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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: 4 U 79/02
Rechtsgebiete: AUB 61, ZPO


Vorschriften:

AUB 61 § 2 (1)
AUB 61 § 10 (1)
ZPO § 287
1.

Hat der Versicherungsnehmer weder unmittelbar nach einem am 07.11.1996 erlittenen Autounfall noch während seiner stationären Behandlung bis zum 11.11.1996, sondern erst am 12.11.1996 über auf HWS-Probleme hindeutende Schmerzen geklagt und in Behandlung begeben und sind die zwischenzeitlich abgeklungenen Schmerzen Ende Januar 1997 massiv wieder aufgetreten, so ist unter Berücksichtigung seiner früheren Beschwerdefreiheit aufgrund einer Gesamtschau mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nach § 287 ZPO davon auszugehen, dass die Anfang März 1997 im Kernspintomogramm festgestellten Bandscheibenvorfälle im Bereich der Halswirbelsäule trotz starker degenerativer Vorschädigung durch den Unfall mit ausgelöst worden sind, weil es wenig plausibel ist, dass Beschwerden infolge leichtgradiger unfallbedingter Verletzungen abgeheilt und zufällig gerade dann durch verstärkte Beschwerden infolge degenerativer Veränderungen ersetzt worden sein sollten.

2.

Der Senat schätzt den Mitwirkungsanteil der Vorerkrankung mangels konkreter Eingrenzungsmöglichkeiten auf 50 %, wobei es der Berücksichtigung der unfallunabhängigen degenerativen Vorschädigung nach § 10 (1) AUB 61 nicht entgegensteht, dass sie sich erst nach dem Unfall mit ausgewirkt hat.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 79/02

Verkündet am 17. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S... sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. W... und Dr. R...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. Januar 2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter- unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.260,78 € nebst 4 % Zinsen seit dem 7. April 2000 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 7/10, der Beklagten zu 3/10 auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutragenden Betrags abzuwenden, sofern nicht der Kläger seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

1.

Der Kläger beansprucht Leistungen aus der Unfallversicherung (AUB 61) mit der Behauptung, infolge eines Autounfalls vom 7. November 1996 mehrere Bandscheibenvorfälle im Bereich der Halswirbelsäule (vgl. radiologischen Befund GA 17) erlitten zu haben, deren Auswirkungen bei ihm zu einer Invalidität von 70 % geführt hätten. Die Parteien haben darüber gestritten, ob die krankhaften Veränderungen der Halswirbelsäule allein Folge einer degenerativen Entwicklung gewesen sind, die ins Krankhafte umgeschlagen ist, oder ob es sich (auch) um eine Unfallfolge handelt.

Das Landgericht hat die Klage sachverständig beraten abgewiesen. Auf das Urteil, insbesondere seine tatsächlichen Feststellungen, wird Bezug genommen.

Mit seiner Berufung erstrebt der Kläger eine abweichende Beurteilung der Kausalitätsfrage.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts die Beklagte zu verurteilen, an ihn 41.772,55 € (81.700 DM) nebst 4 % Zinsen ab dem 4. Juli 2000 zu zahlen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

2.

Die Berufung hat nur teilweise Erfolg.

a)

Der auf Zahlung auf Übergangsgeld (vgl. Nachtragspolice GA 47) gerichtete Klageteil ist nicht gerechtfertigt, die dagegen gerichtete Berufung unbegründet. Übergangsentschädigung wird nach § 8 Ziffer VII (1) der hier vereinbarten AUB 61 (vgl. loser Hefter Bl. 3 ff) geleistet, sofern sechs Monate nach dem Unfall noch eine unfallbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit von mehr als 50 % vorliegt und diese Beeinträchtigung bis dahin ununterbrochen bestanden hat. Letzteres, also eine ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit dieses Grades über die gesamten ersten sechs Monate nach dem Unfall, kann nicht festgestellt werden. Der Kläger war nämlich von Dr. Z... ab 19. Januar 1997 - Unfalltag war der 7. November 1996 - wieder arbeitsfähig geschrieben worden und hatte seine beruflichen Tätigkeiten dann auch zumindest vorübergehend wieder aufgenommen, wobei der Kläger nicht angibt, ab wann er dann wieder erneut krankgeschrieben worden ist.

Auch wenn der Kläger nicht beschwerdefrei gewesen sein mag, fehlt doch jeder Anhaltspunkt dafür, dass er seine Arbeit trotz Fortbestehens einer mehr als 50 %-igen Arbeitsunfähigkeit verrichtet hat. Hinzu kommt, dass der Anspruch auf Übergangsgeld nach § 8 Ziff. VII (1) AUB 61 nur besteht, sofern der genannte Grad der Arbeitsunfähigkeit alleinige Folge des Unfalls ist, ein auf mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen entfallender Ursachenteil also nicht mitgerechnet werden kann. Beim Kläger aber haben sich - wie noch auszuführen sein wird - jedenfalls auch krankhafte Veränderungen im Halswirbelsäulen-Bereich ausgewirkt. Es fehlt mithin an einer ununterbrochenen Beeinträchtigung von mehr als 50 %.

b)

Die Berufung ist hingegen teilweise begründet, soweit der Kläger Ansprüche auf Invaliditätsleistungen erhebt. Der Senat hält es für bewiesen, dass der Kläger infolge des Unfalls dauerhafte gesundheitliche Schäden davongetragen hat.

Die Frage, ob eine unfallbedingte Körperverletzung Invaliditätsfolgen ausgelöst hat, beurteilt sich nach den Maßstäben des § 287 ZPO (vgl. BGH VersR 1992, 1503). Dass die Mechanik des Unfallablaufs geeignet war, erhebliche Verletzungen der Halswirbelsäule zu bewirken, steht fest. Ferner ist unstrittig, dass die Halswirbelsäule des Klägers fortgeschrittene degenerative Verschleißerscheinungen aufwies (vgl. Gutachten Dr. L..., loser Hefter Bl. 30; vgl. auch Berufungsbegründung GA 221). Umstritten ist demgegenüber, ob der zeitliche Zusammenhang zwischen Unfall und dem Auftreten von Beschwerden die Kausalität erweist. Beim Kläger waren im Krankenhaus noch keine Anzeichen einer HWS-Distorsion festgestellt worden, die kurz danach geklagten Beschwerden sind dann zwischenzeitlich abgeklungen gewesen und Ende Januar/Anfang Februar 1997 dann massiv wieder aufgetreten. Im Rahmen der daraufhin veranlassten Untersuchungen sind im MRT (Kernspintomogramm) Anfang März 1987 Bandscheibenvorfälle und Prot-rusionen im Bereich der Halswirbelsäule festgestellt worden.

Diese Gesamtschau weist mit Auffassung des Senats mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass der Unfall die Beschwerden mit ausgelöst hat (§ 287 ZPO, vgl. Prölss/Knappmann, VVG, 26. Aufl., § 7 AUB 88 Rdn. 2). Denn der Kläger war, obwohl seines Halswirbelsäule stark degenerativ vorgeschädigt war, vor dem Unfall frei von Dauerbeschwerden der Art, wie sie jetzt vorliegen. Ein rein zufälliges Zusammentreffen dergestalt, dass leichtgradige unfallbedingte Verletzungen abgeheilt wären und die daraus resultierenden Beschwerden schleichend durch Beschwerden infolge der degenerativen Veränderungen, die sich verstärkt hätten, ersetzt worden sein sollten, ist wenig plausibel. Der gerichtliche Sachverständige hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht einen Ursachenzusammenhang mit dem Unfall auch nicht ausgeschlossen, sondern die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ablaufs aus medizinischer Sicht - nur - auf deutlich unter 50 % geschätzt (vgl. GA 177). Die dem Gericht obliegende wertende Beurteilung der Kausalitätsfrage in der Gesamtschau aller Umstände führt vor allem auch deshalb zu einer abweichenden Einschätzung, weil - was das Gutachten Dr. L... vom 14. November 1998 (loser Hefter Bl. 14/30 ff.) erwägt - die Bandscheiben des Klägers vor dem Unfall durchaus schon geschädigt gewesen sein können, was der Sachverständige aus den Röntgenbildern vom 7. November 1996, die eine fortgeschrittene Degeneration der knöchernden Strukturen zeigen, ableitet. Diese Schädigungen können bis dahin klinisch stumm geblieben sein (vgl. Ludolph a.a.O., Bl. 31). Wenngleich Beschwerden sich dann auch ohne erkennbaren Anlass einstellen können, liegt bei einem engen zeitlichen Zusammenhang doch die Verursachung durch eine äußere Gewalteinwirkung auf den Halsbereich deutlich näher. Auch in diesem Fall ist der Unfall für die Beschwerden und die dadurch ausgelöste Teilinvalidität kausal geworden. Einen solchen Ursachenanteil kann der Senat nicht als unerhebliche "Gelegenheitsursache" ansehen, da dafür feststehen müsste, dass sich die degenerativen Erscheinungen in derselben Weise und derselben Schnelligkeit auch ohne den Unfall fortentwickelt haben würden. Dies bleibt jedoch ungewiss. Es ist gerichtsbekannt, dass Bandscheibenschäden, die sich in bildgebenden Verfahren als schwer darstellen, keineswegs zwangsläufig auch zu Beschwerden führen und dass dieser beschwerdefreie Zustand über viele Jahre fortdauern kann.

Gegen eine (Mit-)Ursächlichkeit des Unfallgeschehens lässt sich nicht als maßgebliches Argument anführen, dass der Kläger während seines Krankenhausaufenthalts unmittelbar nach dem Unfall noch nicht über auf HWS-Probleme hindeutende Schmerzen und Beeinträchtigungen geklagt hat, derentwegen er sich schon am 12. November 1996 (loser Hefter Bl. 10), am Tag nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, bei Dr. Z... in Behandlung begeben hat (vgl. GA 11), der ihm eine Zervikalstütze verordnet hat. Auch zur Zeit des Krankenhausaufenthalts können die später bemerkten Beschwerden der Halswirbelsäule bereits existiert haben, diese können jedoch durch die Schmerzen, die von den Frakturen der 10., 11. und 12. Rippe (vgl. GA 10) und der offenen Kopfverletzung herrührten, überlagert gewesen sein (vgl. Gutachten Prof. B... vom 10. Mai 1999, GA 41/44).

Ebenso wenig lässt sich daraus herleiten, dass bei einer so schweren unfallbedingten Schädigung, wie sie hier im Ergebnis vorliegt, eine mittels MRT (Kernspin) nachweisbare Mikrotraumatisierung der HWS stattgefunden haben müsste. Da eine unfallnahe MRT-Untersuchung nicht stattgefunden hat - die Kernspinuntersuchung ist erst am 4. März 1997 erfolgt - lässt sich unter diesem Aspekt weder etwas für noch gegen einen Kausalitätsnachweis herleiten.

Die insgesamt durch die HWS-Beschwerden begründete Invalidität schätzen die gerichtlichen Gutachter auf 40 % ein (vgl. GA 133). Dagegen wenden sich die Parteien nicht. Nach eigenem Vorbringen des Klägers (GA 221) sowie auf Grundlage der vorstehenden Kausalitätserwägungen und schließlich auch auf Grundlage sämtlicher gutachtlicher Stellungnahmen (gerichtlicher Sachverständiger GA 177, Dr. L... a.a.O., Prof. Barz GA 45 "richtungsweisende Verschlimmerung") ist die Invalidität allerdings nicht ausschließliche Folge des Unfalls, sondern auch Folge der durch die degenerativen Vorschäden bewirkten Beeinträchtigung der Belastbarkeit seiner Halswirbelsäule, wobei es im Ergebnis unerheblich ist, ob sich die unfallunabhängige Erkrankung des Klägers schon vor dem Unfall oder erst nach dem Unfall, die Unfallfolgen sozusagen überholend, mit ausgewirkt hat. Eine Kürzung gemäß § 10 AUB 61 ist auch dann geboten, wenn die mitursächliche Krankheit nach dem Unfall auftritt oder sich erst dann auswirkt (vgl. Prölss/Knappmann, a.a.O., §8 AUB 88 Rdn. 3).

Der Senat schätzt den Mitwirkungsanteil der Vorerkrankung mangels konkreter Eingrenzungsmöglichkeiten auf 50 %.

Daraus errechnet sich: Bei einer Invaliditätssumme von 109.000,- DM (100 %) und einem Invaliditätsgrad von 40 %, der sich wegen unfallfremder, mitwirkender Erkrankungen auf 20 % kürzt, beläuft sich die Versicherungsleistung auf 21.800,- DM zuzüglich 10 % Bonusanteil = 23.980,- DM = 12.260,78 €.

Die Zinsforderung rechtfertigt sich aus den §§ 288, 291 ZPO a.F.. Der Berufungsantrag, mit dem Zinsen - erst - ab 4.7.2000 begehrt werden, beruht offensichtlich auf einem Versehen ("Zahlendreher"). Erstinstanzlich waren Zinsen ab Rechtshängigkeit begehrt worden. Die Klage ist am 7.4.2000 zugestellt worden (GA 51). Die Ziffern 7 und 4 sind im Berufungsantrag vertauscht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert: 41.772,55 €.

Ende der Entscheidung

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