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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.10.2001
Aktenzeichen: 8 U 13/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 242
BGB § 276
BGB § 249 ff.
BGB § 823
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
1) Kommt es drei Jahre nach einer Tubensterilisation zu einer Schwangerschaft, spricht der Zeitablauf dafür, daß die Koagulation der Eileiter zunächst erfolgreich verlaufen und erst später eine auch bei sorgfältigem Vorgehen nicht immer zu vermeidende Rekanalisation eingetreten ist.

2) Die Behauptung einer Patientin, sie hätte in Kenntnis der mit einer Tubensterilisation verbundenen Versagerquote gemeinsam mit ihrem Ehemann weitergehende Verhütungsmaßnahmen ergriffen, erscheint nicht plausibel, wenn sich die Partner nach einer unerwünschten Schwangerschaft damit begnügen, der Gefahr einer erneuten Gravidität durch eigene Enthaltsamkeit an den sog. fruchtbaren Tagen zu begegnen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 13/01

Verkündet am 25. Oktober 2001

pp.

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B sowie die Richter am Oberlandesgericht G und E

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Dezember 2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die am 19. Dezember 1960 geborene Klägerin wollte nach der Geburt ihres dritten Kindes sterilisiert werden. Sie begab sich deshalb am 1. April 1993 in die Praxis des sie ständig betreuenden Frauenarztes, des Beklagten zu 1). Dieser befürwortete das Vorhaben. Er überwies seine Patientin in eine von dem Beklagten zu 2) betriebene Klinik, in der ambulante Eingriffe durchgeführt werden können. Am 6. April 1993 stellte sich die Klägerin dort vor; sie erhielt eine schriftliche Einwilligungserklärung (Bl. 35 GA), die sie unterzeichnete. Etwa 30 bis 60 Minuten später fand der vorgesehene Eingriff statt; in dem Operationsprotokoll (Bl. 12 GA) ist als Operateur der Beklagte zu 1) und als Assistent der Beklagte zu 2) vermerkt. Weiter heißt es in dem Bericht:

"... Stichincision im Nabel, das Einführen des Troikars mißlingt. Übergabe an Dr. Y das Einführen des Troikars gelingt. Darstellung des inneren Genitals: retrilktierter Uterus, linke Adnexe fehlen. Einführen des zweiten Troikars oberhalb der Symphyse für die Koagulationszange Anhaken der Portio und Sondeneinlage zur Fixierung des Uterus. Die rechte Tube wird in typischer Weise auf zwei Zentimeter am proximalen Teil koaguliert Rechtes Ovar und Uterus unauffällig Kontrolle durch Dr. K. Keinerlei Verletzungsspuren erkennbar ..."

Trotz des Eingriffs wurde die Klägerin im Jahre 1996 erneut schwanger, am 11. Dezember 1996 wurde sie von ihrer Tochter C entbunden.

Die Klägerin macht Ersatzansprüche geltend. Sie hat behauptet, die beiden Beklagten, die in gleicher Weise für den Ablauf der Operation verantwortlich gewesen seien, hatten die Sterilisation nicht einwandfrei durchgeführt. Die rechte Tube sei nicht einwandfrei koaguliert worden, auch habe man zu Unrecht davon abgesehen, einen Teil des Eileiters zu entfernen. Darüber hinaus hatten die Beklagten den Zustand der linken Adnexe nicht überprüft, zwar sei dieser Eierstock bereits im Jahre 1974 entfernt worden, sicherheitshalber wäre aber ein erneuter Verschluß angebracht gewesen. Daneben stützt die Klägerin ihre Ansprüche auf ein Aufklärungsversäumnis. Ein Gespräch über das Versagerrisiko habe nicht stattgefunden, die Übergabe eines Formulars unmittelbar vor der Operation sei verspätet gewesen und könne zudem eine mündliche Belehrung nicht ersetzen. In Kenntnis der Mißerfolgsquote hatte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann andere Verhütungsmethoden ergriffen, möglicherweise auch auf einer Entfernung des Uterus bestanden. Zum Ausgleich der mit der Schwangerschaft und der Entbindung verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen stehe ihr ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 10.000 DM zu. Außerdem seien die Beklagten verpflichtet, den mit dem Kind zusammenhängenden Unterhaltsaufwand auszugleichen. Insoweit geht sie nicht nur aus eigenem Recht vor, sondern macht auch die - abgetretenen (vgl. Bl. 14 GA) - Ansprüche ihres Ehemanns geltend.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, das jedoch nicht unter 10.000 DM liegen solle, und zwar nebst 4 % Zinsen seit Rechtshändigkeit;

2.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 11.148 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie und den Vater der am 11. Dezember 1996 geborenen Tochter C R von der Unterhaltspflicht im Umfange des doppelten Satzes der jeweils geltenden Regelbetragsverordnung (§ 1612 a BGB) abzüglich des jeweiligen Kindergeldes für die Zeit ab August 1999 bis zur Volljährigkeit der Tochter C R freizustellen,

4.

festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr Ersatz für den Unterhalt ihrer am 11. Dezember 1996 geborene Tochter C R zu leisten, soweit sie und ihr Ehemann über die Volljährigkeit des Kindes hinaus zur Unterhaltsleistung gesetzlich verpflichtet seien.

Die Beklagten haben den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1) hat behauptet, er habe am 1 April 1993 ausführlich mit der Patientin über den bevorstehenden Eingriff gesprochen und dabei auch das verbleibende Versagerrisiko erwähnt. Die eigentliche Sterilisation habe der Beklagte zu 2) durchgeführt, dabei sei er in jeder Beziehung sachgerecht vorgegangen. Die erneute Schwangerschaft beruhe nicht auf einem ärztlichen Fehlverhalten, vielmehr habe sich das nicht völlig vermeidbare Risiko einer Rekanalisation verwirklicht. Vorsorglich hat der Beklagte zu 1) den Umfang der geltend gemachten Ansprüche bestritten. Der Beklagte zu 2) hat darauf hingewiesen, er sei lediglich als Assistent seines Kollegen tätig geworden; die Verantwortung für das chirurgische Vorgehen habe ebenso wie die Verpflichtung zur Aufklärung ausschließlich den Beklagten zu 1) getroffen.

Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und sodann die Klage durch Urteil vom 14. Dezember 2000 abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie behauptet weiterhin, der Sterilisationseingriff sei nicht sachgerecht durchgeführt worden, die später eingetretene Schwangerschaft lasse auf ein ärztliches Fehlverhalten schließen. Eine Aufklärung habe nicht stattgefunden, insbesondere habe sie keiner der beiden Beklagten auf die nicht unbeträchtliche Versagerquote hingewiesen. In Kenntnis dieses Risikos hatte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann andere Sterilisationsmöglichkeiten in Erwägung gezogen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils nach ihren in der ersten Instanz gestellten Anträgen zu erkennen.

Die Beklagten stellen den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholen und vertiefen ihren bisherigen Sachvortrag.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung durch Vernehmung der Zeugin W Beweis erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage mit Recht und aus zutreffenden Erwägungen abgewiesen. Die Beklagten haben weder nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung gemäß den §§ 611, 242, 276, 249 ff. BGB noch aus dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 BGB für die im Jahre 1996 eingetretene Schwangerschaft und für die wirtschaftlichen Folgen der Geburt eines weiteren Kindes einzustehen. Ihnen ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme weder ein fahrlässiges Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Sterilisation der Patientin noch ein Versäumnis im Rahmen der gebotenen Aufklärung vorzuwerfen:

I.

Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. Dr. W an dessen fachlicher Kompetenz nicht zu zweifeln ist, ist überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, daß das operative Vorgehen der Beklagten am 6. April 1993 in jeder Hinsicht einwandfrei war:

1.

Der Gutachter hat betont, daß die Methode der Elektrokoagulation nicht zu beanstanden ist; mit Hilfe dieses Verfahrens können die Tuben einer Patientin besonders sicher und unkompliziert verschlossen werden. Die Entnahme eines Eileiterstücks hat der Sachverständige ausdrücklich nicht für erforderlich gehalten; ein solches Vorgehen hat er vielmehr bei einer endoskopischen Sterilisation durch Laparoskopie als "absolut unüblich und weder sinnvoll noch notwendig" bezeichnet.

2.

Es war nicht notwendig, auch auf der linken Seite die Tuben der Patientin zu koagulieren; dort waren nämlich Eierstock und Eileiter unstreitig bereits im Jahre 1974 entfernt worden. Ausweislich des von den Beklagten verfaßten Operationsberichtes wurde das Fehlen der Adnexe bei dem Eingriff vom 6. April 1993 überprüft und bestätigt. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W bestand deshalb kein Anlaß, in diesem Bereich erneut tätig zu werden.

3.

Der Auffassung der Klägerin, der bloße Eintritt der Schwangerschaft lasse auf ein intraoperatives Versäumnis schließen, ist nicht zu folgen. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat deutlich gemacht, daß es auch bei einem völlig einwandfreien Vorgehen des verantwortlichen Gynäkologen zu einer Rekanalisierung des koagulierten Eileiters und somit zu einer Refertilisation der betroffenen Patientin kommen kann. Tatsächlich spricht der Zeitablauf zwischen dem Eingriff vom 6 April 1993 und dem Auftreten der erneuten Schwangerschaft im März/April 1996 dafür, daß die Tubenkoagulation zunächst erfolgreich verlaufen ist, erst später scheint es zu einer - nicht sicher zu vermeidenden - Durchgängigkeit des ursprünglich verschlossenen Eileiters gekommen zu sein Angesichts dieser medizinischen Gegebenheiten sind die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Anscheinsbeweis auf Fälle der vorliegenden Art nicht zugunsten einer Patientin anzuwenden.

II.

Die geltend gemachten Ansprüche können schließlich nicht auf ein Aufklärungsversagen der Beklagten gestützt werden.

1.

Die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Beklagte zu 1) seine Patientin bereits am 1. April 1993 über das Versagerrsiko der von ihm bevorzugten Sterilisationsmethode aufgeklärt hat. Die Zeugin W, die seinerzeit als Sprechstundenhilfe in der Praxis tätig war, hat den Ablauf der damals üblichen Erörterungen anschaulich geschildert: Danach hat der Frauenarzt zunächst die methodischen Einzelheiten des Eingriffs erklärt, sodann die Möglichkeiten einer stationären oder ambulanten Durchführung erläutert, ferner auf die mit der Narkose verbundenen Risiken hingewiesen und schließlich betont, daß es auch nach einer erfolgreichen Tubenkoagulation keine 100 %ige Sicherheit der Sterilität gebe; in diesem Zusammenhang hat er seine Patientin ausdrücklich darüber belehrt, daß sie sich bei einem Ausbleiben der Monatsblutung unverzüglich in frauenärztliche Behandlung begeben müsse. Diesen Inhalt des Aufklärungsgesprächs hat der Beklagte zu 1) anläßlich seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt; die Tatsache, daß es zu einer entsprechenden Erörterung gekommen ist, ist ferner in der Dokumentation ("TL-Gespräch") festgehalten. Angesichts dessen hat die Klägerin ihre Darstellung, sie sei über das Versagerrisiko und die damit verbundene Gefahr einer erneuten Empfängnis nicht belehrt worden, nicht bewiesen, die Beweislast für ihre Schilderung liegt - da es sich bei dem angeblich vorliegenden Verstoß gegen die sogenannte Sicherheitsaufklärung um einen Behandlungsfehler handelt - bei ihr.

2.

Abgesehen davon kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich die Klägerin und ihr Ehemann im Fall einer von ihnen vermißten ausführlichen Beratung über das bestehende Restrisiko einer Schwangerschaft anders verhalten und insbesondere zusätzliche Empfängnisverhütungsmaßnahmen ergriffen hatten. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie verhindere nach der Geburt ihres letzten Kindes in Kenntnis ihrer Fruchtbarkeit nunmehr eine erneute Schwangerschaft durch eigene Enthaltsamkeit an ihren sogenannten "fruchtbaren Tagen". Diese Methode der Verhütung ist statistisch nicht annähernd so zuverlässig wie eine Sterilisierung durch Tubenkoagulation; das heute von ihr und ihrem Ehemann in Kauf genommene Risiko einer erneuten Schwangerschaft ist also wesentlich größer. Angesichts dessen ist nicht plausibel, daß die Klägerin im April 1993 nach einer Belehrung über die verhältnismäßig geringfügige Versagerquote nach einer Tubensterilisation dazu entschlossen hatte, weitergehende Vorkehrungen zu treffen; schließlich haben die Eheleute in Kenntnis der weiterbestehenden Fruchtbarkeit im Jahre 1996 davon abgesehen, die angeblich bereits drei Jahre zuvor in Erwägung gezogenen besonders zuverlässigen Maßnahmen - Entfernung der Gebärmutter oder zusätzliche Sterilisierung des Ehemanns - durchführen zu lassen.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer der Klägerin liegt unter 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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