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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: 4 Ws 322/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 63
StPO § 463 Abs. 3 Satz 1
StPO § 454 Abs. 1 Satz 3
StPO § 454 Abs. 1 Satz 4
StPO § 309 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

4 Ws 322/01

In der Unterbringungssache

hat der 4. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S, den Richter am Oberlandesgericht K und die Richterin am Oberlandesgericht M-S

am 25. Juli 2001

auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve (1 StVK 51/01) vom 15. Mai 2001, durch den die Fortdauer der durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 13. Februar 1997 angeordneten Unterbringung beschlossen worden ist, nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

1. Durch Urteil vom 13. Februar 1997 hat das Landgericht Duisburg die Unterbringung des - schuldunfähigen - Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Die Unterbringung wird seit dem 15. April 1999 in den R K B vollzogen, nachdem der Beschwerdefühler zuvor in den R K in B untergebracht war. Durch Beschluss vom 15. Mai 2001 hat die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung angeordnet, nachdem der Untergebrachte zuvor allein durch den von der Strafvollstreckungskammer beauftragten Richter angehört worden war. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der sofortigen Beschwerde. Diese hat - jedenfalls vorläufigen - Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einem wesentlichen Verfahrensmangel und ist daher aufzuheben.

2. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung - die der Strafvollstreckungskammer hinlänglich bekannt sein dürfte - entschieden, dass die für die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung erforderliche mündliche Anhörung des Untergebrachten nach §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1 Satz 3 StPO im Regelfall durch die Strafvollstreckungskammer in ihrer Gesamtheit durchzuführen ist (vgl. z.B. Senat v. 01. Juni 1999 - 4 Ws 128-129/99 -; v. 24. Juli 2000 - 4 Ws 302/00 und vom 16. Februar 2001 - 4 Ws 63/01). Er hält hieran nach erneuter Prüfung auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. März 2001 - 2 Ws 66/01 - fest und ergänzt sie angesichts der vorliegenden Fallgestaltung dahingehend, dass auch ein von der Strafvollstreckungskammer herbeigeführter Verzicht des Untergebrachten auf die Anhörung vor der gesamten Kammer für diese unbeachtlich ist.

3. Die Strafvollstreckungskammer soll sich - dem Gesetzeszweck entsprechend - durch Aufnahme des unmittelbaren Kontakts einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten verschaffen und damit eine der wesentlichen Zielsetzungen der Einrichtung der Strafvollstreckungskammern verwirklichen (vgl. Amtl. Begründung zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum StGB (EGStGB) BT-Drucksache 7/550 Bl. 309 Nr. 114 zu § 454 StPO). Diese Zielsetzung spricht dafür, die Anhörung regelmäßig durch den vollständigen Spruchkörper vorzunehmen, damit sich alle an der Entscheidung mitwirkenden Richter ein Bild machen können, und nicht - wie in dem vorliegenden Fall geschehen - nur einem Kammermitglied als beauftragten Richter zu übertragen. Dieser kann nur seinen eigenen persönlichen Eindruck weitervermitteln. Dass der Gesetzgeber gerade für derartige Überprüfungsentscheidungen die Besetzung der Strafvollstreckungskammer mit drei Berufsrichtern angeordnet hat, beruht auf der von ihm für diese Fälle angenommenen besonderen Schwierigkeit, die auch konkret für diesen Fall gilt. Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 13. September 1978 (BGHSt 28, 138 ff) ausgeführt, "dass die Anhörung des Verurteilten durch den beauftragten oder ersuchten Richter (nur) in besonderen Fällen dem Gesetz genügt" und offengelassen, ob das generell dann der Fall sei, wenn der beauftragte Richter an dem Beschluss über die Aussetzung der Strafe oder Unterbringung mitwirke (zum Meinungsstand vgl. LR-Wendisch, StPO, 25. Auflage, § 454 Rdn. 21 ff; KK-Fischer § 454 Rdn. 14 ff und Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. § 454 Rdn. 20 ff).

4. Der Senat verneint letzteres. Zwar sind Ausnahmefälle denkbar und anerkannt, in denen dem persönlichen Eindruck unter Berücksichtigung der nachrangigen Bedeutung der Sache und der nicht erheblichen Schwierigkeit der Entscheidung nur geringe Bedeutung zukommt, insbesondere wenn erst kurz zuvor eine Anhörung durch alle zu der Entscheidung berufenen Richter stattgefunden hat, oder die örtlichen Verhältnisse eine Anhörung durch die gesamte Kammer erheblich erschweren. Ein derartiger Ausnahmefall liegt indes hier nicht vor.

- Die Maßregel wird seit Anfang 1997 vollstreckt, nachdem sie bereits 1996 vorläufig angeordnet und vollzogen worden ist.

- Es ist angesichts der vorliegenden gutachterlichen Äußerungen und der Erklärungen des Untergebrachten anlässlich der Anhörung durch den Berichterstatter nicht fernliegend, dass die Notwendigkeit der Unterbringung ärztlicherseits noch erheblich länger bejaht werden wird.

- Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve ist seit Anfang 1999 infolge des mit der Verlegung des Untergebrachten nach B-H einhergehenden Zuständigkeitswechsels mit der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung befasst. Es handelt sich um eine wiederholte Fortdauerentscheidung, bei der die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges an zunehmend strengere Voraussetzungen zu knüpfen ist (BVerfGE 70,313). Der Verurteilte ist zu keinem Zeitpunkt von dem vollständigen Spruchkörper des Landgerichts Kleve angehört worden, vielmehr hat die Strafvollstreckungskammer bereits im Zusammenhang mit der ersten durch sie zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung trotz Einschätzung der Sache als schwierig und Kenntnis der entgegenstehenden Rechtsprechung des Senats entschieden, die Anhörung an den Berichterstatter als beauftragten Richter zu übertragen (vgl. Bl. 137 d.A. und Beschluss der Kammer vom 18. Mai 2000 - Bl. 145 d.A. -, der von dem Untergebrachten nicht angefochten worden ist).

5. Damit verdichtet sich vorliegend das Bedürfnis nach der Erlangung eines erstmaligen persönlichen Eindrucks von dem Untergebrachten durch alle zu der Entscheidung berufenen Richter derart, dass die Strafvollstreckungskammer zur Anhörung in voller Besetzung verpflichtet ist. Einer der in § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich geregelten Fälle, nach denen von der mündlichen Anhörung abgesehen werden kann, liegt nicht vor.

Der Senat verkennt nicht die praktischen Probleme, die mit der Anhörung durch den gesamten Spruchkörper verbunden sein können. Sie dürfen aber nicht dazu führen, dass die auch vom Bundesgerichtshof als Ausnahme angesehene Handhabung zur Regel wird.

6. Auf die mündliche Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer hat der Verurteilte nicht wirksam verzichtet. Ein Verzicht ist nicht in der vor seiner Anhörung auf Veranlassung der Strafvollstreckungskammer durch seinen Verteidiger abgegebenen Erklärung zu sehen, damit einverstanden zu sein, dass die Anhörung "nur" von einem Kammermitglied durchgeführt werden wurde.

Zwar hat es der Verurteilte bzw. Untergebrachte durchaus in der Hand, über die Anhörung zu verfügen, indem er z.B. gänzlich darauf verzichtet. Die Strafvollstreckungskammer kann sie nicht erzwingen und muss gegebenenfalls in einem solchen Falle ohne Anhörung entscheiden. Sie ist aber nach Auffassung des Senats nicht befugt, ihrerseits in irgendeiner Weise auf den Untergebrachten einzuwirken, mit der Anhörung durch nur einen Richter einverstanden zu sein. So liegt der Fall aber hier, denn der vom Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer beigeordnete Verteidiger des Untergebrachten ist aufgefordert worden zu klären, ob der Untergebrachte mit der Anhörung durch ein Mitglied der Kammer einverstanden sei. Eine derartige Erklärung hat der Untergebrachte sodann über seinen Verteidiger abgegeben. Durch diese Verhaltensweise gibt die Strafvollstreckungskammer zu erkennen, dass sie eine Anhörung durch ein Mitglied der Kammer bevorzugen würde und wirkt damit auf den Untergebrachten - dessen Lage ohnehin schon schwierig genug ist - in unzulässiger Weise ein. Dieser ist in seiner Entscheidung und späteren Äußerung dem Gericht gegenüber schon dann nicht mehr frei und unbefangen, wenn auch nur der Anschein erweckt wird, er verscherze sich durch das Beharren auf der Anhörung durch die gesamte Kammer deren Wohlwollen (vgl. hierzu Wegener MDR 1981, 617 ff).

Die Sache ist deshalb entgegen der Regel des § 309 Abs. 2 StPO an die Strafvollstreckungskammer zur Nachholung der Anhörung durch diese und zur neuen Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung sowie über die Kosten des Rechtsmittels zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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