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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.11.2000
Aktenzeichen: 8 U 41/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Auch im Arzthaftungsprozeß - in dem wegen der mangelnden Kenntnisse der genauen medizinischen Zusammenhänge seitens des Patienten und seines Prozeßbevollmächtigten grundsätzlich maßvolle Anforderungen an die Substantiierungspflicht zu stellen sind - muß eine Patientin, die wegen einer bestimmten Krankheit während eines Zeitraumes von vier Jahren einer Behandlung mit erheblichen Nebenwirkungen unterzogen worden sein will, die Art dieser Therapie in ihrem Prozeßvortrag näher beschreiben. Ebenso hat die Patientin eine behauptete Beratung des Arztes nach Inhalt und Zeitpunkt substantiiert darzulegen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 30. November 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 2. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B, den Richter am Oberlandesgericht S und die Richterin am Oberlandesgericht S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 13. Januar 2000 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die am 23. Juni 1997 geborene Klägerin befand sich von 1975 bis 1992 in gynäkologischer Betreuung durch den Beklagten, der sie unter anderem wegen eines unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches behandelte. Am 13. März 1981 veranlaßte der Beklagte die Durchführung einer diagnostischen Pelviskopie, dabei wurde an der rechten Uteruskante ein erbsengroßes, subseröses Myom festgestellt sowie ein kleiner Endometrioseherd im Bereich des hinteren Blattes des Ligamentum latum, der koaguliert wurde. Im April 1981 stellte sich die Klägerin in der Frauenklinik der Universität M vor; dort wurde wegen einer Endometriosis genitalis externa eine Therapie mit dem Medikament Winobanin für vier Monate empfohlen; danach sollte eine Sterilitätsbehandlung erfolgen. Am 11. Mai 1982 wurde in dieser Frauenklinik eine diagnostische Laparaskopie vorgenommen, dabei wurden erneut zwei Endometrioseherde koaguliert; im August wurde sodann die Sterilitätsbehandlung fortgesetzt. Im September 1989 sollte eine in-vitro-Fertilisation an der Universitätsfrauenklinik in B vorgenommen werden. Am 17. September erfolgte zu diesem Zweck eine Laparaskopie mit Follikelpunktion; nach dem Operationsbericht waren anläßlich dieses Eingriffs keine Endometrioseherde zu erkennen. Eine Befruchtung der gewonnenen Eizellen konnte nicht erreicht werden, der Patientin wurde zu einem erneuten. Versuch nach Vornahme einer Therapie zur Stimulatio der Ovarien geraten. Während der Behandlung in B hatte sich die Klägerin zeitweilig auch bei dem Beklagten vorgestellt. Er vermerkte unter dem 29. April 1986 in den Krankenunterlagen: "Endometriose im Douglas". Unter dem 7. Januar oder 8. April 1987 findet sich die Eintragung "Soor"; am 21. April 1987 erscheint der Vermerk "Endometriose". In der Folgezeit diagnostizierte der Beklagte bei der Patientin wiederholt einen Uterus myomatosus; er riet ihr daraufhin im Jahre 1991 zu eine Operation, die die Klägerin jedoch ablehnte. Am 31. März 1992 unterzog die Patientin sich einem operativen Eingriff im Krankenhaus B in D; dabei wurden laparaskopisch drei Myome entfernt; zwei weitere Myome mußten verbleiben. Am 9. August 1993 und 11. Juni 1996 erfolgten weitere Eingriffe, bei denen Myome festgestellt wurden, endoskopisch aber nicht entfernt werden konnten. In den Berichten der drei Operationen wurden Endometrioseherde nicht erwähnt.

Im Jahre 1995 nahm die Klägerin den Beklagten vor dem Landgericht Duisburg wegen angeblicher ärztlicher Versäumnisse auf immateriellen und materiellen Schadensersatz in Anspruch und machte geltend, der Beklagte habe die seit den 80iger Jahren sich entwickelnden Myome nicht rechtzeitig erkannt und behandelt; hierauf sei das Ausbleiben einer Schwangerschaft zurückzuführen. Die Klage wurde nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen; das Landgericht führte in den Gründen aus, es lasse sich nicht feststellen, daß die Myome Ursache der fortbestehenden Kinderlosigkeit seien.

Die Klägerin begehrt erneut die Zahlung eines Schmerzensgeldes und wirft dem Beklagten weitere Behandlungsfehler vor. Sie hat behauptet, er habe am 21. April 1987 den Befund einer Endometriose erhoben; diese Diagnose sei falsch gewesen. Tatsächlich sei ihre Gebärmutter seit der Therapie mit Winobanin und der Beseitigung der Restherde im Jahre 1982 endometriosefrei gewesen. Wegen des vermeintlichen Krankheitsbildes einer Endometriose habe der Beklagte ihr, der Klägerin, vier Jahre lang hormonhaltige Medikamente verabreicht, die zu Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit geführt hätten. Darüber hinaus habe der Beklagte wegen der Schwere der angeblichen Endometriose empfohlen, die Versuche zur Herbeiführung einer Empfängnis abzubrechen. An diesen Rat habe sie sich gehalten und dadurch ihre letzten fruchtbaren Jahre "verschwendet". Der Beklagte habe ihre Kinderlosigkeit verschuldet.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen der Gerichts gestelltes Schmerzensgeld - jedoch nicht unter 40.000 DM - zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

der Patientin eine nicht behandlungsbedürftige Endometriose hinter der Gebärmutter festgestellt. Er habe der Klägerin keinerlei Medikamente zur Behandlung einer Endometriose verordnet und auch nicht zum Abbruch der Sterilitätsbehandlung geraten. Schließlich hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage für zulässig erachtet, sie aber als unbegründet abgewiesen, weil die Klägerin nicht substantiiert dargelegt habe, wann und auf welche Weise der Beklagte eine Behandlung einer Endometriose durchgeführt und von Versuchen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft abgeraten habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie behauptet, die Rezeptur der für das Krankheitsbild typischen Medikamente ergebe sich aus den Behandlungsunterlagen. Der Ratschlag zum Abbruch der Sterilitätsbehandlung sei zwar dort nicht dokumentiert; der Beklagte habe entsprechende Äußerungen aber in Gegenwart ihres Ehemannes und ihrer Mutter bis in das Jahr 1991 abgegeben.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld jedoch nicht unter 90.000 DM zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und behauptet, er habe der Patientin am 21. April 1987 lediglich das Medikament Vagifloer verordnet, weil sie unter einer Soorinfektion gelitten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen für zulässig erachtet. Das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. Juni 1996 - 1 (11) O 818/95 - steht einer sachlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen, weil der jetzige Streitgegenstand mit demjenigen des früheren Rechtsstreites nicht identisch ist. Eine Gemeinsamkeit weisen die beiden Streitgegenstände nur hinsichtlich des generellen Vorwurfs der Klägerin, die ärztliche Betreuung durch den Beklagten sei für ihre Kinderlosigkeit verantwortlich, auf. Dies kann jedoch entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zur Annahme eines einheitlichen Lebenssachverhalts führen, denn die im Vorprozeß behaupteten ärztliche Versäumnisse betrafen nicht die jetzt in Rede stehende Behandlung, sondern ein völlig anderes Krankheitsbild und einen anderen Behandlungszeitraum. Während die Patientin dem Beklagten in dem früheren Verfahren zur Last gelegt hatte, er habe die sich bereits seit Anfang der 80iger Jahre entwickelnden Myome mangels hinreichender Diagnostik nicht rechtzeitig behandelt und dadurch eine Empfängnis im damaligen Zeitraum verhindert, wirft die Klägerin ihm nun vor, er habe durch eine zeitlich spätere, unzutreffende Diagnose einer anderen Krankheit - nämlich einer Endometriose - und deren Behandlung sowie den Ratschlag, die Sterilitätsbehandlung abzubrechen, den Eintritt einer Schwangerschaft endgültig verhindert. Mit dem zuletzt genannten "neuen" Lebenssachverhalt hatte sich das Landgericht im Vorprozeß nicht zu befassen; eine Entscheidung über diesen Streitgegenstand ist noch nicht erfolgt.

II.

Die Klage ist nicht begründet; der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes §§ 823, 847 BGB) nicht zu:

1.

Ob der Vorwurf einer falschen Diagnose berechtigt ist, bedarf keiner Entscheidung. Die Klägerin hat nicht hinreichend dargelegt hat, daß sie wegen eines nach ihrer Behauptung unzutreffenden Befundes einer Endometriose von dem Beklagten auch einer Therapie unterzogen worden ist:

Zwar sind im Arzthaftungsprozeß maßvolle verständige Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Patienten zu stellen, weil von dem Patienten und seinem Prozeßbevollmächtigten als Laien keine genaue Kenntnis der medizinischen Zusammenhänge erwartet oder gefordert werden kann. Dies bedeutet indes nicht, daß die Klägerin sich darauf beschränken dürfte, lediglich pauschal eine - unnötige - Behandlung zu behaupten. Von einer Patientin, die während eines Zeitraumes von vier Jahren wegen einer bestimmten Krankheit mit Medikamenten, die zu erheblichen Nebenwirkungen geführt haben sollen, behandelt worden sein will, kann und muß erwartet werden, daß sie die über einen langen Zeitraum durchgeführte Therapie näher beschreibt. Die bloße Verweisung auf die Dokumentation des Beklagten reicht hierzu schon angesichts des eigenen Vorbringens der Klägerin nicht aus. Da ihr die Krankenunterlagen zur Verfügung standen und die "Rezeptur der für das Krankheitsbild typischen Medikamente" nach ihrer Behauptung dort dokumentiert sein soll, hätte es der Patientin oblegen, aus den Unterlagen diejenige Verordnung zu benennen, mit der die Endometriose vier Jahre lang behandelt worden sein soll. Hierzu ist indes trotz des Hinweises auf die mangelnde Substantiierung im Urteil der Kammer sowie auf Nachfrage des Senats im Termin keine Angabe erfolgt.

2.

Ungeachtet dessen spricht auch vieles dafür, daß die behauptete medikamentöse Therapie zur Beseitigung einer Endometriose nicht stattgefunden hat. Bei den in den Behandlungsunterlagen seit April 1987 dokumentierten Verordnungen handelt es sich um Präparate gegen Infektionen und Pilzerkrankungen; die in der sog. Roten Liste - dem Arzneimittelverzeichnis der pharmazeutischen Industrie - zur Behandlung der Endometriose genannten Präparate Winobanin und Danazol-ratiopharm sind im Krankenblatt nicht erwähnt.

III.

Auch hinsichtlich des weiteren Vorwurfs, sie, die Klägerin, habe auf Anraten des Beklagten auf ein Weiterführung der Sterilitätsbehandlung verzichtet, fehlt es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Die Patientin hat die diesbezüglichen Beratungen, die mehrfach erfolgt sein sollen, weder nach ihrem Inhalt noch bezüglich ihres Zeitpunktes hinreichend dargelegt. Es fehlt jeglicher Vortrag dazu, in welcher Weise der Beklagte das Krankheitsbild geschildert und aus welchen Gründen er der Klägerin - gemäß ihrer Behauptung - zu dem Abbruch weiterer Versuche zur Herbeiführung einer Empfängnis geraten hat. Überdies mangelt es an jeglicher wenigstens ungefähren zeitlichen Einordnung dieser ärztlichen Beratung.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzung zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer der Klägerin liegt unter 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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