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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.12.1999
Aktenzeichen: 4 U 223/98
Rechtsgebiete: MB/KK 76
Vorschriften:
MB/KK 76 § 5 (2) |
§ 5 (2) MB/KK 76
Ein Krankenversicherer ist aufgrund eines Ärztetarifs, der abweichend von den allgemeinen Tarifbedingungen keine Begrenzung der Erstattungsfähigkeit für psychotherapeutische Heilbehandlungen enthält und der bereits die Kosten für 320 psychoanalytische Sitzungen erstattet hat, ist wegen Übermaßbehandlung nicht zur Übernahme der Kosten für eine weitere psychoanalytische Einzeltherapie verpflichtet.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
4 U 223/98 11 O 638/94 LG Düsseldorf
Verkündet am 22. Dezember 1999
M., Justizsekretärin z. A. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 1999 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, des Richters am Oberlandesgericht Dr. W sowie des Richters am Landgericht O
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 8. September 1998.verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht Leistungen aus seiner bei der Beklagten abgeschlossenen Krankheitskosten-Versicherung (AVB GA 38).
Der Kläger - Zahnarzt - ist bei der Beklagten auf der Grundlage der MB/KK 76 (GA 38) privat krankenversichert. Entgegen den allgemeinen Tarifbedingungen (TB/KK 76) enthält der mit dem Kläger vereinbarte spezielle Ärztetarif keine Begrenzung der Erstattungsfähigkeit für psychotherapeutische Heilbehandlungen.
Im Dezember 1990 begann der Kläger bei dem Psychoanalytiker sowie Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H eine psychoanalytische Einzeltherapie. Die Beklagte bewilligte aufgrund der Anforderungsberichte des Arztes vom 16. Dezember 1991 (GA 224 ff.) und 26. Oktober 1992 (GA 229 ff.) letztlich 320 Sitzungen, die mit je 170 DM abgerechnet und erstattet wurden. Das bewilligte Kontingent war im August 1993 erschöpft. Weitere Leistungen verweigerte die Beklagte. In dem Zeitraum von Dezember 1991 bis August 1993 hatte der Kläger abgesehen von Urlaubsunterbrechungen - durchschnittlich drei bis vier Sitzungen pro Woche absolviert.
Der Kläger verlangt nunmehr Ersatz der Kosten weiterer psychoanalytischer Sitzungen in Höhe von 22.020 DM (vgl. GA 3 im Zusammenhang mit GA 16 ff.), d.h. Kostenersatz für ca. 130 weitere Sitzungen in der Zeit von September 1993 bis August 1994. Die Behandlung wurde im Oktober 1995 beendet (vgl. GA.321).
Der Kläger hat behauptet, seine Erkrankung, eine neurotische Depression, habe eine Behandlung mittels hochfrequenter Psychoanalyse erfordert. Diese langwierige, inzwischen abgeschlossene Form der Therapie sei medizinisch notwendig und auch in bezug auf Dauer und Umfang gerechtfertigt gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.020 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Juni 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat eine medizinische Notwendigkeit einer derart langwierigen psychoanalytischen Therapie bestritten und gemeint, die dadurch ausgelösten Kosten seien unvertretbar hoch.
Das Landgericht hat die Klage nach Einholung von Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. E (GA 137 ff./ Erläuterungen GA 164 ff.) und Dr. K (GA 234 ff.) abgewiesen. Es hat im Anschluß an das Gutachten Dr. K ausgeführt, eine medizinische Notwendigkeit der in Rede stehenden psychoanalytischen Sitzungen sei nicht bewiesen. Die Behandlung durch Dr. H lasse weder klare Diagnose, noch ein Therapieziel, noch einen sinnvollen Behandlungsgang erkennen.
Mit seiner Berufung greift der Kläger die Würdigung des Landgerichts an, das sich einseitig an der Beurteilung durch den für Fragen der Psychoanalyse nicht kompetente Sachverständigen Dr. K ausgerichtet habe. Aufgrund der Erstattung für 320 Sitzungen sei die medizinische Notwendigkeit der Behandlung anerkannt. Den Beweis einer das medizinisch notwendige Maß übersteigenden Heilbehandlung könne die Beklagte nicht führen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 22.020 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Juni 1994 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt dem angefochtenen Urteil unter Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens bei und macht hilfsweise auch geltend, es liege eine Übermaßbehandlung (§ 5 (2) MB/KK 76) vor.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt erfolglos.
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, über die von ihr geleisteten Erstattungen hinaus auch die nunmehr eingeforderten Kosten weiterer psychoanalytischer Sitzungen zu übernehmen. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, Form der Behandlung des Klägers als medizinisch notwendig (§ 1 (2) MB/KK 76) zu qualifizieren ist. Jedenfalls wendet die Beklagte zu Recht ein, zur Übernahme der weiterhin (über die entschädigten 320 Sitzungen hinaus) angefallenen Kosten unter dem Gesichtspunkt der Übermaßbehandlung (§ 5 (2) MB/KK 76) nicht verpflichtet zu sein.
Mit 320 Sitzungen, für welche die Beklagte aufgekommen ist, war bereits eine Behandlungsintensität erreicht, welche die belegten Höchstsätze der beamtenrechtlichen Beihilferegelungen des Bundes (240 Sitzungen, vgl. GA 37) und der sozialen Krankenversicherung (300 Sitzungen, GA 37) überstieg, wobei diese Höchstgrenzen auch nur im Ausnahmefall ausgeschöpft werden können, während im Normalfall 160 bzw. 80, in besonderen Fällen 240 bzw. 160 Sitzungen übernommen werden. Die genannten Höchstsätze verdeutlichen, daß der Heilerfolg in aller Regel unter Einhaltung des genannten Rahmens erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund sind gesteigerte Anforderungen an die Darlegungen der Gründe zu stellen, die eine darüber hinaus gehende Behandlung erfordern sollen. Daran fehlt es. Daß sich das Leiden des Klägers trotz mehrjähriger hochfrequenter und fachgerechter Psychoanalyse immer noch als schwer und therapieresistent dargestellt hat, kann hier letztlich nicht festgestellt werden. Der Kläger war zu keiner Zeit so krank, daß er seiner Berufstätigkeit als Zahnarzt nicht mehr hätte nachgehen können. Worin sich die Schwierigkeiten des Klägers nach mehrjähriger Behandlung noch von denjenigen unterscheiden, die bei vielen Menschen in Form von Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Unlust vorliegen und als zum normalen Leben gehörig hingenommen werden, wird nicht recht deutlich. Den Berichten des Psychoanalytikers ist zu entnehmen, daß eine Besserung erzielt wurde. So heißt es im Schreiben vom 26.10.1992 (GA 229/230 R), ansatzweise beginne der Kläger damit, sich gegen ungerechtfertigte Ansprüche Dritter abzugrenzen und er gewinne auch wieder Vertrauen in eine Partnerbeziehung. Mit Schreiben vom 6.9.1993 (GA 232.ff.) führt Dr. H für den Zeitraum aus, im wesentlichen gehe es jetzt noch um die Bekämpfung einer affektiven Lähmung mit depressiven Symptomen, die nicht mehr so ausgeprägt und qualvoll seien. Gleichwohl wird andererseits betont, die Symptome hätten immer noch Krankheitswert, ein vertieftes Durcharbeiten der Konfliktbereiche sei unumgänglich, dafür sei ein weiteres Stundenkontingent von 200 Sitzungen erforderlich. Diese verschwommenen Angaben, die Fortschritte bestätigen, aber zugleich einschränken, die Behandlung müsse noch praktisch unabsehbar fortgeführt werden, geben keinen hinreichenden Aufschluß über ein konkretes Vorgehenskonzept. Im übrigen beschäftigen sich die Berichte im wesentlichen - und auch nur pauschal - mit dem Inhalt früherer Sitzungen, während dazu, was im Rahmen der Sitzungen im Zeitraum von September 1993 bis August 1994 geschehen ist, deren Kosten Gegenstand des Rechtsstreits sind, keinerlei vergleichbare Angaben vorliegen. Eine ärztliche Dokumentation des Behandlungsverlaufs ist nicht vorgelegt und existiert offenbar auch nicht.
Vor diesem Hintergrund ist es der Beklagten mangels Substantiierung der Behandlung seitens des Klägers nicht möglich, dazu im einzelnen Stellung zu beziehen, um den Nachweis einer Übermaßbehandlung zu führen. Diese der Sphäre des Klägers zuzurechnende Beweisschwierigkeit der Beklagten hat eine Beweislastumkehr zur Folge, d.h., der Kläger müßte seinerseits den Übermaßeinwand ausräumen. Das aber ist dem Kläger nicht gelungen. Das dem Kläger günstige gerichtliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. E ist schon deshalb jedenfalls nicht überzeugender als das ihm widersprechende gerichtliche Gutachten des Sachverständigen Dr. K, weil auch Prof. Dr. F hinsichtlich Einzelheiten des Behandlungsablaufs über den Inhalt der erwähnten Berichte des Analytikers Dr. H hinaus nicht informiert gewesen ist.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97,.708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
Berufungsstreitwert und Beschwer des Klägers: 22.020 DM.
Ende der Entscheidung
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