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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 07.06.2001
Aktenzeichen: 8 U 143/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
ZPO § 108 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 143/00

Verkündet am 7. Juni 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B, sowie die Richter am Oberlandesgericht G und S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 20. Juli 2000 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 200,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die am 2. Dezember 1964 geborene Ehefrau des Klägers war nach einer zuvor erlittenen Fehlgeburt im Jahre 1993 erneut schwanger. Der sie betreuende Frauenarzt ermittelte als voraussichtlichen Geburtstermin den 4. März 1994. Im September 1993 entnahm er der Patientin eine Blutprobe, um einen sog. "Triple-Test" zur Risikobewertung eines Down-Syndroms und eines Neuralrohrdefekts durchführen zu lassen. Mit der Untersuchung des Serums beauftragte er ein Institut für Pränataldiagnostik, an dem der Beklagte tätig ist. Der Test erbrachte ein unauffälliges Ergebnis: Das Risiko für ein fetales Down-Syndrom wurde angesichts der erhobenen Befunde auf 1:1400 eingeschätzt. Angesichts eines erhöhten HCG-Wertes empfahl man der Patientin allerdings am 22. September 1993 eine Ultraschalluntersuchung und eventuell eine Amniozentese. Die vorgeschlagene Sonographie führte der Beklagte am 12. Oktober 1993 in der 19. Schwangerschaftswoche durch; dabei fand er keinen Hinweis auf eine genetische Fehlbildung. In dem an den Frauenarzt der Patientin gerichteten Bericht vom 12. Oktober 1993 (vgl. Bl. 47 GA) heißt es:

"Zeitentsprechende Gravidität. Es ergeben sich zur Zeit keine Hinweise auf eine sonographisch erfaßbare Entwicklungsstörung. Die Patientin ist darüber aufgeklärt, daß ein vollständiger Ausschluß genetischer und nicht-genetisch-bedingter Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen durch diese Untersuchung nicht möglich ist."

Am 21. Februar 1994 wurde die Tochter B des Klägers durch Kaiserschnitt entbunden. Alsbald nach der Geburt fielen Hinweise auf ein Down-Syndrom auf; tatsächlich wurde aufgrund einer zytogenetischen Begutachtung am 7. März 1994 eine Trisomie 21 festgestellt.

Der Kläger macht die ihm persönlich zustehenden und die im Wege der Abtretung von seiner Ehefrau auf ihn übergegangenen Ersatzansprüche geltend. Er hat behauptet, der Beklagte habe die Sonographie vom 12. Oktober 1993 nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt; andernfalls wären ihm bei dieser Gelegenheit die auf ein Down-Syndrom hindeutenden Symptome aufgefallen. Auf die Frage, ob sicherheitshalber eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt werden solle, habe er erklärt, eine solche Maßnahme sei als "Übertherapie" anzusehen. Diese Art der Belehrung sei der vorhandenen Risikosituation nicht gerecht geworden. Ihm und seiner Ehefrau sei es auf den sicheren Ausschluß einer genetischen Fehlbildung angekommen; bei einer zutreffenden Aufklärung hätten die Eheleute auf eine Amniozentese bestanden. Der Arztbericht vom 12. Oktober 1993, in dem die nach der Ultraschalluntersuchung verbleibende Ungewißheit erwähnt ist, sei seiner Ehefrau nicht unverzüglich zugeleitet, sondern erst am 3. November 1993 anläßlich einer Vorsorgeuntersuchung bekannt gemacht worden. Bei einer Fruchtwasseruntersuchung wäre die genetische Fehlbildung frühzeitig aufgefallen; sodann hatten er - der Kläger - und seine Ehefrau sich zu einer Abtreibung entschlossen. Die Behinderung ihres Kindes sei mit einem erheblichen pflegerischen Mehraufwand verbunden. Insoweit könne er den doppelten Betrag des Regelunterhalts als Schadensersatz geltend machen.

Der Kläger hat beantragt,

1.

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 26.764 DM zu zahlen;

2.

den Beklagten zu verurteilen, an ihn beginnend mit September 1997 monatlich im voraus jeweils zum 3. Werktag, eines Monats 698 DM zu zahlen;

3.

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihm allen materiellen Schaden zu ersetzen - soweit nicht vorstehend zugesprochen und soweit Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien -, den er durch die Behinderung seiner am 21. Februar 1994 geborenen Tochter B aufgrund einer Trisomie 21 erleiden werde.

Der Beklagte hat den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, er habe seine Untersuchungen mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt; Hinweise auf eine genetische Fehlbildung seien bei der Sonographie nicht erkennbar gewesen. Er habe die Patientin auf die nach der Ultraschalluntersuchung fortbestehende Ungewißheit hingewiesen. Hatte sie anschließend auf einer Amniozentese bestanden, harte er diese diagnostische Maßnahme selbstverständlich durchgeführt. Vorsorglich hat der Beklagte den Umfang des geltend gemachten Schadens bestritten und behauptet, das Down-Syndrom sei bei dem Kind des Klägers nicht besonders stark ausgeprägt.

Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat durch ein Gutachten des Sachverständigen Dr. G Beweis erhoben und sodann die Klage durch Urteil vom 20. Juli 2000 abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er erhebt nicht mehr den Vorwurf eines diagnostischen Versäumnisses bei der durchgeführten Ultraschalluntersuchung, beanstandet aber weiterhin die von dem Beklagten vorgenommene Aufklärung. Er hätte auf die verbleibende Ungewißheit und die diese ausschließende Möglichkeit einer Amniozentese hinweisen müssen; bei einer solchen Belehrung hätte man eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen und sich anschließend zu einer Abtreibung der Leibesfrucht entschlossen.

Der Kläger beantragt,

die angefochtene Entscheidung abzuändern und

1.

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 26.784 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24. März 1997 zu zahlen;

2.

den Beklagten weitergehend zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem 1. September 1997 im voraus 698 DM monatlich zu zahlen, wobei die Rückstände jeweils ab Fälligkeit wiederum mit 4 % zu verzinsen seien;

3.

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihm allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, den er durch die Unterhaltung und/oder die Behinderung seiner am 21. Februar 1994 geborenen Tochter B aufgrund einer Trisomie 21 erleiden werde und zwar insoweit, als solche Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien.

Der Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag. Keinesfalls habe er der Patientin den Wunsch nach einer Amniozentese abgeschlagen; hätte sie eine entsprechende Bitte geäußert, hätte er selbstverständlich eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt. Er habe keinen Anlaß gehabt, diese diagnostische Maßnahme von sich aus zu empfehlen, da das mit der Amniozentese verbundene Risiko einer Fehlgeburt wesentlich höher gewesen sei als die Gefahr einer genetischen Mißbildung. Angesichts dieser Risikosituation hätte sich die Patientin im übrigen in jedem Fall gegen eine weitergehende invasive Diagnostik entschieden. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß das Ergebnis einer Fruchtwasseruntersuchung voraussichtlich nicht rechtzeitig vorgelegen hätte; ein straffreier Abbruch der Schwangerschaft wäre deshalb keinesfalls in Betracht gekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. NJW 1994, 788; NJW 1997, 1638) anerkannt, daß der Mutter und dem in den Schutzbereich des Vertrages insoweit einbezogenen Vater eines genetisch geschädigten Kindes ein Anspruch auf Freistellung von den Unterhaltsbelastungen zusteht, wenn infolge eines ärztlichen Versäumnisses bei der Beratung über eine mögliche erblich bedingte Behinderung ein Schwangerschaftsabbruch aus kindlicher Indikation unterblieben ist. Dem Beklagten ist aber nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der Erörterung des Geschehensablaufs in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein Fehlverhalten bei der ihm obliegenden genetischen Beratung im Ergebnis nicht vorzuwerfen:

I.

Daß dem Beklagten bei der Auswertung des Triple-Tests oder bei der Durchführung der Sonographie vom 12. Oktober 1993 ein Versäumnis unterlaufen ist, wird in der Berufungsinstanz ausdrücklich nicht mehr geltend gemacht. Angesichts der überzeugenden Ausführungen des vom Landgericht beauftragten Sachverständigen Dr. G ist ein diesbezüglicher Behandlungsfehler zudem nicht mit der für eine Haftung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen.

II.

Die ärztliche Belehrung über die verbleibenden Risiken einer genetischen Schädigung war in der konkreten Situation der schwangeren Patientin angebracht:

1.

Der Beklagte hatte sicherlich keinen Anlaß, von sich aus eine Fruchtwasseruntersuchung zu empfehlen: Angesichts des verhältnismäßig jungen Alters der Ehefrau des Klägers lag eine Risikosituation hinsichtlich eines möglichen Down-Syndroms nicht vor. Die Gefahr einer diesbezüglichen genetischen Schädigung war zudem durch das Ergebnis des Triple-Tests und durch den bei der Sonographie erhobenen Befund erheblich verringert. Zutreffend hat der Sachverständige Dr. G betont, daß das Risiko einer mit einer Amniozentese verbundenen Fehlgeburt statistisch siebenmal hoher lag als die Gefahr einer kindlichen Trisomie 21. Angesichts dieser Ausgangslage bestand sicherlich nicht die Verpflichtung, der Patientin zu der risikobehafteten invasiven Diagnostik zu raten.

2.

Andererseits steht fest, daß ein Down-Syndrom pränatal nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung zuverlässig ausgeschlossen werden kann. Dabei haben eine Patientin und ihr Ehepartner grundsätzlich das Recht, den Umfang der genetischen Diagnostik selbst zu bestimmen; steht bei ihnen das Sicherheitsbedürfnis im Vordergrund, können sie sich zu einer risikobehafteten Amniozentese auch dann entschließen, wenn eine solche Maßnahme aus objektiver Sicht unvernünftig erscheint; den bestehenden Spielraum darf ein Arzt nicht durch eine Überbetonung seiner eigenen Auffassung einschränken.

Die Erörterung des Sachverhaltes mit dem Kläger hat allerdings ergeben, daß er und seine Ehefrau zutreffend über die damalige Risikolage informiert waren. Er hat glaubhaft geschildert, daß er in der Anfangsphase der Schwangerschaft zunächst kein Problembewußtsein hinsichtlich einer möglichen genetischen Schädigung hatte. Die Gefahr eines Down-Syndroms war ihm aber später aufgrund von Gesprächen mit Dritten bekannt. Von dem behandelnden Frauenarzt hatten die Eheleute sodann erfahren, daß die Trisomie 21 nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung zuverlässig ausgeschlossen werden kann. Da bei der schwangeren Patientin keine besonderen Risikofaktoren vorlagen, entschied man sich im Einvernehmen mit dem Gynäkologen für eine stufenweise Diagnostik: Sollten die risikolosen Untersuchungen Auffälligkeiten ergeben, wollte man weitergehende - auch invasive - Maßnahmen in Erwägung ziehen. Aus dieser Darstellung ist zu schließen, daß der Kläger und seine Ehefrau nicht von vornherein die Absicht hatten, auf jeden Fall den sichersten Weg zur Vermeidung einer genetischen Behinderung zu gehen; ansonsten hätten sie bereits in der Frühphase der Schwangerschaft auf einer - im Interesse einer vollständigen Sicherheit unumgänglichen - Amniozentese bestehen können. An diesem für das weitere Vorgehen entscheidenden Erkenntnisstand hat sich durch die Untersuchungen und die ergänzenden Äußerungen des Beklagten nichts geändert: Der erhöhte HCG-Wert, der, die Eheleute beunruhigte, war - wie der Sachverständige Dr. G überzeugend betont hat - kein Indiz für eine genetische Schädigung im Sinne eines Down-Syndroms. Die Patientin und ihr Ehemann, konnten mithin davon ausgehen, daß das Risiko einer Mißbildung der Leibesfrucht durch die pränatale Diagnostik erheblich gemindert war; ihnen war allerdings bewußt, daß sie vollständige Sicherheit erst und nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung gewinnen konnten. Es mag sein, daß der Beklagte aufgrund der von dem Kläger geschilderten Hektik seines Praxisbetriebs nicht bereit war, die im Anschluß an die Sonographie bestehenden Alternativen in zeitaufwendiger Weise und ausführlich zu erörtern; das ändert aber nichts daran, daß die Ausgangssituation den Betroffenen hinreichend bekannt war. Die Entscheidung, von einer - risikobehafteten - Fruchtwasseruntersuchung abzusehen, wurde deshalb auf der richtigen tatsächlichen Grundlage getroffen; ein das Selbstbestimmungsrecht der Eltern einschränkender Beratungsfehler ist dem Beklagten im Ergebnis nicht vorzuwerfen.

III.

Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die Patientin bereit war, das beträchtliche Risiko einer Fehlgeburt einzugehen; auch muß nicht entschieden werden, ob nach einer Fruchtwasseruntersuchung die Voraussetzungen für eine straffreie Unterbrechung der Schwangerschaft vorgelegen hätten.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Beschwer des Klägers liegt über 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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