe er bereits klargestellt, dass er die Versicherungsbedingungen nicht gegen sich gelten lassen wolle. Im übrigen verstoße § 9 Nr. 1 Abs. 2 AHagB 94 gegen das AGBG.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.063,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2000 zu zahlen.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil verteidigt, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat durch die Vernehmung des Zeugen J Beweis erhoben. Wegen des Beweisergebnisses und der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.

1.

Aufgrund des Schadensereignisses vom 16. September 2000 kann der Kläger aus der bei der Beklagten unterhaltenen Hagelversicherung eine Entschädigung für die in der 27. bis 30. Kalenderwoche 2000 angebauten Salatpflanzen in Höhe von 1.227,10 € (- 2.400,- DM) beanspruchen. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Zwar hat die Beklagte geltend gemacht, der Kläger habe diesen Entschädigungsbetrag bereits erhalten. Mit dem Erfüllungseinwand dringt sie jedoch nicht durch, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2002 unwidersprochen erklärt hat, die Beklagte habe ihm lediglich einen Scheck in der angegebenen Höhe zur Verfügung gestellt, den er bislang nicht eingelöst habe.

Dementsprechend ist ihm in dem Vergleich vom 14. Mai 2002 auch vorbehalten worden, den Scheck noch einzulösen. Nachdem dieser Vergleich von der Beklagten fristgerecht widerrufen worden ist, hat der Kläger in der abschließenden Verhandlung vor dem Senat - gleichfalls unwidersprochen - bekundet, dass der Scheck zwischenzeitlich noch nicht eingelöst worden ist.

2.

Eine Entschädigung für die beschädigten Salatpflanzen, die ab der 31. Kalenderwoche 2000 angepflanzt worden sind, steht dem Kläger hingegen nicht zu.

Nach § 9 Nr. 1 Abs. 2 AHagB 94 - Fassung 1999 - (im Folgenden: AHagB), die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegen und die sich weitgehend an die AHagB 94 (VersBAV 1994, 194) anlehnen, ist bei Bodenerzeugnissen, die - wie Salat - während des Jahres mehrfach nacheinander angebaut werden, nur der erste Anbausatz versichert, sofern die Versicherungssumme nicht für jede Ernte gesondert angegeben wird. Da er diese Anzeige für den Zeitraum ab der 30. Kalenderwoche 2000 unstreitig versäumt hat, kann er für die neuen Anpflanzungen keinen Versicherungsschutz für sich in Anspruch nehmen. Die Einreichung des Anbauverzeichnisses stellt nämlich eine Anspruchsvoraussetzung und nicht bloß eine verhüllte Obliegenheit dar, durch die lediglich ein schon zuvor zugesagter Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens wieder entzogen wird zur konstitutiven Bedeutung des Anbauverzeichnisses vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 1997, 535, 536; BK-Dörner, VVG, Vorbem. §§ 108 - 115 a Rn 5; Kollhosser in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 108 Rn 4; Römer/Langheid, WG, § 108 Rn 4; zur Abgrenzung von einer verhüllten Obliegenheit vgl. BGH VersR 2000, 969).

3.

Entgegen der Auffassung des Klägers verstoßen § 9 Nr. 1 Abs. 2, Nr. 2 AHagB nicht gegen § 9 AGBG. Wenn beim mehrfachen Anbau von Bodenerzeugnissen nur der erste Anbau versichert ist, solange keine weiteren Anbauverzeichnisse vorgelegt werden, wird dadurch eine Nachversicherung in Kenntnis des Schadenseintritts verhindert. Dadurch wird der Versicherungsnehmer aber nicht unangemessen benachteiligt, weil der Versicherer ohnehin gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 VVG leistungsfrei ist, wenn der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss bereits gewusst hat, dass der Versicherungsfall eingetreten ist.

4.

Der durch § 9 Nr. 1 Abs. 2, Nr. 2 AHagB bewirkte Leistungsausschluss scheitert auch nicht an § 5 a Abs. 1 VVG. Insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen. Ein fristgerechter Widerspruch lässt sich - entgegen der Berufungsbegründung - auch nicht dem Anwaltsschreiben vom 10. April 2000 entnehmen. Selbst wenn darin hinreichend zum Ausdruck gekommen sein sollte, dass der Kläger die AHagB nicht gegen sich gelten lassen will, würde es sich dabei nicht um einen wirksamen Widerspruch im Sinne von § 5 a Abs. 1 VVG handeln. Ein solcher Widerspruch liegt nämlich nur vor, wenn der Versicherungsnehmer zumindest sinngemäß erklärt, dass er den Versicherungsvertrag überhaupt nicht zustande kommen lassen will (vgl. Römer, a.a.O., § 5 a Rn 35, 37). In dem Sinne kann das Anwaltsschreiben aber schon deshalb nicht aufgefasst werden, weil der Kläger seinen Entschädigungsanspruch auch weiterhin aus den von ihm als wirksam erachteten Vertrag herleitet.

5.

Schließlich steht dem Kläger auch kein Entschädigungsanspruch unter dem Blickwinkel der gewohnheitsrechtlich anerkannten Erfüllungshaftung des Versicherers oder aufgrund der Billigkeitsklausel des § 5 VVG zu.

a)

Aufgrund der Vertrauensstellung, die der Außendienst des Versicherers genießt, binden ihn zwar Falschauskünfte über die Tragweite des nachgesuchten Risikos, solange dem Versicherungsnehmer kein erhebliches Eigenverschulden zur Last fällt. (Langheid in: Römer/Langheid, a.a.O., § 43 Rn 17 f; Kollhosser, a.a.O., § 43 Rn 29-31). Eine haftungsbegründende Fehlberatung käme hier in Betracht, wenn der Agent der Beklagten dem Kläger bei Aufnahme des Versicherungsantrags zugesagt hätte, dass er für den beabsichtigten Anbau von "ca. 900.000 Pflanzen" bzw. für die gemeldeten Anbauflächen Versicherungsschutz genieße und die Bedeutung des Anbauverzeichnisses sich darin erschöpfe, dass auf dessen Grundlage die Prämie "spitz" abgerechnet werde. Das Vorbringen des Klägers hat der Zeuge J bei seiner Vernehmung jedoch nicht bestätigt. Im Gegenteil konnte er sich - gestützt auf die Eintragungen in seinem Kalender - sogar daran erinnern, dass er nach Ablauf der auf dem Anbauverzeichnis vom 30. Mai angegebenen Gültigkeitsdauer den Kläger angerufen und darauf hingewiesen habe, es sei unbedingt erforderlich, dass ein neues Anbauverzeichnis eingereicht werde, weil er sonst seinen Versicherungsschutz verliere. Ernsthafte Zweifel an der Verlässlichkeit seiner Angaben hegt der Senat nicht, da der Zeuge mittlerweile nicht mehr für die Beklagte tätig ist und er auch schon durch die Tatsache, dass er deren Behauptung über die Aushändigung der Vertragsunterlagen nicht bestätigen konnte, hinlänglich deutlich gemacht hat, dass er seine Bekundungen nicht nach den Erwartungen der Beklagten ausgerichtet hat.

b)

Ebenso wenig kann der Kläger mit Blick auf § 5 VVG einwenden, dass der durch den Versicherungsschein deklarierte Vertragsinhalt zu seinem Nachteil von dem Antrag abweiche, den er mündlich dem Zeugen J unterbreitet hat. Auch das hat die Beweisaufnahme nämlich nicht ergeben.

6.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Berufungsstreitwert: 30.063,96 €.

Beschwer des Klägers: 28.836,86 €,

Beschwer der Beklagten: 1.227,10 €

Ende der Entscheidung

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