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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.03.1999
Aktenzeichen: 4 U 81/98
Rechtsgebiete: VVG, AFB
Vorschriften:
VVG § 69 Abs. 1 | |
VVG § 70 Abs. 2 | |
VVG § 2 Abs. 2 | |
VVG § 38 Abs. 2 | |
VVG § 39 | |
AFB |
Die Käuferin eines Grundstücks, die die Feuerversicherung vor der Umschreibung im Grundbuch auf Anregung des Versicherers gekündigt hat, diese Kündigung jedoch nach einem Brand widerruft und daraufhin von dem Versicherer in Kenntnis des Versicherungsfalls einen neuen, auf sie lautenden Versicherungsschein mit unveränderter Versicherungsnummer und mit Wirkung auf einen Zeitpunkt vor dem Versicherungsfall unter Anschluß an den Vorversicherungsvertrag erhält, hat aus einer wirksam zustandegekommenen Rückwärtsversicherung Anspruch auf die Versicherungsleistung.
OLG Düsseldorf Urteil 23.03.1999 - 4 U 81/98 - 11 O 372/97 LG Düsseldorf
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 1999 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S. und der Richter am Oberlandesgericht Dr. W. und Z. für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17. Februar 1998 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 58.757,30 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Dezember 1995 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht die geltend gemachte Entschädigung für Aufräumkosten in Höhe von 60.000 DM aus dem Versicherungsvertrag der Parteien, dokumentiert im Versicherungsschein vom 11. August 1995 (26 - 28) zu. Allerdings muß sie sich die Einlösungsprämie von 1.242,70 DM abziehen lassen, so daß ein Restbetrag von 58.757,30 DM verbleibt.
1.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin diesen Betrag aus dem ursprünglichen Feuer-Industrieversicherungsvertrag zwischen der Beklagten und der Firma A. M., Inhaberin M. M., dokumentiert im Versicherungsschein vom 24. Januar 1995 (GA 10 - 14) verlangen kann.
Dieser Vertrag ist allerdings nicht durch Kündigung der Klägerin vom 20. Februar 1995 beendet worden. Denn die Kündigung war unwirksam, weil die Klägerin noch nicht nach § 69 Abs. 1 VVG in die Stellung der früheren Versicherungsnehmerin eingetreten war. Dies war nämlich erst nach der Veräußerung der versicherten Sache möglich. Die Veräußerung war aber erst, worüber die Parteien auch nicht streiten, mit der Umschreibung des Eigentums im Grundbuch am 4. September 1995 vollzogen. Nicht der wirtschaftliche Übergang des Eigentums, vereinbart im Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Firma A. M., sondern der rechtsgeschäftliche Eigentumsübergang ist insoweit ausschlaggebend (vgl. BGHZ 100, 60, 61; NJW-RR 1989, 211; VersR 1988, 926).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann auch nicht angenommen werden, daß die Klägerin den Versicherungsvertrag mit der Beklagten einvernehmlich aufgehoben hat. Dazu wäre sie nur in der Lage gewesen, wenn sie selbst Versicherungsnehmerin geworden wäre, was, wie soeben ausgeführt worden ist, jedoch nicht der Fall war. Dies gilt selbst dann, wenn angenommen wird, daß auch das Interesse des Käufers zwischen Gefahrübergang und Eigentumswechsel durch Grundbuchumschreibung im Zweifel nach §§ 80 Abs. 2, 74 VVG mitversichert ist (vgl. Senat RuS 1995, 425; OLG Schleswig NJW-RR 1989, 280; Prölss/Kolhosser VVG, 26. Aufl., § 69 Rdnr. 21). Gemäß § 75 Abs. 2 VVG war die Klägerin als Versicherte im Rahmen der Versicherung für fremde Rechnung nicht befugt, ohne Zustimmung der Firma A. M. über ihre Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen.
Die Beklagte behauptet aber unter Beweisantritt, daß die Firma A. M. im Prämieninteresse mit der Beklagten die Aufhebung des Versicherungsvertrages vereinbart hat. Dies hat die Beklagte im Nachtrag zum Versicherungsschein vom 8. Mai 1995 (GA 57) dokumentiert. Mit Schreiben vom 31. März 1995 hatte sie der Inhaberin der Firma A. M. nahegelegt, den an sich zum 1. November 1995 auslaufenden Feuer-Industrie-Vertrag vorzeitig auslaufen zu lassen.
2.
Indessen bedarf es zur behaupteten Vertragsaufhebung keiner Beweiserhebung. Denn die Klägerin kann Versicherungsschutz deshalb beanspruchen, weil die Parteien entweder einvernehmlich den Fortbestand des früheren Versicherungsvertrages bei gleichzeitigem Übergang auf die Klägerin vereinbart oder einen neuen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben. Eine entsprechende Abrede oder gar ein neuer Vertragsschluß ist in dem Schreiben der Klägerin vom 26. Juli 1995 (GA 25) und der nachfolgenden Ausstellung des Versicherungsscheins durch die Beklagte am 11. August 1995 (GA 26 - 28) zu sehen, bei dem es sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um ein Angebot, sondern bereits um die Annahme handelte.
Für die Bestätigung des alten Vertrages spricht der Umstand, daß die Beklagte die Vereinbarung als Vertragsänderung unter Beibehaltung der ursprünglichen Versicherungsschein-Nr. ... bezeichnet und den Beginn der Versicherung auf den 1. Februar 1995 festgesetzt hat. Für einen Neuabschluß spricht die Darstellung der Beklagten, sie sei sich mit der Firma M. über die endgültige Aufhebung des Versicherungsverhältnisses einig gewesen.
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte demgegenüber darauf, sie habe für die Klägerin erkennbar irrtümlich den Versicherungsschein ausgestellt, obwohl sie zuvor mit Schreiben vom 13. Juli 1995 der Klägerin den Deckungsschutz für das Schadensereignis vom 7./8. Juli 1995 versagt habe. Denn die Beklagte übersieht, daß die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 26. Juli 1995 nicht lediglich die Kündigung vom 20. Februar 1995 widerrufen, sondern zugleich auch nochmals um Informationen zu dem Versicherungsschutz der ursprünglichen Verträge gebeten hat. Daraus war für die Beklagte ersichtlich, daß die Klägerin entweder den früheren Versicherungsschutz wiederhergestellt wissen oder neuen Versicherungsschutz erlangen wollte. Wenn die Beklagte unter diesen Umständen den Versicherungsschein vom 11. August 1995 rückwirkend zum 1. Februar 1995 ausstellte, konnte die Klägerin dies nur als Deckungszusage für das Schadensereignis vom 7./8. Juli 1995 begreifen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitert der Abschluß eines neuen Vertrages nicht an § 2 Abs. 2 VVG. Denn diese Vorschrift haben die Parteien einverständlich dadurch abbedungen, daß sie beginnend mit dem 1. Februar 1995, eine Rückwärtsversicherung vereinbart haben. Soll der Versicherungsbeginn vor dem Vertragsschluß liegen, ist er immer im Sinne des materiellen Versicherungsbeginns zu verstehen, und es ist daher ohne weiteres eine Rückwärtsversicherung anzunehmen (BGHZ 111, 29, 44; VersR 90, 618).
Hier besteht allerdings die Besonderheit, daß der Versicherungsfall bei Abschluß der neuen Vereinbarung bereits am 7./8. Juli 1995 eingetreten war. Dies führt aber nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG. Weiß nämlich der Versicherer wie auch der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluß vom Eintritt des Versicherungsfalls, so ist die gesetzliche Vorschrift ohne weiteres abbedungen (vgl. BGHZ 84, 268; 111, 29; Senat VersR 1995, 460). Denn der Versicherer darf den Versicherungsnehmer nicht zur Zahlung der Prämie verpflichten, wenn er selbst, wie er weiß, nicht leistungspflichtig ist. Fordert der Versicherer die Prämie, kann der Vertragsschluß nur bedeuten, daß er trotz § 2 Abs. 2 Satz 2 zur Leistung verpflichtet sein will, wenn man nicht unterstellt, daß er zu Unrecht in den Genuß der Prämie gelangen will.
Im vorliegenden Fall war beiden Parteien bekannt, daß der Versicherungsfall schon eingetreten war. Die Versicherungsmaklerin hatte im Auftrag der Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 10. Juli 1995 von dem Schadensfall Mitteilung gemacht. Unter diesen Umständen stand es der Beklagten frei, das Versicherungsverhältnis, das sie nach ihrer Behauptung im Einvernehmen mit der Firma M. mit Nachtrag vom 8. Mai 1995 aufgehoben hatte, wieder in Kraft zu setzen oder gar gegenüber der Klägerin neu zu begründen. Da sie von ihrem Ablehnungsrecht nicht Gebrauch gemacht hat, sondern durch Übersendung des Versicherungsscheins unter Anforderung der Prämie die Annahme kundgetan hat, kann sie sich auf Leistungsfreiheit nicht berufen.
Allerdings findet eine solche Vereinbarung ihre Grenze in der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken der Beteiligten bestehen nicht (vgl. Senat VersR 1996, 1221). Darüber hinaus spricht, wie oben ausgeführt worden ist, einiges dafür, daß die Beteiligten noch von einem Fortbestand des Versicherungsschutzes für die Klägerin ausgegangen sind. Jedenfalls war insoweit eine unklare Rechtslage nicht gänzlich ausgeschlossen. Bereits mit Schreiben ihrer Maklerin vom 10. Juli 1995 hatte die Klägerin auf Versicherungsschutz bestanden. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 26. Juli 1995 abermals ihren Rechtsstandpunkt zum Fortbestand des früheren Versicherungsverhältnisses deutlich gemacht hatte, hätte die Beklagte diese Rechtsauffassung zurückweisen können. Da Unsicherheit über die Rechtslage bestand, kann die Bestätigung oder Neubegründung des Versicherungsschutzes nicht als sittenwidriges Verhalten der Beteiligten zum Nachteil der Versichertengemeinschaft gewertet werden.
Leistungsfreiheit der Beklagten ergibt sich auch nicht wegen nicht rechtzeitiger Prämienzahlung. Handelt es sich um die Fortsetzung des früheren Vertrages, so hätte die Beklagte, was unstreitig nicht geschehen ist, unter den Voraussetzungen des § 39 VVG ausstehende Folgeprämien anmahnen müssen. Handelt es sich dagegen um einen neuen Vertrag, so lagen die Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 VVG - Leistungsfreiheit wegen nicht rechtzeitiger Zahlung der Erstprämie - nicht vor. Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte die Klägerin über die Folgen der Nichtzahlung der angeforderten Prämie (GA 26) hinreichend belehrt hat. Denn die Beklagte kann sich schon deshalb nicht mit Erfolg auf Leistungsfreiheit nach dieser Vorschrift berufen, weil sie gegenüber Entschädigungsansprüchen der Klägerin aus dem Schadensfall vom 7./8. Juli 1995 aufzurechnen in der Lage war. Der Versicherer ist nicht schutzwürdig, wenn bei Fälligwerden der Erstprämie für ihn eine Verrechnungs- oder Aufrechnungsmöglichkeit besteht, und ihm das wenigstens bekannt sein konnte, da dann das Interesse an dem Erhalt der ihm zustehenden Prämie ausreichend gewahrt ist. Die Gegenforderung kann sogar die streitige Versicherungsforderung sein Unerheblich ist, ob die Versicherungsentschädigung schon fällig ist oder ob ein Aufrechnungsverbot besteht. Entscheidend ist, daß der Versicherer sein wirtschaftliches Interesse an der Prämie durch die Verrechnung wahren kann.
Dies war hier aber der Fall, da die von der Beklagten geschuldete Brandentschädigung auch die Aufräumkosten in Höhe von etwas mehr als 60.000 DM (vgl. GA 5, 6) umfaßt hat.
3.
Leistungsfreiheit nach § 9 Nr. 1 AFB kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte von der anderen Versicherung bei der C. Versicherung AG wußte.
4.
Allerdings muß sich die Klägerin die Prämienforderung gemäß Versicherungsschein vom 11. August 1995 in Höhe von 1.242,70 DM anrechnen lassen, weil dieser Betrag unstreitig nicht bezahlt worden ist. Die später erfolgte Zahlung bezog sich auf die nächste Versicherungsperiode vom 1. November 1995 bis 1. November 1996 und wurde von der Beklagten im übrigen nicht angenommen (vgl. Scheck GA 68). Entsprechendes gilt auch für die am 2. August 1996 nochmals überwiesene Prämie in gleicher Höhe, die die Beklagte wiederum als Zahlung der Folgeprämie für den genannten Zeitraum verstehen durfte, so daß dahingestellt bleiben kann, ob auch dieser Betrag an die Klägerin zurückgelangt ist.
5.
Der Zinsanspruch ergibt sich in gesetzlicher Höhe von 4 % aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB). Die Beklagte hat die Versicherungsentschädigung mit Schreiben vom 22. Dezember 1995 endgültig abgelehnt (vgl. GA 9).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Zur Zulassung der Revision besteht gemäß § 546 Abs. 1 ZPO kein begründeter Anlaß.
Der Schriftsatz der Beklagten vom 11. März 1999 gibt zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keinen Anlaß (§ 156 ZPO).
Streitwert für die Berufungsinstanz: 60.000,00 DM.
Beschwer der Klägerin: 1.242,70 DM,
Beschwer der Beklagten: 58.757,30 DM.
Ende der Entscheidung
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