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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: 8 U 183/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
ZPO § 108 Abs. 1 Satz 1
1) Anläßlich einer diagnostischen Laparoskopie kann es unverschuldet zur Verletzung eines Blutgefäßes kommen, da die unter der Bauchdecke verlaufenden Arterien bei der Einführung des Trokars nicht zu erkennen sind. Eine auf der Läsion beruhende Blutung ist nicht unbedingt vor Beendigung des Eingriffs festzustellen Zu Beginn einer Laparoskopie wird nämlich im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit ein Gas in die freie Bauchhöhle insuffliert; dadurch kommt es zu einer Anspannung der Bauchdecke, die den vorübergehenden Verschluß eines verletzten Blutgefäßes bewirken kann.

2) Nach einem laparoskopischen Eingriff sind regelmäßig Blutdruck und Herzfrequenz einer Patientin zu kontrollieren, um eine eventuelle Gefäßverletzung frühzeitig diagnostizieren zu können. Da das Kreislaufsystem einen Blutverlust durch eine Erhöhung der Herzfrequenz kompensieren kann, geben nur beide Parameter gemeinsam ein zuverlässiges Bild über den klinischen Zustand der Patientin.

3) Die postoperative Überwachung nach einer ambulanten Laparoskopie obliegt sowohl dem chirurgisch tätigen Gynäkologen als auch dem für die Narkose zuständigen Anästhesisten; beide haben grundsätzlich die Erkennung und Behandlung der für ihr Fachgebiet spezifischen Komplikationen zu gewährleisten. Ist die Durchführung der gebotenen Kontrollen nicht gesichert, weil die verantwortlichen Ärzte an weiteren Operationen beteiligt sind und sich nur in unregelmäßigen, von den zufälligen Pausen bestimmten Zeitabständen um die frisch operierten Patientinnen kümmern können, liegt ein haftungsbegründender Organisationsmangel vor.

4) Erleidet eine Patientin nach einem erheblichen Blutverlust und darauf beruhenden Herzstillständen eine hypoxische Hirnschädigung, die die feinmotorischen Fähigkeiten beeinträchtigt und darüber hinaus erhebliche kognitive Störungen verursacht, kommt ein Schmerzensgeld von 100.000,-- DM in Betracht, wenn infolge der gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Weiterbeschäftigung in dem erlernten und ausgeübten Arztberuf nicht mehr möglich ist.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 183/99 3 O 319/99 LG Düsseldorf

Verkündet am 19. Oktober 2000

O, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B sowie die Richter am Oberlandesgericht G und S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das am 30. September 1999 verkündete Grund- und Teilurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Unter Berücksichtigung der zweitinstanzlichen Erledigungserklärung der Klägerin wird der Tenor der Entscheidung wie folgt neu gefaßt:

Die auf Erstattung von Verdienstausfall gerichtete Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die auf Zahlung eines Schmerzensgelds gerichtete Klage ist in der Hauptsache erledigt.

Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus der Behandlung vom 28. Oktober 1993 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Der Beklagte zu 1) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte zu 1) darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bürgschaft einer Deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die am 16. Februar 1957 geborene Klägerin ist Ärztin und war früher in der gynäkologischen Klinik eines Krankenhauses tätig. Wegen eines unerfüllten Kinderwunsches begab sie sich am 28. Juli 1993 in die Behandlung des Beklagten zu 1), der gemeinsam mit den Zeugen Dr. S und M in D eine frauenärztliche Gemeinschaftspraxis betreibt. Dieser schlug nach einer Untersuchung zur weiteren Fertilisationsdiagnostik die ambulante Durchführung einer Laparoskopie vor. Mit einer solchen Maßnahme war die Klägerin einverstanden.

Sie begab sich deshalb am Vormittag des 28. Oktober 1993 als Privatpatientin in die Praxis. Dort leitete die Beklagte zu 2), die an mehreren Tagen der Woche freiberuflich als Anästhesistin für die Gynäkologen tätig war, gegen 15.00 Uhr die Narkose ein. Der Beklagte zu 1) führte sodann den vorgesehenen Eingriff durch, der als komplikationslos beschrieben ist (vgl. Operationsbericht, Anlage 1 zur Klageschrift) und gegen 15.30 Uhr beendet war. Um 15.95 Uhr wurde die Patientin in den Aufwachraum der Praxis verlegt, in dem sie wiederholt Infusionslösungen erhielt. Gegen 16.45 Uhr fühlte sich die Klägerin unwohl und mußte erbrechen. Es wurde ein Blutdruck von nur 75/40 mm/Hg festgestellt; darüber hinaus ergab eine Blutuntersuchung einen auf 7,5 g % extrem erniedrigten Hämogiobinwert. Da man angesichts dieser Befunde die Verletzung eines größeren Blutgefäßes vermutete, verständigte man kurz nach 17.00 Uhr einen Notarzt, der die Patientin unmittelbar nach seinem Eintreffen gegen 17.10 Uhr in einer, transportfähigen Zustand versetzte und in die Universitätsfrauenklinik verlegte (vgl. Bericht des Notarztes Dr. P über seinen Notarzteinsatz, Anlage 2 zur Klageschrift). In dem Krankenhaus wurde unverzüglich eine notfallmäßige Laparotomie durchgeführt; in deren Verlauf stellte sich heraus, daß es bei dem vorangegangenen ambulanten Eingriff des Beklagten zu 1) zu einer Verletzung der Arteria epigastrica superficialis dextra gekommen war; aus dieser wunde hatten sich etwa 4 l Blut in den Bauchraum entleert (vgl. Operationsbericht vom 28. Oktober 1993, Anlage 4 zur Klageschrift). Während der Operation kam es wiederholt zu Herzstillständen, die zunächst mit einem Defibrillator und später unter Hinzuziehung eines Herzchirurgen nach einer Thoracotomie mit direkten Massagen behandelt wurden. Es gelang nur allmählich, der Zustand der Klägerin zu stabilisieren. Sie war vom 28. Oktober bis zum 23. Dezember 1993 in der stationären Behandlung verschiedener Krankenhäuser und wurde sodann bis zum 11. März 1994 ambulant von dem neurologischen Therapiezentrum der Universität betreut (vgl. Berichte vom 4. November 1993, 15. November 1993, 23. November 1993, 21. Januar 1994 und 21. März 1994, Anlagen 7-11 zur Klageschrift).

Die Klägerin macht Ersatzansprüche geltend. Sie hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe aufgrund einer Unachtsamkeit bei der Laparoskopie ein Blutgefäß verletzt. Darüber hinaus seien beiden Beklagten Versäumnisse im Rahmen der postoperativen Betreuung vorzuwerfen; nur weil die Nachsorge völlig unzulänglich gewesen sei, habe die bedrohliche Entwicklung ihres Gesundheitszustands unbemerkt bleiben können. Bei einem einwandfreien Vorgehen wären ihr der Blutungsschock und die lebensbedrohlichen Herzstillstände erspart geblieben. Infolge der Nachlässigkeiten sei es zu einem hypoxischen Hirnschaden gekommen, der sie daran hindere, weiter als Ärztin tätig zu sein. Die Klägerin hat ein angemessenes Schmerzensgeld von 100.000 DM sowie Erstattung des ihr bereits entstandenen Verdienstausfalls in Höhe von 371.131,93 DM verlangt und die zukünftig eintretenden Nachteile mit einem Feststellungsantrag erfaßt.

Sie hat beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 DM nebst 4 % Zinsen von 50.000 DM seit Klagezustellung und aus weiteren 50.000 DM seit dem 29. Juli 1994 zu zahlen;

2.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 371.131,93 DM seit Zustellung der Klageerhöhung vom 22. Oktober 1996 zu zahlen;

3.

festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Schadensereignis vom 28. Oktober 1993 zu ersetzen.

Die Beklagten haben den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben die intraopertiv verursachte Blutung als schicksalhaft bezeichnet und ein eigenes Versäumnis hinsichtlich der weiteren Entwicklung bestritten. Die postoperative Überwachung sei ausreichend gewesen; auch habe man auf das Auftreten bedrohlicher Symptome frühzeitig und mit der gebotenen Beschleunigung reagiert. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zu 2) die Auffassung vertreten, der chirurgisch tätige Gynäkologe sei für die postoperative Betreuung einer Patientin zuständig; demgegenüber hat sich der Beklagte zu 1) darauf berufen, die Kontrolle der vitalen Funktionen nach einer Operation sei Aufgabe der verantwortlichen Anästhesistin gewesen. Darüber hinaus haben die Beklagten den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem eventuellen Versäumnis und der behaupteten Schädigung geleugnet und das Ausmaß der erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestritten.

Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat durch Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten sowie durch Vernehmung von Zeugen Beweis erhoben und sodann durch Grund- und Teilurteil vom 30. September 1999 die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 100.000 DM verurteilt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Diese Entscheidung hat die Beklagte zu 2) nicht angegriffen; ihre Haftpflichtversicherung hat im Dezember 1999 das zuerkannte Schmerzensgeld nebst Zinsen gezahlt (vgl. Bl. 613 GA).

Der Beklagte zu 1) wendet sich im Wege der Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung. Er vertieft sein bisheriges Vorbringen und macht geltend, die postoperative Überwachung sei aufgrund der in der Gemeinschaftspraxis üblichen Handhabung Aufgabe der verantwortlichen Anästhesistin gewesen; tatsächlich habe die Beklagte zu 2) sich nach dem Eingriff um die in den Aufwachraum verlegte Patientin gekümmert. Wenn sie bei den Kontrollen die gebotene Untersuchung von Blutdruck und Herzfrequenz unterlassen habe, könne das nicht dem operativ tätigen Gynäkologen angelastet werden; er - der Beklagte zu 1) - habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, daß die Beklagte zu 2) ihre Aufgabe verantwortungsbewußt wahrnehmen werde. Darüber hinaus stehe nicht fest, daß der Blutverlust bei einer intensiveren Kontrolle vorher aufgefallen wäre; auch hätte die weitere Entwicklung durch ein früheres Eingreifen möglicherweise nicht günstig beeinflußt werden können. Schließlich wendet sich der Beklagte zu 1) gegen die Höhe des Schmerzensgeldes und beruft sich in diesem Zusammenhang darauf, die Klägerin habe den Eintritt eines Dauerschadens nicht bewiesen.

Der Beklagte zu 1) stellt den Antrag,

unter Abänderung des Grund- und Teilurteils des Landgerichts Düsseldorf vom 30. September 1999 die gegen ihn gerichtete Klage abzuweisen.

Die Klägerin erklärt angesichts der zwischenzeitlich geleisteten Zahlung den Rechtsstreit hinsichtlich des Schmerzensgeldantrags nebst Zinsen in der Hauptsache für erledigt und stellt im übrigen den Antrag,

die Berufung des Beklagten zu 1) zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Beklagte zu 1) müsse sich die gutachterlich festgestellten Versäumnisse im Rahmen der postoperativen Betreuung zurechnen lassen. Vertragliche Beziehungen habe sie - die Klägerin - nur zu der Mitgliedern der Gemeinschaftspraxis, nicht aber zu der Beklagten zu 2) gehabt, die Anästhesistin sei vielmehr von den Gynäkologen bei Bedarf als Erfüllungsgehilfin hinzugezogen worden. Die postoperative Nachsorge sei zumindest auch Aufgabe des chirurgisch tätig gewordenen Arztes gewesen; dieser habe deshalb den wesentlichen Teil des nach der Gebührenordnung für Ärzte hierauf entfallenden Honorars für sich beansprucht. Dem Beklagten zu 1) sei ferner ein Organisationsverschulden vorzuwerfen: Ihm sei bekannt gewesen, daß die Beklagte zu 2) keine regelmäßigen Kontrollen durchführen könne, da sie an den Operationstagen ununterbrochen Narkosen habe durchführen müssen; angesichts dessen seien ihre Aufenthalte im Aufwachraum nur unregelmäßig und zufällig gewesen. Der Beklagte zu 1) hätte als Mitgesellschafter der Gemeinschaftspraxis eine wirksame postoperative Überwachung sicherstellen müssen; für diese Aufgabe habe er nicht das erforderliche Personal zur Verfügung gestellt. Bei einer einwandfreien Betreuung wäre der Blutverlust eine Stunde früher als tatsächlich geschehen aufgefallen; sodann hätten nach den gutachterlichen Feststellungen der Blutungsschock und die hypoxische Hirnschädigung vermieden werden können. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld sei angesichts des durch Gutachten belegten Leidenswegs angemessen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung des Beklagten zu 1) ist nicht begründet. Das Landgericht ist mit Recht und aus zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, daß neben der Anästhesistin auch der chirurgisch tätige Gynäkologe für die Folgen der Arterienverletzung vom 28. Oktober 1993 einzustehen hat:

I.

Die erstinstanzliche Beweisaufnahme hat eindeutig ergeben, daß dem Beklagten zu 1) Versäumnisse bei der Behandlung seiner Patientin vorzuwerfen sind. Die Ausführungen der von dem Landgericht beauftragten Sachverständigen sind fachlich nachvollziehbar und überzeugend; einer ergänzenden Anhörung durch den Senat bedarf es nicht:

1.

Angesichts der bei der Notoperation in der Universitätsfrauenklinik erhobenen Befunde steht fast, daß der Beklagte zu 1) bei seiner Laparoskopie die Arteria eprigastrica superficialis dextra verletzt hat. Der Sachverständige Prof. Dr. N ist in seinem Gutachten davon ausgegangen, daß es bei der Einführung eines Zusatztrokars zu der verhängnisvollen Läsion gekommen ist. Dieser Vorgang ist dem Gynäkologen allerdings nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit als Versäumnis vorzuwerfen. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige hat keinen Zweifel daran gelassen, daß eine derartige Gefäßverletzung zu den operationstypischen Risiken gehört, die grundsätzlich auch bei äußerster Sorgfalt nicht immer zu vermeiden sind. Da es im Rahmen des Eingriffs wiederholt notwendig ist, die geschlossene Bauchdecke einer Patientin zu durchstechen, kann es unverschuldet zur Verletzung einer darunterliegenden Arterie kommen.

Es kann ferner nicht ohne weiteres, zu Lasten des Beklagten zu i) davon ausgegangen werden, daß dieser die von ihm verursachte Verletzung unmittelbar vor der Beendigung seines Eingriffs hätten erkennen können oder müssen. Zwar sind dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten zu 2) Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß der chirurgisch tätige Gynäkologe den Bauchraum der Patientin aufgrund einer Verzögerung des Operationsprogramms möglicherweise nicht mit der notwendigen Sorgfalt auf Bluttrockenheit inspiziert hat; diese Vermutung kann aber nicht Grundlage einer Verurteilung sein: Prof. Dr. N hat darauf hingewiesen, daß zu Beginn einer Laparoskopie in die freie Bauchhöhle ein Gas insuffliert wird, um die Bauchdecken anzuspannen; aufgrund dieser Anspannung kann es passieren, daß unmittelbar nach der Entfernung des für eine Verletzung ursächlichen Trokars eine Blutung nicht erkennbar wird, die Blutansammlung vielmehr erst nach Beendigung des Eingriffs beginnt. Es mag deshalb sein, daß im Falle der Klägerin die vorangegangene Läsion hätte erkannt werden können; zu beweisen ist ein entsprechendes Versäumnis indes nicht.

2.

Die erstinstanzliche Beweisaufnahme hat demgegenüber eindeutig ergeben, daß dem Beklagten zu 1) erhebliche Nachlässigkeiten bei der postoperativen Betreuung seiner Patientin anzulasten sind:

a)

Prof. Dr. P hat im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht betont, daß nach einer Laparoskopie regelmäßig in viertelstündlichen Abständen Blutdruck und Herzfrequenz zu messen sind; insoweit hat er auf den in seiner Klinik Üblichen Ablauf Bezug genommen. Der Beklagte zu 1) bezweifelt zwar, daß derart engmaschige Kontrollen zu dem geschuldeten medizinischen Standard gehören; seiner - nicht näher begründeten - Auffassung ist indes nicht zu folgen; insbesondere ist es nicht gerechtfertigt, an ambulante Operationen geringere Anforderungen zu stellen als an Eingriffe unter stationären Bedingungen. Aus Abschnitt 3 der zu den Akten gereichten Vereinbarung über die Zusammenarbeit in der operativen Gynäkologie ergibt sich, daß ein niedergelassener Frauenarzt nur dann chirurgisch tätig werden darf, wenn eine ausreichende postoperative Überwachung gewährleistet ist (vgl. Bl. 165 GA). Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Vereinbarung verbindlichen Rechtscharakter hat; auch ist unerheblich, daß die Absprache erst 1996 - also zeitlich nach der umstrittenen Operation - getroffen wurde; letztlich gibt die genannte Klausel nämlich eine bloße Selbstverständlichkeit wieder: Keinem Patienten dürfen dadurch Nachteile entstehen oder Risiken drohen, daß er sich bereit erklärt, eine Operation nicht unter stationären Bedingungen, sondern ambulant durchführen zu lassen.

b)

Es steht fest, daß die erforderlichen Kontrollen nicht in der gebotenen Weise durchgeführt wurden. Legt man die Dokumentation der Beklagten zu 2) (Anlage 6 zur Klageschrift) zu Grunde, fanden bei der Klägerin um 15.50 Uhr, um 16.25 Uhr und um 16.48 Uhr Blutdruckmessungen statt. Ob die Untersuchungen um 15.50 Uhr und 16.25 Uhr tatsächlich durchgeführt wurden, ist streitig; der hierzu vernommene Ehemann der Klägerin hat im Rahmen seiner Vernehmung erklärt, die behaupteten Kontrollen hätten tatsächlich nicht stattgefunden (vgl. Bl. 466, 467 GA). Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob durch diese Aussage die von der Dokumentation ausgehende Vermutung widerlegt ist; es steht nämlich fest, daß auch die in den Behandlungsunterlagen festgehaltene Überwachung im Ergebnis unzulänglich war: Zum einen wurde die zeitliche Vorgabe des Sachverständigen nicht eingehalten; zum anderen hat die Beklagte zu 2) davon abgesehen, regelmäßig die Herzfrequenz der Patientin zu bestimmen. Dieser Befund wäre für die Diagnostik einer eventuellen Nachblutung von besonderer Bedeutung gewesen: Prof. Dr. P hat deutlich gemacht, daß ein unauffälliger Blutdruckwert ohne Pulsmessung nicht aussagekräftig ist (vgl. Bl. 134, 471 GA); das Kreislaufsystem kann einen Blutverlust durch eine Erhöhung der Herzfrequenz kompensieren; daraus wird deutlich, daß nur beide Parameter gemeinsam ein zuverlässiges Bild über den klinischen Zustand einer Patientin geben.

c)

Der Beklagte zu 1) hat für die festgestellten Unzulänglichkeiten bei der postoperativen Betreuung seiner Patientin einzustehen:

aa)

Nach Abschnitt 6.1 der Vereinbarung über die Zusammenarbeit in der operativen Gynäkologie sind "für Maßnahmen der Überwachung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der durch das operative Vorgehen beeinträchtigten Vitalfunktionen grundsätzlich beide Fachgebiete fachlich zuständig, der Anästhesist für die Erkennung und Behandlung spezifischer Anästhesiekomplikationen, der Frauenarzt für die Erkennung und Behandlung operativer Komplikationen" (vgl. Bl. 167 GA). Weiter ist in Abschnitt 6.2 geregelt, daß der "Aufwachraum" dem Anästhesisten untersteht und die "Wachstation" in die Zuständigkeit des Frauenarztes fällt. Auch in diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, wann die Vereinbarung getroffen wurde und welche rechtliche Bedeutung die Absprache hat; in dem Abschnitt werden nämlich lediglich beiderseitigen Pflichten formuliert, die im Interesse einer reibungslosen Zusammenarbeit selbstverständlich waren und sind. Es steht zweifelsfrei fest, daß nicht die gesamten postoperativen Kontrollen ausschließlich von der Beklagten zu 2) geschuldet wurden: Sie hatte als Anästhesistin lediglich sicherzustellen, daß die Klägerin nach der Narkose aufwachte und ihre Vitalfunktionen wiedererlangte. Tatsächlich hat sich der Zustand der Patientin nach dem Eingriff zunächst normalisiert, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie bereits den Operationssaal selbständig zu Fuß verlassen könnte; jedenfalls war sie nämlich nach dem Eintreffen ihres Ehemanns einwandfrei ansprechbar und von den Nachwirkungen der Anästhesie nicht mehr beeinträchtigt. Anschließend drohten keine unmittelbar mit der Narkose zusammenhängenden Komplikationen mehr; überwachungsbedürftig war die Klägerin vielmehr ausschließlich wegen des Risikos einer Nachblutung oder einer Verletzung sonstiger Organe; beide Aspekte fielen grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Beklagten zu 1).

bb)

Die alleinige Zuständigkeit der Anästhesistin für die postoperative Betreuung ergibt sich ferner nicht aus den von dem Beklagten zu 1) geschilderten Gesamtumständen. Die personelle und sachliche Ausstattung der Gemeinschaftspraxis fiel in den ausschließlichen organisatorischen Zuständigkeitsbereich der einzelnen Praxismitglieder; insoweit hatte die Beklagte zu 2) als hinzugezogene ärztliche Hilfskraft unstreitig keinen nennenswerten Einfluß. Daß sie in der Vergangenheit hin und wie der eine Assistentin hinzugezogen haben mag, ist nicht von entscheidender Bedeutung; fest steht nämlich, daß am Operationstag keine Hilfskraft zur Überwachung der frisch operierten Patientinnen zur Verfügung stand. Die beiden vernommenen Mitglieder der Gemeinschaftspraxis Dr. S und M haben anläßlich ihrer Vernehmung zwar übereinstimmend bekundet, daß die Nachsorge aus ihrer Sicht dem jeweiligen Anästhesisten oblag; sie haben aber einräumen müssen, daß besondere und ausdrückliche Anweisungen insoweit nicht existierten. Angesichts dessen ist davon auszugehen, daß das Kontrolldefizit auf einem grundlegenden Organisationsmangel beruht, der in erster Linie den verantwortlichen Gynäkologen anzulasten ist. Abgesehen davon wurde nach der von den Parteien getroffenen Regelung das Honorar für die postoperative Betreuung unstreitig im Verhältnis 60:40 zugunsten des Beklagten zu 1) aufgeteilt; daraus ergibt sich zwingend, daß auch die Mitglieder der Gemeinschaftspraxis von einem eigenen Verantwortungsbeitrag ausgegangen sind.

cc)

Schließlich kann nicht unterstellt werden, daß die Beklagte zu 2) die postoperative Überwachung von sich aus übernommen und dadurch den Beklagten zu 1) entlastet hat. Richtig ist zwar, daß ausschließlich die Anästhesistin gewisse Kontrollmaßnahmen durchgeführt und dokumentiert hat; ihre Tätigkeit entband den Gynäkologen aber nicht von der Verpflichtung, seinerseits eine funktionierende Überwachung zu gewährleisten. Für ihn war erkennbar, daß die Beklagte zu 2) die erforderlichen Untersuchungen nur dann durchführen konnte, wenn sie nicht für Narkosen im Operationsraum benötigt wurde; angesichts dessen konnte sie die frisch operierten Patientinnen nicht kontinuierlich, sondern - wie die Klägerin mit Recht beanstandet - nur in zufälligen Zeitabständen überwachen. Ein kollegiales Vertrauen darauf, daß die Aufgabe der Nachsorge vollständig und zuverlässig von der Anästhesistin übernommen werde, konnte durch diese Handhabung nicht begründet werden.

II.

Die - auch - dem Beklagten zu 1) anzulastenden postoperativen Versäumnisse sind für die später eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ursächlich geworden. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wäre die Nachblutung bei einem einwandfreien Vorgehen frühzeitig erkannt worden; sodann hätte man durch ein sofortiges Eingreifen sowohl den Blutungsschock als auch die Herzstillstände mit den darauf beruhenden Komplikationen vermieden:

1.

Der Beklagte zu 1) kann sich nicht darauf berufen, der - in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentierte - Puls der Klägerin sei bis 16.45 Uhr unauffällig gewesen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. P war es aus medizinischer Sicht zweifelsfrei geboten, die Herzfrequenz regelmäßig zu ermitteln und festzuhalten; angesichts dessen obliegt dem Arzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Beweislast dafür, daß sich bei der Untersuchung ein unauffälliger Befund ergeben hatte. Für eine solche Beurteilung sprechen keine Gesichtspunkte: Der Gutachter Prof. Dr. P hat überzeugend dargelegt, daß die Krise der Patientin sicherlich in dem Zeitpunkt erkennbar war, in dem sie unter Übelkeit und Erbrechen litt; er hat ferner deutlich gemacht, daß "ein erhöhter Pulswert wahrscheinlich viel früher festzustellen gewesen wäre" (vgl. Bl. 473 GA). Zwar konnte der Sachverständige in diesem Punkt keine sichere Überzeugung äußern; dennoch ist seine Einschätzung der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen: Hinzu kommt nämlich, daß er das Nichtmessen der Pulsfrequenz als "kardinale Unterlassung" bezeichnet hat, also von einem groben Fehler im Rahmen der postoperativen Überwachung ausgegangen ist; tatsächlich war es durch sachliche Gesichtspunkte nicht gerechtfertigt und im hohen Maße leichtfertig, die erforderlichen Kontrollen der vitalen Parameter nicht durch eindeutige organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, sondern den Zufälligkeiten des Operationsprogramms zu überlassen.

2.

Bei einem richtigen Vorgehen hätte man gegen 16.20 Uhr sichere Anzeichen für eine Kreislaufinstabilität der Patientin erkennen und sodann nach Bestimmung eines pathologischen Hämoglobinwertes den Verdacht auf eine Nachblutung haben müssen. Den beiden Beklagten ist deshalb ein Zeitverlust von immerhin 30 Minuten anzulasten, der sich verhängnisvoll ausgewirkt hat: Der Sachverständige Prof. Dr. P hat überzeugend dargelegt, daß bei einem unverzüglichen Eingreifen sowohl der Blutungsschock als auch die Herzstillstände "wahrscheinlich" vermieden worden wären (Bl. 472 f. GA). Auch insoweit geht die weitere Unaufklärbarkeit des medizinischen Sachverhaltes zu Lasten des Beklagten zu 1), da die postoperative Nachsorge insgesamt als völlig unzulänglich bezeichnet werden muß.

III.

Das Landgericht hat der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung mit Recht gemäß § 847 BGB ein Schmerzensgeld von 100.000 DM zugebilligt. Da dieser Betrag einschließlich der angefallenen Zinsen zwischenzeitlich von der Haftpflichtversicherung der Beklagten zu 2) gezahlt wurde, ist - in Übereinstimmung mit dem zweitinstanzlichen Antrag der Klägerin - festzustellen, daß der Rechtsstreit im Verhältnis zum Beklagten zu 1) insoweit in der Hauptsache erledigt ist. Bei der Beurteilung ist davon auszugehen, daß die Klägerin durch die Nachlässigkeiten der Beklagten erhebliche immaterielle Nachteile erlitten hat: Sie ist nach einer einfachen Routineoperation in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten, der monatelang intensiv - medizinisch und neurologisch - behandelt werden mußte. Sie hat infolge des Blutungsschocks und der darauf beruhenden Herzstillstände eine hypoxische Hirnschädigung davongetragen, die einer Weiterbeschäftigung als eigenverantwortliche Ärztin entgegensteht. Zwar ergeben sich aus dem neuropsychologischen Zusatzgutachten der Dipl.-Psychologin S (Bl. 214 ff. GA) gewisse Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin die Untersuchungsergebnisse durch das Fehlen einer ausreichenden Kooperationsbereitschaft beeinflußt haben könnte; der neurologische Gutachter Prof. Dr. D hat aber im Rahmen seiner Begutachtung keiner. Zweifel daran gelassen, daß eine normale Beschäftigung der Klägerin in ihrem Beruf als Frauenärztin nach dem Vorfall vom 28. Oktober 1993 nicht mehr in Betracht kommt: Er hat ausgeprägte Aktionsmyoklonien festgestellt, die die feinmotorischen Fähigkeiten beeinträchtigen und die eigenverantwortliche Durchführung gynäkologischer Operationen unmöglich machen. Darüber hinaus hat der Sachverständige kognitive Störungen bestätigt, die vornehmlich die Konzentrations- und Merkfähigkeit nachteilig beeinflussen. Abgesehen davon zeigt der tatsächliche Werdegang der Klägerin, daß sie in der Tat aus gesundheitlichen Gründen gezwungen war, ihre berufliche Laufbahn aufzugeben. Aus den Bescheinigungen ihres früheren Chefarztes Prof. Dr. M vom 27. Oktober 1999 (Bl. 155 GA) und vom 10. September 1996 (Bl. 157 f. GA) ergibt sich eindeutig, daß letztlich ihre Defizite im feinmotorischen und kognitiven Bereich einer Weiterbeschäftigung entgegenstanden; durch den Vorfall ist aus der ursprünglich wertvollen und belastbaren Mitarbeiterin eine kaum einsetzbare Hilfskraft geworden, der vornehmlich aus sozialen Gründen vorübergehend die Möglichkeit gegeben wurde, in der gynäkologischen Klinik weiterhin untergeordnete Tätigkeiten durchzuführen. Angesichts der Gesamtumstände ist das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld nicht zu beanstanden.

IV.

Die gegen das Grundurteil erhobenen Einwendungen sind nicht berechtigt. Es steht fest, daß der Klägerin ein erheblicher Verdienstausfall entstanden ist, dessen Höhe vom Landgericht im einzelnen zu ermitteln ist. Auch dem Feststellungsantrag wurde in der ersten Instanz mit Recht stattgegeben.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Beschwer des Beklagten zu 1) liegt über 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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